Wir hatten die wunderschöne, kunterbunte Familienwohnung von Julia und Benny schon seit einer Weile auf Instagram bewundert. Deshalb haben wir uns ganz schön doll gefreut, als wir die sympathische Familie in Berlin Friedrichshain besuchen durften! Julia ist gerade mit ihrem zweiten Sohn schwanger, Joshi wird sehr bald vier Jahre alt und freut sich schon riesig auf das Baby. Und die Wohnung ist “in echt” sogar noch schöner und gemütlicher als auf Bildern. Ein Platz zum Wohlfühlen, man will gar nicht mehr gehen… Wie Julia und Benny ihre Bude gestaltet haben, wie sie ihren Alltag strukturieren und was ihnen in Sachen Familienleben wichtig ist, all das hat uns Julia im Interview erzählt. Die wunderschönen Fotos hat das Team von HEJM gemacht!
Ana Julia und Benyamin Rahmani mit JoshiNiemals zuvor hat mich etwas oder jemand so stark und gleichzeitig so angreifbar gemacht.
Liebe Julia! Erzähl mal: wie bist du in Berlin gelandet, was machst du beruflich?
Ich bin in Cottbus geboren und habe dort die ersten Jahre meines Lebens verbracht, deshalb ist ein gewisser „Ostcharme“ wahrscheinlich ein Teil meiner DNA. Und die Hauptstadt hat mich immer fasziniert, weil meine Mama mir oft von Tagesreisen nach Berlin erzählt hat. Ich habe als kleines Kind wohl gerne Bananen gegessen und meine Mutter hat tatsächlich öfter Tagestrips mit Tagespass und allem nach Berlin gemacht, um Dinge zu besorgen – unter anderem meine heißgeliebten Bananen. Diese Geschichten waren natürlich spannend – so ein weiter Weg für mein Lieblingsobst! Ich habe das alles erst viel später so richtig begriffen, auch dank der klischeehaften Erzählungen rund um Bananen natürlich.
Jedenfalls war für mich klar, dass ich spätestens zum Start meines Masterstudiums nach Berlin möchte. Ich habe einen Bachelor in Social Sciences gemacht und dann einen Master in Soziologie – in Berlin! Heute mache ich Social Media Management in einer Agentur für digitale Medienbildung.
Benny und du, ihr kennt euch ja schon seit vielen Jahren, seid ihr auch schon so lange ein Paar?
Nicht ganz, kennengelernt haben Benny und ich uns vor ca. 15 Jahren durch gemeinsame Freunde. Wir kommen ursprünglich aus der Wetterau, nördlich von Frankfurt am Main. Zu Beginn unserer Zeitrechnung waren wir nur ein paar Mal aus, was lediglich zu einer Facebook-Freundschaft führte. Kurz bevor wir uns dann doch plötzlich verliebten, habe ich diese sogar „beendet“! Wir haben uns dann schnell wieder hinzugefügt, haha!
Das war dann fünf Jahre nach unserem ersten Date und kurz bevor ich nach Berlin zog. Dass wir ein Paar wurden, kam sowohl für unsere Freunde, als auch für uns selbst irgendwie überraschend… Aber es passt, wie man heute noch sieht!
In eurer Wohnung sieht man sehr deutlich, dass ihr beide ein Faible für Design habt – war das schon immer so und seid ihr euch da einig?
Ja, wir beide haben von klein auf eine kreative Ader. Die Eins im Kunstunterricht war immer eine sichere Bank! Benny hat ja auch Design an der HfG Offenbach studiert.
Farben und Formen ziehen uns also schon immer an. Das merke ich auch, wenn wir uns gegenseitig Entdeckungen zeigen. Selten müssen wir uns einen Korb geben, wenn es um neue Ideen geht, wir haben einen ähnlichen Geschmack. Sollten wir uns mal nicht einig sein, dann hilft nur diskutieren, überreden – oder es ausprobieren und gegebenenfalls zurückrudern. Ist schon alles passiert!
Seitdem wir in unserer Eigentumswohnung leben, können wir das Faible natürlich so richtig ausleben. Wir wollten vor sechs Jahren eine Wohnung kaufen, hatten aber nur ein bestimmtes Budget. Wir haben uns viele angesehen, alle zu teuer und sie haben uns nicht begeistert. Diese Wohnung war bei uns ums Eck, wir haben sie immer wieder inseriert gesehen und uns gewundert, warum sie noch da war.
Das muss daran gelegen haben, dass sie wirklich noch im Rohbau-Zustand war. Es war nichts fertig. Man musste viel Fantasie haben, um sie sich fertig vorzustellen. Aber uns hat gerade das motiviert!
Wo holst du dir Inspiration?
Ich stöbere gern durch Magazine, Blogs, Videos und Bücher, um mich inspirieren zu lassen. Dazu zählen z.B. die Schöner Wohnen, AD oder das Couch Magazin, Journelles, Jelena, die Buchserien “Häuser des Jahres” oder “Urlaubsarchitektur”. Instagram-Accounts, die ganz meinem Geschmack entsprechen, sind z.B. Frau Kieselstein, Fräulein Mimmi, Pinkepanki, Teklan oder Herz und Blut.
Wolltest du eigentlich lieber etwas in Richtung Design beruflich machen?
Ja, eigentlich schon. Aber ich habe mich nicht an ein ein gestaltungs- oder kunstbezogenes Studium herangetraut, weil aus allen Ecken Bedenken aufkamen. Damit könne man doch später niemals ausreichend Geld verdienen! Heute sind wir alle schlauer, es ist ja mit den Möglichkeiten aus dem Internet so viel mehr möglich. Was ich dann ursprünglich studieren wollte, war Architektur. Aber in der Orientierungswoche der Uni habe ich mich in den Räumen vertan und saß plötzlich in einer Einführungsveranstaltung für Soziologie, was mich richtig neugierig gemacht hat. Dieser Zufall und ein Freund, der das bereits studierte und davon schwärmte, brachten mich zu meiner zweiten Leidenschaft: Kritische Gedanken geistreich formuliert. Was ja nicht weniger kreativ ist.
Ihr lebt in Friedrichshain – ein guter Ort, um Kinder groß zu ziehen?
Zu uns passt Friedrichshain momentan perfekt. Der Bezirk ist noch nicht so ruhig wie der Prenzlauer Berg, aber nicht mehr so laut wie Kreuzberg. Und die Veränderung ist weiter im vollen Gange, das Straßenbild verändert sich andauernd. Für Familien wird es immer attraktiver, hier zu leben, aber leider natürlich auch immer teurer. Es ist ein zweischneidiges Schwert. Ansonsten ist die Großstadt für uns ideal. Berlin macht uns sehr glücklich. Wir genießen die vielen Möglichkeiten hier. Sowohl die Bedürfnisse unseres Kleinen, als auch unsere Wünsche nach vielfältiger Gastronomie und interessanten Unternehmungsmöglichkeiten können erfüllt werden!
Du bist mit dem zweiten Kind schwanger, wie geht es dir?
Diese zweite Schwangerschaft ist bisher im Vergleich zur ersten gefühlt in dreifacher Geschwindigkeit vorangeschritten. Während beim ersten Mal alles seine Aufmerksamkeit bekam, passiert jetzt vieles nebenher. Zu verdanken habe ich das einerseits dem Glück, dass mich kaum Wehwehchen plagen und ich mir deshalb keine Sorgen machen muss. Andererseits haben wir jetzt bereits ein Kind, dessen Geburtstag geplant werden möchte, dessen Regenjacke zu klein geworden ist und dessen nächster Untersuchungstermin beim Kinderarzt ansteht. Wir sind also deutlich beschäftigter im Alltag als noch vor vier Jahren. Aber natürlich höre ich auch oft in mich und vergleiche den Verlauf beider Schwangerschaften und bisher kann ich sagen, ähneln sie sich sehr. Mal sehen, wie ähnlich sich die Kinder mal sein werden!
Wie hast du die erste Zeit mit Joshi empfunden?
Es war herausfordernd und berauschend zugleich. Ein Wechselbad der Gefühle, das mich eben noch in Wonne wog und gleich darauf in Panik versetzte. Dass man so ganz ohne Führerschein auf ein Neugeborenes losgelassen wird, ist doch irrsinnig, dachte ich mir fast täglich. Und am Ende des Tages habe ich dann oft gemerkt, dass wir intuitiv doch richtig gehandelt haben. Das Wichtigste, das ich seither immer noch lerne, ist loszulassen – sowohl meine Vorstellungen vom Kind, als auch die Erwartungen an uns als Eltern. Da war plötzlich ein neuer Mitbewohner, der nicht mit sich verhandeln ließ. Aber gleichzeitig die lebensbejahendste Person ist, der ich jemals begegnet bin. So charismatisch und ansteckend, dass man selbst bereit ist, alle Bedingungen über Bord zu werfen, nur um ihn glücklich zu machen. Niemals zuvor hat mich etwas oder jemand so stark und gleichzeitig so angreifbar gemacht.
Wie würdest Joshi beschreiben?
Als so willensstark wie Benny und so sensibel wie ich. Er wusste von Anfang an, was er wollte und was nicht. Versuche, ihn mit halbgaren Erziehungstricks um den Finger zu wickeln, scheitern stets grandios. Womit er stattdessen sehr gut umgehen kann, ist pure Authentizität. Wenn wir ihm offen gegenüber sind und ihm eine faire Chance zur Verhandlung geben, lernen wir alle jedes Mal, wie erleichternd es ist, Kompromisse im Alltag zu machen. Seine zweite große Stärke ist die Sensibilität. Er ist ein Seismograf für jede Stimmung. Das bedeutet auch, dass er empathisch mitfühlt und sofort zu Schlichten versucht, wenn zwei sich streiten. Er nimmt sich Konflikte und sein eigenes Verhalten sehr zu Herzen, was wir aber versuchen, aufzufangen. Er soll nicht die Verantwortung verspüren, jede Unstimmigkeit aufzulösen. Und zu guter Letzt ist er einfach ein Quatschkopf, ganz wie Benny und ich.
Was ist euch im Familienalltag wichtig?
Für uns finde ich es wichtig, Prioritäten zu prüfen. Handelt es sich hier um ein Bedürfnis oder “bloß” um einen Wunsch – und versteckt sich hinter dem Wunsch vielleicht doch sogar ein echtes Bedürfnis. Kann ein Punkt auf der Tagesordnung zu Gunsten von etwas anderem warten? Müssen wir es jetzt so machen, wie wir es geplant haben oder gibt es spontan eine mögliche Alternative? Benny und ich sprechen viel miteinander, loten unsere Energie aus und nehmen (Zeit-)Druck aus der Situation, wenn möglich.
Wie sieht ein normaler Tag bei euch aus?
Wir starten morgens alle zusammen mit Kuscheln und Frühstück auf der Couch, entspannt fertig machen und zur Kita gehen. Die ist fußläufig erreichbar, sodass wir uns den gemeinsamen Spaziergang nicht nehmen lassen. Da wir es uns momentan leisten können, versuchen wir, morgens zeitlich flexibel zu bleiben, um jedem Familienmitglied einen guten Start in den Tag zu ermöglichen. Denn nach dem Kita Drop-off kommt der Stress von ganz allein. Auch das Abholen machen wir zusammen, wann immer es möglich ist. Dass das nicht viele Eltern können, ist uns sehr bewusst. Für das Abendessen ist Benny zuständig, die Abendroutine machen wir ebenfalls zusammen oder im Wechsel. Ich falle dann oft schon sehr früh ins Bett, weil ich häufig schon sehr früh wach werde. So haben Benny und ich auch noch jeweils eine ausgiebige Me-Time, ich morgens und er abends.
Wir leben sehr gleichberechtigt, teilen uns alles auf. Das ist seit den Home Office-Möglichkeiten noch leichter geworden, aber es hat sich eh einfach so ergeben, aufgrund der unterschiedlichen Interessen und Talente. Es war von Anfang an klar, dass ich nicht gerne koche und das auch nicht gut kann – das muss Benny machen, wenn er was Gutes essen will. Ihm ist das wichtig, ich könnte mein ganzes Leben lang Nudeln mit Ketchup essen, haha! Auch was das Kind betrifft, hat es sich so ergeben. Ich konnte nicht lange stillen, also hat Joshi früh die Flasche bekommen. Tragen, Füttern, ins Bett bringen – haben wir dann beide gemacht. Ich weiß nicht, wie es gewesen wäre, hätte ich länger stillen können… Und ich bin ein früher Vogel, also übernehme ich den Morgen, während Benny mehr ins Bett bringt. Mal sehen, wie es mit dem zweiten Kind wird…
Was macht ihr am Wochenende gerne?
Am Wochenende versuchen wir darauf zu achten, dass jedes Familienmitglied auf seine Kosten kommt. Für Joshi heißt das Spielespaß, für Benny ein Gastrobesuch und für mich ein leckeres Stück Kuchen. Alles davon muss es nach Möglichkeit geben. In den wärmeren Jahreszeiten sind wir natürlich mehr draußen mit unserem Lastenrad unterwegs, machen kleine Ausflüge, z.B. zur Pfaueninsel, in den Barfußpark oder auf den Kinderbauernhof. Aber da auch wir nur Menschen sind, die am Wochenende auch mal wenig bis nichts tun wollen, ist auch Spaziergang durch den Kiez oder ein Esstisch-“Umbau” zur Höhle ein möglicher Bestandteil unseres Wochenend-Repertoires. Oder wir holen uns Waffeln und essen sie auf dem Spielplatz um die Ecke!
Was ist das Herausforderndste am Elternsein?
Ich finde es besonders herausfordernd, nicht dem Druck von außen auf unser Kind nachzugeben. Ihn als das zu sehen, was er wirklich ist und nicht das aufzuzwingen, was andere von ihm und uns erwartet. Denn ich glaube, dass viele Erwachsene noch mit ungesunden Glaubenssätzen großgeworden sind, die sie bis heute nicht durchbrochen haben und nun teils unbewusst auf die nächste Generation anzuwenden versuchen. Doch das Recht des Kindes auf Selbstbestimmung steht für Benny und mich an oberster Stelle, auch wenn es bedeutet, dass wir oder andere von unserem Kind nicht bekommen, was wir wollen…
Und was ist das Schönste?
Das Schönste für mich war es, zu spüren, was bedingungslose Liebe ist. Diese Form der Liebe hat mich auch sanfter zu mir selbst und eine bessere Partnerin werden lassen. Außerdem liebe ich die Perspektive meines Kindes auf den Alltag, die Art, wie er Widersprüche des Erwachsenenseins aufdeckt und uns den Spiegel vorhält. Ich glaube, mit dem ersten Kind wird auch das eigene innere Kind aufgeweckt und mit etwas Glück an die Hand genommen.
Das klingt schön und da ist was dran. Danke!!
Ana Julia und Benyamin Rahmani mit Joshi (fast 4 Jahre), Berlin, Februar 2020
Fotos: HEJM
Interview: Isabel Robles Salgado