Let’s talk about: Depressionen. Und was nun?

Puh, heute müssen wir mal ein eher schweres Thema besprechen. Weil es einfach sooo wichtig ist und wir unsere Augen davor nicht verschließen dürfen! Viele Experten haben es ja prognostiziert – und es ist tatsächlich genau so eingetreten: Die Zahl der psychisch Erkrankten, die unter Depressionen, Angststörungen und/oder Panikattacken leiden, hat während der Pandemie weltweit extrem zugenommen. Betroffen von diesem massiven Anstieg sind in hohem Maße – wen wundert‘s – Frauen. Die allseits bekannte und zurecht beklagte Vielfachbelastung (Kinder, Homeschooling, Job, Haushalt, pflegebedürftige Eltern etc.) lässt grüßen. Vermeintlich starke Mütter, die bis jetzt versucht haben, alles unter einen Hut zu bringen, brechen irgendwann unter der Last zusammen... Von den vielen Kindern, die plötzlich psychische Auffälligkeiten zeigen, wollen wir hier gar nicht erst anfangen.

Und wenn man sich die aktuelle Lage anschaut, wird es in nächster Zeit auch nicht leichter werden und die Zahl der psychisch Kranken wird wohl noch weiter zunehmen. Schon jetzt sei, laut der Stiftung Depressionshilfe, jeder fünfte Deutsche von einer Depression betroffen! Seit uns Corona im Griff hat, ist die Nachfrage nach Psychotherapie-Plätzen um 40 Prozent gestiegen. Blöd nur, dass unser Gesundheitssystem darauf so gar nicht vorbereitet ist. Seit Jahren schon gibt es viel zu wenige von der gesetzlichen Krankenkasse unterstützte Therapiemöglichkeiten. Und ehe man überhaupt mal einen Termin beim Psychologen oder Psychotherapeuten bekommt, ist oft viel zu viel wertvolle Zeit vergangen.

Umso wichtiger ist es – trotz der Versorgungsknappheit -, gewappnet zu sein: Wie verhalte ich mich, wenn ich irgendwann feststelle, ich fühle mich chronisch ausgebrannt, leer, freudlos und antriebslos? An wen wende ich mich? Gehe ich zum Psychiater oder zum Psychologen? Brauche ich eine Überweisung? Wie lange muss ich in etwa auf einen Ersttermin warten? Was tue ich, wenn mich keine Therapiepraxis aufnimmt? Welcher Therapieansatz ist der richtige für mich? Was ist, wenn mir mein Therapeut / meine Therapeutin unsympathisch ist? Und wer hilft mir im worst case – also wenn ich darüber nachdenke, nicht mehr leben zu wollen…?

Fragen über Fragen, die sich die wenigsten ad hoc beantworten können. Denn solange man psychisch gesund ist, befasst man sich nicht mit solchem Kram. Wann auch? Warum auch? Aber ist man einmal erkrankt, hat man oftmals gar nicht mehr die Kraft, auf all diese Fragen eine Antwort zu finden. Deshalb war es uns ein großes Anliegen, mal die wichtigsten Fakten zu dieser sensiblen Thematik zusammenzutragen.

Da es das Schicksal so gewollt hat, dass ich mir mit einem Psychologen Tisch und Bett teile, habe ich mich mal mit ihm hingesetzt und ihn von A bis Z ausgefragt. Mein Partner und der Vater meiner Kinder, Uwe Birk, ist diplomierter Psychologe, ausgebildeter Verhaltenstherapeut und arbeitet in der Psychiatrischen Institutsambulanz (PIA) am Sophien- und Hufeland-Klinikum in Weimar. Seine Patienten leiden unter psychotische Erkrankungen (z.B. Schizophrenie), affektiven Erkrankungen (z.B. Depression, Manie), schweren Persönlichkeitsstörungen (z.B. Borderline-Störungen) oder unter Suchterkrankungen. Ich konnte im Verlauf unseres Gesprächs, obwohl ich mich schon viel mit der Thematik beschäftigt habe, noch einiges von ihm lernen. Und ich hoffe und wünsche mir, seine Infos, Anregungen und Tipps helfen auch euch!

Uwe, du hast das ja auch mitbekommen: Depressionen und Panik-Attacken haben seit Beginn der Corona-Pandemie weltweit extrem zugenommen – einer Studie zufolge um mehr als ein Viertel. Schätzungsweise sind 52 Millionen Menschen mehr an einer schweren depressiven Störung erkrankt, als dies ohne Pandemie der Fall gewesen wäre. Und die Zahl der Menschen, die unter Angstzuständen leiden, habe 76 Millionen höher gelegen als üblich. Was genau hat diese Menschen krank gemacht?
Die Pandemie hat jeden von uns an seine Grenzen gebracht und die meisten von uns haben unter den Belastungen gelitten bzw. tun es noch immer.  Ein Teil der Menschen hat aber nicht nur gelitten, sie sind dadurch krank geworden. Da spielen Persönlichkeitsmerkmale (genetische und erworbene) und das soziale Umfeld eine Rolle. Die vielen Einschränkungen, die Unsicherheit wie es weitergeht, die Isolation, die Einsamkeit – all das stresst einfach auf Dauer. Dazu kommt der gesellschaftliche Diskonsens in Sachen Impfung. Das verunsichert viele Menschen. Und wenn man dann noch den Job oder schlimmer noch, einen lieben Menschen an das Virus verloren hat, ist das erst recht traumatisierend. Und diejenigen, die bereits unter einer psychischem Erkrankung litten, wurden durch die Pandemie und ihre Folgen noch einmal mehr in Mitleidenschaft gezogen.
Während des Lockdowns sind Menschen lange Zeit gezwungen gewesen auf engsten Raum miteinander auszukommen. Zum einen waren es der Bewegungsmangel, zum anderen auch das Aufgeben von Ritualen, Hobbys und anderen liebgewonnen Gewohnheiten, das sie zunehmend belastet hat. Außerdem stellt auch Kontaktmangel ein großes Gesundheitsrisiko dar. Und viel zu oft kam es in der Zeit zu Fällen häuslicher Gewalt.
Gerade bei der Depressionsbehandlung liegt jedoch ein wesentlicher Fokus auf dem Herstellen positiver Erlebnisse. Das erreicht man unter anderem durch den Aufbau sozialer Kontakte bzw. durch positive Aktivitäten. Auch bei der Behandlung von Angststörungen liegt ein wesentlicher Behandlungsfokus darauf, Vermeidung und Rückzug abzubauen und sich wieder vermehrt mit Alltagsdingen zu beschäftigen bzw. sich neu damit zu konfrontieren, wie z.B. einkaufen zu gehen oder öffentlich Verkehrsmittel zu benutzen, um angstbesetzte Gedanken zu ändern und Ängste abzubauen. Wenn Menschen, aufgrund von eigenen Bedenken, Ängsten oder auferlegten Regeln gezwungen werden, zu Hause bleiben, ist das im Sinne der Therapie absolut kontraproduktiv.

Vor allem Frauen waren von diesem Anstieg psychischer Erkrankungen extrem betroffen. Warum?
Viel Neues erzähle ich da nicht: Frauen waren bereits vor der Pandemie, aufgrund des immer noch vorherrschenden klassischen Rollenverständnisses, durch die Doppelbelastung von Familie und Beruf, viel stärker gefordert als Männer. Das hat sich durch Corona noch weiter zugespitzt. Dazu kommt, dass Frauen häufig in Berufen arbeiten, die besonders durch Corona belastet sind, wie z.B. in der Pflege, im pädagogischen oder im sozialen Bereich.
Alles unter einen Hut zu bekommen, also die Mehrbetreuung der Kinder durch Schulschließungen, die zusätzliche Betreuung pflegebedürftiger Familienangehöriger, die Versorgung des Haushaltes und die Bewältigung der beruflichen Tätigkeit – all das beansprucht Frauen durchschnittlich deutlich mehr als Männer. Und leider fehlt Familien bis heute der Rückhalt in der Politik, um solche Zustände zu ändern.

Auch wenn die Zahl der Erkrankten steigt, kommt es mir manchmal so vor, dass psychische Erkrankungen heute immer noch unterschätzt werden.
So pauschal würde ich das nicht sagen. Man kann schon feststellen, dass psychische Erkrankungen heute nicht mehr so häufig wie früher „übersehen“ werden, weil sie sich hinter somatischen Symptomen (z.B. Kopfschmerzen, Schlafstörungen) verbergen. Ärzte fragen inzwischen genauer nach. Gleichzeitig hat auch die Scheu der Patienten abgenommen, psychische Symptome zu schildern und Hilfe einzufordern.Trotzdem besteht natürlich weiterhin ein großer Optimierungsbedarf.
Obwohl man Depressionen mit medikamentöser Therapie und Psychotherapie gut behandeln kann, erhält immer noch nur eine Minderheit der Patienten eine adäquate Therapie. Laut RKI bekommt nur jeder fünfte psychisch Kranke in dem Jahr, in dem er erkrankt, auch professionelle Hilfe. Die Behandlungsquote ist also deutlich geringer, als bei körperlichen Erkrankungen – sie hat aber in den vergangenen 15 Jahren erheblich zugenommen. Zum Vergleich: 1998 lag die Behandlungsquote noch bei etwa 10 Prozent. Es geht also langsam bergauf: Die Stigmatisierung psychischer Erkrankungen hat mit den Jahren deutlich abgenommen und die Bereitschaft, sich bei psychischen Erkrankungen professionelle Hilfe zu suchen, hat dagegen zugenommen.

Welche Rolle spielen dabei Prominente wie Nora Tschirner, Sophie Passmann, Ronja von Rönne, Kurt Krömer oder Thorsten Sträter, die alle offen mit ihrer psychischen Erkrankung umgehen?
Es ist ein gutes Zeichen, dass immer mehr Prominente – darunter auch Adele oder Bruce Springsteen – offen über ihre Erkrankungen sprechen. Jegliche Form von Entstigmatisierung bringt etwas, da es Menschen, durch prominente Betroffene oft als erleichternd empfinden, zu ihren eigenen Probleme zu stehen. Dadurch sinkt ihre Angst und ihr Scham, psychiatrische und psychotherapeutische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Jeder, der sich öffnet und zu seinen Problemen steht, hilft dabei, das ein gesellschaftspolitischer Diskurs ins Rollen kommt.

In Deutschland sterben jeden Tag etwa 25 Menschen durch Suizid und circa 500 Personen begehen einen Suizidversuch. Das sind doch viel zu viele. Wieso kann man in einem Land wie Deutschland nicht mehr dieser Menschen retten?
Natürlich ist jeder Suizid einer zu viel. Da ist nichts dran schön zu reden. Man muss sich aber klarmachen, dass es nicht zwingend ein Versagen des Staates ist, wenn sich Menschen das Leben nehmen. Suizidale Gedanken sind Teil des Symptomspektrums einiger psychischer Erkrankungen, wie z.B. der Depression.
In Summe gibt es aber auch Fortschritte. Die Krankheit wird heute häufiger erkannt und behandelt. Im Jahr 2019 haben sich deutschlandweit 9041 Menschen das Leben genommen, im Jahr 2020 waren es 9.206. Mit Sicherheit hatte auch die Pandemie ihren Anteil an dieser Steigerung. Dennoch  halten sich die Zahlen in den letzten zehn Jahren auf einem relativ konstanten Niveau zwischen der 9.000er und 10.000er-Marke. Der Langzeittrend hingegen zeigt sogar eine deutliche Abwärtsbewegung: die Summe der Suizide hat sich seit Beginn der Achtzigerjahre nahezu halbiert.
Dennoch muss das oberste Ziel sein, Betroffenen einen hürdenfreien und schnellen Einstieg in eine Therapie zu ermöglichen, um so die Suizidrate noch weiter zu senken. Und da besteht noch erheblicher Optimierungsbedarf.

Woran liegt es, dass es hierzulande viel zu wenig Psychologen gibt?
Es stimmt, dass viele Patienten Monate lang auf eine psychotherapeutische Behandlung warten und dass das den Eindruck erweckt, es gäbe zu wenig Psychotherapeuten. Das stimmt aber nicht – denn eigentlich gibt es genügend gut ausgebildete Therapeutinnen und Therapeuten. Die können aber die Behandlung oft nicht übernehmen, weil die Anzahl der Kassensitze immer noch an veraltete Bedarfsrechnungen angepasst wird. Und dieser Bedarf wird in erster Linie durch die Kassenärztliche Vereinigung und die Krankenkassen festgelegt. Und die handeln in erster Linie kostenoptimierend.
Laut der Bundespsychotherapeutenkammer mangelt es seit Jahren an Kassensitzen. 2017 gab es zwar eine Reform der Psychotherapie-Richtlinie und weitere Veränderungen, die den Zugang zum Psychotherapeuten verbessern sollten, aber diese Reform reicht bei Weitem nicht aus. Am Ende geht es ums Geld und da bremsen die Kassen einfach deutlich.
Bei Kinderpsychologen ist die Lage übrigens ähnlich oder sogar noch katastrophaler, weil es hier noch weniger von der Kasse zugelassene Therapeut*innen gibt.

Wie lange muss man denn im Schnitt auf einen Therapieplatz warten?
Kassenpatient*innen müssen etwa 22 Wochen, also fünf Monate, auf einen ambulanten Therapieplatz warten. 2019 waren es noch durchschnittlich 17 Wochen.Die Psychotherapeutendichte unterscheiden sich jedoch sehr stark zwischen den Regionen. Während in Großstädten durchschnittlich 55 Psychotherapeut*innen auf 100.000 Einwohner kommen, sind es in den ländlichen Regionen und im Ruhrgebiet nur zwischen 18 und 20 auf 100.000 Einwohner. Entsprechend länger fallen hier auch die Wartezeiten aus. Die Bundespsychotherapeutenkammer hat errechnet, dass etwa 7.000 (!!!) psychotherapeutische Praxissitze zusätzlich erforderlich wären, um derartige Wartezeiten zu verkürzen. Aber dass das zeitnah realisiert wird, bleibt vermutlich weiterhin Wunschdenken.

Nehmen wir mal an, ich merke, dass ich zunehmend unter psychischem Problem leide. Wie wäre meine Vorgehensweise jetzt, um rasch Hilfe zu erhalten?
Ganz wichtig ist, das Problem nicht auszusitzen, nach dem Motto: „Wird schon wieder.“ Eine Depression oder eine Angsststörung heilt nicht von allein! In Aktion zu treten und Hilfe zu suchen, ist daher immer gut und empfehlenswert. Je früher, desto besser. Wer das allein nicht mehr schafft, sollte sich an Familienmitglieder oder Freunde wenden, die einen dabei unterstützen. Wer niemanden an seiner Seite hat, kann jederzeit das Sorgentelefon anrufen oder sich an den Krisendienst wenden.
Mein Empfehlung wäre, erst einmal zur Hausärztin oder zum Hausarzt zu gehen. Die kennen einen in der Regel am besten und können oft schon erste Hilfsmaßnahmen einleiten. Sie können auch einschätzen, ob eine Überweisung zum Psychotherapeuten oder auch zum Neurologen erforderlich ist. Oftmals haben Hausärzte eine Liste der umliegenden kassenärztlichen Psychotherapiepraxen parat, die sie dem Betroffenen dann aushändigen. Man kann sich aber auch direkt an eine psychotherapeutische oder psychiatrische Praxis wenden. Ein erstes Gespräch in einer solchen Praxis ist ohne ärztliche Überweisung möglich.
Hat man von mehreren Therapeut*innen eine Terminabsage erhalten, hilft die Kassenärztliche Vereinigung weiter (Tel.: 116 117). Diese ist verpflichtet, einem innerhalb von maximal vier Wochen einen Termin für eine Sprech­stunde bzw. eine Akutbe­hand­lung zu besorgen. Allerdings hat man hier keinen Einfluss auf die Wahl des Therapeuten / der Therapeutin und ein Garant für eine sich daran anschließende Therapie ist das auch nicht. Das ist davon abhängig, ob der Therapeut / die Therapeutin noch freie Kapazitäten hat und ob die Krankenkasse den Antrag auf eine Therapie genehmigt.
In Akutfällen – erst recht wenn eine Selbst- oder Fremdgefährdung vorliegt – stehen auch psychiatrische Praxen mit Notfalldienst, psychotherapeutische Ambulanzen und psychiatrische oder psychosomatische Kliniken zur Verfügung, an die man sich jederzeit wenden kann, weil sie eine Versorgungspflicht haben.
Außerdem gibt es mittlerweile mehrere, zum Teil kostenlose Online-Programme oder Apps, die bei der Bewältigung psychischer Probleme unterstützend helfen können. Ich denke nicht, dass allein solche Programme den Betroffenen bei der Krankheitsbewältigung helfen, aber sie können eine gute Ergänzung sein – sofern der Patient bzw. die Patientin in der Lage ist, diese Programme zu bedienen und deren Inhalte zu verstehen.

Nehmen wir weiter an, ich leider unter einer mittelschweren Depression und habe einen Therapieplatz bekommen: wie läuft eine solche Therapie dann ab und wie lange geht sie in der Regel?
Bei einer akuten depressiven Erkrankung ist meist eine kurzfristige stationäre psychotherapeutische Unterstützung nötig – häufig zusammen mit einer medikamentösen Behandlung. Anschließend kann eine ambulante Psychotherapie beantragt werden.
Eine Psychotherapie besteht meist aus intensiven Gesprächen und Verhaltensübungen. Das bei Depressionen am häufigsten eingesetzte psychotherapeutische Verfahren ist die kognitive Verhaltenstherapie (KVT). In der ambulanten Behandlung gehören, neben der KVT, die tiefenpsychologisch fundierte, die analytische Psychotherapie und die systemische Therapie zu den Leistungen der gesetzlichen Krankenkassen.
Bei den Behandlungsmethoden unterscheidet man die „Akuttherapie“, die „Erhaltungstherapie“ und die „Langzeitvorbeugung“ (Rezidivprophylaxe). Die Akuttherapie dauert in der Regel sechs bis acht Wochen. Ihr Ziel ist es, die Symptome soweit zu lindern, dass ein normaler Alltag wieder möglich ist, sowie die Dauer der Beschwerden zu verkürzen und weiteren Einschränkungen im Alltag vorzubeugen.
Die anschließende Erhaltungstherapie dauert in der Regel vier bis neun Monate. Sie soll die Symptome weiter eindämmen, bis sie abklingen, und den Therapieerfolg erhalten.
Für Menschen mit einem erhöhten Risiko für ein Wiederauftreten depressiver Episoden kommt eine Langzeitbehandlung infrage, um Rückfälle vorzubeugen. Eine solche „Rezidivprophylaxe“ kann mitunter viele Jahre dauern – zum Beispiel, wenn die Beschwerden durch die Akut- und Erhaltungstherapie nicht völlig abgeklungen sind oder wenn die Lebensumstände sehr schwierig bleiben.

Ist jede psychische Erkrankung heilbar?
Je nachdem welches Erfolgskriterium man anlegt, kann man diese Frage unterschiedlich beantworten. Behandelbar sind nahezu alle psychischen Erkrankungen. Bei einigen richtet sich der Fokus aber eher darauf, eine weitere Verschlechterung zu verhindern oder zu verlangsamen. Das bedeutet, man hilft dem Betroffenen dabei, Symptome wieder loszuwerden und wieder ein Leben zu führen, das Beruf, soziale Kontakte uneingeschränkt ermöglicht. Bei einem Teil der Betroffenen bleiben aber gewisse Symptome oder Einschränkungen erhalten und sie müssen lernen, damit umzugehen.
Ein erhöhtes Rückfallrisiko bleibt aber oftmals erhalten, da Krankheitsphasen unser Gehirn insofern verändern, dass es nach Krankheitsphasen sensibler auf Stressoren reagiert. Bei der Depression ist es z.B. so, dass mit jeder weiteren Krankheitsphase eine weitere Phase wahrscheinlicher wird. Somit liegt ein wesentlicher Behandlungsfokus auf der Rückfallprophylaxe. Es geht also darum, Risikofaktoren zu kennen und diese abzubauen bzw. achtsam zu sein und sein Leben so zu gestalten, sein Denken so zu ändern, dass man sich einen gewissen Schutz erarbeitet, umso weitere Krankheitsphasen zu verhindern.
Je nach Schweregrad und Form der Erkrankung dauert der Heilungsprozess unterschiedlich lange – wichtig ist allerdings, dass man die Krankheit behandelt. Unbehandelte psychische Störungen führen häufig zu einer Chronifizierung und einer langfristigen Verschlechterung der Gesundheit und der Lebensqualität und im schlimmsten Fall zur Verkürzung der Lebenszeit der Betroffenen.

Unter euch Psychologen gibt es verschiedene Therapieansätze. Du bist Verhaltenstherapeut, dann gibt es noch Tiefenpsychologen, Psychoanalytiker etc. Wie weiß ich als Laie, wer von euch der Richtige für mich und mein Krankheitsbild ist?
Viele Therapeut*innen arbeiten heute schulen- und methodenübergreifend. Am wichtigsten ist jedoch, dass Patient und Therapeut gut miteinander klar kommen. Der Patient kann nur von der Therapie profitieren, wenn er das, was der Therapeut ihm vermittelt, versteht. Es gilt also zunächst beim Erstkontakt herauszufinden, ob man sich bei dem Therapeuten bzw. der Therapeutin gut aufgehoben fühlt.
Daneben gibt es für verschiedene Erkrankungen natürlich auch Studienergebnisse, die die Effektivität verschiedener Therapieformen für verschiedene Erkrankungen untersucht und verglichen haben. Man kann sich dazu im Internet schlau machen, an Selbsthilfegruppen wenden oder andere Betroffene nach deren Erfahrungen fragen.

Wie grenzt ihr Psychologen euch von Psychiatern ab? Das wird ja oft in einen Topf geworfen…
Ein ärztlicher Psychotherapeut, also ein Psychiater, hat Medizin studiert und dann die Weiterbildung zum Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie absolviert. Ein psychologischer Psychotherapeut hat Psychologie studiert und anschließend die Ausbildung Psychologische Psychotherapie gemacht. Beide dürfen gleichermaßen behandeln mit bestimmten psychotherapeutischen Verfahren. Ein wesentlicher Unterschied besteht darin, dass psychologische Psychotherapeuten keine Medikamente verschreiben dürfen, ärztliche Psychotherapeuten schon. Es wird jedoch schon länger diskutiert, ob man dieses Modell aufweicht und auch psychologischen Therapeuten erlaubt, Medikamente verschreiben zu dürfen.

Was ist, wenn zwischen mir und dem Psychotherapeuten, den ich gewählt oder der mir zugewiesen wurde, die Chemie nicht stimmt? Gehe ich trotzdem hin – oder beginne ich mit der Suche von vorn?
Für den Erfolg einer ambulanten Psychotherapie ist es immens wichtig, einen Therapeuten / eine Therapeutin zu finden, zu dem / der man ein vertrauensvolles Verhältnis hat. Die ersten drei bis fünf Termine in einer therapeutischen Praxis sind daher auch dazu da, um zu prüfen, ob man zueinander passt und die Behandlungsmethode den eigenen Vorstellungen entspricht. Ist dies nicht der Fall, sollte man sich um einen anderen Behandler bemühen. Auch wenn das bedeutet, dass die schwierige Suche von vorn beginnt.

Wie hat sich deine Arbeitsweise seit Corona verändert?
Zu manchen Patienten habe ich aufgrund der Regelungen oder durch Bedenken der Betroffenen viel seltener oder gar keinen Kontakt mehr oder er findet nur noch telefonisch statt. Im direkten Kontakt finden Therapiesitzzungen nur noch mit Mundschutz statt. Das bringt leider verschiedene Schwierigkeiten mit sich, da die Körpersprache, also die Mimik und die Gestik der Patienten, bei der Diagnostik und Therapie eine ganz wichtige Rolle spielt. Für die Patienten selbst ist das Masketragen auch ein großes Hindernis, da sie bei Zweifeln oder Bedenken eher auf nonverbale Signale achten bzw. diese eher als verhaltensrelevant einstufen. Die Pandemie mit all ihren Auswirkungen hilft also gerade keiner Seite. Dennoch ist eine Therapie mit diesen Einschränkungen immer noch viel besser als gar keine.

Lieber Uwe, hab vielen Dank für deine Zeit und die wertvollen Infos und Tipps!

Und hier noch ein Podcast-Tipp: Die radioeins-Moderatorin Sonja Koppitz, selbst von Depressionen betroffen, beleuchtet in ihrem tollen Podcast -Format “Spinnst du?” alle Facetten einer Depression. Und ein Buch mit gleichnamigem Titel hat sie auch veröffentlicht. 

 

Titelfototo: Sam Moqadam