Hot Take: Lohnarbeit ist keine Freizeit

Witzig. Schon wenige Monate nach der Geburt meines Kindes wurde mir mehrfach suggeriert, dass ich mich glücklich schätzen könne, als Freelancerin durch meine Flexibilität wieder hier und da etwas Arbeit reinschieben zu können. „Nur Mutter sein geht ja nicht“, „da fällt einem die Decke auf den Kopf“ oder „eine Auszeit vom Kind ist wichtig“ hieß es da.

Nicht nur setzte mich das, wie so viele vor mir, unter Druck, es folgte auch noch einem absurden, neoliberalen Narrativ. Das Märchen von der Auszeit durch Lohnarbeit, wenn man kein Kind großzieht. Vor allem in akademisierten Freundes- und Berufskreisen eine gern erzählte Geschichte. In der geht es um Freiheit durch den Hustle, das große Geld und ein Stück vom großen Kuchen, der auch für mich erreichbar ist, wenn ich mich nur genug anstrenge.

Die Mär von Lohnarbeit als Selbstentfaltung

Als ich klein war, war ich viel bei meinen Großeltern. Meine Mutter war alleinerziehend und arbeitete damals im Verkauf. Die Zeit zusammen war rar, jeder gemeinsame Nachmittag heiß umkämpft. Arbeit war finanzieller Selbsterhalt und weit entfernt von Mythen um Selbstverwirklichung und Traumberufe. Mittel zum Zweck, alltägliches Übel. Zur Urlaubssaison oder an Feiertagen stets verflucht. Ich war eins von diesen Kindern, deren Mütter viel verpasst haben. Nicht weil sie Karriere, Meilensteine oder Geschäftsreisen verzeichnete, sie fehlte, weil Schichtdienst und Familie nicht vereinbar sind und sie alleine die finanzielle Verantwortung trug.

Heute bin ich selbst Mutter und begegne wilden Geschichten, die kurz nach dem „ich geh wieder arbeiten“ ganz woanders abbiegen. Neben dem nötigen Kleingeld und dem Fortbestehen der Existenz geht es da noch um etwas anderes. Es geht um Identität, der Fortschreibung des arbeitenden Ichs, den Mythos der Selbstverwirklichung durch Arbeit. Komisch nur, dass mit dieser Aufzählung oft bloß Lohnarbeit gemeint ist, wo sie doch auch nach dem Resume einer schönen Freizeitaktivität klingen könnte.

Klar, Visionen und Träume verwirklichen will ich auch. Die sind aber weit entfernt von Karrierezielen. Sie liegen eher auf der Südhalbkugel, drehen sich um autarkes Leben auf dem Land oder ein Spa-Wochenende mit den besten Freundinnen.

Ich empfinde die Debatte darum, ob und wie Eltern die Zeit zwischen Schwangerschaft und Kitaeingewöhnung verbringen, als höchst uninteressant. Nicht, dass sie nicht wichtig wäre. Leider höre ich aber immer die Selben zu Wort kommen und ganz oft geht es eben bei „Zeit weg vom Kind” um die „Auszeit im Büro”. Es sind immer die mit abgeschlossenem Studium, einem guten bis sehr guten Jahresgehalt, Menschen mit finanziellem Rückhalt, die sowas erzählen und einfordern. Ob sie es lieben, Sorge- und Emotionale Arbeit zu leisten, beim Kind zu bleiben oder sie lieber lohnarbeitend Geld für die Familie verdienen wollen, interessiert mich dabei höchstens strukturell. Abgesehen davon, dass ich gar keine Lust habe, über die Entscheidungen anderer zu sprechen, spüre ich schon lange, dass wir uns bei den Diskursen darüber, wer nach der Entbindung wie lange, wie und warum zu Hause bleibt, in einem extrem privilegierten Kreis drehen.

Sich gegen das Arbeiten zu entscheiden, das muss man sich leisten können.

Sich für das Arbeiten entscheiden, aber auch. Zurückkommen und wissen, dass da ein Job mit zumindest ein paar Versprechungen auf einen wartet – ein Privileg. Vielleicht sogar einer mit einer Möglichkeit zum Aufstieg, mit einem “fairen” Gehalt. Obendrein noch mit Wertschätzung, (vermeintlich) familienfreundlichen Arbeitszeiten und einem warmen kuscheligen Büroplatz inklusive Obst am Montag und After Work Events (Bravo). Die Jobs, von denen ich eigentlich hören will, die mich wirklich interessieren, bewegen sich eher im Prekariat, im Dienstleistungsgewerbe oder im Schichtdienst. Die Art von Arbeit eben, die die meisten Menschen ausüben. Die schlecht bezahlten. Die in der Pflege, im Service. Wie zur Hölle macht ihr das mit der Nachtschicht? Wie fühlt es sich an, wenn man an Weihnachten arbeiten muss? Wie ist es ohne Home Office Option? Was sagt die Chefin, zum 100. Krankentag und hast du überhaupt Lust, zurückzugehen?

Lohnarbeit ist ein ganz schöner Störfaktor. Nicht das Kind.

Wenn man sich vorgegaukelt hat, man würde mit Lohnarbeit seinen Traum verwirklichen, dann stellt ein Kind zeitlich natürlich einen störenden Faktor dar. Ziemlich schnell hat man dann das Gefühl, allen kapitalistischen und neoliberalen Ideen unserer Zeit auf den Leim gegangen zu sein. Zeit ohne Familie, ganz alleine für mich als stillende, nachts aufwachende und dauernd Sorgearbeit leistende Mutter? Ja bitte, brauche ich. Dass mir kurz nach der Geburt meines Kindes allerdings suggeriert wird, dass ich mich darauf freuen kann, nach der Betreuungszeit endlich wieder im Bürostuhl Platz nehmen zu können, empfinde ich als schlechten Scherz.

Dabei mag ich meine Arbeit. Echt. Dafür, dass wir in einer Welt leben, in der ich arbeiten muss, ist Autorin, Journalistin, Content Creatorin sein genau richtig für mich. Mit Sicherheit gibt es noch viel mehr von denen, die ihre Lohnarbeit nicht hassen. Glück gehabt, denn sonst wird es echt schwierig.

Vor dem Arbeiten mag ich aber einige andere Dinge deutlich lieber.

Ich könnte sogar gut auf Lohnarbeit verzichten, wären wir nicht darauf angewiesen. Um mich selbst zu spüren, gehe ich gerne lange spazieren. Ich koche mal wieder ein ausgefallenes Pasta-Rezept oder mache eine Reise mit einer Freundin. Ich plaudere gerne Stunden lang am Telefon, gucke eine Reportage oder bastel sogar mal was, wenn ich richtig motiviert bin. Ich würde auch gerne mal einen Töpferkurs machen, etwas gärtnern oder einen Ausflug aufs Land unternehmen. Es gibt so viele Dinge, die mir in puncto Selbsterhalt und Selbstentfaltung schneller einfallen als Lohnarbeit. Bei einigen kann mein Kind sogar dabei sein. Jackpot. Und was ist mit sozialem Engagement? Wie kann ich mich politisch engagieren, wenn ich 24 Stunden am Tag Care- oder lohnarbeite, unsere Gesellschaft aber schier darauf angewiesen ist, dass sich mehr Leute einsetzen, ein Ehrenamt annehmen oder sich im Alltag mehr politisieren? Erst kürzlich ein wichtiges Thema, worüber Little Years hier mit Teresa Bücker gesprochen hat.

Als ich an den Feiertagen zurück in der Wohnung meiner Mutter war, erinnerte ich mich daran, dass ihre Lohnarbeit  in meiner Kindheit ein Störfaktor war. Sie raubte uns die Zeit zusammen und war vor allem eins: anstrengend. Auch rein körperlich. Und ohne es direkt vergleichen zu können: anstrengend ist so ein Arbeitstag auch für mich. Am Abend bin ich erschöpft, weil ich viel geleistet habe, aber eben rein gar nichts für mich selbst machen konnte. Auch nicht zwischendurch etwas online bummeln, den Wochenendtrip buchen oder durch Instagram scrollen. Dafür gibt es keine Zeit, weil meine kinderfreie Zeit rar ist und ich froh bin, wenn ich überhaupt das schaffe, was ich schaffen muss.

Im Office sitzen ist also keine Self Care

Ich bin stark davon überzeugt, dass wir allesamt selbst entscheiden sollten, was wir tun, um mal rauszukommen und uns abzulenken. Ich bin aber auch stark davon überzeugt, dass Lohnarbeit dich nie vollends von dem runterholen kann, von dem du gerade abzuschalten versuchst. Oft ist das ja der Arbeitsstress selbst. Da beißt sich die Katze in den Schwanz.

In der Debatte darüber, wann wer wie Lohn- und Sorgearbeit kombiniert, wie die magische Vereinbarkeit wirklich funktionieren soll, fehlen mir vor allem Stimmen von Geringverdienenden oder anderweitig entbehrlichen und stets unterbezahlten Berufsgruppen. Das Sprechen über Arbeiten ist nämlich ein anderes, wenn der Beruf nicht so leicht zur Identität werden will.

Zeit zu haben für eine reale Auszeit neben all’ diesen Arbeitsformen ist im Kapitalismus nicht vorgesehen. Deshalb fällt es uns ja auch so schwer, die Arbeit, die in einer Familie anfällt, als Knochenjob und nicht als Freizeit-Dümpelei zu verstehen.
Ich mag diese Familienzeit und Care Arbeit übrigens sehr. Von Druck und Stress befreit, wertgeschätzt und fair bezahlt, hätte ich glaube ich sogar gerne mehr davon. Am liebsten zu zweit als Paar, mit dem Rest der Familie und Freund_innen. Eben mit all den Freuden und Freiheiten, die Konzepte wie ein bedingungsloses Grundeinkommen so mit sich bringen würden. Ja, ich weiß. Das wird es so schnell nicht geben. Aber hey, man wird ja wohl noch träumen dürfen!

Foto: Lina Grün