Let’s talk about: Wie trauern eigentlich Kinder?

Es gibt wohl kaum ein schlimmeres Gefühl, als einen nahestehenden Menschen zu verlieren. Aber der Tod gehört nun mal zum Leben dazu und jeder von uns muss irgendwann von Familienmitgliedern und Freund_innen Abschied nehmen… Ich habe kürzlich meinen großen Bruder verloren – meine Eltern ihren Sohn und meine Kinder ihren Onkel.

Mit der Trauer um ihn umzugehen und auch meine Eltern zu unterstützen, fällt mir nicht immer leicht. Es überfordert mich, macht mich wütend und natürlich furchtbar traurig. Und ich schaue auch auf meine Kinder: Was macht der Verlust mit ihnen? Wie gehen sie damit um? Und wie kann ich ihnen am Besten zur Seite stehen? Denn eines hab ich schnell gemerkt: Kinder trauern ganz anders, als wir Großen.

In Köln gibt es den Verein TrauBe. Dort werden Kinder und Jugendliche, die einen geliebten Menschen verloren haben, unterstützt und aufgefangen. Um mehr über die Trauer von Kindern zu erfahren und auch, wie man sie bestenfalls unterstützt, habe ich mit Heike Brüggemann gesprochen. Sie ist die pädagogische Leiterin des Vereins und seit über 30 Jahren im Bereich der Trauerbegleitung tätig.

Liebe Frau Brüggemann, ich musste vor kurzem von meinem großen Bruder Abschied nehmen – und meine beiden Söhne (5 und 7) von ihrem Onkel. Mir fällt es schon schwer, mit der Trauer und dem Verlust umzugehen und da frage ich mich, was meine Kinder da in letzter Zeit durchleben…
Ich würde gleich an dieser Stelle gern etwas ausholen: Wenn ein Kind auf die Welt kommt, dann trauert es. Es wird geboren und kurz darauf fängt es an zu schreien. Denn es trauert, aus dem kuscheligen, geborgenen, beschützten Mutterleib geholt worden zu sein. Es ist also das erste Mal, dass Kinder Trauer erleben. Und eigentlich können sie sich da auch von Beginn an gut selbst regulieren. Später verlieren sie ihren Schnuller, ihren liebsten Teddy. Auch diese Trauer überwinden sie, sofern wir ihre Trauer ernst nehmen und sie dabei unterstützen. Und auch den ersten Tag in der Kita überstehen sie – selbst wenn sie trauern, dass Mama nicht da ist.

Aber lässt sich die Trauer um einen Teddy mit dem Verlust eines Menschen vergleichen?
Nein. Aber das Gefühl, das Kinder in diesen Momenten erleben, ist ähnlich. Uns Eltern muss bewusst sein: Kinder trauern hin und wieder – und sie können das. Sie schreien, weinen, nehmen ihr Schnuffeltuch, kuscheln sich in Papas Arm, lassen sich von Mama trösten… Sie entwickeln also früh Fähigkeiten zur Selbstregulation. Doch dann kommen wir Eltern, die für das Kind ja nur das Beste wollen: Wir wollen alles Negative von ihnen fern halten und sie vor der Trauer schützen. Hier ein typischer Klassiker: Das Kind verliert sein liebstes Kuscheltier. Was tut die Mama? Sie kauft sofort ein neues – statt zuzulassen, dass ihr Kind lernt, mit der Trauer umzugehen.

Man sollte also lieber das Gespräch mit dem Kind suchen, Mitgefühl zeigen, statt sofort ein neues Kuscheltier zu kaufen?
Genau. Man könnte mit dem Kind über seine Trauer sprechen – fragen, was es bewegt, was es fühlt und denkt und was ihm jetzt gut tun würde. Einfach emphatisch sein. Denn einen Teddy oder einen Schnuller kann man vielleicht neu kaufen – bei einem verstorbenen Angehörigen geht das nicht. Es ist also sehr gut, wenn das Kind um etwas trauert und es so lernt, mit diesem Verlust umzugehen und ihn zu verarbeiten. Was dabei extrem kontraproduktiv ist, sind Sprüche wie: „Wein doch nicht! Ist doch nicht so schlimm, dass der olle Schnulli weg ist.“ Für das Kind ist es schlimm – und da braucht es Mitgefühl.

Ich hab mehrfach gelesen, dass Kinder ganz anders trauern, als wir Großen. Wie kann man das beschreiben?
Man kann das natürlich nicht pauschalisieren. Wie ein Kind trauert, liegt auch an dessen Entwicklung. Was man aber sagen kann ist, dass Kinder im Hier und Jetzt trauern. Genau wie sie jetzt sofort Hunger haben. Und bei einer Autofahrt jetzt sofort da sein wollen. So ist es auch bei der Trauer: sie sind jetzt sofort traurig. Und danach können sie sich aber auch sofort wieder anderen Dingen zuwenden, wie spielen, rumrennen, Faxen machen. Sie lenken sich dadurch von ihrer Trauer ab. Wir Erwachsene können das nicht so gut… Man sagt: Kinder trauern wie eine Pfütze: Es regnet, die Pfütze ist da. Die Sonne scheint, die Pfütze ist weg. Erwachsene trauern eher wie das Meer: Es geht zurück, es kommt näher – aber ganz weg ist es nie. Wichtig ist, zu akzeptieren, dass Kinder anders trauern – selbst wenn uns das hin und wieder etwas irritiert. Für Kinder ist es wichtig, dass sie ihren Alltag beibehalten – weiter in die Schule/Kita gehen, mit Freund_innen spielen. Diese Normalität zu leben, hilft ihnen bei der Trauerbewältigung.

Wenn meine Kinder nicht von selbst über ihren Onkel sprechen wollen, sollte ich dann auf sie zugehen? Oder ist erst besser, dass sie zu mir kommen und ich erst dann agiere?
Ich finde, man sollte hier einen Mittelweg gehen. Beispielsweise könnte man beim Frühstück am Wochenende mal eine Kerze anzünden und sagen: „Wie wärs, wenn wir uns heute mal schöne Geschichten über den Onkel erzählen? Oder was wir Tolles von ihm gelernt haben?“ Dazu gibt’s übrigens ein ganz tolles Kinderbuch. Das heißt: „Leb wohl lieber Dachs“. Darin erzählen die Tiere, was sie von dem verstorbenen Dachs alles gelernt haben… Was immer wichtig ist: Man sollte seine Kinder gut beobachten. Und wenn sie sehr wütend und sehr traurig sind, dann muss man natürlich drauf reagieren und das Gespräch suchen.

Heike Brüggemann, Pädagogische Leiterin vom Kölner Verein TrauBe

Mein Bruder war schwer krank, dennoch habe ich meinen Kindern nie gesagt, dass er bald sterben wird… War das richtig? Oder hätte ich ehrlich sein sollen?
Hätte, hätte… Sie konnten es nicht – und dann ist es so. Man kann immer nur das tun, was man in der Lage ist, zu leisten. Das sollte man auch nie als Defizit betrachten. Wenn es möglich ist, empfehlen wir, mit den Kindern möglichst frühzeitig darüber zu reden, um sie besser darauf vorzubereiten. Aber man kann auch im Nachhinein zu den Kindern sagen: „Ich hätte gern früher mit euch darüber geredet, aber ich konnte es nicht.“ Es ist okay für Kinder, zu sehen, dass auch Mama nicht immer alles schafft.

Und ist es okay, wenn Kinder die Mama weinen sehen? Oder sollte man besser versuchen, stark zu sein?
Wir Eltern sind für unsere Kinder Vorbilder. Kinder beobachten ihre Eltern, bei allem, was diese tun, sehr genau. Und häufig sieht man da Ähnlichkeiten: Kinder ahmen den Papa nach, machen die Mama nach. Bei der Trauer ist es ähnlich: Und wenn Eltern da vor den Kindern so tun, als sei alles in Ordnung und sich das Weinen verkneifen, dann ist das gar nicht gut. Es ist viel besser, die Tränen laufen zu lassen – aber den Kindern dabei gleichzeitig zu erklären, warum man weint: „Mami ist traurig, weil XY nicht mehr lebt! Aber wenn ich jetzt etwas geweint habe, geht es mir schon besser“. Kindern lernen so, dass Weinen nichts Schlimmes ist und dass es in Ordnung ist, zu weinen, wenn man traurig ist.

Wie erklärt man Kindern eigentlich den Tod und was danach mit einem Menschen passiert? Ist man ehrlich oder sind der Fantasie da keine Grenzen gesetzt?
Gute Frage. Da spielen viele Dinge eine Rolle – u.a. auch die Religion, die Kultur, die eigenen Werte, das Alter der Kinder… Die eine Antwort gibt es auf diese Frage nicht. Ich empfehle hier gern das Buch „Und was kommt dann?“. Das ist ein preisgekröntes Kinderbuch, bei dem man auch mal lachen kann.

Für meine Kinder ist ihr Onkel jetzt oben im Himmel und passt auf uns auf…
Das ist doch ein schönes Szenario. Irgendwann werden ihre Kinder älter und fragen, wie das möglich ist. Ähnlich wie beim Weihnachtsmann. Aber für den Moment ist diese Vorstellung doch genau richtig.

Wie entscheidet man, ob man die Kinder mit zur Trauerfeier bzw. Beisetzung mitnimmt?
Ich würde immer dafür plädieren, sie mitzunehmen. Wenn wir ihnen in einem sicheren und geborgenen Rahmen die Möglichkeit geben, Abschied zu nehmen und zu trauern, dann ist das doch etwas ganz Tolles. Aber: Es ist wichtig, dass wir die Kinder darauf vorbereiten. Nach dem Motto: Da werden Menschen sein, die weinen und schluchzen. Vorn steht ein Pfarrer, der eine Rede hält. Und dann wird eine Urne / ein Sarg zum Grab getragen. Danach gehen alle noch zusammen etwas essen… Kinder sollten wissen, was sie erwartet. Und man sollte sie fragen, was bzw. wen sie gern mitnehmen möchten. Sei es den Teddy oder den besten Freund. Und man sollte ihnen auch vermitteln: es ist okay, wenn sie ein Buch oder ein Hörbuch mitnehmen, das sie anschauen/hören können, wenn es ihnen zu viel wird. Vielleicht könnte man vorher auch schon mal über den Friedhof oder Friedwald spazieren. Eine schöne Idee ist auch, Steine mit den Kindern zu bemalen, die sie dann ans Grab legen.

Sollte man generell mit seinen Kindern mehr über Themen wie Tod und Sterben sprechen? Ich hab das bisher gern ausgespart…
Ja. Das Thema sollte eine größere Rolle spielen. Denn es gehört nunmal zum Leben dazu. Wenn wir mit Kindern mehr darüber sprechen, geben wir ihnen gleichzeitig Handwerkszeug mit: Sie können besser mit ihrer Trauer umgehen und gleichzeitig andere Kinder besser trösten. Aufklärung gibt ihnen also Stabilität. Man muss das auch nicht immer so offensiv tun – man kann mal einen toten Regenwurm beerdigen. Oder ein totes Tier betrachten und überlegen, was nun damit geschieht. Oder einfach mal über den Friedhof laufen und Gräber betrachten.

Sie sind im Kölner Verein TrauBe tätig, der Kinder und Jugendliche bei Ihrer Trauerarbeit unterstützt. Wie wichtig sind Angebote, die speziell auf trauernde Kinder und Jugendliche ausgerichtet sind?
Ich finde, sie sind sehr wichtig. Das Zentralste an unserer Arbeit sind zwei Dinge: Zum einen unterstützen und ermutigen wir die Angehörigen und stabilisieren sie. Und zum anderen lernen Kinder bei uns andere Kinder kennen, die auch ein Familienmitglied verloren haben. In der Schule sind diese Kinder oft etwas isoliert, weil kein anderes Kind seinen Papa verloren hat. In unseren Gruppen lernen die Kinder dann andere Kinder kennen, die auch ihren Papa oder die Mama verloren haben. Und das hilft ihnen enorm und stärkt sie auch. Plus die Gespräche mit unseren Pädagogen.

Wie geht es einem, wenn man Tag für Tag mit Themen wie Tod, Sterben, Verlust konfrontiert wird? Was gibt Ihnen Kraft?
Ich mache das jetzt seit über 30 Jahren. Kraft geben mir meine tollen Kollegen, meine Familie und dass ich ein wunderschönes Leben führe… Ich tue in meiner Freizeit bewusst Dinge, die mir gut tun, habe also einen guten Ausgleich. Und was auch wichtig ist: Ich kann mit den Betroffenen in den Momenten ihrer Trauer mitschwingen – bin durchlässig und fühle mit ihnen mit – aber danach bin ich in der Lage, das abzustreifen und wieder in mein Leben zu gehen. Das habe ich gelernt, denn sonst hätte ich dieser Arbeit nicht schon so lange nachgehen können.

Liebe Frau Brüggemann, haben Sie ganz herzlichen Dank für das tolle Gespräch und alles Gute für Sie!

Weitere Infos zum Thema findet ihr in der Broschüre, die Frau Brüggemann mit ihrem Kollegen Manuel Schweichler verfasst hat.

Foto: Sandy Millar

Passt dazu: Wenn das Kind vor den Eltern geht…

Kinderbücher zu “schwierigen” Themen

Und auch hier geht es um ein Kinderbuch zum Thema Trauer und Tod

Habt ihr das gern gelesen? Wir freuen uns über eure Unterstützung!