Nava mit Arash, Emilia und Noah
Ich bin besser darin geworden, mir Hilfe zu holen.

Nava lebt mit ihrem Mann Arash, Töchterchen Emilia (5) und dem kleinen Noah (5 Monate) in Köln-Klettenberg, in einem Häuschen mit viel Grün drumherum. Und obwohl ich sie da nicht besucht habe, sondern wir nur telefonieren konnten, habe ich sofort gemerkt: Diese Frau macht ganz schön viel, sie hat unglaubliche Power – und ein ziemlich großes Herz. Sie erzählt uns, wie eine Ehe zwischen zwei Medizinern mit hohem Stresspensum funktionieren kann, warum sie für Alleinerziehende im Iran kämpft und wie sie ihren Kindern Wurzeln gibt.

Liebe Nava, du bist Kinderärztin an einer Universitätsklinik, hast zwei Kinder und mit Dayan noch ein Kindermode-Label inklusive einer Foundation. Wie bringst Du das alles unter einen Hut?

Das weiß ich manchmal selber nicht so genau. Meine Firma habe ich erst in der Elternzeit gegründet, und ich glaube, wenn man für etwas brennt, setzt das ganz schön viel Energie frei, aber es ist anstrengend, das kann man auch nicht beschönigen. Ich habe jetzt drei Jahre Elternzeit beantragt und werde mal sehen, wie sich mein Leben und unser Label entwickelt, danach entscheide ich, ob und wie ich in die Medizin zurückkehre.

War Kinderärztin zu werden für dich ein Herzenswunsch?

Total, ich wusste schon sehr früh, dass ich unbedingt Kinderheilkunde machen will und nichts anderes, ich hatte damals ein Praktikum bei einem unglaublich tollen Mediziner gemacht. Kinder sind sehr besonders in der Medizin – sie sind keine kleinen Erwachsenen, sondern unterschiedliche Wesen mit ganz anderen Krankheitsbildern. In diesem Bereich braucht man ein gutes medizinisches Bauchgefühl und muss auch lernen, mit den Eltern umzugehen, denn Kinder kommen ja nicht alleine. Das schult natürlich die sozialen und klinischen Kompetenzen ungemein und der Job ist sehr erfüllend. Ich habe zuletzt auf der Kinderintensivstation gearbeitet. Als Emilia, meine Große, 2.5 Jahre alt war, bin ich erst zu 25 Prozent, später dann zu 75 Prozent wieder eingestiegen. Das war meine beste Zeit in der Medizin, ich glaube, im Herzen bin ich einfach Intensivmedizinerin. Aber in dieser Zeit waren mein Mann und ich teilweise sieben Wochenenden am Stück im Einsatz, ehe wir beide gleichzeitig mal frei hatten. Und weil ich noch einen Kinderwunsch hatte, habe ich mich schweren Herzens dafür entschieden, erst einmal längere Zeit zu pausieren.

Wie ist das so, wenn man als Medizinerin mit einem Mediziner verheiratet ist – klingt ganz schön anstrengend, oder hilft es, weil man gemeinsame Themen hat?

Haha, auf jeden Fall, das kann es sein! Mein Mann ist Oberarzt in der Herzchirurgie, das ist ein unglaublich fordernder Job mit 13 bis 14 Stunden-Schichten, heftigen Nachtdiensten und auch schon mal Anrufen im Urlaub, dass er für eine OP reinkommen muss, auf die er spezialisiert ist. Das kann jemand, der einen Job mit geregelten Arbeitszeiten und freien Wochenenden hat, denke ich nur schwer nachvollziehen. Aber es ist trotzdem schwer, so oft mit den Kindern allein zu sein.

Wie sind die Rollen bei der Kinderbetreuung und im Haushalt bei Dir und Deinem Mann verteilt?

Momentan ganz klar: Ich bin für den Haushalt und die Kinder zuständig und mein Mann geht arbeiten. Noah ist erst fünf Monate alt und ich stille noch voll, von daher finde ich das auch sinnvoll. Das Ziel ist es, langfristig zu einem geteilteren Modell zu kommen – das hängt aber auch davon ab, wie sich die Arbeit mit Dayan entwickelt.

"Ich habe das beste aus zwei Welten, ich spreche zwei Sprachen. Dieser Kulturmix ist eine Bereicherung"

Wie organisiert ihr Euch – und was setzt ihr den Herausforderungen des Alltags entgegen?

Wir versuchen, sehr respektvoll miteinander zu sein. Und es hat total geholfen, dass mein Mann zumindest tageweise meinen Job hier zuhause mit den Kindern übernommen hat und gesehen hat, wie wenig man im Haushalt schafft, wenn man den ganzen Tag damit beschäftigt ist, ein Kind zu betreuen. Jetzt bei Noah, unserem zweiten Kind, sind wir gut darin, uns keine Vorwürfe zu machen. Und was total geholfen hat: Wir versuchen, regelmäßig Mediationsgespräche zu führen. Das hat unsere Konflikte total reduziert und war die beste Investition in unsere Beziehung!

Das ist total spannend, wie kam es dazu?

Als ich nach dem ersten Kind alleine zuhause und in Elternzeit war, war ich zunehmend frustriert. Ich habe meinen Job vermisst, habe mich nicht gesehen gefühlt und das dann angestoßen. Mein Mann war, wie wohl viele Männer, zunächst skeptisch, aber nach unserer Probesitzung war er es, der total begeistert war. Wir haben gelernt, gewaltfrei zu kommunizieren, einfach auch zu üben, wie man als Paar gut miteinander kommuniziert und nicht in alte Muster verfällt. Das hat unsere Beziehung sehr gestärkt und wir versuchen es, präventiv mindestens einmal im Jahr zu machen, ganz nach dem Motto: Prävention ist besser als Intervention – da bin ich wohl auch wieder Medizinerin!

Du hast Wurzeln im Iran – wie hat dich das geprägt?

Genau, meine Eltern waren beide Regimegegner und sind in den achtziger Jahren aus dem Iran über Umwege nach Deutschland gekommen, ich war da gerade mal ein Jahr alt. Meine Mutter hat hier dann mit zwei Kindern zuhause ein Studium gewuppt und ist Architektin, eine Wahnsinnsfrau und mein großes Vorbild. Mein Vater ist Sozialarbeiter, beide haben sich total schnell etwas in diesem neuen Land aufgebaut. In meiner Kindheit habe ich schon gemerkt, dass wir anders sind: In meiner Schultüte waren nur Öko-Sachen drin, Nüsse und Obst, keine Süßigkeiten, mein Schulranzen sah anders aus als der anderer Kinder und wir haben Weihnachten zwar gefeiert, aber ich habe gespürt, dass meine Eltern das nicht fühlen. Ich hatte auch eine Phase, da wollte ich blond und blauäugig sein, aber ziemlich schnell habe ich dann für mich gemerkt: Ich habe das beste aus zwei Welten, ich habe Noruz (das persische Neujahr) und Weihnachten, ich spreche zwei Sprachen. Dieser Kulturmix ist eine Bereicherung.

Welche Werte haben Dir Deine Eltern mitgegeben?

Meinen Eltern war Bildung wahnsinnig wichtig. Meine Mutter hat immer gesagt: Wenn du eine Note 2 bekommst, hast Du Dein Potential nicht ausgeschöpft, ich weiß, dass Du das besser kannst. Das klingt vielleicht krass – aber meine Eltern haben mich da auch nie kontrolliert, ich wusste, die Schule ist meine Verantwortung und habe um Nachhilfe gebeten, wenn ich sie gebraucht habe. Diesem Herangehen verdanke ich unglaublich viel.

Sprichst Du Farsi mit Deiner Tochter und Deinem Sohn? Und wie wichtig sind persische Feste wie Noruz für euch?

Ja, Emilia spricht fließend Persisch, und das hat uns richtig überrascht. Ich hätte nicht gedacht, dass sie die Sprache wirklich fließend beherrscht, aber das ist so. Mittlerweile kann sie auch sehr gut Deutsch, das kam im Kindergarten. Sie liebt Noruz und mag die iranische Kultur sehr gerne. Meinem Mann ist Noruz extrem heilig, das merkt sie natürlich auch. Es ist ein Familienfest, da kommen wir alle zusammen.

Und dann hast Du auch noch eine eigene Firma, Dayan, das bedeutet auf Persisch “Mutter”. Wie ist Dayan entstanden?

Dazu muss ich etwas ausholen. Meine Eltern haben jahrelang für Projekte im Iran gespendet, aber meine Mutter hat es irgendwann frustriert, dass das Leben der Menschen sich dadurch nicht wirklich ändert und die Spenden nur ein Tropfen auf dem heißen Stein sind. Sie hat 2016 Dayan gegründet, mit dem Ziel, alleinerziehenden Müttern im Iran zu helfen, die häufig in Armut leben und oft Gewalt erlebt haben. Die Foundation ermöglicht ihnen ein selbstbestimmtes Leben, sie werden zu Näherinnen ausgebildet, erhalten Traumatherapie, bekommen Wohnungen gestellt und die Kinder werden betreut und unterrichtet. Ihnen wird wirklich ganz umfassend geholfen. Die Kleidung, die sie genäht haben, haben wir im Iran vertrieben, aber im vergangenen Jahr hat ein Embargo die dortige Wirtschaft ausgehebelt und so haben wir beschlossen, Dayan nach Deutschland zu holen. Mit dem Verkauf von Kindermode finanzieren wir diesen Frauen ein neues Leben, aber wir wollen dabei keinen Gewinn machen. Unser Ziel ist, dass die Foundation wächst und wir Kindern im Iran das ermöglichen, was für Kinder in Deutschland selbstverständlich ist: Die Chance auf ein gesundes Leben und Bildung.

Was ist euch bei der Kleidung besonders wichtig?

Wir achten darauf, möglichst natürliche Materialien zu verwenden: Wolle, Leinen, Baumwolle. Leider können wir noch nicht so nachhaltig fertigen, wie wir das gerne wollen, weil dazu die Stückzahl noch steigen müsste, sonst wären die einzelnen Teile derzeit noch zu teuer. Meine Mutter entwirft die Stücke und ich gebe ihr Input. Wir haben aber beide einen sehr ähnlichen Stil und ticken auch sonst ähnlich. Das macht es schön, mit ihr zu arbeiten.

Habt ihr Familienrituale?

Es ist total schwer, diese aufrecht zu erhalten, aber eines gibt es: Mein Mann bringt mir morgens, ehe er aus dem Haus geht, Frühstück ans Bett, weil er weiß, dass ich immer mit einem Kaffee in den Tag starten muss. Das ist total bezaubernd von ihm.

Wie hast Du eigentlich Deine Schwangerschaften und Geburten erlebt?

In meiner ersten Schwangerschaft war ich ziemlich gestresst, mit dem Kopf sehr im Berufsleben, und habe es rückblickend einfach total übertrieben. In der 27. Woche habe ich Vorwehen bekommen und musste lange liegen, es war kurz vor knapp und alle waren sehr besorgt. Es ist dann aber alles gut gegangen und Emilia kam reif zur Welt. Nach der Geburt ging es mir sehr lange schlecht, ich hatte durch das lange Liegen viel Kraft abgebaut, und ich hätte rückblickend einfach mehr Unterstützung gebraucht. Ich glaube, da war auch eine postpartale Depression im Spiel, etwas, das ich erst gar nicht erkannt habe. Dazu kam, dass es bei Emilia nicht gut mit dem Stillen geklappt hat, und ich komme aus einer Klinik, wo das sehr wichtig ist, deswegen war es für mich persönlich unheimlich schlimm, dass das nicht so optimal lief. Ich habe Emilia ganz viel getragen, sie nur selten abgelegt, aus Angst, dass sie sonst nicht genug Liebe bekommt.

Wie war das dann bei Noah?

Ich hatte das Gefühl, ich war entspannter, aber es war auch wieder richtig viel los! Wir haben ein Haus gebaut, sind umgezogen, parallel habe ich Dayan gegründet, und Emilia brauchte mich natürlich auch. Aber ich bin besser darin geworden, mir Hilfe zu holen, und bei Noah hat das mit dem Stillen gleich gut geklappt.

Noah ist im Dezember geboren, wenige Monate später kam dann auch die Corona-Krise, wie war das für euch?

Ich bin unglaublich dankbar dafür, dass wir gesund sind, aber für mich ist es sehr schwer, dass die Großeltern auf beiden Seiten ihn nur wenige Male auf dem Arm hatten. Ich habe Angst, dass er nicht die gleiche Bindung zu ihnen aufbauen wird, wie Emilia, weil man diese Zeit nicht zurückholen kann. Und ich hätte es nicht für möglich gehalten, aber mein Mann muss sogar noch mehr arbeiten als zuvor, weil die älteren Kollegen verständlicherweise etwas herausgehalten werden und die jungen Kollegen entsprechend mehr einspringen müssen. Das hat uns zugesetzt, und jetzt habe ich die Notbetreuung auch in Anspruch genommen, weil ich gemerkt habe: Ich kann das nicht alles alleine schaffen.

Was bedeutet Dir Familie?

Das Gefühl, zuhause zu sein. Familie, das ist da, wo meine Liebsten sind, dazu gehören auch meine Eltern, mein Mann, meine Kinder – wenn wir jemals umziehen müssten, dann nur wenn auch ALLE mitkommen.

Was ist das Anstrengendste am Mama-Sein?

Ich glaube, der eigene Anspruch, alles möglichst perfekt zu machen. Ich bin da das beste Beispiel dafür. Ich setze mich oft unter Druck, wenn etwas nicht so funktioniert, wie ich es will und werde dann ungehalten mit Emilia, die gar nichts dafür kann. Den Anspruch, dass die Wohnung perfekt und ordentlich aussieht, muss man unbedingt loslassen.

Und was ist das Schönste?

Ich finde so vieles so schön! Vielleicht ist es einfach die bedingungslose Liebe, die man bekommt. Wenn ich meine Kinder anschaue, denke ich, sie sind das größte Glück, was ich habe. Ich bin unendliche dankbar dafür, dass meine Kinder gesund sind und in Frieden aufwachsen können.

Schaut euch gern einmal Dayan an, Navas Kindermodelabel.

Nava und Arash Mediani mit Emilia (5 Jahre) und Noah (6 Monate) Mai 2020

Fotos: Cosima Walther

Interview: Sarah Borufka