Wieso können meine Kinder nicht mehr ohne Konsole, Tablet und Co., und warum erlaube ich ihnen deren Nutzung noch immer viel zu oft? Eine Zustandsbeschreibung.
Papa ante Portas: Medienkonsum, my ass
(Un)gesunder Medienkonsum von Kindern beschäftigt Ahnungslose und Expert*innen schon so lange, wie es, nun ja, Medien und Kinder gibt. Vermutlich hieß es schon vor 35.000 Jahren: „Nur noch ein Höhlenbildnis, dann wird das Feuer ausgemacht!“ In unserer heutigen Informations- und Unterhaltungsgesellschaft, da es mehr Medien und das gleichzeitiger denn je gibt, ist auch das Angebot an Fachliteratur – yay, noch mehr Medien! – zu diesem leidigen (und jedem anderen Ratgeber-) Thema so groß wie nie zuvor. Bücher dazu heißen zum Beispiel „Dreißig Minuten, dann ist aber Schluss“ (von der geschätzten Kollegin Patricia Cammarata) und ihre Untertitel suggerieren, dass sich die Lektüre wirklich lohne: „Mit Kindern tiefenentspannt durch den Mediendschungel“. Bloß: Wann bitte soll ich die alle lesen? Etwa abends, wenn die Kleinen pennen, anstatt mich meines eigenen Bingewatchings hinzugeben? So weit kommt es noch!
Was bisher geschah: Vor rund neun Jahren kam unser erster Sohn, vor bald sieben unser zweiter auf die Welt. Dass wir ihnen Bildschirme nicht ewig vorenthalten würden, stand früh fest. Erstens erschien es uns zu verlockend, dem Dreijährigen eine Runde „Peppa Wutz“ oder „Feuerwehrmann Sam“ und uns damit eine kurze Auszeit zu gönnen. Auf offiziellen Streamingdiensten ohne Werbung, versteht sich, nicht auf der Fake- und Gefahrenquelle YouTube. Und zweitens starren wir selbst alle zwei Minuten auf unsere Handys („für die Arbeit!“). Ich hatte keinen Bock, schon vor einem Kleinkind als Heuchler dazustehen.
Auszeit für die Eltern
Mittlerweile sind die Kinder und damit ihre Ansprüche gewachsen. Eine Folge „Miraculous“ oder „Ninjago“ tut es nicht mehr. In nostalgischer Verklärung meiner eigenen Kindheit und Jugend führte ich sie vor geraumer Zeit an eine Videospielkonsole heran und war erstaunt, wie fix sie die Steuerung der wirklich ganz coolen „Lego“-Games verinnerlichten. Wider besseres Wissen schenkte ihnen der Weihnachtsmann bei seinem jüngsten Besuch dann eine unter Kids sehr beliebte Handheldkonsole mit TV-Anschlussoption von zwei italienischen Klempnern. Unsere Jungs freuten sich sehr, ihr mesolimbisches System ebenfalls: Seit sie dieses Gerät in ihrer Reichweite wähnen, reden sie oft schon nach dem Aufstehen über die theoretische Möglichkeit, es wenigstens am Abend wieder zu benutzen. Sad but true: Wie so ein Alkoholiker, der sich auf sein nächstes Bier freut.
Damit wir uns nicht falsch verstehen: Maßlos konsumiert bei uns niemand Medien, auch wenn die Kinder würden, wenn wir sie ließen. Unserer Regelung, dass „in der Regel“ nur an Wochenenden ein Film geschaut und was gezockt wird, kommen wir weitestgehend nach, Ausnahmen bestätigen diese Regel. Denn Auszeiten, die brauchen wir noch immer.
„Uns hat es doch auch nicht geschadet!“
Ich frage mich trotzdem: Alles halb so wild, „es hat uns doch auch nicht geschadet“, oder waren wir als Eltern zu locker und zu müde? Und rächt sich dies durch sinkende Aufmerksamkeit für alles, was ohne Bildschirme daherkommt, schon jetzt? Ich beschwichtige mich selbst: Zum Glück lesen unsere Kinder auch sehr viel und sehr gut, andere Eltern sind darauf neidisch. Und soll man sie nicht von kleinauf in ihren Stärken fördern – selbst wenn eine davon Daddeln ist?
Wie in gefühlt allen Erziehungsfragen gibt es auch hier verschiedene Ansätze, aber nicht die eine Wahrheit. Es gibt Studien (und besorgte Eltern), die vor zu frühem und zu häufigem Medienkonsum warnen. Es gibt wohl aber auch welche, die bei moderatem Umgang durchaus positive Effekte bei Kleinkindern ausmachten. Medienexpert*innen Sascha Lobo und Jule Lobo, die auch auf dieser Seite Kolumnen schreibt, erklärten zum Beispiel vor ein paar Wochen auf ihren Instagram-Accounts, dass ihr 18 Monate junger Sohn nun ein Smartphone kriegen solle. Sie, die digital mündigen Erwachsenen, befanden, dass auch ihr Kind, ohnehin ein Digital Native zweiter Generation, nicht früh genug digital mündig werden könne. Es führe doch eh kein Weg daran vorbei. Hier Jules Ausführungen dazu, in denen sie unter anderem schreibt: „Persönlich habe ich die Erfahrung gemacht, dass künstliche Verknappung zum Gegenteil führt. In meiner Kindheit waren Süßigkeiten immer zugänglich und ich habe nie verstanden, wieso sich manche Kinder am Geburtstag bis zum Erbrechen mit Süßem vollstopften.“ Gut, aus eigener Erfahrung mit unseren Jungs weiß ich, dass sie auf Partys nicht weniger futtern, nur weil sie auch bei uns regelmäßig Chips, Schokolade und Weingummi haben dürfen. Was ich sagen will: Am Ende wissen Eltern (hoffentlich) am besten, was für ihre Kinder in welchem Maße vertretbar ist und was nicht. Und ich, dass meine einstige (nie umgesetzte) Schnapsidee, ihnen von kleinauf ausschließlich Fast Food einzuverleiben, damit sie als Teenies ausschließlich nach Obst und Gemüse lechzen, so oder so keine geniale war.
Oft wird in Diskussionen wie diesen das bereits zitierte Totschlagargument angeführt: „Uns hat es doch auch nicht geschadet!“ Ja, liebe Verwandtschaft, natürlich ist aus euch „auch was geworden“. Aber wer weiß, was aus euch oder mir hätte werden können! Hat mir das Daddeln in meiner Jugend – wohlgemerkt: nicht Kindheit – geschadet? Ich möchte tatsächlich nur halbironisch sagen: Nein, das bisschen „Tetris“, „Super Mario Land“, „Monkey Island“, „Maniac Mansion“, „Day Of The Tentacle“, „Resident Evil“, „Fifa ´98“, „Tony Hawk’s Skateboarding“ und so weiter und so fort, so what? LOL, aber hey: Geholfen hat es der Ausbildung meiner Synapsen und meinem nachhaltigen Konzentrationsvermögen vermutlich auch nicht. Doch hätte ich all diese Spiele nicht gespielt, ich hätte die dadurch gewonnene Zeit gewiss nicht in Bücher gesteckt. Sondern in die Glotze oder andere, nun ja, zerstreuende Medien. Es gibt ja immer etwas nicht zu tun.
„Mein Sohn ist 16, er sitzt und spricht!“
Deshalb versuche ich als heutiger Vater entspannt, wenngleich nicht tiefenentspannt, zu bleiben. X-Box, Smartphone, Tablet, Nintendo Switch, den Umgang damit dürfen meine Kinder gerne lernen. Dass es auch andere Themen am Tag als die nächste Daddelrunde gibt, kommunizieren wir täglich. Außerdem bleibt alles auch eine Frage der elterlichen Ansprüche. Vielleicht behaupte ich eines Tages so zufrieden, selbstverständlich, stolz und hilflos wie Heinrich Lohse in der urdeutschen Kultkomödie „Pappa Ante Portas“, nach der ich diese Kolumne hier taufte und die ich nun endlich zitieren kann: „Mein Sohn ist 16, er sitzt und spricht!“
Jetzt, zum Ende dieser Kolumne, frage ich mich dennoch: Was wollte ich eigentlich sagen? Wo war mein Faden, was ist mein Punkt? Sorry, vergessen, war zu abgelenkt. Meine Kinder schießen gerade Bogen an der Konsole, ich schwelge in bruchstückhaften Erinnerungen an „California Games“ auf dem C64. Schneller den Knopf am Joystick drücken! Schneller, schneller, SCHNELLER! Und was ich als nächstes mit ihnen glotze, weiß ich ebenfalls: Tobi Krell, Kindern und Jugendlichen besser bekann als „Checker Tobi“, erklärt Mediensucht.
Foto: Samantha Sophia Unsplash