Zwei Papas und ein Baby

Zwei Männer, ein Baby – dass René und sein Mann nicht auf “natürlichem” Wege Eltern werden konnten, war von Anfang an klar. Doch der Wunsch nach Nachwuchs war groß – und am Ende sind die beiden wirklich über Nacht Eltern geworden. Überwältigend! Heute lebt die junge Familie mit Sohn Luka in Berlin Mitte. Wir haben mit René über seine neue Rolle als Vater und über viele weitere Dinge gesprochen.

Lieber René, du bist gerade in Elternzeit mit eurem gemeinsamen Sohn Luka. Wie geht es euch?

Also allein die Tatsache, dass ich diese Antwort gerade einhändig um kurz vor Mitternacht lautlos auf dem Handy eintippe, während der unruhige Luka in meinem Arm mit dem Schlaf kämpft und ich trotzdem glücklich und ermüdet lächle, beschreibt unsere Gesamtsituation recht gut . Inzwischen sind elf Monate vergangen und unsere Bindung wurde mit jedem Monat, mit jedem kleinen Moment enger. Wir sind müde, immer etwas angespannt und es fehlt an Schlaf und an … wo war ich gerade? Ach ja : An Konzentration! Und trotzdem würden wir es immer wieder tun. Unser Leben hat sich seit DEM Anruf durch den Adoptionsdienst schlagartig über Nacht verändert. Klar, hatten wir sensibilisierende Workshops und Fragerunden über anderthalb Jahre, aber auf das reale Gefühl und den neuen Alltag konnte uns keiner vorbereiten.

Es war also eine große Umstellung?

Klar! Vorbei sind die spontanen Feiernächte, die routinierten Gänge ins Fitnessstudio, Bars, Veranstaltungen oder einfach mal aufs Klo. Alles muss vorher genau überlegt und gemeinsam mit meinem Mann durchdacht werden. Das ist nicht immer einfach und hat uns als Paar stark gefordert. Doch wir meistern es irgendwie, Schritt für Schritt. Und dann bemerkt man so nebenbei, dass man Teil einer Familie ist und weint vor unfassbaren Glück, während sich Luka unbeeindruckt am Frühstückstisch ein Stück Birne quer in den Mund steckt. Es klingt so Hunderttausend mal erzählt und abgedroschen, aber: Die Rechnung geht nach wie vor auf. Man bekommt sehr viel zurück von diesem kleinen Wesen.
Ich trete mit Luka und seiner Adoption nach außen hin sehr selbstbewusst und selbstverständlich auf, aber mal ganz ehrlich: Ich vergieße JEDEN Tag eine kleine Träne, weil ich so dankbar bin, dass wir das tatsächlich schaffen konnten. Dass wir das in diesem Land überhaupt dürfen und dass unser Umfeld uns meistens aufgeschlossen und warmherzig begegnet. Auch wenn wir bisweilen 24/7 komplett im Eimer sind, ist das Leben mit unserem liebenswerten Sohn für uns ein Stück Essenz vom Glück.

Luka kam zwei Tage nach seiner Geburt zu euch – habt ihr lange auf diesen Moment warten müssen?

Nein, im Gegenteil! Der ganze Adoptionsprozess war gerade erst Anfang November 2021 abgeschlossen und wir gingen, entsprechend der Erfahrung von anderen Adoptiveltern, von mindestens 3 – 24 Monaten Wartezeit aus… Nix da! 14 Tage später klingelte am Abend mein Handy. Ich traute meinen Augen nicht, ging aber von Verwaltungskram aus und dass denen noch etwas fehlte. Und dann waren es diese Worte, die mir wortwörtlich die Luft nahmen: Sie können sich ja denken, warum ich anrufe. Ich bekam Schnappatmung, stammelte etwas und wurde von der Vermittlerin des Adoptionsverbandes der Caritas lächelnd beruhigt. Kaum war mein Mann von der Arbeit Zuhause, habe ich ihm die News mitgeteilt. Am nächsten Morgen ging’s ins Krankenhaus. Nach drei Tagen gemeinsam im Elternzimmer durften wir unseren Sohn mitnehmen und waren übers Wochenende Eltern geworden.

Andere haben ja neun Monate Zeit sich drauf vorzubereiten – wie habt ihr das geregelt? Musstet ihr nicht noch Dinge besorgen, Elternzeit beantragen und so weiter?

Wir haben schon im Adoptionsprozess (auch auf Anweisung der Caritas) bei unseren jeweiligen Arbeitgebern „vorgefühlt“ und das direkt nach Abschluss des Adoptionsverfahrens nochmal aufgefrischt … Quasi : It’s getting serious… maybe… Dass es dann WIRKLICH so schnell geklappt hat, hat uns natürlich komplett von den Socken gehauen. Wir haben noch am gleichen Abend unsere jeweiligen Kolleg*innen informiert. Mit Resturlaub und Überstunden konnten mein Mann und ich dann gemeinsam die ersten 14 Tage mit unserem Sohn zum Kennenlernen verbringen. Anschließend musste ich bis Mitte Februar 2022 mein Ausbildungssemester beenden, bis dahin hat mein Mann Elternzeit übernommen.
Seitdem ziehe ich jetzt die Elternzeit durch, mein Mann arbeitet wieder und unterstützt, wo er nur kann. Was all die vielen kleinen, wichtigen Dinge angeht, konnten wir uns komplett auf unsere Freunde, Familie, Nachbarn und andere Adoptiveltern aus unserem Kreis verlassen. Wie bei einem Rettungseinsatz haben die während unserer ersten Stunden im Krankenhaus das erste kleine Nest für unseren Sohn geschaffen. Erst da wurde uns bewusst, dass es ein (zumindest mir) nicht bekanntes Netzwerk unter (überwiegend) Müttern gibt, die kommentarlos Kleidung , ein Bettchen, Wärmelampen & Co. kostenfrei bereit stellen. Das werden wir Ihnen nie vergessen. Sie wussten einfach aus eigener Erfahrung, wie wichtig die erste Zeit mit dem Kind ist. Elterngeld & Co. haben wir dann rückwirkend beantragt, als wir etwas Luft dafür hatten.

Erst in den kommenden Monaten wird unser Fall vor das Familiengericht gehen und erst dann wird das Kind unseren Nachnamen tragen können. Dieses Prozedere ist zäh, aber sinnvoll. Es geht ja um ein ganzes Menschenleben, nicht um ein neues iPhone…

Hetero-Paare haben oft mit konservativen Rollenbildern zu kämpfen, wenn sie Eltern werden (Mama ist für Kind&Haushalt zuständig, Papa geht arbeiten). Habt ihr den Vorteil, dass ihr davon relativ frei seid? Wie teilt ihr Care-Arbeit und Lohnarbeit auf?

Nun, zum größeren Teil schon. Ich muss euch ja nicht erklären, dass unser Kind nicht gestillt wird, sondern von Anfang an die Flasche bekommt. Das machte es etwas flexibler für uns. Allerdings habe nur ich die längere Elternzeit genommen und mein Mann muss wieder arbeiten gehen. Klar, dass sich da einstige Lebenswelten im Alltag teilen und es manchmal echt schwer ist, den Stress des anderen wahrzunehmen und abzufangen. Sehr oft erwische ich mich bei Gesprächen mit anderen Müttern sowie anderen queeren Vätern, die über sehr ähnliche Probleme klagen. Aber Jammern bringt halt nichts (außer dem Baby, dem wird dann natürlich sofort geholfen) und wir haben gelernt konstruktiv Lösungen zu finden . Für die Wochenenden haben wir zum Beispiel einen tollen Deal: Einer kann den ersten Abend was für sich machen PLUS ausschlafen und am zweiten Tag ist der andere dran. Damit fahren wir gut. Was wir uns IMMER wieder vor Augen führen müssen: In Stresssituationen, bei denen das Kind dabei ist, nicht diskutieren, einfach machen. Dann wieder auf Augenhöhe begegnen, möglichst nicht übermüdet . :)

Auf Instagram thematisierst du auch homofeindliche Übergriffe, mit denen ihr konfrontiert werdet. Hast du das Gefühl, das passiert häufiger, seitdem ihr Eltern seid?

Es gab eine traumatische Situation mit einem persönlichen Hassbrief in unseren Briefkasten – und das war zum Glück einmalig. Was ich daran trotz meiner Angst irgendwie amüsant fand, ist der Fakt, dass diese feige Person und ich für einen kurzen Moment etwas gemein hatten: Wir wussten nicht, was nach dem Lesen dieses Schreibens passieren wird! Denn die Reaktionen unserer Nachbarn war überwältigend. Sehr viel Zuspruch für uns, für unser Sein und Leben als Familie. Das hat uns zutiefst berührt. Als ich das nach einiger Überlegung auch medial auf Instagram aufbereitet habe, kamen auch da durchweg nur positive Reaktionen. Social Media kann auch mehr als Mobbing! Seitdem ist so etwas nicht mehr passiert. Wenn dann eher indirekt, wenn auf der Straße neugierig sehr persönliche Fragen zu unserem Kind gestellt werden. Aber auch da lernen die Menschen dazu.

Du bist selbst Erzieher – freust du dich auf deine Arbeit?

Ganz großes JA! Jetzt um so mehr! Ich sag das jetzt noch blauäugig in meiner Elternzeit, aber ich glaube, dass mir meine „Privatschulung“ noch mehr in meinem Job helfen wird. Also drückt mir die Daumen, dass es auch so sein wird.

Wisst ihr etwas über Lukas leibliche Eltern? Und würdet ihr ihn später unterstützen, die Eltern kennenzulernen, wenn er das möchte?

Ja, wir wissen ein bisschen was über die Mutter und haben inzwischen auch ein Foto von ihr. Der Kontakt wird per Post mit dem Mittelsmann der Caritas im vierteljährlichen Takt gehalten – das war der Wunsch der Mutter. Für uns ist das absolut okay, sogar erwünscht. Wir wollen unserem Kind seine Wurzeln nicht verheimlichen und schon jetzt hängt ein Bild seiner Mama bei uns. Auch haben wir extra ein Poster mit Familienstammbaum für die Adoptivfamilie UND die Herkunftsfamilie bei uns aufgehängt. Unser Kind darf immer Fragen stellen und wir werden diese altersgerecht beantworten. Wir wollen diesen Teil von ihm nicht abschneiden, denn nur dadurch können wir ihn unser Kind nennen. Natürlich werden wir ihn später unterstützen, seine Herkunftsfamilie kennenzulernen, wenn beide Parteien das wollen. Diesen Vertrauensbeweis wird er sicherlich auch später zu schätzen wissen. Familie ist Blut, aber eben nicht nur das.

Könnt ihr euch vorstellen, noch ein Kind in die Familie aufzunehmen?

Tatsächlich haben wir parallel zum Adoptionsprozess mit einer engen Freundin den Versuch gestartet, über die “Bechermethode” ein gemeinsames Kind zu zeugen und als Regenbogenfamilie großzuziehen. Auch als wir dann überraschend Eltern wurden, waren wir drei uns schon vorher einig, dies weiterhin zu versuchen. Wir wollten ein Geschwisterkind für unseren Sohn. Wenn es klappen würde, dann würde die Mama nah zu uns heran ziehen und die Kinder können easy zwischen zwei Wohnungen und Leben wandern.

Lieben Dank dir für deine Offenheit! Wenn ihr mehr über Renés Familie erfahren möchtet, folgt ihm gern auf Instagram.

Die Bilder sind von Termé / The Elephant Lab.