Ich erinnere mich immer mit einem dunklen Gefühl an die erste Zeit mit zwei Kindern. Ich hatte nicht gut geplant, war im Wochenbett zu viel alleine gewesen und auch in den ersten Monaten mit beiden Kindern war mein Partner viel arbeiten und ich mit den Kindern. Es war grauenhaft. Ich war ständig am Hin- und Herbalancieren, das Baby weinte viel, das dreijährige Kind flippte oft aus. Ich, in der Mitte, wurde niemandem gerecht. Kind in der Trage und Essen machen, ein Kind an der Brust, eines im Arm und vorlesen. Ausgespucktes wegwischen und parallel eine Ladung Milch ins Gesicht bekommen. So hatte ich mir das nicht vorgestellt. Ab und zu gab es Momente, da lag das Baby selig auf dem Boden und das große Kind hörte ein Hörspiel, da konnte ich mal durchatmen. Aber ansonsten war es ein Marathon.
Warum ist es so normal, Mütter alleine zu lassen?
Einer, der mich wahnsinnig forderte und an mir zehrte. Ich war dauererschöpft. Und natürlich habe ich immer an mir gezweifelt. Warum fällt mir das so schwer? Warum ist das so anstrengend? Ich dachte, Frauen machen das doch seit immer so, es muss so. Anstatt das System in Frage zu stellen, habe ich an mir gezweifelt. Denn ich hätte mir mehr Hilfe organisieren können. Ich hätte meinen Partner mehr einbinden können. Ich hätte einfach einfordern können, nicht alleine sein zu müssen.
Aber so wie ich machen das eben fast alle Frauen. Sie sind alleine mit dem Baby. Nicht immer, aber oft. Und wenn ein zweites Kind kommt, sind sie ganz oft alleine mit zwei Kindern. Und wenn ein drittes kommt – und so weiter. So wird das auch von ihnen erwartet. Das ist nicht für jede Frau so anstrengend, wie es für mich war. Die Menschen sind unterschiedlich belastbar, manche können gut mit Schlafentzug und wenig Auszeit umgehen – andere weniger. Auch die Kinder sind unterschiedlich temperamentvoll. Es gibt diese Mütter, die den Alltag alleine wunderbar schaukeln. Aber sie sollten nicht der Maßstab sein, denn ganz vielen geht es anders. Auf Instagram erzählte eine Mutter vor ein paar Tagen von ihren Endlosschleife mit zwei kleinen Kindern. Wie anstrengend es ist, wie erschöpft sie ist. Wie unausgeglichen. Ein Kind im Tragetuch, eins im Buggy. Immer schreit wer, ständig alles gleichzeitig machen. Aber es sei ja auch immer mal wieder so schön! Alle pflichten ihr bei. Ich kann das nicht mehr so hinnehmen. Ich denke mittlerweile: Wo ist der Vater? Wo sind Freunde und Familie? Warum ist es für alle normal, dass eine Mutter ALLEINE mit einem Baby gelassen wird? Oder sogar mit mehreren Kindern?
Aber es ist eben normal. Alle machen das so.
Eine Freundin von mir, die nicht in Berlin lebt, hat vor einigen Jahren ihr zweites Kind bekommen. Ich erinnere mich an Gespräche mit ihr in den ersten Monaten. Sie war am Ende. Ich weiß noch, dass ich mir richtig Sorgen gemacht habe um sie, dass ich versucht habe, ihr Hilfe zu organisieren. Sie hatte eine traumatische Geburt hinter sich, Stillprobleme, psychisch ging es ihr nicht gut. Ihr zweijähriger Sohn hatte noch keinen Krippenplatz, ihr Mann ist Unternehmensberater und war ständig weg. Es ging ihr wirklich wirklich schlecht und es war eine Riesen-Herausforderung für sie, den ganzen Tag zwei Kinder zu versorgen. Nie eine Sekunde für sich, auch nachts. Immer diese Verantwortung. Immer alleine sein. Ich weiß noch, wie ich dachte: warum haben die auch so schnell ein zweites Kind bekommen? Aber was für ein absurder und gemeiner Gedanke. Das Problem sind ja nicht die Kinder. Das Problem ist, dass ALLE – ihr Mann, die Familie, sie selbst, die Gesellschaft – selbstverständlich von ihr erwarteten, dass sie das hinbekommt. Selbst ihre eigene Mutter sagte damals fast schnippisch: “Na, das wirst schon schaffen”. Letzte Woche gestand mir eben diese Freundin, dass sie im Nachhinein denkt, es hätte auch gut passieren können, dass sie den Kindern etwas antut. Sie sagte das todernst, und todtraurig. Wie froh sie sei, dass damals alles gut gegangen ist. “Ich war so überfordert, so nicht auf der Höhe.” Ich war geschockt. Und dachte wieder: Warum wird das von Frauen erwartet? Dass sie ohne Hilfe alles schaukeln?
Ich bin mittlerweile sicher: das gehört auch nicht so. Es ist nicht so gedacht, dass eine Person alleine mit Kindern zuhause sitzt und diese alleine großziehen und versorgen soll. Ebenfalls auf Instagram schrieb eine Userin unter dem Post von Anne Dittmann gestern, dass es eben nicht die vorgegebene, biologische Rolle der Frau ist, “isoliert in einer Kleinfamilie Kinder bedürfnisorientiert zu erziehen und dabei die eigenen Bedürfnisse in der Tonne zu versenken. Der Mensch ist ein Sippenwesen, kein Einzelkämpfer. Mütter und Kinder brauchen ein Netzwerk unterstützender Menschen.” Und ich dachte nur: Ja, Ja, Ja! So ist es doch!
Wenn ich heute Berichte wie den meiner Freundin höre, würde ich schreien: Du bist völlig alleine, das ist wahnsinnig! Es muss dir jemand helfen und zwar nicht nur ein bisschen! Wo ist der Vater? Die Familie? Freunde? Nachbarn? Wer das alles nicht hat, braucht eine Mütterpflegerin, einen Babysitter, irgendjemanden! Wie gesagt, nicht für alle ist diese erste Zeit so stressig. Nicht alle leiden unter Einsamkeit, Wochenbettdepression, Geburtstrauma. Nicht alle finden den Alltag mit kleinen Kind(ern) immer aufreibend und unendlich erschöpfend. Und sicherlich gibt es auch mal Phasen, in denen es besonders anstrengend ist, und Phasen in denen es besser geht. Aber genug Frauen da draußen sind eigentlich überfordert. Und ich finde es bezeichnend, dass Väter sich oft die Oma oder sonst jemanden dazu holen, wenn die Mutter mal verreist ist. Aber dass der Vater nicht präsent ist, ist ganz normal.
Für mich ist es auch ehrlich gesagt sogar heute noch so, dass ich Tage mit beiden Kindern alleine anstrengend finde. Es ist meistens schön – und es wurde vor allem immer einfacher. Meine Kinder sind mittlerweile richtig groß, man kann mit ihnen kommunizieren, sie laufen auch weite Strecken alleine, sie flippen selten aus, sie sind coole, kleine Personen, mit denen es meistens Spaß macht, Zeit zu verbringen. Und dadurch, dass mein Partner und ich uns aufteilen, haben wir natürlich beide mal Tage, an denen wir beide Kinder alleine betreuen. Sonst würden wir weder unser Arbeits-, noch unser Freizeit-Pensum schaffen. Wenn ich das aber viele Tage hintereinander in Folge alleine machen muss, stresst mich das immer noch immens. Und ich weiß mittlerweile, dass nicht ICH das Problem bin. Auch wenn eine kleine Stimme in meinem Kopf mir das manchmal einreden möchte: “Du bist eben einfach keine besonders tolle Mutter. Mütter sind doch Superhelden, unendlich belastbar. Und du bist schon mit ganz normalem Alltag mit deinen eigenen Kindern überfordert.” Nein, nein, nein. Ich bin nicht das Problem. Das Problem ist, dass es wirklich ein Dorf benötigt, um ein Kind großzuziehen, dass ein Erwachsender auf zwei Kinder auf Dauer einfach zu wenig ist. (Auch wenn in den den Kitas die Schlüssel viel schlechter sind, das weiß ich…)
Das berühmte Dorf…
Bei mir ist es so: Wenn unser Netzwerk, das ich auch gerne “unser Dorf” nenne, gut funktioniert und da ist, dann merke ich immer, wie leicht alles ist. Nicht alleine auf dem Spielplatz sitzen, sondern mit Freunden. Wenn unsere Nachbarin ein Kind mitnimmt nach der Schule. Wenn ein befreundeter Vater das andere Kind nach der Kita mitnimmt. Wenn ich die andere Nachbarin anrufen kann, weil sich ein Engpass ergeben hat, wenn man sich gegenseitig mit Einkäufen hilft. Wenn ich mal mehrere Kinder mitnehme, auch das ist schön. Wenn die Oma einen Nachmittag mit den Kindern verbringt. Wenn mein Partner und ich unsere Arbeitszeit so einteilen können, dass wir Haushalt und Betreuung hälftig teilen können und nicht einer auf dem Löwenanteil sitzen bleibt. Wenn in Kita und Schule alles glatt läuft und ich die Einrichtungen zu 100% als Ergänzung des Dorfes sehen kann. Dann ist alles gut. Dann ist es leicht. Aber ich muss es mir organisieren. Als ich unser letztes Porträt gelesen habe, dachte ich: so würde ich mir das auch wünschen. Noch mehr Dorf, noch unmittelbarer greifbar, noch näher. Denn wenn mein Netzwerk nicht da ist, oder ich es mir eben nicht gut organisiert habe, ist es der Familienalltag immer noch richtig anstrengend.
Ich finde, wir sollten aufhören, davon auszugehen, dass Mütter das schon schaffen. Sie alleine lassen. In den ersten Monaten, aber auch danach. Wir sollten uns umeinander kümmern. Das gilt auch und besondere für Alleinerziehende. Dass es so ist, dass alle Welt davon ausgeht, dass die das schon hinbekommen, hat ja auch damit zu tun, dass es eben diese gesellschaftliche Erwartung an Frauen gibt, den Alltag mit Kids gefälligst alleine zu schaukeln oder dass die Anstrengung, die es bisweilen bedeutet, Kinder zu betreuen, unterschätzt wird. Wenn das Grundverständnis hier anders wäre, würde es automatisch mehr Unterstützung geben, behaupte ich mal.
Mütter sind keine Superhelden. Sie sind ganz normale Menschen, die nur bis zu einem gewissen Grad belastbar sind, die Hilfe und Unterstützung und Regenerationszeiten brauchen. Gönnen wir ihnen das. Gönnen wir das uns!