21st Century Mom: Die Sache mit dem Schlaf

In meiner Vorstellung war das Leben mit kleinen Kindern deutlich anstrengender, als es jetzt tatsächlich ist. Die ständige Unordnung, überall in der Wohnung Steine, Essensreste oder Sand zu finden, angekotzt zu werden und volle stinkende Windeln zu wechseln – all das habe ich mir so viel schlimmer vorgestellt. Um ehrlich zu sein ist es oft unordentlich, Steinchen vom Spielplatz liegen neben vom Teller geflogenen Nudeln, der Flur versprüht Sahara-Vibes, wenn man nicht zwölf Mal am Tag saugt, und Spuckflecken gehören ebenso zum Alltag, wie Windeln. Inzwischen finde ich bloß nichts mehr davon schlimm. Man gewöhnt sich an so vieles und wächst über sich hinaus. Aber es gibt eine Sache, von der ich dachte, dass sie schlimm wird, die sich dann aber als intergalaktisch, schrecklich, kräftezehrend, beschissen super hyperschlimm rausgestellt hat. Die Sache mit dem Schlaf.

Vor unseren Kindern habe ich im Schnitt zwischen 9 und 10 Stunden geschlafen. Dazu am Wochenende auch gerne mal noch ein zweistündiges Mittagsschläfchen on top. Mir ist klar, dass das sehr viel Schlaf ist. 2021 wurde in einer Umfrage zur Schlafdauer der Deutschen festgestellt, dass 68% der Befragten zwischen fünf und sieben Stunden schlafen. 15% schlafen länger als sieben Stunden und nur 3% der Menschen in unserem Land schlafen so viel wie ich, nämlich mehr als acht Stunden. Ich bin kein Nachtmensch. Wenn es dunkel wird, werde ich müde und das bedeutet, dass ich im Winter auch gerne mal um 19 Uhr ins Bett gehe.

Ich wusste, dass es mit meinen Schlafgewohnheiten nicht leicht wird mit Kindern.

Die Natur macht das recht geschickt, bei mir verkürzten sich die Nächte schon ab dem siebten Schwangerschaftsmonat. Ich wurde unruhig in der Nacht, musste auf Toilette und saß manchmal glockenwach um vier Uhr morgens im Bett. Als würde mich mein Körper auf die Beschissenheit der Umstände vorbereiten wollen. Dann war unser Sohn da und anfangs war ich überrascht, wie wenig mir die ständigen Schlafunterbrechungen zu schaffen machten. Das Problem ist leider, dass wir hier nicht über „drei Tage wach“ sprechen. Es sind Monate und Jahre. So realisierte ich nach einigen Wochen, dass ich in einer lächerlich anstrengenden Situation bin, aus der ich nicht so leicht rauskommen werde. Ich versuchte Ratschläge wie „Schlafen, wenn das Baby schläft“ zu befolgen. Das klappte bei uns überhaupt nicht, weil unser Sohn in einem Vier-Stunden-Intervall wach wurde und dann nach einer Weile wieder schlief, bis ich dann wieder in den Schlaf fand, war er fast schon wieder wach. Außerdem würde mich auch interessieren, wann man bei dieser Methode Dinge tut, die das Baby nicht macht? „Waschen, wenn das Baby wäscht?“ oder „Einkaufen gehen, wenn das Baby shoppt?“. Irgendwie gehen all diese superklugen Ratschläge nicht auf, denn wenn es so verdammt einfach wäre, würden doch nicht alle Eltern so ein Fass aufmachen.

In unserem Fall fehlten mir vor allem die langen Tiefschlafphasen. Also entschieden wir uns dafür, die Nacht in Schichten einzuteilen. Schicht 1 ging von 18 bis 2 Uhr und Schicht 2 dann von 2 Uhr bis zum nächsten Morgen. Was sich in der Theorie erst mal gut anhört, war für uns in der Praxis verwirrend, weil wir durch die Unterbrechungen und den „Schichtwechsel“ beide nicht mehr in einen tiefen und vor allem langen Schlaf fanden. Wir fingen an zu diskutieren, wer die leichtere Schicht bekommt, wobei wir nicht mal sicher waren, welche überhaupt die „leichtere Schicht“ war, auch weil sich das Schlafverhalten unseres Kindes wöchentlich änderte. Mal war er um 3 Uhr für 3 Stunden hellwach, dann schlief er plötzlich zwei Nächte hintereinander durch. Wir probierten, was alle Eltern so probieren. Feste Schlafzeiten, einen geregelten Tagesablauf, Routinen, dann doch wieder alles über Bord werfen und auf die innere Uhr des Kindes achten. Wir schliefen getrennt und alle zusammen in einem Bett, mit und ohne Ohrstöpsel. Fütterten Brei, Fleisch und Kartoffel und Nudeln am Abend. Lasen Bücher, Artikel und Studien. Wirklich schlauer wurden wir leider nicht.

Dein Kind kann nicht richtig schlafen? Tja, selbst schuld.

Das Buch „Jedes Kind kann schlafen lernen“ ist nach wie vor ein Bestseller, was völlig absurd ist, weil in diesem Buch basically steht, dass man sein Kind allein schreien lassen soll, nicht auf die elterlichen Instinkte hören und bitte auch nicht auf die Bedürfnisse des Babys eingehen soll. Dieses Buch vermittelt ungefähr ein Gefühl wie: Dein Kind kann noch nicht richtig schlafen und ihr seid völlig übermüdet? Tja, selbst schuld.

Abgesehen davon, dass diese Methode mindestens umstritten, wenn nicht sogar schädlich für Kinder sein kann, zeigt das Buch aber auch, wie verzweifelt Eltern versuchen, eine Lösung für dieses Problem zu finden. Als unser Sohn vier Monate alt war, erreichte mein Körper ein neues Level an Müdigkeit. Ich war so ausgelaugt, weinerlich, aggressiv und geladen, dass wir der ganzen Situation nur noch mit stoischem „Aushalten“ begegneten. Es sollte noch sagenhafte sieben Monate dauern, bis unser Sohn knapp ein Jahr alt war, und die Situation langsam besser wurde. Mit besser meine ich, dass er „nur noch“ zwei mal in der Nacht aufwachte, eine Milch wollte und dann wieder einknackte. Seine Nächte waren vergleichsweise kurz und endeten verlässlich zwischen 4 und 5 Uhr, bis dahin wurden wir aber wirklich nur noch zwei Mal geweckt, was für uns schon ein himmlischer Zustand war. Das hielt dann ganze drei Monate an, bis unser zweiter Sohn auf die Welt kam. Dadurch stürzten wir komplett ab, denn der Spuk begann von vorn. Manchmal muss ich heute lachen bei der Vorstellung, wie „schrecklich“ sich die Schlaflosigkeit für uns mit nur einem Kind angefühlt hat. Wir träumten vor dem zweiten Kind vom großen Familienbett, in dem wir dann alle gemeinsam schlafen und morgens gut gelaunt aufwachen, um mit den Kindern durch die Kissen zu toben. Die Realität sah anders aus. Nach ein paar Nächten zu viert war klar, dass wir uns aufteilen müssen, weil niemand mehr so richtig schlafen konnte. Bis heute schlafen wir bei jeweils einem Kind getrennt voneinander. Ich empfinde in dieser Thematik keinen Moment als besonders familiär und schön, es geht aber auch mehr darum, diese Zeit irgendwie zu überstehen.

Falls ihr diesen Artikel lest und euch fragt, wann denn endlich der Teil mit den tollen Ratschlägen kommt, muss ich euch enttäuschen. Wir sind seit zwei Jahren Profis darin, jeden noch so kleinen, halbwegs menschenfreundlichen Ratschlag auszuprobieren. Das einzige, was ich euch geben kann, sind unsere Erkenntnisse, die euch vielleicht dabei helfen, nicht komplett durchzudrehen.

1. Wer kommt besser mit Schlafmangel zurecht?

Wenn ihr in einer Partnerschaft seid oder euer Umfeld in die Carearbeit einbeziehen könnt, würde ich euch raten, auszuprobieren, wer von euch besser mit Schlafmangel zurechtkommt. Falls jemand glaubt, dass das sicher die Mutter sei, weil die Natur das zum Beispiel durch das Stillen irgendwie eingeplant hat – bei uns ist es anders. Ich bekomme Halluzinationen, höre Geräusche, die nicht da sind, nehme zu, weil ich in den Wachphasen aus Verzweiflung wie blöd Zucker in mich reinstopfe, um irgendwie zu funktionieren und mein Charakter verändert sich. Mit Schlafmangel kann ich kein Auto fahren, keine wichtige Entscheidungen treffen und keine sozialen Kontakte pflegen. Mein Mann hat einen Autopiloten, der selbst mit 1-2 Stunden Schlaf überragend für die Beschissenheit der Umstände funktioniert. Als wir das rausgefunden hatten, war klar, dass ich im Schnitt weniger Nachtschichten schaffe als mein Mann. Wir wechseln uns ab, so gut es geht und versuchen beide, für den anderen an die äußerste Grenze zu gehen, aber mir hat es geholfen zu akzeptieren, dass das bei uns eben kein 50/50-Modell sein kann. Wir sind nicht allein drauf gekommen, das zu entwickeln. Bis heute bin ich froh, dass mein Mann kurz vor der Geburt unseres ersten Kindes einen Freund traf, der meinte, er hätte bei beiden Kindern meistens die Nächte gemacht, weil seine Frau das mit dem Schlafmangel nicht gepackt hätte. Irgendwie ist es absurd, dass man solche Geschichten braucht, um sich die Frage selbst zu erlauben, aber ich bin dem Kumpel meines Mannes bis heute dankbar, dass er uns auf diese Spur gebracht hat.

2. Notsituationen kommunizieren und sich gegenseitig helfen

Schlafentzug ist bekannterweise eine gängige Foltermethode. Es ist oft von „weißer Folter“ die Rede, weil keine nachweisbaren, körperlichen Spuren beim Opfer hinterlassen werden. Es ist wichtig, zu verstehen und zu kommunizieren, dass dieser Zustand euch an eure äußersten Grenzen bringen kann. Manchmal geschieht das sogar, ohne dass ihr selbst merkt, wie belastend es für euch und euer Umfeld ist. Wir mussten lernen, dass wir selbst mit einer fairen Aufteilung untereinander manchmal an Grenzen kommen, bei denen wir den anderen oder unser Umfeld um Hilfe bitten müssen. Wir haben einen Code Red, den man bei sich entdecken und verbalisieren muss, wenn man merkt, dass eine Grenze erreicht ist. In Momenten, in denen ich mit den Kindern allein bin und mein Umfeld nicht miteinbeziehen kann, verlasse ich kurz den Raum und gebe meinen Emotionen Platz. Dann sitze ich heulend vorm Schlafzimmer, versuche mich neu zu sammeln und sage mir, dass das gerade wirklich eine Ausnahmesituation ist. Das ist eine kleine Selbstlüge, aber sie funktioniert immerhin.

3. Austausch zur Beschissenheit der Lage

Mir hilft es, mich nach schweren Nächten mit Freundinnen auszutauschen und zu hören, dass ich nicht exklusiv allein in dieser Situation bin. Auch in einer akuten Notlage, in der ich nicht mehr kann, hilft mir diese Einsicht. Traurigerweise – aber eben auch glücklicherweise – müssen die meisten Eltern durch diese Phase. Der Psychologe Sakari Lemola analysierte im Rahmen eines Projekts der Universität Warwick Daten zur Schlafproblematik von Eltern in Deutschland. Dort heißt es, dass junge Eltern bis zu sechs Jahren schlecht schlafen. Mütter trifft es meist härter als Väter, Erstlingseltern haben es schwerer als Eltern mit mehreren Kindern, außerdem fand er keine messbare Verbesserung durch höheres Einkommen. Erstaunlicherweise sei selbst der Faktor “alleinerziehend” nicht maßgeblich für diese Problematik. Unter Schlaflosigkeit würden aus seiner wissenschaftlichen Sicht alle gleichermaßen leiden. Meine Gespräche unter Eltern scheinen das grob zu bestätigen. Mir hilft es irgendwie, zu wissen, dass ich auf dem Spielplatz von Menschen umgeben bin, die sich auch um 21 Uhr entgeistert fragen, wann das Kind endlich müde ist, die um 23 Uhr, 1 Uhr, 2 Uhr und 4 Uhr aufstehen, um überlaufende Windeln zu wechseln, zu füttern oder böse Träume wegbeschwören müssen.

4. Es ist nur eine Phase

Ich mag diese Phrase eigentlich nicht, weil sie oft verharmlost, wie belastend eine Situation für Erziehende sein kann. Hier hilft es mir aber total, gebetsmühlenartig zu wiederholen, dass ich mich in einem vorübergehenden Zustand befinde, aus dem meine Kinder und wir bald rausfinden werden.

5. Nach müde kommt doof

Wenn mein kinderloser Bruder manchmal sagt, dass er vom Wochenende müde sei, entwickle ich teilweise so starke Aggressionen, dass ich ihn und andere kinderlose Menschen in meinem Umfeld anbrüllen will. Die wissen ja nicht mal im Ansatz, was Müdigkeit überhaupt bedeutet. Zum Glück habe ich irgendwann verstanden, dass das nicht das Problem meiner Mitmenschen ist, sondern mein eigenes. Ich bin müde, ständig, immer. Und manchmal werde ich dann doof. Einige Freundschaften sind auf der Strecke geblieben. Ich kann keine komplizierten Bücher lesen, Serien oder Filme mit in sich verwobenen Handlungen kapiere ich aktuell schlicht und ergreifend nicht, ich wiederhole mich oft, weil ich den Faden verliere und nicht weiß, was ich schon alles erzählt habe.
Meine Sätze werden unnötig lang und ich wiederhole mich oft, weil ich den Faden verliere und nicht weiß, was ich schon alles erzählt habe.

6. Nach doof kommt krank

Mir fiel auf, dass ich im ersten Jahr mit den Kindern andauernd krank war. Schnupfen, Fieber, Mittelohrentzündung, Husten, Grippe und dann nochmal von vorn. Ich war überrascht, weil das ja sonst meist mit der Kita kommt, die bei uns zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht stattfand. Ich recherchierte und fand heraus, dass unser Immunsystem bestimmte Abwehrkräfte nur im Tiefschlaf bilden kann. Es gibt einen medizinischen Zusammenhang zwischen der regelmäßigen Erkrankung junger Eltern und Schlafmangel. Ist das Immunsystem dauerhaft geschwächt und sind wir Schlafmangel über eine längere Zeit ausgesetzt, kann das zu körperlichen und psychischen Erkrankungen führen, ein Problem, das man sehr ernst nehmen sollte.

7. Bei Schlafmangel hilft nur Schlaf

Das ist die bekloppteste Erkenntnis und ich möchte mich dafür direkt bei euch entschuldigen. Es gibt leider kein anderes, sinnvolles Gegenmittel gegen Müdigkeit, kein Koffein und Alkohol, kein heißes Duschen, keine Zuckerschocks und Fettbomben. Es hilft wirklich nur Schlafen. Und wir sprechen hier über einen Zustand, der eure Gesundheit extrem gefährden kann. All die wunderbaren Wellness-Tipps um frische Luft, Bewegung und dem fröhlichen Aufraffen sind nur hilfreich, wenn ihr keinen akuten Schlafmangel habt. Falls ihr mit diesem Grundbedürfnis in einen Zustand der extremen Unterversorgung geraten seid, dann skippt jede Netflix-Serie, das Abendessen abzuräumen oder andere Verpflichtungen. Legt euch mit den Kindern ins Bett und schlaft. Ich musste lernen, mich zu trauen, Nachrichten zu verschicken wie “Es tut mir krass leid, ich wäre super gerne zu deinem Geburtstag gekommen, aber ich bin zu müde”. Manchmal auch erst am nächsten Tag. Man muss keinen Groll auf sein soziales Umfeld entwickeln, aber genau so sehr sollte das Umfeld Verständnis für eure Situation aufbringen. Nach einiger Zeit habe ich gemerkt, dass diese Absagen in meiner Vorstellung viel schrecklicher waren, als sie in Wirklichkeit ablaufen. Die meisten Menschen haben Verständnis.

Diese sieben Erkenntnisse haben wir uns hart erarbeitet. Die Lage ist damit leider fast genauso katastrophal wie davor. Abgesehen davon bin ich mir sicher, dass nicht jedes Kind in jedem Alter durchschlafen lernen kann und ich bin mir auch sicher, dass nicht alle Eltern das Wachsein lernen können.

Wir sollten uns eingestehen, dass manche Lebensbereiche mit Kindern einfach schlimm sind.

Das ist aus meiner Sicht aber auch okay. Viel schwieriger sind für mich diese Märchengeschichten von friedlich schlafenden Kindern, den Mythen von herbei-erziehbarem Schlaf. Das ist, wissenschaftlicher Stand heute, toxischer Unfug, wenn man seine Kinder nicht quälen will, und deswegen gibts von mir bei diesem Thema kein Happy-End.

Gern geschehen!

Fotos: Julia Zoooi