Sex in und nach der Schwangerschaft

Lasst uns mal wieder über Sex reden, vor allem in der Schwangerschaft und im ersten Jahr nach der Geburt –  das dachten wir uns neulich, als wir ins Plaudern kamen über Lust und Libido mit Babykugel, Partner, die der Bauch verunsichert und Frauen, die einfach keine Lust auf Sex in der Schwangerschaft haben. Gesagt, getan: Wir haben mit Melanie Büttner telefoniert, die manche von Euch vielleicht von ihrem ZEIT-Podcast "Ist das normal" kennen, den sie gemeinsam mit dem Wissenschaftsjournalisten Sven Stockrahm aufnimmt.  

Aus diesem Podcast ist auch ein gleichnamiges Buch entstanden. Melanie weiß also, wovon sie spricht, sie arbeitet zudem auch als Ärztin in der Sexualsprechstunde am Münchener Klinikum rechts der Isar und hat eine eigene Praxis. Melanie hat bei dem deutschlandweit bekannten Sexualtherapeuten Uli Clement gelernt, den sie auch den “Mick Jagger der Sexualtherapie” nennt. Sie kam über einen ungewöhnlichen Weg zu ihrem Beruf, denn sie beschäftigte sich ursprünglich mit Menschen, die nach sexuellen Übergriffen Probleme mit dem Sex haben, und promovierte auch zu diesem Thema. Im Zuge dieser Arbeit suchte sie Therapeuten, die diesen Menschen helfen können – und merkte, dass es kaum welche gibt. So kam sie schließlich zu ihrem jetzigen Beruf!

“Die Schule des Lebens”

Melanie hat selbst eine vierjährige Tochter und lebt mit ihrem Mann in einer Patchworksituation, im Wechselmodell mit seinen zwei älteren Kindern. Sie kam erst mit 30 Jahren zum Medizinstudium, nachdem sie in vielen verschiedenen Jobs gearbeitet hat – “Schule des Lebens” nennt sie das. Melanie ist also eine wirklich nahbare und sympathische Expertin, und wir freuen uns wahnsinnig, dass sie sich Zeit für uns genommen hat.

Der Satz “Ist das normal?” ist tatsächlich einer, der sehr oft in ihrer Praxis fällt – und wir glauben, dass die Sorge, ob die eigene Sexualität “normal” ist, besonders in der Schwangerschaft, wo sich so vieles ändert, für viele eine ganz zentrale ist. Das sieht sie auch so: “Es gibt in Sachen Sex zwar viel Aufklärung und wir sind auch nicht mehr da, wo wir vor ein paar Jahrzehnten noch waren, aber meist beschränkt sich das Wissen auf körperliche Fakten und Verhütung. Dazu kommt, dass in den Medien häufig schräge Bilder vermittelt werden, und viele verunsichert sind, wenn ihre Sexualität ganz anders aussieht. Das ist so aktuell wie noch zu Zeiten von Dr. Sommer.“

Also, lasst uns loslegen: Was genau ändert sich bei einer Frau, die schwanger ist, in Sachen Sexualität? “Da passiert unheimlich viel – und es ist individuell auch sehr verschieden, je nachdem, wie es der werdenden Mutter geht. Es gibt Paare, die bringt eine Schwangerschaft näher zusammen, sie haben mehr Sex und sind inniger, für andere verliert der Sex die Bedeutung. Um mal eine Zahl zu nennen: Jedes zehnte Paar hat ab dem Moment, wo es weiß, dass ein Baby unterwegs ist, erstmal gar keinen Sex mehr”, sagt Melanie.

Und warum? “Das kann sehr verschiedene Gründe haben: Zum einen verändert sich der Körper natürlich wahnsinnig stark und die werdende Mutter treiben viele Fragen um – manchmal entstehen dadurch auch Ängste oder sie fühlt sich gestresst, was ein großer Lustkiller ist. Das erste Trimester ist oft von Übelkeit geprägt, bei manchen kommt die Sorge hinzu, dass dem Kind etwas geschehen könnte. Und im dritten Trimester fühlen sich viele Frauen nicht attraktiv, haben Sodbrennen, die Brust zieht und das Atmen fällt schwer, manche sind vielleicht ein bisschen inkontinent und schämen sich dafür, oder der Sex stimuliert sie einfach nicht mehr.” Vor allem Paaren, die sich abmühen mussten, um schwanger zu werden und über Monate und Jahre Sex nach Plan hatten, vergeht mit der Schwangerschaft schlicht die Lust, nach dem Motto: “Jetzt müssen wir mal nicht“, sagt die Expertin. Und das is alles „normal“, setzt euch also bitte nicht unter Druck!

Wenn ihr euch in der Schwangerschaft so lustvoll fühlt wie selten zuvor und euer Partner mitzieht: Go for it! “Wenn die Schwangerschaft gut verläuft und es keinen medizinischen Grund gibt, Sex zu vermeiden, dann können sich Paare bedenkenlos ihrer Lust hingeben. Dem Fötus kann nichts passieren, er ist in der Gebärmutter gut gepolstert und bekommt, wenn überhaupt, nur ein sanftes Schaukeln mit, das er sogar angenehm findet”, sagt Melanie. Im Zweifelsfall sollte man das einfach mit der Gynäkologin besprechen. Wenn wirklich etwas dagegen spricht, wird sie das erklären.

Wenn die Babykugel die Lust verdrängt

Und was kann man tun, wenn man nicht zu diesen Paaren zählt und einer von beiden in der Schwangerschaft keine Lust auf Sex hat? „Offen und ehrlich miteinander sprechen! Denn es ist eine Ausnahmesituation, und wenn sich beide einig sind, dann muss man ja auch keinen Sex haben. Es hilft, darüber zu reden, welche Wünsche beide Partner haben, darüber, was sie jetzt brauchen. Mütter haben manchmal aufgrund der Hormonlage einen richtiggehenden Ekel vor Berührungen. Wieso sollte man sich dann zu etwas zwingen? Viel wichtiger ist es, einen gemeinsamen Nenner zu finden. Vielleicht stellt man fest, dass Streicheln und Zärtlichkeit jetzt viel angenehmer sind – dann kann man das einfach mehr zelebrieren“, sagt Melanie. Sie plädiert außerdem für ein Ende des Leistungsdrucks im Bett. “Es ist gut, sich davon freizumachen, in irgendeiner Form funktionieren zu müssen. Das Schöne an einer Schwangerschaft für den Sex ist: Er kann sich dadurch entwickeln und verändern! Unsere Sexualität ist nicht statisch, genauso wenig wie wir. Und es kann gut tun, klar zu artikulieren, was man jetzt braucht: Eine andere Stellung, zum Beispiel, wenn sie reitet – denn hier kann sie besser steuern, wie tief der Penis in sie eindringt. Oder von hinten liegend, oder eben gar nicht penetrativ, sondern nur außen an der Vulva mit einem Sextoy, oral oder mit der Hand. Es gibt sehr viele Möglichkeiten!“, sagt Melanie. Das größte Sexualorgan ist die Haut und viele Körperstellen lassen sich genussvoll oder erregend berühren – warum also nicht das eigene Verständnis von dem, was Sex ist, ausweiten, statt immer nur in den gleichen Bahnen zu denken?!

Ängste vor Verletzungen und vorzeitigen Wehen

Und was tun bei folgendem Szenario: Sie hat viel Libido, er sagt: Seitdem ich weiß, dass Du schwanger bist, kann ich einfach nicht mehr mit Dir schlafen, ich möchte Dich in Watte packen? “Diese Ängste gibt es, aber ich kann da wirklich Entwarnung geben. Manche Partner haben Angst, sie könnten ihre Partnerin verletzen. Solange das Eindringen in die Vagina aber sanft und nicht zu heftig geschieht, kann da in der Regel nichts passieren. Andere glauben, dass sie das Kind mit Sex konfrontieren, dem es nicht zustimmen kann, aber auch da hilft es, sich bewusst zu machen: Der Fötus denkt, versteht und urteilt noch nicht wie wir. Er kann nicht begreifen, was wir da tun. Er merkt das Schaukeln, hört gedämpft einige Geräusche. Wenn es uns gut geht, geht es ihm auch gut. Mehr passiert da nicht. Bei manchen Partnern spielt vielleicht auch der Gedanke eine Rolle, dass sie sich der werdenden Mutter nicht zumuten können. Oder die Bilder, die einen kicken, passen auf einmal nicht mehr. Dann kommen Männer an eine Grenze mit ihrer Sexualität. Aber auch hier ist das Schöne: Sie kann sich weiterentwickeln. Bewusst auf den Partner zuzugehen und zu artikulieren, dass man sich Sex mit ihm wünscht, kann helfen, es gibt auch Beratungen – und Sexualtherapeuten oder ‑medizinerinnen können ebenfalls gute Ansprechpartner sein.”

Bei ProFamilia z.B. gibt es kostenlose Beratungsgespräche, auch online. Wenn man einfach erzählen kann, was man gerade erlebt, kann alleine das schon sehr hilfreich und erleichternd sein, zumal man auch ein Feedback von Fachpersonen bekommt. “Sexualität verändert sich ein Leben lang, das Wissen, was wir darüber haben, ist vorläufig, und eine Schwangerschaft kann uns an eine Grenze bringen – es ist eine riesige Herausforderung, aber im besten Fall kann es ein Booster sein“, sagt Melanie. Was für ein wahrer, schöner Satz!

Einfühlsam miteinander sprechen, nicht in eine Dynamik rutschen, in der einer mehr will und pusht und sich am Ende beide verletzt fühlen, in sich selbst hineinhören und sich auch in den anderen hineinversetzen: Paare, die das tun, finden eher einen Weg als solche, die sich voneinander zurückziehen, sagt Melanie. Man kann also wirklich nicht oft genug betonen: Kommunikation ist auch hier mal wieder alles!

Und welche Herausforderungen für Paarsexualität gibt es im ersten Jahr?

Das sagt die Expertin dazu: “Vorab: Eine Geburt ist eine enorme Herausforderung – sowohl körperlich als auch emotional. Und was man oft vergisst: Nicht nur für die Mutter, sondern auch für den Partner, denn meistens sind die Väter heute dabei. Zwar läuft oft alles glatt, wenn es aber zu Verletzungen kommt, dann haben Männer danach manchmal Probleme, sich auf den Sex einzulassen und kriegen die Bilder nicht mehr aus dem Kopf. Bei Frauen kann es andere Faktoren geben, die den Sex erschweren: Dammschnitte, Risse, der Wochenfluss, Schlafmangel, Stillprobleme, der Babyblues. Nicht jede Mutter ist sofort euphorisch und hat ein gutes Bonding mit dem Kind, sondern ist vielleicht erschöpft und zweifelt an sich. Auch das kann die Lust auf Sex mindern. Manche Frauen haben nach der Geburt Schmerzen beim Sex, durch das Stillen ist die Vaginalschleimhaut trockener, oder sie spüren nicht mehr so viel, weil die Vagina sich durch die Geburt geweitet hat. Wenn der Sex im ersten Babyjahr deshalb nicht weit oben auf der Wunschliste ist, dann ist das nachvollziehbar und ja, auch ‚normal’!“

Was kann man aber tun, wenn die Libido flöten gegangen ist? “Viele glauben, dass das biologisch sei, dabei kann es sehr viele verschiedene Gründe haben. Zunächst sollte man sich also auf Spurensuche begeben, denn oft hat es zwar mit der neuen Elternrolle zu tun, aber das muss nicht der einzige Faktor sein. Offen darüber reden, wie die Beziehung gerade ist, darüber sprechen, wie beide Sexualität für sich definieren. In meinen Therapien merke ich, dass häufig eine Tür aufgeht, wenn man fragt: Womit würden Sie sich wohlfühlen? Was wäre schön für Sie?“, sagt Melanie. Und natürlich, das kann man auch nicht oft genug betonen, ist es immer eine gute Idee, sich Hilfe zu holen – denn Sexualtherapie kann in festgefahrenen Situationen viel bewegen.

Porträt von Melanie: Nicki Schäfer
Foto: Andrea Bertozzini