Zwei Schweizer in Berlin! Seit vier Jahren führen Ramona und Philipp zusammen den Naturweinhandel 8greenbottles mit Ladengeschäften in Kreuzberg und Prenzlauer Berg. Philipp ist eher zuständig für die Logistik und Ramona für das Marketing und die Kommunikation. Seit zwei Jahren sind die beiden nun auch Eltern: Joni wurde kurz vor der Pandemie geboren. Ramona und Philipp scherzen immer, dass der Mops das erste Baby der Familie war, dann kam der Weinhandel – Joni ist also quasi das dritte Kind. Die kleine Familie lebt im schönen Gräfe-Kiez in einer 70 qm-Altbauwohnung, die sehr effizient geschnitten ist und die das Paar minimalistisch eingerichtet und mit allerlei schönen Dingen und Erinnerungen geschmückt hat. Wir durften sie besuchen und ein wenig in ihren Alltag schnuppern!
Ramona Winter und Philipp Heinzer mit JoniAll die kleinen Dinge...
Wie seid ihr in Berlin gelandet?
Ramona: Ich bin wegen meines Studiums nach Berlin gekommen, ich studierte Philosophie, bin auch immer noch „nebenbei“ mit meiner Dissertation beschäftigt. Vorher haben wir zusammen in Zürich gelebt. Philipp ist dann nach zwei Jahren nachgekommen. Vor 8greenbottles haben wir ganz andere Dinge gemacht: Ich habe an der Uni gearbeitet und Philipp für diverse Startups. Manchmal vermissen wir Zürich, die Berge, die Ordnung. Aber Berlin bietet uns auch so viel, wir lieben die Offenheit, die Möglichkeiten und auch das Raue hier. Und mittlerweile sind wir mit unserem Business auch so sesshaft hier – dass wir bleiben.
Ihr verkauft jetzt Naturwein. Was unterscheidet Naturwein überhaupt von herkömmlichem Wein. Und wie kamt ihr zum Naturwein?
Philipp: Es gibt so einige Unterschiede, aber die wichtigsten finde ich: Die Trauben werden biologisch angebaut und von Hand gelesen, die Gärung erfolgt spontan (ähnliche wie bei Sauerteigbrot zum Beispiel), die Weine werden nicht gefiltert und enthalten keine Zusatzstoffe. Im Prinzip ist Naturwein also einfach vergorener Traubensaft.
Ramona: Wir haben beide keinen Hintergrund im Weinbereich und auch keine Ausbildung in diese Richtung. Ich habe aber schon ganz gerne (und relativ viel) Wein getrunken und auch viel dazu gelesen, fand aber den Zugang irgendwie schwierig. Ich fand das ganze Thema sehr spannend, aber auch sehr einschüchternd und überwältigend und habe mich in der Weinwelt einfach fremd gefühlt. Vor etwa sieben Jahren habe ich während eines Besuches in New York Naturwein kennengelernt (deutschen Naturwein sogar!), und habe mich komplett verliebt. Dieser Wein war so anders als gewöhnlicher Wein – viel interessanter, vielschichtiger und vor allem auch viel unkonventioneller und offener. Die Entscheidung, dass wir genau diese Art von Wein selber verkaufen wollen, fiel dann sehr spontan und war auch nicht wirklich rational oder gut durchdacht. Aber irgendwie war es trotzdem – oder genau deswegen? – die richtige Entscheidung. Mit einem so schönen Produkt zu arbeiten, macht ja auch einfach Spaß.
Ihr vertretet viele weibliche Winzerinnen. War das geplant?
Ramona: Ja, das war auf jeden Fall geplant. Frauen sind in der Weinwelt insgesamt immer noch sehr unterrepräsentiert und oft einfach weniger sichtbar. Diese Frauen und ihre tollen Weine sichtbar zu machen war von Anfang an eines unserer Ziele. Diversität in diese sehr männerdominierte Industrie reinzubringen gehört einfach zur Aufgabe eines jeden Weinunternehmens und tut der Industrie ja auch gut. Allerdings gehört auch erwähnt, dass es nicht schwierig ist, richtig gute Winzerinnen ausfindig zu machen. Wenn man sich ein wenig umguckt, merkt man, dass es wirklich sehr sehr viele gibt.
Ihr seid nach eurer Gründung ja ziemlich schnell mitten in die Pandemie gekommen. Wie war das für euch?
Philipp: Der Beginn der Pandemie war vor allem anstrengend. Unser Kind ist drei Wochen vor dem ersten Lockdown geboren. Geplant war, dass wir uns am Anfang zumindest ein paar Wochen Zeit für das Baby nehmen. Wir haben während der Schwangerschaft extra alles so in die Wege geleitet, dass das dann auch mehr oder weniger klappen sollte – gar nicht so einfach, wenn man zusammen ein kleines Unternehmen führt. Natürlich klappte das dann überhaupt nicht. Vor der Pandemie haben wir ca. 50% unserer Umsatzes mit der Belieferung von Gastronomie gemacht. Dieser Umsatz ist mit dem ersten Lockdown komplett weggebrochen. Da mussten dann ganz schnell neue Ideen her, damit das zumindest teilweise kompensiert werden konnte. So konnten wir uns beide nicht mehr rausnehmen.
Ramona: Das war schon etwas verrückt, und die Zeit ist in meiner Erinnerung auch irgendwie ganz verschwommen. Wahrscheinlich, weil es auch einfach zu viel war für uns beide. Sehr schön war – und ist! – es aber, den starken Support von unseren Kund*innen zu spüren. Das war bei Beginn der Pandemie wirklich extrem und hat uns die Zeit etwas erleichtert. Das war finanziell, aber vor allem mental sehr wichtig.
Wie war die Veränderung durch das Kind generell für euch?
Ramona: Am Anfang war alles so schnell und verrückt und einfach sehr viel, dass ich Vieles gar nicht richtig mitbekommen habe. Dass sich da in meinem Leben etwas verändert hat, habe ich erst nach und nach gemerkt. Ich würde sagen, so richtig genießen konnte ich erst nach ca. 6 Monaten, als alles ruhiger wurde, ich gelassener war und wir uns als Familie schon etwas eingespielt hatten. Natürlich hat sich durch Joni vieles verändert, diese Veränderung aber in Worte zu fassen, finde ich gar nicht so einfach. Es gibt natürlich viel Neues im Alltag: um 6 Uhr aufstehen, Spielplatzbesuche bei Wind und Regen und möglichst salzarm kochen sind alles Dinge, die ich vor Kind auf keinen Fall gemacht habe.
Philipp: Noch einschneidender finde ich die Veränderung, die im Inneren stattfindet: Jetzt ist da auf einmal diese kleine Person, für die man verantwortlich ist, die man automatisch irgendwie immer mitdenkt und die nun wichtiger ist als alles andere. Da hat schon so was wie eine Werteverschiebung in mir stattgefunden.
Joni ist ein richtiges Corona-Kind…
Ramona: Joni war drei Wochen alt als der erste Lockdown losging. Für ihn gibt es kein Leben ohne Pandemie. Ich fand besonders die erste Welle schlimm, unter anderem, weil man da noch so wenig über das Virus wusste. Auch das Fehlen von sozialen Kontakten fand ich ganz besonders am Anfang schwer. Ich habe so oft gehört: „Du hast mit einem Neugeborenen den Lockdown wahrscheinlich gar nicht richtig mitbekommen.“ Zumindest bei mir trifft diese Aussage so gar nicht zu. Ich habe meine Freund*innen sehr vermisst, hätte mich gerne mit anderen Müttern ausgetauscht und wäre vor allem gerne unbeschwert mit meinem Baby rausgegangen.
Philipp: Ich glaube, dass Joni viel weniger unter der Pandemie gelitten hat als ältere Kinder – einerseits, weil er vieles noch nicht richtig mitbekommt und andererseits aber auch, weil für ihn die Pandemie einfach die Norm ist. Für ihn ist es zum Beispiel ganz normal, dass alle Maske tragen beim Einkaufen und U-Bahnfahren. Er kennt es ja nicht anders. Manchmal schiebt er sich selber oder uns etwas in die Nase und sagt „testen“. Ich glaube, dass Testen für ihn einfach zur normalen Körperhygiene dazugehört: wie Zähneputzen und Haare bürsten.
Arbeiten und leben zusammen – ihr seht euch wohl viel, oder? geht ihr euch das auch mal auf die Nerven?
Ramona: Manchmal sehen wir uns 24/7. Und manchmal gehen wir uns auch 24/7 auf die Nerven, klar. Letzteres ist aber eher selten. Erstaunlich selten eigentlich.
Philipp: Wir sind eigentlich grundverschieden und haben im Unternehmen ganz klar voneinander getrennte Aufgabenbereiche. Das ist auch ein Grund, warum die Zusammenarbeit meistens gut klappt. Mit der Partnerin ein Unternehmen zu gründen hat natürlich Vor- und Nachteile: Ein Nachteil ist, dass man kaum abschalten kann. Wir reden eigentlich fast nonstop über Weine, Tastings, Ladeneinrichtung etc. Doch ein Vorteil ist, dass man dieses großen Interessengebiet teilt und gemeinsam immer mehr dazulernt. Wein ist etwas, das wir teilen, das uns verbindet. Das hat etwas sehr Schönes.
Wie sieht ein typischer Tag bei euch aus?
Phillipp: Wir gucken eigentlich jeden Tag neu, was heute ansteht und entscheiden dann, wer heute mehr Zeit mit dem Kind verbringt und wer länger arbeitet. Meistens bringen wir das Kind zusammen in die Kita und drehen dann zusammen noch eine kleine Gassi-Runde mit unserem Hund. Typischerweise holt dann die eine Person das Kind um ca. 16.30 Uhr in der Kita ab, unternimmt dann noch was mit ihm (Spielplatz, Laufrad ausführen oder einkaufen etc.) und bereitet dann das Abendessen vor. Die andere Person kommt dann entweder um ca. 18.30 Uhr zum gemeinsamen Abendessen nach Hause oder, wenn gerade Ladenschicht ansteht, dann erst später, wenn das Kind bereits schläft. Es gibt aber auch mehrere Tage die Woche, wo wir ganz bewusst beide schon um 15 Uhr aufhören zu arbeiten und als Familie was Schönes unternehmen. Und eine Regelmäßigkeit gibt es: Ich bin zuständig für die Nächte. Das war schon immer so, und das ist auch jetzt so geblieben.
Ihr wohnt beneidenswert mitten im Gräfe Kiez. Wie seid ihr an die Wohnung gekommen?
Ramona: Durch private Kontakte. Ich glaube, anders geht das zur Zeit kaum in der Gegend. Die Wohnung gehört einem Freund von uns, der mit seiner Familie nach Hamburg gezogen ist und die Wohnung an jemandem aus dem Bekanntenkreis vermieten wollte. Wir freuen uns total, das wir hier wohnen dürfen und lieben die Wohnung und den gesamten Kiez sehr.
Man sieht auf jeden Fall, dass ihr auch ein Faible für Design habt. Wo lasst ihr euch inspirieren?
Ramona: Ich nehme viel Inspiration aus unseren Ladendesigns. Damit habe ich mich nämlich viel eingehender beschäftigt als mit der Wohnungseinrichtung. Besonders bei unserem Laden im Prenzlauer Berg standen wir vor der Schwierigkeit, dass der Laden sehr klein ist, wir ihn aber trotzdem möglichst minimalistisch-modern aber gleichzeitig auch gemütlich und etwas verspielt einrichten wollten. Diese Mischung aus minimalistisch und verspielt findet sich auch in unserer Wohnung wieder.
Stichwort: minimalistisch. Wie schafft ihr das?
Philipp: Es ist nur zur Hälfte Absicht. Wir möchten gerne die Wohnung möglichst offen und luftig halten. Und da die Wohnung nicht riesig ist, bedeutet das auch, dass wir nicht zu viele Möbel, Dekoartikel und andere Habseligkeiten ansammeln dürfen. So gucken wir z.B., dass wir nur dann ein neues Kleidungsstück kaufen, wenn wir ein altes weggeben.
Ramona: Bei mir kommt aber auch noch hinzu, dass ich sehr picky bin. So dauert es manchmal Monate, bis ich mich wirklich für ein bestimmtes Produkt entscheide. Ich habe auch immer Angst vor Fehlkäufen: Dass dann etwas in der Wohnung steht, was dann gar nicht passt. Manche Ecken der Wohnung sind auch deswegen noch etwas provisorisch und unfertig. Das ist also weniger beabsichtigt, sondern einfach das Resultat von hinausgezögerten Entscheidungen.
Was ist die größte Herausforderung am Leben mit Kind?
Ramona: Dass man allem und allen gerecht wird: der Arbeit, dem Team, der Partnerschaft, dem Kind, aber auch sich selbst. Irgendwie hat man permanent ein latent schlechtes Gewissen.
Philipp: Schwierig ist für mich manchmal die Kombination von selbstständig sein + Kind haben + keine Familie in Berlin haben, die einem hilft. Doch dazu muss ich auch sagen, dass ich das Kitasystem in Berlin wirklich sehr, sehr schätze. In der Schweiz ist das Kitasystem privatisiert und dadurch viel weniger zugänglich für die allermeisten Leute. Ohne unsere tolle Kita in Berlin würde das alles gar nicht gehen. Und die Kita tut unserem Kind auch so unglaublich gut.
Und was ist am Schönsten?
Ramona: All die kleinen Dinge: Vorlesen morgens im Bett, Kinderbauernhof-Besuch am Samstag, Croissant-Frühstück im Lastenrad, Feierabend auf dem Lieblingsspielplatz, wildes Tanzen zu selbstgedichteten Liedern.
Philipp: Jonis Unbeschwertheit und Freude miterleben zu dürfen. Aber auch anzusehen, wie so eine eigene Persönlichkeit sich entwickelt, mit ganz eigenen Charakterzügen und Eigenheiten.
Danke, ihr beiden!
Ramona Winter und Philipp Heinzer mit Joni (2 Jahre)
Berlin, April 2022
Fotos: Lina Grün
Interview: Isabel Robles Salgado