Baby led weaning – Und was für ein Esser dabei herausgekommen ist
Und das kam so:
Ich kann mich noch genau an jenen Tag erinnern, als ich Julius vom oben bebilderten Brei habe kosten lassen. Ich meine sogar, den Löffel einen Helikopter simulierend in Richtung Kind manövriert zu haben. Das saß fest verankert auf dem Schoß seine Vaters, war mit Lätzchen ausgerüstet mehr oder weniger perfekt präpariert. Nur essen wollte es nicht, das Kind, ließ den Löffel nicht einmal zur Zunge durch, verwehrte ihm stattdessen den Zutritt zu seinem Verdauungsparat. Ich ließ den Löffel wohl noch ein paar Mal fliegen, aber es sollte nicht sein. Auch an den folgenden Tagen nicht. Dabei hatte ich im Tiefkühler sogar bereits eine Eiswürfel-Kolonie an verschiedenen Breisorten angelegt. Ganz die gut organisierte und auf alles vorbereitete Mutti.
Es war vielleicht auch ein frühes Manöver, dieser Helikopter-Karottenbrei-Angriff. Vielleicht meint der eine oder andere nun vielleicht auch, dass man an einem solchen Punkt nicht aufgeben dürfe, daran arbeiten müsse. Aber mir war es einfach zu doof, das Kind von etwas zu überzeugen. Es sollte selbst essen wollen. Ich muss dazu sagen, dass ich Julius recht lange gestillt habe und zum Brei-Versuchszeitpunkt nicht vorhatte, sofort mit dem Stillen aufzuhören. Ich sorgte mich also nicht, dass das Kind verhungern könnte, wenn es nichts äße.
Das sechs Monate alte Kind muss doch endlich mal essen!
Julius war zu diesem Zeitpunkt sechs Monate alt. Freunde mit älteren Kindern hatten ihm hier und da bereits Kuchenkrümel in den Mund gestopft und nachdem alle im Mütter-Bekanntenkreis dieses Alter als Schallgrenze zum essenden Kind begriffen, begann ich, mir über den Brei hinaus Gedanken zu machen. Wahrscheinlich wurde das Thema bereits ein paar Monate vorher in der Stillgruppe getriggert, zu der ich hin und wieder ging. Die Veranstalterin dieser Gruppe wiederum beriet Eltern darüber hinaus auch in Seminaren. Also meldete ich mich dazu an. Ich hätte auch einfach auf mein Bauchgefühl hören können. Aber sei’s drum. Wie das so ist mit dem ersten Kind.
Das Seminar dauerte zwei Stunden und bestätigte letztendlich, was ich mir ohnehin gedacht hatte. Ursprünglich war es thematisch übrigens nicht aufs Baby led weaning angelegt, sondern wie man das mit der Beikost so grundsätzlich angeht. Die Veranstalterin reichte uns ein paar Gläschen, ließ uns davon probieren (alle fanden es eklig), sprach darüber, was die WHO rät und für gesund erachtet, worauf man achten müsse (Keinen Honig zum Beispiel) und so weiter und so fort. Am Rande wurde auch BLW erwähnt und darauf zielte ich schließlich alle meine Fragen ab. Das Ergebnis war letztlich, es einfach mal zu probieren und das Kind am Tisch mitessen zu lassen. Und das taten wir dann auch.
Anstatt nun extra in einen solchen Kurs zu rennen, wenn man sich noch nicht ganz sicher ist, wie ich das damals tat, kann man inzwischen auch einfach YouTube anschmeißen. In diesem Video hier erklärt Anja vom Vonguteneltern-Blog, die mit Loretta Stern übriges auch ein Buch zum Thema geschrieben hat, wie man BLW angeht.
Wir stiegen hier jedenfalls recht radikal ein: Wenn wir Lachs aßen, aß Julius auch Lachs. Wenn es Pasta gab, achteten wir vielleicht darauf, dass wir Spirelli kochten, weil an denen die Sauce so gut hängen blieb und Julius die besser greifen konnte. Aber ich stellte ihm – auch hier wieder, weil er daraus mit seinen Händen besser essen konnte – in Schalen immer alles in kleinen Portionen hin, was wir selbst aßen. Übrigens zu allen Mahlzeiten: morgens, mittags, abends. Brot mit Kruste, Apfel mit Schale – alles immer im Vertrauen, dass er schon nur das schlucken würde, was er zu schlucken vermochte. Und siehe da: er spuckte immer fleißig aus, was er nicht klein genug bekam. Dementsprechend sah der Boden um den Tisch herum aus. Was für eine Sauerei BLW sein kann, darüber hat Isabel hier auch schon einmal geschrieben. Gewürze gab es wiederum reduziert, vor allem Salz – aber ansonsten keine Extrawürste fürs Kind. Und Julius begann zu essen. Am Anfang war es wohl eher so ein Rumlutschen und die Konsistenz und den Geschmack austesten. Aber es landete schnell das eine oder andere in seinem Magen, wie sich spätestens in der Windel darstellen ließ.
Kinder entwickeln sich nicht linear, schon gar nicht einen stringenten Appetit
Wie so Entwicklungsschritte beim Baby und später Kleinkind verlaufen, begann Julius unterdessen nicht linear immer mehr zu essen, bis er sich irgendwann abstillte. Die Lern- und Essenslustkurve verlief vielmehr erst steil und brach dann irgendwann wieder radikal ein. Nahm ich zwischendurch an, das Kind habe nun so sehr einen Narren am Essen gefressen, dass es mich als Milchspenderin nicht mehr bräuchte, ließ Julius eine Woche später alle Nahrung auf dem Teller ruhen und nahm mich wieder in Beschlag. Kurzum: wie und wieviel er aß, war nicht kalkulierbar. Aber auch hier: ich hatte nie strategisch und mit festen Pausen gestillt, sondern immer nach Bedarf, und geriet deshalb auch nicht in Panik, als Julius sich mit neun Monaten für eine kurze Episode wieder nur von Milch ernährte.
Man kann wohl sagen, dass ich mir es einfach sehr bequem gemacht habe. Mit dem Essen. Mit dem Stillen. Mit allem irgendwie. Wir haben einfach viel ausprobiert, was uns in den Sinn kam und das kann ich nur empfehlen: am besten einfach erst gar nicht groß einen Kopf machen. Einfach machen. Julius hat im ersten Lebensjahr sogar Nüsse gegessen, als er schließlich oben und unten Zähne hatte. Und er lebt! Auch wenn es dazu keine Beweisfotos in diesem Post gibt. Aber er hat es überlebt und noch besser: ohne Allergien oder Unverträglichkeiten. In der ganzen Zeit, meine ich, und das ist wohl eine der größten Sorgen vieler Eltern gegenüber der Breifrei-Herangehensweise, hat Julius sich nur einmal leicht verschluckt. Aber auch nicht krass und so, dass er schnell wieder ausspucken konnte, was ihm quer saß.
Wie mein Kind inzwischen isst
Nun kann ich – falls jemand sich dahingehend rückversichern will – nicht behaupten, dass mein Kind aus dem BLW-Experiment als der beste aller Esser hervorgegangen ist. Er hat als Baby und mit einem Jahr erstaunlicherweise so ziemlich alles gegessen, was wir ihm vorgesetzt haben. Aber irgendwann begann auch dieses, und mein Kind bestimmte Nahrungsmittel zu verweigern und stattdessen nur noch Milchreis, Pfannkuchen, Nudeln (ohne alles am besten) usw. einzufordern. Grün geht hier mit Viereinhalb Jahren gar nicht. Bis auf “Glockoli” (wie Julius Brokkoli nennt). Manchmal wird das gesamte Essen verweigert, weil sich darin drei Kräuter befinden.
Aber auch dahingehend habe ich großes Vertrauen, dass das schon wird. Ich esse schließlich auch nicht jeden Tag nur Mangojoghurt und Bananenbrot. Wie mit allem, glaube ich, dass Julius vor allem am Beispiel der Menschen lernen wird, die ihn umgeben. Wenn er mich also oft Salat, Grünkohl oder Spargel-Risotto essen sieht, wird er irgendwann wohl auch auf den Trichter kommen, dass das nicht so verkehrt sein kann. Und selbst, wenn nicht – mein Bruder war als Kind und Jugendlicher ein wirklich krasser Verweigerer, aß mit 16 Jahren irgendwann nur noch Toast mit Käse – wird Julius das überleben. Sein Körper holt sich schon, was er braucht. So lange biete ich an. Mehr Einfluss habe ich ohnehin nicht auf die Nachfrage meines Kindes und zwingen werde ich Julius sicher nicht.