Kinderhaben anderswo: Julia in Südafrika
Mein Weg nach Südafrika
Meinen ersten Kontakt mit Südafrika hatte ich während meines Ethnologie-Studiums in Frankfurt. Schon damals hat mich das Land, seine Apartheid-Vergangenheit und komplexe Gegenwart sehr interessiert. Den ersten ‘echten’ Kontakt mit dem Land und seinen Leuten hatte ich dann während eines Praktikums bei einer sozialen Organisation in Kapstadt, genauer gesagt in Mitchells Plain, einem Teil der sogenannten Cape Flats. Der Stadtteil liegt an der Küste im Süden Kapstadts und wurde während der Apartheid für die ‘Coloureds’ erbaut. Gefühlt war ich damals die einzige Weiße dort und auch wenn ich sehr herzlich empfangen und betreut wurde, habe ich zum ersten Mal erfahren, wie es ist, sich als Fremde oder Außenseiterin zu fühlen. Wenn ich nach einem Besuch in Kapstadt am Bahnhof ein Ticket nach Mitchells Plain gekauft habe, wurde ich immer wieder gefragt, ob ich auch ganz sicher sei, dass ich dort hinwolle. Mitchells Plain hat eine hohe Arbeitslosenquote und ist bekannt für seine Kriminalität sowie den Alkohol- und Drogenkonsum, von dem auch viele Kinder, mit denen wir zusammengearbeitet haben, in ihrem familiären Umfeld betroffen waren. Die Tatsache, dass ich bei einer Gastfamilie gewohnt habe, hat es mir aber ermöglicht, einen Einblick in das Leben dort zu erhalten, fernab jeder Vorurteile und Klischees. Nichtsdestotrotz war ich froh, nach einigen Monaten wieder in mein Frankfurter Studentenleben zurückkehren zu können.
Schon damals schien mir das Leben in Südafrika oftmals ‚anstrengend’ im Vergleich zu meinem deutschen Leben. Vielleicht komplexer, vielleicht näher an dem, wie es in vielen Ländern dieser Erde aussieht und zugeht, aber eben auch ab und an belastend.
Im Jahr 2010 habe ich dann während eines Forschungsaufenthaltes für meine Doktorarbeit meinen Freund, Thiresh, kennengelernt, der hier in Johannesburg selbständig als Architekt und Stadtplaner arbeitet. Die ersten Jahre unserer Beziehung sind wir viel zwischen Johannesburg, Frankfurt und Konstanz, wo ich einen Job an der Uni hatte, gependelt. Auch heute würde ich sagen, hat jeder von uns einen Fuß in beiden Ländern. Noch immer reisen wir viel zwischen Deutschland und Südafrika und versuchen das Beste aus beiden ‚Welten’ mitzunehmen.
Geburt
Unser Sohn Yona ist 2014 in Frankfurt auf die Welt gekommen und hat seinen ersten Langstreckenflug schon mit sieben Wochen gemeistert. Ehrlich gesagt waren das bis zu seinem ersten Lebensjahr immer die einfachsten Flüge. Bei Start gestillt, bei Landung aufgewacht. Mit seinem wachsenden Bewegungsdrang wurden die Flüge dann etwas turbulenter und mittlerweile kann er sich gut mit Büchern oder dem iPad beschäftigen.
Ich war sehr froh über die Entscheidung, Yona in Deutschland auf die Welt zubringen, wo wir die Unterstützung meiner Familie hatten und mir das Gesundheits- und Geburtssystem vertraut war.
Wir erwarten im Juli dieses Jahres unser zweites Kind und nach vielem Hin und Her und Pro und Contra haben wir uns auch dieses Mal entschieden, dass das Baby wieder in Deutschland auf die Welt kommen soll. Ich habe mir hier in Johannesburg einige Kranken- und auch Geburtshäuser angeschaut, wobei ich nach dem ersten Besichtigungstermin den Tränen nah war. Das war so ganz anders, als das, was ich aus Deutschland kannte: der Kreißsaal war ein weiß gekachelter, nüchtern und kalt wirkender Raum mit grellem Licht. In den Privatkliniken sind die Kaiserschnittraten vergleichsweise hoch und natürliche Geburten sind weniger populär. Das spiegelt sich in den Kreißsälen wider. Umso eindringlicher wurden während der Besichtigung die Standards der verschiedenen Privatzimmer erklärt bis hin zum privaten Massage- und Essenslieferservice. Den deutschen Kreißsälen am ähnlichsten schien mir das Geburtshaus, das viel Wert auf natürliche Geburtshilfe und eine angenehme Atmosphäre legt. Viele meiner Freundinnen hier haben es aus genau diesem Grund gewählt und sich noch zusätzlich eine private Hebamme und auch Doula zur Unterstützung genommen. Generell ist es hier so, dass der Arzt, der einen während der Schwangerschaft betreut hat, dann auch während der Geburt im Krankenhaus anwesend ist. Je nach Klinik kommt es aber darauf an, ob andere Mediziner, wie Kinderärzte und Anästhesisten 24 Stunden vor Ort sind oder nur Bereitschaftsdienst haben und so wurde auch mir erklärt, dass es schwierig werden kann, nach 23 Uhr noch einen Anästhesisten für eine PDA zu bekommen. Auch wenn die medizinische Versorgung hier sehr gut ist, scheinen mir die Krankenhäuser im Bereich der Geburtshilfe sehr ‚konservativ’ und altmodisch zu sein und zu denken.
Kindererziehung
Die Umstellung mit Baby in Johannesburg fiel mir zuerst recht schwer. Viele Familien der sogenannten Mittel- und Oberschicht haben hier eine Vollzeit-Nanny, ob beide Eltern arbeiten oder nur ein Elternteil, spielt dabei eigentlich keine Rolle. Welche Aufgaben die Nanny in der Kinderziehung übernimmt, ist ganz unterschiedlich und reicht von quasi ‚Tagesmutter’ bis hin zu Ersatzmutter, die sich um Frühstück, Freizeitbeschäftigung und das allabendliche Baderitual kümmert. Oftmals wohnt die Nanny mit auf dem Grundstück der Familie in einem kleinen Haus oder Zimmer im Garten, hier backyard room genannt und ab und an nimmt die Familie sie auch mit in die Ferien, damit sie sich auch dort noch um die Kinder kümmern kann. Elterliche Pflichten werden hier gerne mal ‚outgesourct’.
Ich erinnere mich an einen Moment im Drogeriemarkt, als eine Frau auf mich zukam und fragte, ob ich nicht noch eine Nachtnanny bräuchte. Ich war etwas überrascht und hatte keine Ahnung, was das sein sollte. Tatsächlich ist es so, dass es hier Familien gibt, die auch für nachts eine Nanny engagieren, die den Babys oder Kleinkindern die Flasche gibt und sie wickelt. Auch die meisten unserer Freunde haben mehrmals die Woche eine Putzfrau und eine Nanny. Das hängt mit zweierlei Dingen zusammen, zum einen mit der Tatsache, dass viele Frauen hier schon kurze Zeit nach der Geburt wieder arbeiten gehen: Mutterschutz gibt es nur in den großen Firmen oder z.B. an Universitäten, von Elternzeit ganz zu schweigen. Auch die Arbeitszeiten sind relativ unflexibel und es gibt sehr wenige Teilzeitstellen. Zum anderen liegt es aber auch an den vergleichsweise sehr geringen Löhnen, die Frauen in diesem Sektor (oder auch Männer als Gärtner z.B.) verdienen. Im Durchschnitt würde ich sagen zwischen 4000 bis 6000 Rand, also ca. 295€ bis 443€ im Monat für eine Vollzeitstelle. Davon müssen alle Lebenshaltungskosten gezahlt werden sowie oftmals noch weitere Familienmitglieder und eigene Kinder unterstützt werden. Die Kinder dieser Frauen bleiben nicht selten bei Verwandten auf dem Land und sie können Sie nur in den Ferien besuchen.
Sicherlich ist das auch ein großer Luxus, jemanden zu haben, der sich um den Haushalt und auch das Baby kümmert, ich tue mich aber immer noch immer schwer damit, ständig jemanden zu Hause zu haben und so haben wir uns erstmal gegen einen Nanny entschieden. Allerdings war das auch bisher gar nicht notwendig, da Yona lange mit mir zu Hause war und dann in eine Spielgruppe bzw. Kindergarten kam. Es kommt allerdings nicht selten vor, dass wir unter der Woche auf dem Spielplatz nur von Nannies umgeben sind, Mütter sieht man eher selten. Aber alles braucht eben Zeit und mittlerweile habe ich auch einige sehr nette Mütter mit Kindern in Yonas Alter im Freundeskreis.
Stillen und Beikost
Mit dem Stillen und der Beikost ist das wie mit vielem in Südafrika: es kommt auf die Person, die Kultur und die finanziellen Umstände an. Ich habe im Bekanntenkreis weiße Freundinnen, die ihre Kinder mit zwei oder sogar drei Jahren noch stillen, die sich sogar aktiv für verschiedene Stillkampagnen engagieren. Wieder andere stillen ihre Kinder ganz früh ab, weil sie wieder arbeiten gehen müssen und nicht abpumpen können oder wollen. Viele schwarze Frauen würden ihre Kinder traditionell eher lange stillen, können aber nicht, weil sie die Babys schon früh bei der Großmutter zurücklassen müssen, um wieder in Johannesburg zu arbeiten. Milchpulver ist hier extrem teuer und somit wird es für viele zur Notwenigkeit, ihr Kind lange genug stillen zu können.
Manche stillen auch länger und oft recht freizügig, je nachdem wo sie gerade sind. Man sieht Stilltücher, mit dem sich Mutter und Kind bedecken oder entblößte Brüste, an denen Kinder trinken. Auch mit der Beikost läuft das wenig dogmatisch. Man macht, was auch immer man für sinnvoll und machbar hält. Mit Yona haben wir das recht deutsch gehalten, hier essen Kinder auch unter Umständen schon früh mit, was auch immer auf den Tisch kommt.
Im Allgemeinen ist die Ernährung hier jedoch weniger gesund oder weniger bewusst als in Deutschland, finde ich. Kinder bekommen schon früh Limo oder auch mal Cola, was ja bei uns eher unvorstellbar ist. Sicherlich hat das auch etwas mit dem sozialen Hintergrund zu tun, aber auch Schulen verkaufen hier schon solche Getränke, Chips und Süßigkeiten an die Jüngsten.
Joburg, Jozi, Egoli
So viele Spitznamen, wie Johannesburg hat, so facettenreich ist es auch. Es gibt nicht DAS Johannesburg, sondern ganz viele verschiedene. Das liegt zum einen an den vielen unterschiedlichen Kulturen, die hier zusammenkommen, zum anderen auch an den so sehr ungleichen Einkommensverhältnissen und den damit verbundenen Lebensbedingungen, denen Menschen sich hier gegenübersehen. Südafrika hat eine der höchsten Ungleichheitsraten der Welt und das sieht man an jeder Straßenkreuzung, an jeder Ecke, man wird täglich daran erinnert. Die Armut, die ich hier sehe, habe ich in Deutschland so nie gesehen. Hier gibt es kein soziales Auffangnetz. Wenn man seinen Job verliert und seine Miete nicht mehr zahlen kann, landet man auf der Straße. Man lebt von dem, was einem die Autofahrer im Passieren überlassen. Das können mal ein paar Cent sein, ein Apfel oder auch mal eingepackte Reste aus dem Restaurant. Es ist hier ganz selbstverständlich, dass man im Lokal darum bitten kann, dass das Essen eingepackt wird. Da schaut keiner komisch und in Anbetracht der Not hier finde ich das auch nur sinnvoll, jemandem noch eine halbe Pizza oder Pommes zu überlassen, bevor es weggeworfen wird. Frauen, die als Haushaltshilfen oder Nannies arbeiten und zum Beispiel in der Innenstadt leben, mieten oft ein Zimmer einer Wohnung und niemals die komplette Wohnung, das wäre unbezahlbar, gemessen am Gehalt. Somit sind Wohnungen oft überfüllt, weil sich pro Zimmer eine Familie findet.
Die Wohlhabenden Johannesburgs stellen ihren Reichtum gerne zur Schau, von sämtlichen internationalen Mode-Top-Designern, über jede nur denkbare Luxus-Automarke, sieht man hier alles und man sieht es recht häufig. Dass dieses Wirtschafts- und Wohlstandszentrum der Stadt nur ca. sieben Kilometer von einem der ärmsten Townships des Landes – in dem Menschen in Wellblechhütten, ohne fließendes Wasser und zwischen Ratten leben – entfernt liegt, ist keine Seltenheit und findet sich auch in anderen südafrikanisch Städten. Diese Unterschiede aushalten zu können und einen Weg zu finden, damit umzugehen, muss man lernen. Und somit kann neben den durchaus angenehmen Umständen, die ein Leben in Südafrika zu bieten hat (Haushaltshilfe, viel Platz, sehr sehr gutes Wetter), der Alltag auch manchmal kräftezehrend und anstrengend sein.
Wie wir hier leben
Die Reaktion vieler Touristen, Familienmitglieder und Freunde auf Johannesburg variiert zwischen Entsetzen und Besorgnis. Johannesburg gilt als gefährlich, nicht immer zu Recht. Aber sicherlich hat unser Leben hier andere Dimensionen, die einem nach einiger Zeit gar nicht mehr so bewusst sind: hohe Mauern, Elektro-Zäune, privates Sicherheitspersonal in den Vororten oder Shopping-Malls. Beim Autofahren bleiben die Türen verschlossen, in Innenstadtnähe auch die Autofenster.
Als wir zu Hause mehr Platz brauchten und uns nach neuem Wohnraum umgeschaut haben, war für mich klar, dass ich auf keinen Fall in ein freistehendes Haus oder ins Erdgeschoss ziehen möchte. Da war ich dann doch zu ängstlich und hab schon zu oft von Freunden gehört, dass sie trotz Mauer und Alarmanlage mit Bewegungsmelder Einbrecher auf dem Grundstück oder im Haus hatten. Einen ‚Panic-Button’ im Schlafzimmer oder auch am Schlüsselbund zu haben ist hier ganz normal. Mit diesem Knopf signalisiert man der privaten Sicherheitsfirma, die man zusätzlich engagiert, um in der Nachbarschaft und vor dem Haus zu patrouillieren, dass es unter Umständen ernst ist und man schnell Schutz oder Hilfe braucht. Meistens ruft diese Firma dann auf dem Handy an und sollte man sich nicht melden und Entwarnung geben, sind sie innerhalb weniger Minuten vor Ort.
Ich finde das ganze System trotzdem wenig beruhigend und wir wollten nicht jedes Mal über verschiedene Alarmeinstellungen nachdenken müssen, wenn wir zu Hause sind oder das Haus verlassen. So haben wir eine schöne und große Wohnung mit Balkon im 3. Stock gefunden. Hier fühle ich mich sicher und mache mir auch keine Gedanken, wenn mein Freund mal beruflich unterwegs ist. Für viele Südafrikaner ist es allerdings eher ungewöhnlich, mit Kindern noch in einer Wohnung (auch wenn sie 150 qm hat) zu wohnen. Viele sind hier an große Gärten, Swimmingpools, manchmal sogar eigene Tennisplätze gewöhnt. Für mich als Europäerin ist das eher normal und wir sind eben an den Wochenenden viel draußen in Parks, von denen es hier sehr viele und auch sehr schöne gibt.
Ansonsten findet das meiste unseres Tagesablaufs mit dem Auto statt. Yona wird von seinem Papa morgens zur Spielgruppe gebracht, die je nach Verkehr 15 bis 20 Min. Fahrtzeit entfernt ist und ich hole ihn dort mittags wieder ab, wir beide verbringen also jeweils nur mit der Kindergarten-Tour eine gute Stunde im Auto. Es gibt Kindergärten, die wesentlich näher an unserem Wohnort gewesen wären, allerdings sind die meisten Angebote im Rahmen der Kinderbetreuung und auch –bildung privatisiert, sodass man gut wählen muss, da es immense Unterschiede gibt. Von der reinsten Kinder-Trimm-Akademie, in denen schon die Kleinkinder Chinesisch lernen zu Montessori oder Reggio-Angeboten. Wir haben uns erstmal für einen Montessori-Kindergarten entscheiden, aber je nachdem, wie sich die Zukunft entwickelt, wird Yona die Deutsche Schule besuchen.
Viele Angebote für Kinder sind hier private Franchise Unternehmen und keine städtischen oder gemeinnützigen Angebote. Als mein Sohn noch zu Hause war, hatte ich wie auch schon in Konstanz nach verschiedenen Angeboten gesucht, um in Kontakt mit anderen Müttern zu kommen, damit er auch andere Babies um sich hatte. Allerdings waren das immer recht kurz getaktete Angelegenheiten, bei denen das Programm durchgezogen wurde und Mütter nur selten miteinander sprachen. Vieles scheint mir noch kompetitiver, als das manchmal schon in Deutschland der Fall sein kann – schon Babys im Alter von wenigen Monaten bekommen Zeugnisse über ihre Teilnahme und Fortschritte ausgestellt. Südafrikanische Freunde haben mir das damit erklärt, dass viele der heiß umworbenen Privatkindergärten und später -schulen, strenge Aufnahmeverfahren haben und neben der Zahlkräftigkeit der Eltern jedes Dokument und jeder absolvierte Kurs zählt.
Unser Freundeskreis
Unser Freundeskreis ist vollkommen bunt gemischt: schwarze, weiße, indische Südafrikaner, Amerikaner, Deutsche, Äthiopier. Zum einen hat das mit unser beider beruflichem Umfeld zu tun, das einfach sehr gemischt ist, zum anderen mit Johannesburg, in dem die Berufs- und Aufstiegschancen viel durchlässiger sind als z.B. in Kapstadt (zumindest erklären mir das Kapstädter immer wieder so). Johannesburg ist seit jeher nicht nur das Wirtschafts- sondern auch Migrationszentrum Südafrikas. Ob Finanz- oder Kreativindustrie, wer sich beruflich weiterentwickeln möchte, kommt hierher (und natürlich auch all jene, die einfach auf der Suche nach einem besseren Leben sind und von ganz Afrika nach Johannesburg kommen). Somit liefert Johannesburg ein hoffentlich realistischeres Bild als viele andere südafrikanische Städte: wie schon erwähnt, ist die Stadt recht segregiert, aber eben nicht unbedingt nach Hautfarbe sondern nach sozialer ‚Schicht’. Das Geld liegt in schwarzer, weißer, asiatischer Hand und das spiegelt sich in den Restaurants, im Kino und den Malls wieder.
Auch Yonas Kindergarten ist vollkommen gemischt, sowohl was die Hautfarbe als auch die Religion betrifft und hat einen recht hohen Anteil an sogenannten bi-nationalen Familien, zu denen ja auch wir gehören. Dass Yona Eltern unterschiedlicher Hautfarbe hat, findet hier sicherlich noch mehr Beachtung als in Deutschland, aber auch das kommt hier mittlerweile schon häufiger vor.
Was mir gefällt
Zeit
Es gibt ein Sprichwort, das besagt, die Europäer haben die Uhr, die Afrikaner die Zeit und das stimmt auch. Die Südafrikaner nennen das now now. Das kann quasi alles bedeuten von jetzt gleich zu etwas später zu wann auch immer. Hier läuft alles einen Takt ruhiger und entspannter, zumindest im Privatleben. Zu Geschäftsterminen sollte man natürlich trotzdem pünktlich erscheinen, aber wenn man um 18h30 zum Abendessen eingeladen ist, dann kommt man besser nicht vor 19 Uhr, da selbst die Gastgeber dann noch nicht bereit sind. Oft ist es auch so, dass man dann um 19 Uhr erst anfängt zu kochen und gegessen wird wesentlich später. Als ich in Kapstadt zum ersten mal zu einem Braai (Grillen) eingeladen war, bin ich mit ordentlich Hunger gekommen und gegessen wurde dann erst vier Stunden später, nachdem ich mich schon mit Snacks vollgestopft hatte. Mittlerweile gehe ich selten hungrig zu einer Einladung. Viel wichtiger als das Essen ist ja auch das Beisammensitzen und Reden und das wird hier voll ausgekostet.
Das wunderbare Essen
Die meisten, die schonmal in Südafrika waren, werden bestätigen können, dass das Essen hier im Durchschnitt ausgesprochen gut und glücklicherweise auch ausgesprochen bezahlbar ist. Ob Steaks, Salate, italienisch, japanisch, kapmalaiisch, es gibt hier alles und im Vergleich zu Deutschland gönnen wir es uns auch viel öfter, uns Essen zu holen oder essen zu gehen. Grundnahrungsmittel wie Brot, Milch, Mehl etc. finde ich aber vergleichsweise teurer. Ein Liter Milch kostet so viel wie in Deutschland die Biomilch, aber das Durchschnittseinkommen ist ja viel geringer. Ein günstiges Nahrungsmittel, von dem sich viele Schwarze ernähren, ist Pap, ein Maisbrei der gut sättigt und günstig ist.
Das kulturelle Angebot
Als ich 2007 das erste Mal nach Johannesburg kam, fand ich die Stadt mindestens so spannend wie Berlin (das ich zugegebenermaßen nicht gut kenne, aber in meiner Vorstellung kam es dem gleich). Wenn man erstmal die richtigen Läden und Galerien kennengelernt hat und vernetzt ist, dann findet sich immer irgendwo eine Lesung, eine Diskussionsrunde oder Ausstellungseröffnung. Mittlerweile gibt es auch ein Event, ‚First Thursdays’, bei dem an jedem ersten Donnerstag des Monats Galerien, Läden, Cafés und Bars länger geöffnet haben und Live-Musik und Food-Trucks bieten. Ein gelungener Versuch, den öffentlichen Raum wieder zurückzugewinnen. Auch Märkte mit Vintage Klamotten, leckerem Essen, Schmuck und vielfältigen kreativen Angeboten sind hier im Moment total beliebt und finden eigentlich an jedem Wochenende statt.
Viele unserer Freunde kommen aus der Kreativ- und Künstlerszene und sind genau aus diesem Grund nach Johannesburg gekommen. Man ist hier am Puls der Zeit. Johannesburg, mit all seinen Problemen und Herausforderungen, bewegt sich rasant. Das mitzuerleben und im besten Fall zu formen, ist für viele Ansporn, sich auf die Stadt einzulassen.
Weniger Hierarchie
Schon zu Zeiten meiner Forschung ist mir aufgefallen, dass jede Email, die ich mit der Bitte um ein Interview abgeschickt habe, mit einer positiven Antwort zurückkam. Ob hohe Offizielle der Stadt oder bekannte Künstler, jeder hat sich Zeit genommen. Das war in Deutschland immer viel schwieriger. Sicherlich ist die ‚Szene’ hier relativ klein, aber nach nur kurzer Zeit war ich (zumindest akademisch) gut vernetzt und die meisten dieser Kontakte bestehen bis heute fort.
Und man nennt zum Beispiel auch Ärzte teilweise beim Vornamen, was ich ganz befremdlich finde.
Braai
Fleisch ist das Brot der Südafrikaner, aller Südafrikaner. Gegrillt wird hier immer, zu jeder Jahreszeit und jeder Tageszeit. Viele Häuser haben sogar einen eingebauten Grill, der eigentlich aussieht wie ein Kamin und mittlerweile finde ich es auch total gemütlich und gesellig, zusammen einen Salat oder Kartoffeln vorzubereiten, während die Männer das Feuer starten und später das Fleisch auf den Grill legen.
Das gute Wetter
Johannesburg hat wirklich ganz fantastisches Wetter. Es regnet eher selten und wenn dann mal am Nachmittag mit einem so genannten Highveld-Storm. Selbst im südafrikanischen Winter, wenn es nachts kalt wird, weil Johannesburg so hoch liegt (auf 1750m), wird es tagsüber warm und angenehm und wir haben fast immer blauen Himmel und Sonnenschein.
Freundlichkeit
Die Südafrikaner sind unglaublich freundlich und kinderlieb. Im Restaurant ist es nicht unüblich, dass ein Kellner unseren Sohn auch mal mit hinter die Bar nimmt oder mit ihm durchs Restaurant läuft und ihn beschäftigt. Grundsätzlich gibt es hier viel mehr Personal als bei uns, dadurch sind die Bedienungen auch nicht so im Stress und lassen sich durch Kinder nicht aus der Ruhe bringen. Kinder sind immer willkommen und man wird oft auf der Straße oder im Café in ein kurzes Gespräch verwickelt. Yona, der ein recht wildes und aktives Kind ist, hat hier viel mehr Freiheiten als er es in Deutschland hätte. Da fühle ich mich manchmal richtig unter Druck, wenn er im Einkaufszentrum oder Café rumrennt und ich ihn irgendwie bändigen muss.
Es ist auch gar nicht ungewöhnlich, dass Eltern ihre Kinder bettfertig machen und sie dann ins Restaurant mitnehmen, sodass sie sie, falls sie auf dem Heimweg einschlafen, gleich ins Bett legen können. Die Kinder haben dann schon ihren Schlafanzug und Bademantel an und sitzen so im Lokal.
Safaris
Landschaftlich wäre ja Kapstadt mein Traum, aber Johannesburg hat den Vorteil der Safaris. Nur 2,5 Autostunden entfernt liegt ein sehr schöner Safaripark und Giraffen, Elefanten und Zebras in freier Wildnis zu sehen, ist natürlich was ganz Besonderes. Vor kurzem waren wir übers Wochenende in Limpopo, einer Provinz Südafrikas, und hatten dort im Garten wilde Affen… wo hat man das sonst schon?
Der offene Umgang mit Religion
Dies ist einer der Aspekte, der mich an Südafrika immer fasziniert hat: In Kapstadt gab es Busfahrer mit Fez, Yonas Spielgruppenleiterin trägt Kopftuch, freitags laufen die Juden mit Kippa durch die Straßen zur Synagoge. Sonntags sieht man Anhänger verschiedener afrikanischer Kirchen in ihren Uniformen zu den Versammlungsorten laufen. Mit Religion wird hier ganz offen und frei umgegangen. Auch wenn die offiziellen Feiertage nach dem christlichen Kalender gelegt sind, bedenkt man immer die Feiertage anderer Religion und auch schon im Kindergarten lernen die Kleinsten etwas darüber.
Kulturelle Vielfalt
Die kulturelle Vielfalt und die Freiheit, die damit einhergeht, empfinde ich als unglaublich positiv. Hier kümmert es im Allgemeinen recht wenig, wie man auf die Straße geht, ob die Frisur sitzt, was man anhat. So sieht man am Wochenende schon mal afrikanische Frauen im Morgenmantel im Supermarkt und mit Frisiertuch auf dem Kopf, Kinder rennen barfuß oder in Hausschuhen durch die Mall oder das Restaurant. Das war am Anfang etwas befremdlich, mittlerweile habe ich mich aber daran gewöhnt und sehe es ganz locker. Jeder nach seiner Couleur.
Mit Kindern läuft das ähnlich. Man trägt sie auf dem Arm, auf dem Rücken in ein Handtuch gewickelt, in der Babytrage oder seltener schiebt man sie auch mal im Kinderwagen. In Deutschland fand ich das ganz komisch, als Thiresh unseren wenige Wochen alten Sohn auf dem Arm durch die Stadt getragen hat, hier fällt mir das gar nicht auf. Jeder so, wie er denkt und kann. Traditionell tragen die südafrikanischen Frauen ihre Babys auf dem Rücken, von einem Handtuch gehalten und dann noch mit einer Decke oder einem Tuch umwickelt. Im Allgemeinen wird hier mit Kindern nicht so übertheoretisiert und aus ganz praktischen Gründen kann sich die Mehrheit hier auch nicht so viele Gedanken um Baby-Equipment machen: da sind Beistellbettchen, Wippen und Hochstühle eher Nebensache. So viel Spaß die Auseinandersetzung damit für werdende Eltern machen kann, so gut ist es auch, über den Tellerrand zu schauen und zu realisieren, dass Kinder auf der ganzen Welt unter weitaus einfacheren Verhältnissen trotzdem gut und glücklich aufwachsen können.
Was mich nervt
Autos
Gefühlt verbringe ich den halben Tag im Auto, dabei habe ich noch nicht mal lange Anfahrtswege. Obwohl wir sehr zentral wohnen, lege auch ich als Europäerin, die das Laufen immer gewohnt war, die meisten Wege mit dem Auto zurück. Öffentliche Transportmittel und Zufußgehen sind für mich fast Luxus geworden. Am Wochenende machen wir das aber, da stehen wir früh auf und laufen durch Parks oder unter den wunderschönen Jacaranda-Bäumen in der Nachbarschaft zum nächsten Café, um dort zu frühstücken.
Ich vermisse das Laufen bzw. Schlendern sehr. In Frankfurt und Konstanz habe ich sehr zentral gewohnt und konnte alles zu Fuß zurücklegen. Wege, die mir in Deutschland nie als lang erschienen wären, fahre ich hier mittlerweile auch mit dem Auto. Allerdings gibt es auch so wenig ‚Straßenleben’, da sich bis auf einige Ausnahmen das meiste in den Malls abspielt.
Malls
Die Malls. Die Südafrikaner lieben sie sehr. Supermärkte, Cafés, Klamotten- und Buchläden, alles findet sich hier im Einkaufszentrum, das quasi die Stadt oder den Stadtteil ersetzt. Die Johannesburger sind auch sehr einfallsreich und haben sich mittlerweile in Form einer Mall eine italienische Stadt, Montecasino, nachgebaut, in der es im Rhythmus Tag und Nacht wird, unechte Tauben, auf unechten Balkonen, neben unechten Menschen stehen, die unechte Wäsche aufhängen. Drumherum gibt es Läden und ein Casino. Oder Melrose Arch, auch eine Art Mall nur überwiegend im Freien, also quasi dem west-europäischen öffentlichen Leben nachempfunden. Aber trotzdem eingezäunt und mit Sicherheitspersonal.
In einigen Stadtteilen gibt es mittlerweile zum Glück immer mehr den Trend zu kleinen Läden an der Straße: junge Start-ups, die dort Bio-Lebensmittel verkaufen und sich an Hipster Cafés reihen. Das genießen wir sehr und soweit es nur irgendwie geht, versuche ich, die Malls zu meiden. Sonntags hat hier übrigens alles auf, auch an Feiertagen, dafür schließen aber unter der Woche die meisten Geschäfte und Supermärkte schon um 18 Uhr.
How are you
Was mich tatsächlich nervt, egal wie höflich das sein mag, ist das ständige How are you? Das war und ist mir immer noch total fremd. Sicherlich sage ich das jetzt schon mehr als noch am Anfang, aber oftmals vergesse ich es und trotzdem wird darauf geantwortet, obwohl ich die Frage gar nicht gestellt habe. Ich spreche hier nicht von guten Freunden oder Bekannten, sondern von wirklich jeder Art der Unterhaltung oder des Telefonanrufs. Da kann die Bestellung einer Pizza schon mal mehrere Minuten in Anspruch nehmen: „Hi, you’re speaking to Julia, how are you?“ „Good thanks and yourself?“ „Well, thank you.“ „Sorry, I didn’t get your name“ „Julia“ „How can I help you?“ „I’d like to order a pizza for take-away“ – so geht das dann immer weiter, bis man seine Telefonnummer hinterlassen hat und gesagt bekommen hat, wann die Pizza dann fertig sein wird“. Da sind wir Deutsche etwas effizienter veranlagt, glaube ich. Da steht ja auch kein wirkliches Interesse dahinter, muss es bei einer Pizzabestellung ja auch gar nicht, sondern lediglich ein Aneinanderreihen verschiedener Höflichkeitsfloskeln.
Dass nichts Öffentliches funktioniert
Ich pauschalisiere jetzt, aber es nervt mich, dass quasi nichts Staatliches funktioniert. Eigentlich möchte ich mich schon mit keinem Amt und keiner öffentlichen Einrichtung auseinandersetzen. In den seltensten Fällen ist das irgendwie ergiebig. Neulich habe ich für einen Freund in Zürich ein Paket zur Post gebracht, dann gibt es dort erst kein Klebeband, um das Paket noch etwas sicherer zu verpacken, eine Auskunft zu Zeit und Preis dauert auch ewig und aus Universität Zürich wurde Universitar Tunch in Fanch.
Es gibt hier viel Korruption und Polizisten kann man eigentlich auch nicht vertrauen. Am besten ist es, wenn man das Glück hat, all diesen Einrichtungen fern zu bleiben.
Dass so vieles privatisiert ist
Der Umkehrschluss ist natürlich, dass vieles privatisiert ist. Damit wird oft sichergestellt, dass Einrichtungen und vor allem Dienstleistungen auch funktionieren, worüber ich dann wieder dankbar bin. Dass man aber bis auf Ausnahmen daher wiederum keine Wahl hat, als seine Kinder auf private Kindergärten und Schulen zu schicken, gefällt mir weniger und es kostet unglaublich viel Geld. Auch das Gesundheitssystem ist privatisiert und bringt deutlich eine Zweiklassengesellschaft hervor. Die, die es sich leisten können, haben eine Versicherung und können zu Ärzten in gutausgestatteten Privatpraxen gehen und sich teure Medikamente leisten.
Viele sind allerdings auch nur für Krankenhausaufenthalte versichert und zahlen Arztbesuche aus eigener Tasche. Deshalb gehen viele unserer Freunde erstmal zu einer Krankenschwester oder einem Allgemeinarzt, bevor sie zum Kinderarzt gehen.
Wartezeiten gibt es kaum, man kommt immer gleich dran und die meisten Ärzte nehmen sich Zeit. Die anderen müssen in öffentliche Kliniken, für deren Service sie zwar nichts zahlen müssen, deren Personal aber total überlastet und die Infrastruktur veraltet ist.
Minibus-Taxis
Minibus-Taxis treiben mich in den Wahnsinn. Johannesburger fahren eh schon leicht chaotisch und man steht ständig im Stau, weil es einfach zu viele Autos gibt, aber Taxis sind am schlimmsten. Sie sind nur leider so notwendig hier, weil sie für den Großteil der schwarzen Bevölkerung noch immer das günstigste und einfachste Verkehrsmittel sind. Busse decken nicht alle Wohngebiete und Townships ab und somit bleibt für viele nur das Taxi, wie es hier genannt wird. Eine Strecke pro Taxi kostet ca. 7 Rand (0,50€) und wenn man umsteigen muss, dann eben nochmal soviel. Die meisten Taxis haben Kapazität für ca. 12 Leute inkl. Fahrer, oftmals wird aber so gequetscht, dass noch 3 Leute mehr rein passen. In der Hitze und ohne Klimaanlage kann die Fahrt dann zur Tortur werden. Noch dazu sind diese Fahrzeuge oft in einem schlechten Zustand und die Fahrer rasen ohne Rücksicht über rote Ampeln oder wechseln die Spur über zwei weitere Mittelspuren. Als Johannesburger lernt man, Taxis grundsätzlich die Vorfahrt zu lassen und immer für sie mitzudenken.
Weihnachten im Warmen
Weihnachten im Sommer ist irgendwie nicht richtig Weihnachten. Für die Südafrikaner sind das die großen Sommerferien, alle verreisen ans Meer und Johannesburg ist wie ausgestorben. Erholen kann man sich also gut, aber Weihnachtsstimmung kommt bei Last Christmas und 30 Grad im Schatten nicht auf. Deshalb versuchen wir diese Zeit oft in Deutschland zu verbringen und genauso spannend wie Tiere in freier Wildbahn hier sind, ist es der Schnee in Deutschland, wenn er denn mal fällt.
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