Die Unfreiheit des Teil-Erziehenden
Mein Leben hatte ich mir anders vorgestellt. Diesen Satz würden viele vielleicht unterstreichen können, manche aber auch nicht. Dabei gehöre zu denen, die eher wenige konkrete Vorstellungen hatten. Ein paar Zukunftsideen, Wünsche und Vorstellungen hatte ich aber schon, und an einen Ort gebunden zu sein gehörte, vor meinen Vierzigern, definitiv nicht dazu.
Life happens while you are busy making other plans
So hatte ich mir das nicht vorgestellt: Aus Berlin nicht mehr wegzukönnen. Ich liebe Berlin, klar, aber die Hälfte meiner Zwanziger und meine kompletten Dreißiger hier zu verbringen, war eigentlich nicht der Plan. Ich hatte mir auch nicht vorgestellt, dass die längste Zeit, die ich mit meinem Kind verreisen kann, zwei Wochen am Stück sind (und das einmal im Jahr).
Ich hatte nicht geplant in einem Wechselmodell festzustecken, das mein Leben in sehr feste, ja richtig starre Bahnen zwängt (was ich vom 50/50 Wechselmodell per Zwang halte, habe ich schon einmal aufgeschrieben). Klar, für den anderen Elternteil bedeutet das das gleiche. Wenn man sich nicht versteht, dann kommen die starren Regeln, und alle sitzen fest.
Ich liebe mein Kind. Jedes Mal, wenn uns das Wechselmodell an unsere Grenzen bringt, dann denke ich an mein Mantra: Besser als kein Kind. Das wiederhole ich dann, so oft wie ich es brauche. Ich bin dankbar für den wichtigsten Menschen in meinem Leben. Ich will genau dieses Leben, mit meinem Sohn, und wenn es heißt, dass ich Berlin in den nächsten 15 Jahren nicht verlassen werde, dann ist das ok. Es gibt schlimmere Orte, an denen man feststecken kann. Es gibt fürwahr schwierigere Situationen.
Weit weg von Zuhause
Da muss ich an die Mama aus der Facebookgruppe denken, die nur kurz für einen Job in Berlin war, sich hier verliebt hat, ein Kind bekommen hat, und dann größtenteils alleinerziehend geworden ist, aber nun nicht mehr nach Hause nach Island kann. Weil der Papa ja hier ist und beide das Sorgerecht haben. Oder an die Mama aus dem Lenny Letter, die dort beschrieb, wie sie einige Zeit in London lebte, viel reiste, dann heiratete und mit ihrem Mann drei Kinder bekam. Dann kam die Trennung. Und sie sitzt in London, will einfach nur nach Hause nach Kaliforniern, mit ihrem Kindern: “My parents may no longer be around by the time I can finally move home. My dad is going through a health scare, and I’m trapped, helpless, and isolated.” Sie hätte nie gedacht, dass sie als Single Mom weniger Autonomie hat als verheiratete Frau. Und natürlich kann man den Papa verstehen, der ja auch nicht seine Kinder verlieren will. Nur ist es in vielen Fällen so, dass die Mütter die hauptsächlich Betreuenden sind – und dann irgendwo leben müssen, weit weg von Zuhause, obwohl sie gerade das am dringendsten bräuchten: Das Zuhause und die Familie.
Selber Schuld?
Nun könnte man sagen: “Pech gehabt, hätte dir ja auch mal vorher einfallen können, dass du nach Hause willst. Dann macht man doch keine Kinder!” Oder: “Du wolltest doch das Kind, hast du wohl nicht alles durchdacht!” Ja, so ist das Leben. Manchmal kann man nicht alles “durchdenken”. Weil man Menschen doch nicht so gut kennt, wie man es glaubt oder sich die Umstände einfach geändert haben. Weil Kinder kommen, wann sie wollen und unsere Entscheidungsfreiheit manchmal eingeschränkter ist, als wir es wahrhaben wollen (Stichwort “freier Wille”). Weil man so unglaublich schnell in Situationen reinrutscht, die sich nicht mehr ändern lassen, die das ganze Leben auf den Kopf stellen.
Dahingegen scheint meine Version der Unfreiheit noch einen großen Vorteil zu haben: Ich bin Zuhause. Vielleicht würde ich auch gar nicht woanders leben wollen. Vielleicht ist das alles hier auch Jammern auf hohem Niveau. Es geht uns gut. Wir sind gesund. Wir wohnen in einem schönen Kiez. Wir haben ein tolles Leben, mein Sohn und ich. Gehört es vielleicht auch einfach zum Erwachsenwerden dazu, diese Grenzen, diese Dinge, die halt so sind wie sind, akzeptieren zu lernen? Ist es die große Ernüchterung des Lebens, die wir erfahren und gleichzeitig die größte Herausforderung, die uns gestellt wird, nämlich trotzdem neugierig und lebensfroh zu bleiben, trotz der vermeintlichen “Einschränkungen”?
Aber mehr reisen, gerade bevor die Schule anfängt, das fände ich toll. Ich hatte mir mein Leben etwas freier vorgestellt, spontaner. Reisen war für mich schon immer sehr wichtig. Es muss nicht die neue Designertasche sein, der tolle Mantel. Lieber ein Flug sonstwohin. Das hat mich glücklich gemacht. Und so würde ich auch gern mit meinem Sohn leben, ein paar Wochen backpack durch Asien. Eine Reise durch die USA. Wir beide zusammen, mal so richtig lange. Ohne das ständige Vermissen, ohne die ständigen Abschiede, das ständige Wiederankommen müssen.
Das Gefühl, dass man über sein Leben (und das des Kindes) nicht, oder nur sehr, sehr begrenzt, entscheiden kann, schmerzt.
Kinder, und alles was mit ihnen kommt, verändern das Leben. Manchmal habe ich das Gefühl, ich bin immer noch damit beschäftigt die Entscheidungen meiner Zwanziger aufzuräumen. In der Zeit, in der ich noch glaubte, dass eigene Handeln hätte keine Konsequenzen. Und dann kommt das Kind und mit ihm ein Vater. Und es gibt Drama und Uneinigkeiten, die doch eigentlich vorhersehbar waren, weil man eben so ganz andere Leben lebt und so ganz andere Vorstellungen davon hatte, wie es laufen sollte.
Mit einem Kind beginnt das wohl größte Abenteuer. Und manchmal ist es bittersüß. So hatte ich mir das nicht vorgestellt.
PS. Ich bin mit dem Begriff Teil-Erziehende(r) nicht wirklich zufrieden. In so manchen Konstellationen erzieht der eine Elternteil mehr als der andere. Dass beide zu gleichen Teilen “erziehen”, sehe ich seltener in meinem Umfeld, vor allem bei getrennten Eltern. Die gibt es aber bestimmt auch! Wobei natürlich auch nicht jeder die gleiche Vorstellung von Erziehung hat… Ach dieses Thema, es ist komplex.