Kinderhaben anderswo: Laura in Kopenhagen 

Wir lieben ja Kopenhagen… Isabel war erst neulich wieder da und hat tolle Tipps mitgebracht. Unsere „Kinderhaben anderswo“ Reihe führt uns heute auch in die schöne, dänische Hauptstadt. Denn wir sind große Fans von Laura und ihren wunderschönen Texten über Elternschaft und das Leben auf ihrem Instagram Account und wollten sie schon lange mal über ihr Leben in Dänemark ausfragen!

Laura lebt seit acht Jahren in Kopenhagen. Was sie nach Dänemark verschlagen hat, wie es ist, dort Mutter zu sein und ob es dort um die Vereinbarkeit wirklich so viel besser gestellt ist, das erzählt Laura uns heute.

Mein Weg nach Kopenhagen

Ich bin wegen der Liebe nach Kopenhagen gekommen. Anders und ich haben uns während des Studiums an der Charité in Berlin kennengelernt. Er war damals Erasmusstudent und wir haben uns im Urologieunterricht getroffen. Er hätte eigentlich gar nicht in diesem Kurs sein sollen, hat sich aber dahin verirrt und so sind wir 2011 zusammengekommen. Daraufhin folgten dreieinhalb Jahre Fernbeziehung Berlin – Kopenhagen. In der Zeit haben wir unglaublich viel Geld für Easy Jet Flüge und Busse ausgegeben! Meine Eltern hatten mir mein Studium finanziert und haben mich irgendwann gefragt, warum ich plötzlich am Ende des Monats kein Geld mehr übrig habe. Wir hatten für uns damals die Regel, dass wir uns auf jeden Fall alle 14 Tage sehen – und waren immer abwechselnd in Berlin und Kopenhagen.

2014 war ich fertig mit dem Studium und unsere Beziehung war an einem Punkt, an dem wir uns gesagt haben, dass wir entweder ins gleiche Land ziehen oder die Beziehung beenden. Denn es war klar, dass die Arbeitszeiten einer Assistenzärztin die Fernbeziehung unmöglich gemacht hätten. So bin ich dann also in Kopenhagen gelandet. Alles ging erstaunlich schnell. Ich habe sofort einen Nachmieter für meine Wohnung gefunden, der auch noch alle Möbel übernommen hat. Und dann hat Anders mich mit dem Auto und ein paar Pappkartons abgeholt.

So leben wir

Anders ist Arzt und in der Krebsforschung tätig, ich arbeite als Internistin an einem großen Kopenhagener Krankenhaus. Wir arbeiten beide Vollzeit. Ich habe auch am Wochenende Dienste, Anders kann seine Arbeit flexibler gestalten. Unsere Kinder sind sechs und drei Jahre alt. Gabriel wurde gerade eingeschult und Elisa ist im Kindergarten. Auch wir rasen mit 180 auf der Autobahn des Familienlebens durch die Rush Hour of Life. Aber durch die Flexibilität von Anders ist der Familienalltag ganz gut zu organisieren. Er hat morgens mehr Ruhe, kann nachmittags manchmal früher abholen und auch an Krankheitstagen leichter einspringen als ich. Für uns war das immer wichtig, dass einer von uns flexibler ist, wenn der andere gerade im Klinikalltag eingespannt ist. Wir wohnen im Kopenhagener Speckgürtel, aber trotzdem ganz nah am Zentrum. Das Haus haben wir im Februar 2022 gekauft. Und jetzt leben wir so ein ganz klassisches “Vater-Mutter-zwei Kinder-Leben” in Kopenhagen.

Man hat weniger Sorgen und Ängste und das liegt sicher daran, dass im System Platz ist für Kinder.

Anders und Laura
Das Lastenrad wird täglich genutzt - das Auto fast nie
Pusteblume auf dem Weg zum Kindergarten, Elisa 2022

Unaufgeregt – Schwangerschaft  und Geburt in Dänemark

Alles, was mit Kindern zu tun, steht in Dänemark unter der Überschrift „unaufgeregt“. Ich kenne Frauen, die bereits in Deutschland schwanger waren und dann nach Dänemark gekommen sind und das Gefühl hatten, dass die Kontrolle total nachlässt. Es gibt hier nicht so viele Untersuchungen und Termine. Kinder bekommen gehört viel mehr zum Leben und zum Alltag dazu. Es wird nicht glorifiziert. Außerdem wird es als etwas sehr Natürliches gesehen, wo man nicht viel kontrollieren und planen muss. Die Mütter sind hier einen Tick jünger beim ersten Kind, als in Deutschland. Ich habe das Gefühl, die meisten bekommen hier Kinder, wenn sie sich bereit dafür fühlen, unabhängig davon, ob sie schon beruflich oder finanziell gut aufgestellt sind. Man hat weniger Sorgen und Ängste und das liegt sicher daran, dass im System Platz ist für Kinder. 

In der Schwangerschaft gibt es zwei große Ultraschalltermine, zwei Arzttermine und drei bis vier Hebammentermine. Generell kontrollieren und untersuchen hauptsächlich Hebammen. Man geht auch nicht in eine Gynäkologiepraxis, die Ultraschalltermine machen Hebammen im Krankenhaus. Und man kann nicht einfach so weitere Ultraschalltermine ausmachen, wenn man das möchte, muss man zu einer privaten Hebamme und die Leistung auch privat zahlen. Ich habe das in meiner ersten Schwangerschaft gemacht, ich konnte mir damals gar nicht vorstellen, dass mein Körper wirklich einen Menschen produzieren kann. Ich wollte das Kind sehen. Für manche Erstlingsmütter wäre es bestimmt schöner, wenn die Kontrollen etwas engmaschiger wären. 

Bei der Geburt ist es ganz ähnlich. Die Kreißsäle sind von Hebammen geführt. Ärzt*innen kommen nur dazu, wenn es Schwierigkeiten gibt. Ich hatte leider zwei sehr komplizierte und lange Geburten, bei denen jeweils ein Arzt dabei sein musste. Danach war ich auch stationär aufgenommen, was hier nicht üblich ist. Eigentlich wird man drei bis sechs Stunden nach der Geburt entlassen und geht nach Hause. Die Geburtshilfe und der medizinische Sektor sind auch hier wirklich unter Druck und es fehlen sehr viele Hebammen. Deswegen ist oft einfach nicht das Personal da, um Mütter noch im Familienhotel, so heißt die Station in Dänemark, zu betreuen. 

Nach der Geburt

Man bekommt eine „sundhedsplejerske”, eine Gesundheitskrankenschwester, zugeteilt. Das sind meistens Kinderkrankenschwestern oder Hebammen. Die haben gar nichts mit der Geburt zu tun, kommen aber im Anschluss zu festen Terminen nach Hause und schauen, wie das Kind wächst und wie es der Mutter geht. Das ist sehr praktisch gelöst, finde ich. Es gibt kommunale Häuser, zu denen die „sundhedsplejerskes” gehören und diese haben dann einen bestimmten Bezirk, in dem sie die Mütter betreuen. Wenn es große Probleme gibt, kommen sie auch häufiger. Dadurch wird wirklich jede Frau betreut, ohne dass man sich darum kümmern muss.

Es hilft in der Anfangszeit schon sehr, dass so viel für einen organisiert wird.

Die Qualität ist allerdings sehr unterschiedlich. Meine erste „sundhedsplejerske” hatte damals keine Stillausbildung. Da ich bei Gabriel aber große Stillprobleme hatte, musste ich mir privat Hilfe holen. Das war sehr teuer… Da geht dann auch hier die soziale Schere auseinander. In Dänemark ist das ja sonst eigentlich sehr sozial geregelt. Man zahlt so hohe Steuern, dass das Gesundheitssystem am Ende für alle gratis ist. So kann jede*r alle Gesundheitsleistungen nutzen. Wenn die Leistungen am Ende jedoch qualititaiv nicht gut genug sind und man zusätzlich zahlen muss, können sich das natürlich nicht alle leisten. Mütter aus Familien mit geringerem Einkommen haben sicher auch deshalb häufig nicht so lange Stillverläufe oder stillen gar nicht. 

Was aber schön ist, sind die Muttergruppen, die es nach der Geburt gibt. Die sind auch kommunal organisiert. Man wird mit anderen Müttern aus dem Umkreis zusammengewürfelt. Beim ersten Treffen ist die „sundhedsplejerske” dabei, danach trifft man sich dann wöchentlich bei einer der Mütter. Dadurch ist man nicht alleine, man kann sich austauschen und Erfahrungen teilen. Es hilft in der Anfangszeit schon sehr, dass so viel für einen organisiert wird. Man bekommt eine Hebamme zugeteilt, ein Krankenhaus, eine Muttergruppe. Das läuft ganz automatisch.

Elternzeit, Vereinbarkeit und Kinderbetreuung

Durchschnittlich nimmt man hier etwa 12 Monate Elternzeit, glaube ich. Gerade wurde eingeführt, dass der Mann einen verpflichtenden Teil der Zeit nehmen soll, da dieser sonst verfällt. Außerdem bekommen die Männer nach der Geburt 14 Tage frei. Bei Gabriel habe ich damals 11 Monate Elternzeit genommen und Anders zwei oder drei, Gabriel ist dann mit 13 Monaten in die Kita gekommen. Bei Elisa war ich 8 Monate zuhause. Durch Corona ist sie erst mit 15/16 Monaten in die Kita gekommen. Bis dahin war dann Anders zuhause – länger als eigentlich geplant. In den meisten dänischen Familien nimmt der Vater auch Elternzeit. Ich persönlich kenne keine einzige Familie, in der der Vater keine Elternzeit genommen hat. Und die Väter wollen auch! Man bekommt hier über einen gewissen Zeitraum auch das volle Gehalt ausgezahlt, dementsprechend gibt es kein finanzielles Argument, keine Elternzeit zu nehmen. Danach kann man einen staatlichen Beitrag bekommen, das ist aber deutlich weniger. 

Die Kinder sind sehr eng miteinander
2022
Laura und Elisa im ersten Haus (die Bank ist selbstgebaut), 2020

Dänische Kinder kommen im Durchschnitt mit 11 Monaten in die Betreuung und jedes Kind hat garantiert einen Platz. Man kann sich online in einer Liste eintragen und man kann auch Einrichtungen priorisieren. Ansonsten bekommt man einfach eine zugeteilt, aber man hat sicher einen Platz, ab dem gewünschten Zeitpunkt. Die durchschnittlichen Öffnungszeiten sind von 7-17 Uhr und man kann dann individuell wählen.

Es ist nicht das perfekte System, aber ich glaube, das muss auch erst noch erfunden werden.

In Dänemark ist es ja ganz klar gewollt, dass so viele Frauen wie möglich am Arbeitsmarkt teilhaben können, dementsprechend ist natürlich auch das Betreuungsangebot. Und Frauen arbeiten auch überwiegend Vollzeit.
Ich finde, dass es dadurch aber auch ein sehr rigides System ist. Es lässt keinen Platz für Eltern, die gerne lange zuhause bleiben oder Teilzeit arbeiten wollen. Dafür ist hier wenig Verständnis da. Es ist nicht das perfekte System, aber ich glaube, das muss auch erst noch erfunden werden. Frauen und Familien sollten sich frei entscheiden können und darin bestärkt werden. Ich konnte für mich damals gute Entscheidungen treffen. Aber ich würde gerne irgendwann weniger arbeiten, um Platz für eine andere Dinge zu haben – und das ist in meinem Beruf hier gar nicht verbreitet. 

Väter

Väter sind hier definitiv mehr eingebunden. Bei Anders und mir sind die praktischen Dinge sehr ausbalanciert. Das ist in den meisten dänischen Familien so. Wenn beide Vollzeit arbeiten, sind Väter genauso involviert. Trotzdem gibt es noch eine weibliche Care-Komponente, die emotionale Beziehungsarbeit, die definitiv bei mir liegt. Und ich glaube auch, dass das überall so ist. Was die Verteilung von Care-Arbeit und Mental Load zwischen Müttern und Vätern angeht, ist Dänemark aber insgesamt sehr progressiv und weit vorne. 

Laura sagt: "Mein Däne"
Seit neuestem leben Katzen mit der Familie. Gabriel mit Blümchen 2022
Laura am Meer

Kinder gehören dazu

Kinder gehören in Kopenhagen zum Stadtbild dazu. Egal, wo man ist, hier sind überall Kinder. Familien sind ein Teil vom Leben. Dänen denken Kinder und Familien und deren Bedürfnisse nicht überall mit, aber es ist ganz natürlich, dass Kinder da und dabei sind. Kinder sind überall dabei, aber es gibt nicht viele spezielle Räume für sie. Hier gibt es zum Beispiel nicht so wahnsinnig viele oder kreative Spielplätze. Da habe ich in Berlin mehr gesehen.  Ich habe hier noch nie eine Reaktion auf etwas bekommen, was meine Kinder betrifft. Egal, ob ich in der Öffentlichkeit gestillt habe oder mein Kind einen Schreianfall im Supermarkt hatte. Weil es einfach dazugehört! Das wird nicht ge- oder bewertet. Das ist eine gute Voraussetzung für entspannte Elternschaft. Kinderhaben und Elternsein ist einfach ein natürlicher Teil des Lebens. Eltern finden überall statt, glückliche Eltern, Eltern in der Krise. Dadurch stellt man nicht so hohe Ansprüche an die eigene Perfektion. So empfinde ich es zumindest. 

Muttersein ist hier nicht das Ziel weiblichen Lebens.

Wir waren gerade auf Mallorca in einem Familienhotel im Urlaub und da waren auch viele deutsche Familien. Da habe ich Elternschaft tatsächlich nochmal ganz anders erleben können. Alles war viel angestrengter und angespannter. „Bloß nicht auffallen! Bloß nicht zu viel vom Buffet nehmen! Bloß nicht zu laut sein!“ Das ist jetzt natürlich sehr überspitzt,  aber die Stimmung war so. An fast jedem Tisch wurde auch direkt das Tablet ausgepackt, damit die Kinder ja ruhig sind beim Essen. Es war für uns wirklich eine andere Form der Elternschaft, die wir gesehen haben. Ich habe schon das Gefühl, dass es hier einfach heißt „Kinder sind Kinder – so what!“. Dafür sind wir sehr dankbar. 

Muttersein

In Dänemark gibt es natürlich auch ein Mutterbild, das kulturell und historisch geprägt ist und mit dem Mütter konfrontiert werden. Aber es ist trotzdem unaufgeregter. Muttersein ist hier nicht das Ziel weiblichen Lebens. Diese Glorifizierung erlebe ich hier nicht. Eine Mutter ist viel mehr eine Jongleurin – und Muttersein bedeutet hier ganz viel. “Mutter sein” das bedeutet in Dänemark auch Karriere machen, Freund*innen haben, stylisch sein, auf Events gehen und immer noch am Leben teilnehmen. Das lässt einem einerseits viel Raum, anderseits entsteht dadurch natürlich auch Druck. Weil man all das andere auch noch macht. In Deutschland muss Mutterschaft oft erfüllend sein und glücklich machen. Da ist dann kein Platz mehr für anderes. Mutterschaft wird dadurch in das Zentrum gerückt. Und wenn man das nicht ausfüllen kann, macht das unglücklich und ist frustrierend. Dänemark empfinde ich als progressiver. Obwohl ich manchmal denke, es ist müsste einen Mittelweg geben. Zwischen dem heiligen Mutterbild und einer Mutter, die alles jongliert und alles locker schafft. Beides ist ja nicht realistisch. 

Die größten Unterschiede zu Deutschland – das liebe ich hier und das fehlt mir 

Ich liebe an unserem Leben, dass wir es aktiv gewählt haben. Wir haben uns bewusst entschieden, hier zu leben und unsere Kinder hier zu bekommen. Ich habe mich ganz bewusst für das dänische Gesundheitssystem entschieden. Ich liebe es auch, dass ich als Mutter Jongleurin sein darf, auch wenn es sehr anstregend ist. Ich darf all die parallelen Autobahnen fahren und ich darf lernen, mein ganz eigenes Mutterbild auszufüllen, ohne dass es mir diktiert wird. Außerdem könnte ich für Zimtschneckken morden. Ich kann hier also nicht mehr wegziehen. Das kann Dänemark einfach in allen Facetten: Essen, Kleidung, Hygge, Arbeitsbedingungen und Lebensqualität. Das ist ganz wunderbar hier.

Ich vermisse an Deutschland ehrlich gesagt nicht so viel. Mir fehlt die Sprache, deswegen habe ich mein deutsches Instagram Profil. Und ich vermisse natürlich meine Freund*innen und meine Familie. Das wird sich auch nie ändern. Ich habe diesen Leben gewählt und muss damit leben. Und das ist definitiv der größte Verlust, den ich dafür in Kauf genommen habe. Also gibt es viele schöne Urlaube in Süddeutschland, Berlin und Hamburg und meine Freund*innen kommen immer wieder in den Genuss, Kopenhagen besuchen zu können und sich den Bauch mit Zimtschnecken voll zu hauen. 

Berühmte Zimtschnecken
Kopenhagen, Sommer 2022

Trotzdem habe ich hier zum Glück inzwischen ein tolles Netzwerk, ich spreche die Sprache fließend und bin gut angekommen. Ich kann mir auch nicht vorstellen, zurück zu kommen. Wir leben hier sehr gut!

Danke, Laura!!