Pleiten, Pech und Pannen: Mein erster Urlaub mit Baby
Wir hatten ursprünglich geplant, in die Toskana zu fahren und unsere Wohnung in der Zeit unterzuvermieten, im Juni. Schon Anfang des Jahres fieberten wir darauf hin, schließlich hört man immer von anderen, wie toll und besonders so eine Elternzeitreise ist. Im Februar äußerte mein Partner erste Bedenken, dass das Corona-Virus uns da einen Strich durch die Rechnung machen könnte, und ich lachte ihn aus. Zwei Wochen später lachte ich nicht mehr. Ja, ich weiß, im Nachhinein wundere ich mich auch über meine Naivität, oder soll man es schon Ignoranz nennen? Wobei wir ja sicher alle kaum Erfahrungen mit Pandemien hatten, bisher. Das Sprichwort “Life is what happens when you are busy making other plans” bekam auf jeden Fall in diesem Jahr ein ungewohntes Gewicht, für uns alle, denke ich. Ein Urlaub, der ins Wasser fällt, ist aber natürlich ein Luxusproblem, das weiß ich.
Wie alle anderen, versuchten auch wir unser Bestes, mit diesem “new normal” umzugehen und vertagten die Gedanken an Urlaub zugunsten des Verarbeitens der Gegenwart. Doch als Italien dann die Grenzen öffnete, flammte der Wunsch nach ein bisschen dolce vita, Aperol Spritz am Abend und faulen Tagen am Strand wieder auf. Wir überlegten, was möglich war (und sinnvoll). Die Wohnung zu vermieten erschien uns mit so wenig Vorlauf und angesichts der sich ständig ändernden Reisebestimmungen und dem Risiko, dass irgendwer der Beteiligten dann doch unter Quarantäne stehen muss, als zu riskant. Das wirkte sich natürlich auf unser Budget aus.
Also planten wir wie folgt: Wir würden nach Erlangen zu meiner Mutter fahren, dort zwei Tage bleiben und dann mit ihrem Wagen an den Gardasee fahren. Dort würden wir eine Woche eine Ferienwohnung mieten, dann zurückkehren, wieder einige Tage bei meiner Mutter wohnen und im Anschluss ein paar weitere Tage bei einer Freundin in der Fränkischen Schweiz verbringen. Dann waren noch einmal zehn Tage bei Mama geplant, ehe wir noch einen Abstecher ins Erzgebirge machen wollten, zum 80. Geburtstag der Großmutter meines Freundes. Dann noch einmal zurück nach Erlangen, das Auto abgeben, packen und mit dem ICE wieder ab nach Berlin.
Erfahrene Eltern ahnen es schon: Viel zu viele Wechsel. Insbesondere die Woche am Gardasee war streckenweise so anstrengend, dass ich dachte, ich muss den Urlaub abbrechen. Das Thermometer kletterte jeden Tag über 30 Grad, was der kleine Jascha überhaupt nicht vertrug, und die ersten drei Nächte schrie er wie am Spieß. Vielleicht waren es auch die Zähne, wer weiß das schon so genau. Aber ich fühlte mich hilflos ausgeliefert und hatte Angst, dass sich das Kind einfach nicht an die neue Umgebung gewöhnt und wirklich jede Nacht nur durchschreit (an Tag 4 wurde es besser). Am zweiten Tag fing ich vor lauter Verzweiflung an, ein Reisetagebuch auf Facebook zu führen, das ich hier mit euch teilen möchte.
Mein Reisetagebuch
Familienurlaub, Tag 2: Um sechs Uhr erwacht, der Mann nahm das greinende Kind und machte sich vom Berg runter ins Örtchen. Vergeblich versucht, wieder einzuschlafen. Stattdessen Lektüre, „Stray“ von Stephanie Danler. Sehr gut, aber auch sehr deprimierend. Zum Teil erbauend, da Autorin mit schwer suchtkranken Eltern gestraft (Gedanke: Wir sind auf jeden Fall bessere Eltern, auch wenn das Kind immer schreit. Noch nimmt hier keiner Crystalmeth!). 3 Kaffee und Cornflakes zum Frühstück. Mann kehrt gg 9 mit Kind zurück. Sportlich! Kind schreit. Kurze Debatte, was wir machen können. Einigen uns auf beliebigen Ort in 15 Minuten Fahrweite. Landen dann einen Ort weiter (Garda), ich war zu langsam, um im ersten Ort einen Parkplatz zu finden. Parken Auto in praller Sonne auf Bezahlparkplatz. Schieben durch die Stadt. Sieht aus wie Malcesine gestern, bisschen anders. Wir sehen eine übergewichtige Familie, Familienoberhaupt trägt ein Shirt mit „Division Südtirol“ in Runenschrift. Nazis gibt’s hier also auch. Schlingen zwei Kugeln Eis, dann haben wir alles gesehen. Kind schläft, wacht allerdings kurz vor Abfahrt wieder auf. Auto zu heiss für Kind. Fahre 5 km mit Klima auf voller Power, um den alten Mazda abzukühlen. Mann schiebt Kinderwagen derweil entlang der Promenade. Langsam scheint er mit dem Ding zu verwachsen. Rückkehr in Ferienwohnung, Mann geht einkaufen. Ich versuche, Kind zu beruhigen. Gelingt nur mäßig. Mann und ich essen Tüte Chips zu Mittag. Das Kind schläft kurz. Herbergsvater inspiziert AC, Sicherung war draußen. Raum nun wieder kalt, Kind trotzdem weiter ungnädig. Weiterer Ausflug in den Ort. Wir bestellen Aperol, das Kind war endlich eingeschlafen. Kaum kommen die Drinks, ertönt Geschrei aus dem Kinderwagen. Ich schiebe um den Block, er trinkt, dann Schichtwechsel. Der Mann schaut mich an und sagt: Ich kaufe mir jetzt Zigaretten.
Familienurlaub, 3. Tag: Ruhige Nacht! Endet leider um 4.15 Uhr, der Mann steht auf. Ich bin zu schwach – das soll sich auszahlen, denn Kind schläft nach Schreianfall dann doch bis 7 Uhr. Ich bin skeptisch: Will Gott mich nur in Sicherheit wiegen, ehe er heute Nacht umso grausamer ist? Als ich aufstehe, stiehlt sich der Mann schuldbewusst in die Wohnung. Was ist passiert? Er raucht jetzt auch morgens wieder. So hat jeder seine Bewältigungsstrategien. Apropos: Zeit für Kaffee. Dann ein kleiner Unfall beim Wickeln. Ich wasche das Kind. Der Mann fragt kurze Zeit später: Ist das Kot im Waschbecken? Grundsatzregel: Es ist immer Kot, wenn man diese Frage stellen muss. Angewiderter Blick. Heute ist es fünf Grad kühler als an allen anderen Tagen, deswegen fahren wir nach Limone. Das Kind schreit ununterbrochen, der Mann fischt nach „Notspielzeug“ im Rucksack. Billige Tricks, Kind ist unbeeindruckt. Wir parken, der Mensch lernt schließlich dazu, im Parkhaus. Ohne Aufzug. Mann bemerkt, dass die Parkplätze für Rollstuhlfahrer im 1. OG nicht so wirklich durchdacht sind. Recht hat er. In Limone soll heute Markt sein. Nach zwei Sekunden steht fest: Alles, was hier vertickt wird, ist hochentzündlich. Wie Tschechien in den 90ern. Allerdings endlich die Lösung des Rätsels, wo viele der Urlauber ihre Kleidung erstehen. Wir ändern unsere Strategie und trinken schon um 10 Uhr einen Spritz. Kind amüsiert sich. Mann überlegt, das pistolenartige Corona-Thermometer, mit dem wir geprüft wurden, ehe wir uns ins Café setzen durften, zu stehlen. Ich wende nichts ein. Er lässt es aber. Kind schreit wieder. Kaufe am einzigen Stand mit Obst am Markt eine Banane. Zwei Sekunden später sind Kind und Kinderwagen mit Bananenschmiere paniert. Mann ist verschwunden. Als ich ihn finde, klagt er über einen Schirm, der ihm auf den Kopf geknallt ist. Ich lache. Er leidet und sagt, er fühlt sich benommen. Sinken am Strand nieder. Nach fünf Minuten steht er wortlos auf. War es das? Was ist los? Eine Ente springt in unsere Tasche. Ach ja, die Banane. Das Kind findet die Ente gut. Ich stehe auf, der Mann hat nur Eis geholt. Später finden wir ein richtig schönes Café und essen gute Paninis. Zur Strafe schreit das Kind die ganze Autofahrt über. Ich probiere es mit der ABBA-CD von Mutti, die im alten Mazda noch rumfliegt. Beim schlechtesten Lied, „Supertrooper“, schläft das Kind endlich ein. Dafür läuft jetzt halt Supertrooper. Später kocht der Mann Nudeln. Er flucht, ich fluche. Das Kind sieht aus, als hätte es Crack geraucht. Seit 6 Stunden wach.
Familienurlaub, Tag 4: Mittlerweile habe ich 20 Mückenstiche, die anderen beiden Familienmitglieder sind komplett unversehrt. Ich wache um 5.45 auf und fühle mich ausnahmsweise auch wach. Der Mann ist schon aufgestanden. Heute bin ich aber mit Laufen dran. Hoffentlich ist er noch da. Gestern versuchte er sich mit der Suggestivfrage: „Vor 7 gehst du doch eh nicht raus?“ einen zusätzlichen Lauf zu erschleichen. Ich stürze mit dem Kind unterm Arm ins Wohnzimmer. Mann lungert noch auf dem Sofa herum. Ich reiche ihm das Kind mit den Worten: „Schenk ich dir!“ Zuverlässig ertönt Geschrei. Ich koche Kaffee, das Kind beruhigt sich. Als ich wenig später entlang der Promenade jogge, fühle ich mich zum ersten Mal in dieser Woche entspannt. Der Gemischtwarenhändler, bei dem ich danach vier Brötchen hole, ist weit über 70 und nennt mich überschwänglich „Amore“. Ich bin emotional fragil und möchte ihn umarmen. Vielleicht brenne ich mit ihm durch? Zumindest wäre durch den Altersunterschied eine zweite Schwangerschaft weitgehend ausgeschlossen. Der Mann freut sich über die Brötchen und ahnt nichts von meinen eskapistischen Phantasien. Er referiert die wichtigsten Nachrichten: Foltercontainer in den Niederlanden entdeckt (darin chirurgische Instrumente, Zahnarztstuhl, diverse Sägen), Murmeltierverzehr-Verbot in China wg Beulenpest, Tierpflegerin von einem Tiger getötet („Ich glaube in Wien.“). Ich fühle mich umfassend informiert. Nach dem Frühstück will ich duschen, doch der Mann macht mir einen Strich durch die Rechnung. Absurderweise hat ihn ein Putzfimmel gepackt. „Vor unserem Schlafzimmer ist eine Ameisenstraße!“, sagt er und schüttelt sich. Tatsächlich haben Himbeerstücke und nicht identifizierbare Krümel, die am Kind klebten und zu Boden fielen, Ungeziefer auf den Plan gerufen. Ich schnalle das Kind in die Trage und fege. Der Mann spült, ein Weinglas geht zu Bruch. Bringt vielleicht Glück? Kind deutlich entspannter heute. Wir lassen das Auto stehen und laufen zum Wasser. Kind schläft. Bislang ein erstaunlich friedlicher Tag. Der Mann sorgt sich: was, wenn es nicht genug Stoff für den Reisebericht gibt? Mir kann es heute nicht unspektakulär genug sein. Als wollte er partout für Action sorgen, zerbricht der Mann am Restauranttisch ein weiteres Weinglas. Der Kellner rückt mit Staubsauger an, ist aber nachsichtig. Wir essen Lachsforelle in Olivenöl, sehr lecker. Das Kind bekommt meine Schlagsahne vom Nachtisch und schreit, als keine mehr da ist. Es ist wirklich mein Sohn, kein Zweifel. Wir lassen den Mann zurück und schieben wieder zum Liegetuch. Kind ist bester Laune und spielt 20 Minuten mit meiner Haarspange, ich komme sogar zum Lesen. Ich mag das Kind. Und den Mann. Sehr. Muss man auch mal sagen. Beim Aperitivo diskutieren wir künftige Urlaubspläne und helfen den Untermietern via WhatsApp mit der Waschmaschine (Kindersicherung versehentlich aktiviert). Der Mann schlägt Usedom als Urlaubsziel vor. „Ich hasse die Ostsee“, sage ich. Wie wäre es mit dem Tegernsee? „Das ist wie hier mit noch mehr Bayern“, sagt er. Wir schweigen. Das Kind schläft wieder. Doch, keine Sorge, auf ihn ist Verlass: Der komplette Zorn, der uns tagsüber erspart blieb, entlädt sich, als wir bei Tisch sitzen (ich habe in 20 Minuten das gekocht, wofür der Mann 60 Minuten gebraucht hat, er pflichtet mir sogar bei!). Nach zwei Löffeln Brei ist es vorbei. Ich gehe mit dem Kind ins Schlafzimmer. Bringt auch nichts, es schreit wie am Spieß. Der Mann kommt mit den Nudeln ins Bett. Wir essen, zwischen uns das schreiende Kind. Schließlich beruhigt es sich, als es eine Nudel probiert. Der Mann sagt: „Wenn wir schon keine Zeit für uns haben, dann sollten wir vielleicht unseren Alltag romantischer gestalten.“ Ich frage, wie genau das aussehen könnte. „Das weiß ich auch noch nicht“, sagt er. Ich antworte: „Klingt gut.“ Auf dem Boden neben dem Bett liegen angebissene Nudeln vom Kind. Eine neue Ameisenstraße entsteht, ganz bestimmt.
Familienurlaub, 5. Tag: 4.15 Uhr, the Hour of the Beast, wieder Geschrei. Anscheinend hat das Kind zu einer Art Rhythmus gefunden. Der Mann verlässt mit den Worten „Für mich ist die Nacht gelaufen“ das Bett. Bisschen dramatisch, aber gut. Kind und ich schlafen bis 7.30 Uhr und danach gewinne ich beim Windelpoker (Der Mann wickelt und erwischt das große Geschäft, die letzten vier Male war’s andersherum). Wir lassen das Auto wieder stehen und nehmen die Fähre nach Gargnano. In unserer Straße sind bunte Fähnchen, was ist der Anlass? „Vielleicht wird ein Fest gefeiert, sobald das schreiende Kind wieder abreist“, sage ich. Der Mann lacht. Kurze Zeit später blökt er allerdings „Dann schrei halt!“, in Richtung Kinderwagen. Die Nerven liegen blank. Am Hafen spielen wir Kitzeln mit dem Kind und taufen ihn „Signore Speck di Berlino“. An Bord der Fähre wird wieder per Pistole Fieber gemessen. Sichtliche Faszination beim Mann. Gargnano auf der Westseite sieht super aus – wurde uns auf Facebook sogar empfohlen – warum um alles in der Welt haben wir uns für Brenzone entschieden? Der Mann sagt: „Ich weiß genau, wie es war: Das Kind hat geschrien, du hattest 20 Tabs im Browser auf und irgendwann haben wir unsere Unterkunft und die Olivenbäume gesehen und einfach ‚buchen‘ geklickt.“ Ja,so war es. Wir müssen noch viel lernen. Bzw. ich. Wir laufen am Ufer stadtauswärts Richtung Strand und fühlen uns etwas mehr in Italien als auf der Ostseite. Gargnano war früher Kurort der Habsburger und erinnert mich an Karlsbad, bisschen Pomp, bisschen verblichener Glanz. Kind schläft. Am Strand springt jeder kurz ins Wasser und dann geht’s zügig zu einer Trattoria, die vielversprechend aussah. Wir speisen wie Könige, der Mann inhaliert Bigoli und eine ganze Forelle, ich Ravioli und Fischfrikadellen. Das Kind nagt an der Grisini-Folie, die es deutlich spannender findet als das Grisini. Auf dem Weg zurück in die Stadt trinken wir einen Spritz auf der Terrasse des Hotel Gardenia di Lago. So hatte ich mir Urlaub eigentlich immer vorgestellt: prunkvoll untergebracht sein, Frühstück mit Seeblick, toller Service. „Ein geborener Gastgeber“ sagt der Mann anerkennend Richtung Kellner, und ich glaube, das liegt vor allem an der riesigen Schale Nüsschen, die zum Drink gereicht werden.
Das Hotel hat einen privaten Steg und einen schattigen Garten mit Liegen für die Gäste. Es ist fabelhaft. Und recht teuer – wie wir feststellen, als wir überlegen, spontan hier zu übernachten. Das Kind, als könne es Gedanken lesen (neues Bett, alles wieder ungewohnt, bloß nicht!) setzt zu ohrenbetäubenden Schreien an. Im Garten liegt ein Pärchen mit einem friedlich spielenden Baby in Jaschas Alter, die Mutter liest die „Women’s Health“ und trägt flachen Bauch zum Bikini. Frechheit, nichts wie weg. Am nächsten Strand googelt der Mann nach Fieberpistolen und erwägt eine Anschaffung. „Dann muss man nicht mehr rektal messen“ sagt er und ich frage nicht weiter nach. Heute gibt’s nicht wirklich was zu frotzeln, der Lago ist sehr türkis und ich weiß jetzt, wo die Klassenkameraden immer waren. Eine Migrantengeneration nach meinen Eltern kann ich mir das alles leisten. Überhaupt ist Reisen für alle erschwinglicher geworden als damals, und das ist, trotz „Easy-Jet-Prekariat“, auch nicht nur schlecht. Ich denke ein bisschen wehmütig darüber nach, dass die nervigen Tage von heute die schönen Erinnerungen von morgen sind, die „Weißt du noch, damals?“-Momente, ich denke an Falten und graue Haare und die unerbittliche Schwerkraft, daran, dass das Kind jetzt schon einen Zahn hat und vor einem Jahr noch nicht mal auf der Welt war, daran, wie schnell es dann doch manchmal geht, dieses Leben. Vielleicht werde ich auch einfach nur langsam alt.
Familienurlaub, 6. Tag: Schreianfall heute um 3.20, bloß nicht vorhersehbar werden! Der Mann ist schon vom Joggen zurück und leicht verkatert, als ich mich gegen 6:30 mit dem Kind aus dem Bett quäle. Letzter Tag vor Abreise, langsam haben wir uns eingelebt.Der Mann hat ein Ausflugsziel ausgemacht, einen Aussichtspunkt in den Bergen. „Nur eine Viertelstunde mit dem Auto!“, wirbt er für seine Idee. Zehn Minuten später ruckeln wir im 20 Jahre alten Mazda mit 15 km/h im 1. Gang einen Berg mit 14 Prozent Steigung hoch. Die Straße ist schmal, Gegenverkehr darf es jetzt bitte keinen geben. Unter uns geht’s in die Tiefe und ich habe Panik. Ich beschimpfe den Mann, das hilft im Zweifel immer erstmal bei der ersten Wut, er beschwichtigt: „Sieht nur halb so schlimm aus wie es ist.“ Ich kontere: „Sagt der Typ, der sogar in Brandenburg beim Anfahren absäuft“. Wunder Punkt, der Mann kann nicht wirklich Autofahren. „Danke, dass du mir das immer wieder vorhältst“, sagt er. Vielleicht schaffen wir es mit unseren Dialogen in einen Beziehungsratgeber als abschreckendes Beispiel? Als wir oben ankommen, ist mir die Laune für eine Wanderung vergangen, das Kind hat keinen Sonnenschutz und das Auto steht hier wieder in der Hitze. Also wieder runter. Trotz allem Versöhnung. Und: keine Experimente mehr. Wir laufen ans Wasser zum Stammplatz im Schatten. Mittags läuft der Mann wieder zur Unterkunft, weil er darauf besteht, eine angebrochene Packung frische Nudeln aufzubrauchen. Kind und ich essen Bruschetta am Hafen. Später sehen wir einen toten Fisch im Wasser. Nach dem letzten Schwimmen im See sind wir etwas wehmütig: vielleicht doch noch ein paar Nächte dranhängen? Aber wir beschließen, das Schicksal nicht herauszufordern. „Man soll gehen, wenn’s am Schönsten ist“, sagt der Mann. Beim Aperitivo erzählt er von seinem morgendlichen Lauftempo (4:34 min/km) und schaut kokett zu mir. „Soll ich richtig beeindruckt sein?“, frage ich. Er nickt. Ach ja, das männliche Ego. Wir essen eine Pizza zum Abschied und schieben ein letztes Mal den Kinderwagen (darin das Kind und 6 frischgekaufte Flaschen Wein) 900 Meter den Berg hoch. Es sind immer noch 32 Grad. Oben angekommen fühle ich mich… urlaubsreif. Aber erstmal müssen wir morgen 600 km fahren. Uff.
Man beachte auch die Dissonanz zwischen den traumhaften Bildern und dem Content, haha. Am 7. Tag führte ich kein Tagebuch mehr, denn da fuhren wir die 600 Kilometer auch schon bei strömendem Regen zurück und waren erleichtert, als wir endlich aus dem Auto stolperten. Meine Mutter machte ein Foto von uns, natürlich ist ein Teil ihres Fingers auf der Aufnahme. Jascha war erleichtert. Endlich normale Temperaturen!
Doch auch ohne die Hitze blieb der Urlaub streckenweise eine Herausforderung, und ich begann, mich zu fragen, wieso. Das Zauberwort lautete hier, wie so oft: Erwartungen. Sowohl mein Freund als auch ich hatten uns einfach nicht wirklich damit auseinandersetzt, wie man einen Urlaub mit Baby sinnvoll gestaltet. Das klingt so banal, aber ich lese immer wieder von (Erst)-Eltern, denen es ähnlich geht. In Zukunft würde ich in jedem Fall darauf achten, den Ort nach Möglichkeit nicht zu wechseln, mich im Zweifel auch eher für ein Hotel zu entscheiden, damit man wenigstens nicht ständig aufräumen muss, und ich würde mich von der Erwartung frei machen, dass sich das Ganze besonders erholsam anfühlen wird.
Aber was hilft ist, dass es eben diese Momente, und auch, vielleicht sogar ganz besonders die Pannen, sind, aus denen etwas entsteht, das man vielleicht eine gemeinsame Familiengeschichte nennen könnte. Denn der Alltag verfliegt so schnell, dass man vieles nicht wirklich festhalten kann, er fließt vorbei, das merke ich schon jetzt. Und manchmal kann man nicht so genau sagen, ob etwas einen Monat oder schon ein Jahr her ist.
Urlaube sind wie Anker, fixe Punkte, die auch mit Jahrzehnten Abstand noch im Gedächtnis bleiben und dazu führen, dass man vor Lachen laut losprustet. Das, was bleibt, ist dann eine gewisse Nostalgie, selbst für die schrecklichsten, anstrengendsten Momente. Und das ist vielleicht sogar mehr wert als Erholung.