Kirsten Scholl mit Ella und Mari
Bei uns wird Familie sehr groß geschrieben

 

Kirsten Scholl ist das Gesicht hinter dem tollen Shop Kleines Karussell – und wie so manch einer, hat auch sie sich dank der Kinder dazu entschlossen, ihren Job als Grafikerin aufzugeben und ganz neue Wege zu gehen. Als Halb-Dänin hatte sie schon immer einen Hang zu schönen Dingen und ein Shop war schon immer ihr Traum – das Kleine Karussell ging dann tatsächlich nur eineinhalb Jahre nach der Geburt online. Und das mit Zwillingen! Wie lebt Kirsten? Wie schaukelt sie ihren Alltag mit zwei Mädchen und eigenem Business? Mehr dazu im Interview:

Liebe Kirsten, während der Elternzeit mit den Zwillingen hast du Kleines Karussell gegründet, wann hattest du denn bitte Zeit dafür?

Eine gute Frage. In den ersten Monaten haben die beiden tagsüber noch recht viel geschlafen, da hatte ich Zeit zum Nachdenken und Planen. Den ersten Kraftakt gab es dann im August 2014, da waren wir mit der ganzen Familie in Kopenhagen und haben die Ciff Kids besucht. Und während meine Mama und ich die ersten Gespräche mit Marken hatten, waren mein Mann und mein Papa mit den Kindern unterwegs.

Im Oktober 2014 habe ich das Gewerbe angemeldet, und so richtig loslegen konnte ich ab Januar 2015, als die Mädels in die Kita kamen. Mein Mann hat hier die Eingewöhnung übernommen, so dass ich mich voll und ganz meinem Shop widmen konnte. Naja, und von da an hatte ich noch genau ein halbes Jahr Zeit, bis die Ware kam und ich online sein wollte. Bei der Gestaltung des Shops und der Programmierung haben mich glücklicherweise ehemalige Arbeitskollegen unterstützt, sonst wäre das vermutlich alles etwas knapp geworden.

Du hast nach der Geburt komplett neu gestartet, dein Hintergrund ist ja ein ganz anderer, oder?

Ja. Aber ich wurde schon früh im Freundeskreis gefragt, wenn jemand auf der Suche nach schönen Geschenken zur Geburt oder einem Geburtstag für Kleinkinder war. Ich denke der Grund sind immer meine nordischen Wurzeln: Dänen haben eine eigene Vorstellung davon, wie Dinge auszusehen haben. Sie lieben es, sich auch im privaten Kreis über Design-Themen auszutauschen und sich gegenseitig auf die neuesten Trends hinzuweisen. Das gilt für Bereiche wie Einrichtungsgegenstände, aber eben auch für Kinderkleidung & Co. Und so war es auch bei meiner Familie, zumindest auf der dänischen Seite.

Jedenfalls entstand im Zuge dieser kleinen “Aufträge” im Freundeskreis ein Blog, auf dem ich Kinderprodukte vorstellte, die mir einfach besonders gefallen haben. Das Schreiben für den Blog führte dann dazu, dass ich mich intensiver und strukturierter mit dem Thema befasst habe, und es dauerte nicht lange, bis mir bei meinen Recherchen auffiel, dass es zu dieser Zeit in Deutschland wenige bis keine Möglichkeiten gab, schöne skandinavische Kinderprodukte zu kaufen.

Von dieser Erkenntnis bis zur Idee eines eigenen Shops, bei dem die Bereiche Anziehen, Spielen und Dekorieren gebündelt sind, war es dann schließlich nicht mehr sehr weit. Allerdings hätte es mit der Umsetzung ruhig ein wenig schneller gehen können – mittlerweile gibt es einige und auch sehr gute Shops, der Begriff “Concept Store” hat sich in diesem Bereich bereits etabliert.

Manchmal ärgere ich mich also ein wenig, dass ich nicht den Mut hatte, früher loszulegen – gleich als mir die Idee kam. Zu dem Zeitpunkt hatte ich allerdings noch keine Kinder und war innerlich einfach noch nicht bereit für den Schritt.

Wie organisiert ihr das Familienleben, habt ihr viel Hilfe?

Mein Mann bringt die Kinder morgens zur Kita und fährt dann zur Arbeit. Ich hole sie nachmittags ab und wir machen uns eine schöne Zeit zusammen. Je nachdem, wann mein Mann abends kommt, toben wir noch ein bisschen zu viert und wechseln uns dann weitestgehend ab beim ins Bett bringen. Allerdings ist er auch öfter geschäftlich unterwegs – und dann übernehme ich das Abendprogramm. Das schlaucht schon ganz schön, weil ich mich auch immer noch an den Rechner setze, wenn die Kinder schlafen. Gerade sind wir auch am überlegen, ob mein Mann ab und an einem Nachmittag übernehmen kann, da die Arbeit im Shop so viel geworden ist. Die meisten Dinge erledigen wir also alleine, selten haben wir eine Babysitterin zur Hilfe.

Früher haben meine Eltern noch öfters ausgeholfen, von Kiel nach Hamburg ist es zum Glück nicht so weit. Aber jetzt macht meine Mama den Versand für den Shop und ist im Lager unentbehrlich, deshalb hat sie kaum mehr Zeit!

Wann haben dein Mann und du Zeit für euch, und wie hat sich eure Beziehung durch die Kinder verändert, ihr seid ja schon lange zusammen?

Die Zeit zu zweit kommt in der Tat leider viel zu kurz und das Leben mit Kindern hat unser vorheriges Paarleben natürlich komplett verändert. Die Zeiten, in denen mein Mann und ich zusammen sind, also der Morgen und der frühe Abend, werden voll und ganz von den Kindern beansprucht. Und wenn sie dann schlafen, muss ich mich ja oft noch um den Shop kümmern, wie bereits erwähnt.

Zum Glück wissen wir um die Gefahren des “Nebeneinanderherlebens”, und suchen aktiv immer nach Möglichkeiten, auch Zeit für uns zu haben. Manchmal klassisch, indem Patentante oder Babysitterin die Kinder abends betreuen und wir auf ein Konzert oder essen gehen. Andere Male eher spontan-kreativ, dann muss mich mein Mann eben zur Playtime nach Paris begleiten, während die Kinder ein Wochenende bei Oma und Opa verbringen.

Generell haben wir uns eigentlich vorgenommen, mindestens ein Wochenende zu Zweit zu verbringen im Jahr. Bin gespannt, ob und wie wir das hinbekommen.

Deine Mutter ist Dänin – was hat sie dir in Sachen Familie weitergegeben?

Bei uns wird Familie immer sehr groß geschrieben. Auch wenn ich selbst keine Geschwister habe, bin ich mit meinen Cousins und Cousinen aufgewachsen und habe viel Zeit bei meinen Großeltern in Dänemark verbracht. Und auch zu meinen Eltern habe ich ein sehr enges Verhältnis, sonst würde das gemeinsame Arbeiten vermutlich auch nicht funktionieren.

Das hört sich im ersten Moment vielleicht gar nicht so besonders an. Aber frag doch gerne mal bei meinem Mann nach – als Nicht-Däne brauchte er schon eine gewisse Zeit, um sich an Dinge zu gewöhnen wie: unangemeldete Verwandtschaftsbesuche (morgens, mittags, abends, während des Fußballspiels – dank der jederzeit offenen Haustür in meinem Elternhaus kein Problem ) oder Traditionen wie händchenhaltend und singend mit der ganzen Familie um den Weihnachtsbaum zu tanzen. Oder aber die Tatsache, dass zur Erledigung anstehender Aufgaben gerne alle Familienmitglieder mit einbezogen werden, wie zum Beispiel den Garten von Ur-Oma winterfest zu machen.

Ich finde in Dänemark ist immer alles so schön und durchdesignt, wie machen die das?

Wie schon kurz angedeutet: Design hat in Dänemark einfach einen sehr hohen Stellenwert. Viele der renommiertesten Designer wie Arne Jacobsen, Hans J.Wegner oder Poul Kjerholm stammen aus Dänemark und entwarfen viele Designklassiker, die aus den dänischen Haushalten nicht wegzudenken sind. Und mit der New Nordic Bewegung wurde schönes Design zudem weitestgehend bezahlbar gemacht. Das führte sicherlich auch dazu, dass Wohnungen und Häuser einfacher toll eingerichtet werden konnten. Ach und vielleicht auch nicht ganz unwichtig: Die Dänen sind ein sehr stolzes Volk und kaufen gerne Dinge, die aus ihrem kleinen Land kommen.

Die Skandinavier gelten ja als Vorbilder was Vereinbarkeit angeht. Kannst du das unterschreiben und was davon wäre theoretisch auch in Deutschland umsetzbar?

Ja das kann ich in jedem Fall unterschreiben. Die Skandinavier leben einem vor, dass Kind und Karriere sehr wohl zusammenpassen kann. Es gibt dort sehr gute Betreuungsmöglichkeiten für Kinder, und es ist auch ganz normal, dass die arbeitenden Eltern-Teile (hier vor allem natürlich die Väter) mal früher frei haben und die Kinder nachmittags betreuen.

Allerdings ist es mit strukturellen Dingen alleine nicht getan, Modelle wie 80%-Stellen oder ähnliches gibt es schließlich ja auch schon in Deutschland. Vielmehr müssen solche Lebens- bzw. Arbeitskonzepte auch im beruflichen Umfeld akzeptiert werden – von Kollegen, von der Führungsetage, usw – ohne dass es sich zugleich negativ auf die eigene Karriere auswirkt. Ich glaube in dem Punkt haben die Skandinavier uns noch etwas voraus.

In Schweden beispielsweise werden immer wieder 30-Stunden-Wochen getestet, um eine bessere Work-Life-Balance zu schaffen. Das sollte man hier auch mal überlegen. Oder es sollte zumindest die Möglichkeiten für 75% Stellen geben, damit beide Elternteile mehr gemeinsame Familienzeit haben.

Dein erster Gedanke, als klar war dass es Zwillinge werden?

Ganz ehrlich? Ich habe geheult, weil ich es nicht glauben konnte. Ich hatte vor den Zwillingen bereits zwei Fehlgeburten und große Angst vor einer erneuten Risikoschwangerschaft. Nach den zwei Fehlgeburten und der Zeit, die es gedauert hat, überhaupt schwanger zu werden, wollte ich einfach nur, dass dieses Mal alles gut geht. Da man beim ersten Ultraschall schon erahnen konnte, dass sie eineiig sind und noch nicht sicher war, ob die Fruchthöhle durch eine dünne Wand getrennt war, ging bei mir gleich das Gedankenkarussell los. Ich bekam lauter Infos zu den möglichen Risiken einer eineiigen Schwangerschaft, sollte mich gleichzeitig aber natürlich freuen.

Aufgrund der Gefahr eines Fetofetalen Transfusionssyndrom, welches eben nur bei Eineiigen vorkommt, wurde ich dann fast die gesamte Schwangerschaft im zweiwöchigen Abstand per Ultraschall kontrolliert. Das gab mir zum Glück auch von Woche zu Woche mehr Sicherheit und als dann die 27. Woche erreicht war, wurde ich schon entspannter. Bis auf Blutungen ganz am Anfang, Schwangerschaftsdiabetes und den Schmerzen eines schnell wachsenden Bauches lief dann eigentlich alles total komplikationslos. Ich hatte Gott sei Dank früh ein Beschäftigungsverbot und konnte mich so viel schonen. Und am Ende ist alles gut gegangen!

Man denkt immer, Zwillingsschwestern, die sind sich sicher ähnlich, stimmt das?

Nein, ganz und gar nicht. Und dabei haben wir ja sogar eineiige Zwillinge, aber charakterlich sind sie sehr unterschiedlich. Die eine ist eher offen für neue Erfahrungen, erkundet interessiert die Möglichkeiten des Lebens und braucht weniger die Aufmerksamkeit anderer. Im Gegenteil zu ihrer Schwester, die in neuen Umgebungen und Situationen eher erstmal zurückhaltend ist und die es generell ganz gut findet, wenn sie ihr Publikum hat.

Ich finde das sehr schön. Zum einen ergänzen sie sich so gut und zum anderen fällt es einem so noch leichter, die beiden nicht als eine Person zu sehen. Aber natürlich ist es schon so, dass sie sich in vielen Dingen auf einen kleinsten gemeinsamen Nenner einigen können. Das bleibt wohl auch nicht aus, wenn man zusammen die Abenteuer eines jeden neuen Tages erlebt.

Wie war das erste Jahr mit beiden? Ich stelle es mir wahnsinnig stressig vor!

Ja, das war es auch. So viel haben sie nach der Geburt nicht gewogen, und etwas zu früh kamen sie auch. Entsprechend mussten wir die Mädchen alle zwei Stunden wecken und stillen, und zwischendrin alles andere erledigen. Für uns selber blieben dann zeitweise nicht mehr als 30 Minuten Schlaf am Stück.

Die ersten drei Monate war Gott sei dank mein Mann zu Hause. Danach kamen meine Eltern einmal die Woche und ich hatte eine Ersatzoma, die einen Vormittag kam und mir die beiden abgenommen hat oder mich zu Terminen begleitet hat. Unsere engsten Freunde haben auch versucht zu helfen, wo es ging. Da hatten wir wirklich Glück.

Aber ich war ehrlich gesagt froh, als das erste Jahr geschafft war, weil man mir immer gesagt hat, danach wird alles einfacher. Und größtenteils ist es dann auch so gekommen.

Wie würdest du dich als Mutter beschreiben?

Das finde ich sehr schwer zu beantworten, Ella und Mari dürften dass besser einschätzen können. Ich würde sagen, ich bin eine ganz normale Mutter, die aber gleichzeitig darauf achtet, mithilfe des Shops und Zeit mit Mann und Freunden auch noch ein Stück weit ein eigenes Leben zu führen, zumindest soweit dass eben möglich ist.

Aber natürlich beanspruchen meine Zwillinge derzeit den weitaus größten Teil meines Alltags. Und wie alle Mütter auch, hoffe ich natürlich dass meine Kinder später sagen werden, ich wäre eine liebevolle Mutter gewesen. Zumindest die eine Tochter hat schon versucht, sowas in der Art auszudrucken, indem sie meinte, ich und ihr Vater wären ganz liebe Eltern, weil wir immer so tolle Kuchen backen und auch immer mit ihr Geburtstag feiern.

Was ist das Nervigste am Mama-sein?

Dass man nicht mehr wirklich spontan sein kein, wie beispielsweise kurzfristig ein verlängertes Wochenende zu verreisen oder allein schon Essen gehen. Alles muss immer organisiert und koordiniert werden.

Und es bleibt sehr wenig Zeit zu Zweit.

Was ist das Schönste am Mama sein?

Diese bedingungslose Liebe, die man von seinen Kindern erhält und die man für sie empfindet.

Ein unbeschreiblich schönes Gefühl, was irgendwie jeden Tag zu wachsen scheint, und das die etwas anstrengenderen Seiten des Mama-Seins bei weitem überwiegt!

Danke, Kirsten!

 

Kirsten Scholl mit Ella und Mari (3), November 2016

Fotos; Leni Moretti

Interview: Isabel Robles Salgado