Yay or Nay: Sind Bundesjugendspiele noch zeitgemäß?

Ja, waren sie das jemals? Schaut man sich die Geschichte der Bundesjugendspiele an, wird es düster. Momentan finden sie wieder deutschlandweit an Schulen statt. Auch in der Schule meines Sohnes. Als ich das Mitteilungsblatt einige Wochen zuvor in den Händen hielt, nahm ich das schulterzuckend aber leicht verwundert zur Kenntnis. Im Nachhhinein frage ich mich: Muss das sein? Ich finde nicht. Dabei kann man es durchaus auch anders sehen. Und es gibt ja auch Kinder, die sich auf die Bundesjugendspiele freuen. Deshalb kommt hier unser Yay Or Nay. Ich fange mal an, für die Yay-Position haben wir eine Gast-Autorin gefunden!

Nay:
Müssen Kinder auch heute noch an so etwas teilnehmen? Ich weiß für mich: Sollte dieser Schulzettel nächstes Jahr nochmal bei mir ankommen, schreibe ich meinem Sohn eine Entschuldigung, wenn er das möchte. Denn auch obwohl ab kommenden Jahr in den Klassen 1- 4 kein Wettkampf stattfinden soll, sondern “nur noch einen bewegungsorientierten Wettbewerb”, sind und bleiben die Bundesjugendspiele verpflichtend. Sie sind nicht, wie zum Beispiel der Kängeruh-Wettbewerb (ein Mathewettbewerb), freiwillig und Kinder, die Freude daran haben, können sich anmelden. Nein, alle Kinder werden gezwungen, verstaubte Leichtathletik-Übungen zu machen.

Im Moment ist es so, dass ein Punktesystem entscheidet, wer eine Siegerurkunde oder eine Ehrenurkunde bekommt. Alle anderen bekommen eine Teilnehmerurkunde. Mein Kind meinte er hätte “nur” den dritten Platz (ergo die Teilnehmerurkunde) geschafft und war enttäuscht.

Und auch ich erinnere mich noch gut an das bedrückende, beschämende Gefühl, im Sport zu versagen. Damals gab’s beim Sportfest (im Osten gab es keine Bundesjugendspiele) noch Noten. Ich räumte immer alle Vierer ab. Sport war nicht mein Ding. Wobei – das stimmte nicht ganz: Ich schwamm gern. Ich war nicht per se “unsportlich”, aber ich hasste den Wettkampf. Wettbewerb ist nicht ganz unwichtig, klar, später wird es auch nicht einfach. Dafür gibt es ja das Kinderbewertungssystem namens Noten (ein Thema für sich). Aber müssen Kinder heutzutage wirklich noch gebodyshamed werden? Eventuell könnte man sich grundlegend über Sportunterricht Gedanken machen. Dass in einigen Schulen noch “Völkerball” gespielt wird. Sport ist ein Fach, auf dessen Voraussetzungen man so wenig Einfluss hat (der Körperbau…). Sollte das überhaupt benotet werden?

Dass es nun “nur” noch ein Wettbewerb sein soll, ändert wenig am Gesamtkonzept. Die Kinder haben nun mehr Versuche, und es gibt Einteilungen in “Punktezonen”. Urkunden soll es weiterhin geben. Es ändert sich also reichlich wenig. Bringt man so Kindern Freude an mehr Bewegung bei? Helfen da nicht eher Spiele, Tänze als starre normierende Wettbewerbe?

Noch etwas anderes finde ich höchst bedenklich. Und vielleicht liegt hier auch ein großer Grund für meine Abscheu. Die Vorläufer der Bundesjugendspiele sind die Reichsjugendwettkämpfe, initiiert von Carl Diem. Der sagte Sätze wie „Sport ist freiwilliges Soldatentum“. Puh. Wer sich für mehr Hintergründe interessiert, dem ich empfehle ich die Podcast-Folge “Too Many Tabs” vom NDR zu den Bundesjugendspielen.

Die Teilnahme an den Bundesjugendspielen ist verpflichtend. Ich finde, das sollte sie nicht sein. Mehr noch: Die Bundesjugendspiele sollten als Nazi-Relikt abgeschafft werden. Es ist absurd, dass so etwas noch durchgeführt wird. Hallo Deutschland – steht es so schlecht um die Vergangenheitsbewältigung? Ich vermute ja. Man sollte über die Bundesjugendspiele sprechen. Auch mit den Kindern. Nächstes Jahr bekommt mein Sohn eine Entschuldigung mit: Er muss nicht an einer vom Nationalsozialismus erfundenen Veranstaltung teilnehmen. Danke.

Yay:
Für meine Kinder sind die Bundesjugendspiele jedes Jahr der schönste Tag des Jahres. Sie sind 13 und 10 Jahre alt und beide keine superguten Schüler – aber sie sind sportlich! Nicht so sportlich, dass sie herausragend wären, aber so, dass sie wissen, sie könnten eine Ehrenurkunde schaffen. Wenn es nicht klappt, ist das aber auch nicht schlimm, so war es dieses Jahr bei meinem Kleinen.

Ich habe auch schon ein paar Mal mitgeholfen bei den Bundesjugendspielen und muss sagen, die Kinder lieben es. Alle! Ich habe keins gesehen, das keinen guten Tag hatte. Es geht um Bewegung, um Spaß, sie sind den ganzen Tag draußen. Klar, man freut sich über eine Urkunde, aber ich hatte nie den Eindruck, dass es nur darum geht und zum Beispiel Kinder, die nicht so sportlich sind, gehänselt werden, oder sowas. Das würde auch sofort angesprochen und thematisiert werden, hier ist das Lehrpersonal in der Pflicht.

Denn natürlich sind manche Kinder einfach sportlicher als andere. Aber so ist das eben im Leben, nicht alle haben die gleichen Talente. Verlieren lernen ist wichtig. Vielleicht wird an diesem Tag wie an keinem anderen die Frustrationstoleranz gestärkt. Und wer sich anstrengt, wird auch im Sport belohnt. Außerdem trainiert es die Ausdauer und im Sport geht es nun mal an ganz vielen Stellen um Wettbewerb (so wie im Leben ja auch). Wenn man die Bundesjugendspiele abschaffen will, dann könnte man ja auch gleich den sportlichen Wettkampf generell abschaffen. Denn natürlich geht es um den Spaß an der Bewegung, aber Sport ist eben ab einem gewissen Level eng mit Wettbewerb verwoben, es gibt die Olympischen Spiele, es gibt und gab schon immer Wettkämpfe und für Menschen, die hier ein besonderes Talent haben, ist das eine tolle Sache und auch eine riesen Chance.

Ich befürworte es dennoch, dass es nächstes Jahr für die Klassen 1-4 keinen “Wettkampf” mehr geben soll. Gibt es dann auch keine Urkunden mehr? Denn manche Eltern wissen halt auch erst nach der dritten Ehrenurkunde, dass sie ein echt sportliches Kind zuhause haben, das man eventuell mal fördern könnte. Bei einer Freundin von mir ist das so gewesen, der Junge geht nun auf ein Sport-Gymnasium. Auch mein Großer hat schon angekündigt, dass er LK Sport machen will. Und ich freue mich für ihn, er liebt es, sich zu bewegen und wird sicher gut abschneiden. Für meine Kinder war dieser eine Tag eben auch der, wo sie endlich mal ganz vorne waren, Einser haben sie nämlich sonst nicht. „Warum wird das abgeschafft?“ fragte mein Kleiner. „Es hat doch so Spaß gemacht und zwar allen. Auch denen, die keine Ehrenurkunde schaffen…“ Als ich erklärte, dass es eben auch viele unsportliche Kinder gibt, die der Wettbewerb belastet hat, konnte er das nicht verstehen. Er wird aber nächstes Jahr in der 5. Klasse sein, da bleibt alles beim Alten, so wie ich das verstanden habe.

Ich finde Sportunterricht so wichtig. Und finde auch, es muss verpflichtend sein. Die Bewegung ist so gut für ALLE Kinder, gerade nach der Pandemie hat man bei vielen Kids gesehen, wie wenig sie draußen waren und wieviel sie zugelegt hatten. Es ist so gut, dass die Schulen sich darum kümmern, dass die Kinder gewisse Sportarten lernen im Unterricht (Schwimmen ist da natürlich ganz vorne), und wie sollen sie sonst rausfinden, welcher Sport ihnen liegt? Und womit sie eventuell weitermachen wollen? Dass es nicht zu Mobbing-Situationen kommt, dafür muss das Lehrpersonal natürlich sorgen. Aber Noten oder Wettbewerbe sind meiner Meinung nach nicht das Problem. Die Kinder vergleichen sich sowieso. Dass sie dennoch respektvoll miteinander umgehen – das ist das, was sie lernen müssen. Und meiner Meinung nach lernen sie das bei Veranstaltungen wie den Bundesjugendspielen sehr gut.

Foto: Giorgio Trovato