Wenn es einen Trend gibt, den wir in euren Zuschriften und Fragen erkennen können, dann ist es dieser: ihr interessiert euch sehr für “alternative” Familien- und Lebensmodelle. Denn die meisten leben in der Kleinfamilie: Papa, Mama, Kind(er). Und vielleicht merken jetzt nach der Pandemie, dass sie eigentlich andere Bedürfnisse haben? Dass sie sich mehr nach Gemeinschaft fühlen, sich eine Art Kommune, oder ein Mehrgenerationen-Modell vorstellen könnten. Oder eben auch, dass sie mehr Raum brauchen und ihnen die starke Nähe, die man in einer Familie zwangsläufig hat, nicht immer gut tut. Dieser Idee wollten wir mal nachgehen und haben eine Familie gefunden, die das Prinzip “Living Apart Together” lebt. Heißt: Anne und ihr Partner sind ein Paar, haben ein Kind zusammen – leben aber nicht in einer Wohnung. Wie das genau abläuft und welche Vor- und Nachteile dieses Lebensmodell hat, hat uns Anne im Interview erzählt!
Let’s talk about: Living Apart Together
Liebe Anne, ihr lebt seit einem Jahr in getrennten Wohnungen. Wie alt ist euer Kind und wie habt ihr vorher gelebt?
Unser Kind ist jetzt dreieinhalb Jahre alt. Und bis vor einem Jahr haben wir – klassisch – zusammen in einer 3-Zimmer-Wohnung gelebt. Wir kannten uns gerade mal sieben Monate, als ich ungeplant schwanger wurde. Trotz großer Überraschung freuten wir uns und beschlossen, eine gemeinsame Wohnung zu suchen. Es schien uns beiden der richtige Weg, mit gemeinsamem Baby zu sein und das war es anfangs sicher auch. Im Nachhinein betrachtet ging das aber alles zu schnell. Wir sind beide sehr freiheitsliebende Menschen und wären wohl ohne die Schwangerschaft nie so schnell zusammengezogen.
Bereits in der Schwangerschaft begannen die Probleme auf Paarebene. Als unsere Tochter auf die Welt kam, wurden diese aber erstmal durch die fordernde neue Lebenssituation mit Kind überschattet. Für mich war dennoch immer klar, dass sich etwas ändern muss, und dass die Beziehung, so wie sie dann schon über einen längeren Zeitraum war, für mich nicht erfüllend ist.
Wir waren für mein Empfinden nur noch eine Eltern-Wohngemeinschaft, in der sich beide Parteien nicht wirklich wohl gefühlt haben.
Daher habe ich Ende 2021 den Entschluss gefasst, mich zu trennen und eine eigene Wohnung zu suchen. Ich denke, dieser Schritt kam trotz aller bekannten Probleme für meinen Partner unerwartet. Er hat bewirkt, dass er sehr um die Beziehung gekämpft hat. Da es für mich keine Trennung des „Entliebens“ wegen war, wollte ich der Sache auf jeden Fall auch eine zweite Chance geben. Wir haben uns neu aufeinander eingelassen und sind seither wieder (glücklich) zusammen. Die jetzige Wohnsituation entstand also eigentlich aus einer Trennung heraus.
Wo lebt ihr und war es leicht, eine zweite Wohnung zu finden?
Wir leben in Ulm bzw. Neu-Ulm. Glücklicherweise haben wir beide die finanziellen Mittel, uns gute Wohnungen leisten zu können. So konnte mein Partner in unserer ursprünglich gemeinsamen Wohnung bleiben und ich habe schnell eine neue gefunden.
Wären wir finanziell nicht so frei, hätte ich sicherlich mit der Entscheidung mehr gehadert, da ich mich dann vermutlich hinschlich des Lebensstandards sehr hätte einschränken müssen.
Ich denke, dass dieses Lebensmodell schon allein aus diesem Grund für viele Paare nicht in Frage kommt. Eine mit zwei Wohnungen oftmals einhergehende Reduzierung des Lebensstandards führt bestimmt häufig dazu, dass man lieber an unglücklichen Beziehungen festhält, als ein anderes Modell in Betracht zu ziehen. Und das ist durchaus nachvollziehbar – finanziell gesehen ist unsere Lebensweise natürlich ein großer Luxus, da wir nun beide relativ große und moderne 3-Zimmer-Wohnungen haben.
Was magst du an eurem Modell?
Ich mag daran, dass man sich viel bewusster aufeinander freut. Man sieht sich nicht nur automatisch jeden Tag, sondern muss sich aktiv „verabreden“. Man macht sich viel mehr Gedanken darüber, was dem anderen gefallen könnte und bereitet das gerne vor.
Außerdem kann man sich einfach zurückziehen und sich Freiräume und Auszeiten nehmen. Vor allem mit Kind ist es oft eine richtige Erholung, einfach mal ohne großen Aufwand für sich sein zu können und die räumliche Trennung zu haben.
Mir gefällt auch die klare Verantwortlichkeit für Haushalt, Kochen etc.
Dadurch kann ich mein eigenes Reich gestalten, wie ich möchte und innerlich mehr loslassen, wenn mein Partner (bei sich daheim) etwas so tut, wie es mich normalerweise stören würde. Das verhindert unnötige Streits über Kleinigkeiten.
Man kann sich tatsächlich auch total entspannen, wenn man beim anderen ist und entsprechend nicht zuständig ist. Es ist eben ein bisschen, wie zu Besuch zu sein.
Es ist zudem schön, dass man zwei Stadtteile bewusst erlebt. Wir sagen immer zum Spaß, wir haben eine Stadtwohnung und eine Wohnung am See, was gerade besser passt.
Total anstrengend ist allerdings der organisatorische Part. Da wir die meiste Zeit doch gemeinsam in einer Wohnung verbringen, muss immer eine/r Sachen packen, verderbliche Lebensmittel mitnehmen, alles Notwendige fürs Kind einpacken, etc. Immer vorauszudenken, was ich für die nächsten 1-2 Tage benötige und nicht alles wie gewohnt zur Hand zu haben, ist echt nervig.
Außerdem benötigt man gerade mit Kind viele Dinge doppelt oder hat sie dann eben nicht parat. Z. B. hat unsere Tochter nur ein Fahrrad, das dann die meiste Zeit in einer Wohnung bleibt. So kann man nicht einfach spontan darauf zugreifen.
Bei uns kommt erschwerend hinzu, dass wir durch die Trennung zwischen Ulm und Neu-Ulm auch noch in zwei unterschiedlichen Bundesländern leben. Behörden-Themen sind dadurch oftmals noch komplizierter, als sie es eh schon sind.
Nicht zu vergessen natürlich der erwähnte finanzielle Part. Die Doppel-Belastung ist schon enorm.
Wie findet euer Kind es, dass es zwei Zuhause hat?
Unsere Tochter sagt immer, sie findet es gut, zwei Wohnungen zu haben, nur fände sie es besser „wenn man das Haus von Mamas Wohnung näher zu Papas Wohnung baut, damit man nicht immer so weit fahren muss.“
Sie kennt es mittlerweile nicht anders und weiß genau zu unterscheiden, was es in „Papas Wohnung“ und was es in „Mamas Wohnung“ gibt. Zu Beginn sind wir zur Erziehungsberatung gegangen, da wir Sorge hatten, dass die neue Situation sie völlig verunsichert. Wichtig war am Anfang, ihr einen Wochenplan aufzuzeigen, an welchem Tag sie wo ist, und wer sie zum Kindergarten bringt und abholt, damit sie sich darauf einstellen kann und eine klare Struktur hat.
Was das angeht, ist es vermutlich ähnlich wie bei Trennungskindern im Wechselmodell. Nur dass sie Mama und Papa trotzdem die meiste Zeit gemeinsam bei sich hat.
Ich denke, es wird dann bei ihr komplizierter werden, wenn sie einen richtigen Freundeskreis hat. Ich könnte mir vorstellen, dass sie es dann doof findet, wenn sie nicht immer im nahen Umfeld ihrer Freund:innen sein kann und hin- und herwechseln muss.
Sie wird auch irgendwann merken, dass das Modell ihrer Eltern erklärungsbedürftig und nicht „normal“ ist. Voraussichtlich wird sie früher oder später mit Aussagen konfrontiert werden, dass ihre Eltern ja getrennt sind. Aber da werden wir sie hoffentlich selbstbewusst genug erzogen haben, dass sie sich von solchen Kommentaren o. ä. nicht zu sehr verunsichern lässt.
Wann plant ihr Paarzeit ein – und wo?
Zum Glück hat unsere Kleine eine tolle Beziehung zu ihren Großeltern. Daher machen wir ungefähr einmal pro Monat einen Paarabend, an dem sie bei Oma und Opa übernachtet. Meistens unternehmen wir dann etwas und/oder gehen in ein Restaurant.
Ansonsten haben wir an den Tagen, die wir gemeinsam in einer Wohnung verbringen, abends Paarzeit, wenn die Kleine schläft. Hier ist es aber nicht anders wie bei zusammenlebenden Paaren, meist endet das auf dem Sofa, da wir zu erschöpft vom Tag sind. Wir haben beide anspruchsvolle Jobs und sind sportlich sehr aktiv.
Für uns ist es gut, dass wir durch das Living Apart Together Modell viele Freiräume haben. Jede/r hat seinen festen Rückzugsort zum Herunterkommen.
Durch die klaren Zuständigkeiten gibt es weniger kleine Reibereien, die der Alltag normalerweise so mit sich bringt.
Ich würde außerdem sagen, dass man die Beziehung bewusster lebt, viel mehr darüber nachdenkt und „aktiver“ mit Problemen umgeht.
Es ist nicht mehr selbstverständlich, zusammen zu sein, sondern jeden Tag eine bewusste Entscheidung.
Du sagst, alle schauen immer ungläubig. Warum ist das wohl so?
Das ist der Grund, weshalb ich hier offen darüber spreche. Es sind meiner Meinung nach einfach allgemein noch zu wenig Alternativen zum Standard-Lebensmodell bekannt oder gesellschaftlich akzeptiert. Entweder man ist zusammen und wohnt zusammen, oder man ist getrennt und lebt getrennt. Wenn es keinen offensichtlichen Grund für getrennte Wohnungen gibt (wie z. B. aufgrund des Berufes), kann sich niemand vorstellen, so zu leben.
Aber liegt das nicht daran, dass man sich diese Gedanken nicht erlaubt? Oder sind wir alle zu klassisch und eingefahren in unserem Denken?
Ich bin ganz einfach für das Bekanntwerden unterschiedlichster Lebensmodelle. Nur so kann vielleicht jede:r für sich den Weg finden, der sie/ihn glücklich macht. Und den Mut aufbringen, diesen Weg auch zu gehen.
Die uns entgegengebrachten Reaktionen reichen von Entsetzen und Erstaunen über Neid, bis hin zu Bewunderung. Ich habe schon das ein oder andere Mal von anderen Müttern gehört: „Das hätte ich auch gerne“.
Es kommt aber natürlich auch ganz auf die Generation an. Die Reaktion meiner Oma: „Das arme Kind.“
Wenn ich sie dann aber frage, wie sie damals gelebt hätte, hätte sie die Möglichkeiten von heute gehabt, kommt sie auch ins Denken.
Die Reaktion von Freundinnen hingegen: Sie feiern mich/uns für diese unkonventionelle Lebensweise und stellen nichts davon in Frage.
Grundsätzlich hat man natürlich immer das Problem, sich erklären zu müssen oder zu wollen. In keiner behördlichen Unterlage ist ein derartiges Modell vorgesehen und abbildbar. Im Kindergarten gelten die Eltern entweder als getrennt oder zusammenlebend, und dies wird (vor allem) an der Wohnsituation festgemacht.
Wie oft schon wusste ich nicht, wie ich auf die Frage „und wo wohnt ihr?“ reagieren soll. Will man der fragenden Person die Wahrheit sagen und muss, damit verbunden, oft weit ausholen und Privates erzählen – oder schlängelt man sich an der Frage vorbei und nennt einfach einen Wohnort ohne Erklärung dazu?
Dass jeder in seiner Beziehung mehr oder weniger zu kämpfen hat, ist klar. Befindet man sich aber in dem klassischen Modell, ist dies nicht von außen erkennbar. Man kann seine Probleme gut dahinter verstecken und muss sich nicht erklären. Unser Modell wirft immer Fragen auf und impliziert, dass es Schwierigkeiten in der Beziehung gibt oder gab.
Es erfordert auf jeden Fall viel Mut, so zu leben.
Im Vorgespräch hast du mir erzählt, dass dir oft das Gefühl gegeben wird, ihr würdet eine „minderwertigen Beziehung“ führen. Eigentlich verrückt, oder?
Über diesen Punkt habe ich viel nachgedacht. Wenn ich ehrlich bin, sind es wahrscheinlich nur meine eigenen Unsicherheiten, die hier durchkommen. Von außen wird mir das eigentlich nicht gespiegelt.
Ich selber stelle mir aber oft die Frage: Vermeiden wir durch diese Wohnsituation nur Konflikte und Themen, die wir eigentlich angehen sollten, um langfristig als Paar zu bestehen? Machen wir uns etwas vor, indem wir diese Lebensweise wählen, und sind eigentlich nicht richtig kompatibel?
Bedeutet es nicht, dass wir nicht zusammenpassen, weil wir es nicht „geschafft haben“, gemeinsam in einem Haushalt zu leben?
Aber in diesen Situation muss ich mir dann selbst sagen, dass jede Beziehung ihren Weg finden muss und wachsen kann und muss. Was hilft es, sich an Standards zu orientieren und sich zu vergleichen? Vermitteln einem diese Standards nicht einfach nur, dass etwas mit einem nicht stimmt, wenn man anders lebt? Wie entsteht dieses gesellschaftlich geprägte Bild und ist es nicht an der Zeit, das alles langsam aufzulösen?
Ich stimme dir zu. Es ist an der Zeit. Vor allem, weil viele Menschen gar nicht glücklich sind. Meinst du, ihr macht das jetzt noch viele Jahre weiter so?
Für einige Jahre könnte ich mir das schon vorstellen. Ich denke aber, dass wir uns, spätestens wenn unsere Tochter in die Schule kommt, nochmal mit dem Thema Zusammenziehen auseinandersetzen werden.
Je besser die Beziehung läuft, desto näher kommt dann auch wieder der (klassische) Gedanken eines gemeinsamen Eigenheims. Das liegt wohl in der Natur des Menschen oder wir sind selbst noch zu sehr von den Vorbildern unserer Eltern/Großeltern geprägt.
Was wäre denn dein ideales Wohnmodell?
Mein Traum wäre es, in einem Haus mit einem gemeinsamen Garten und einem großen Gemeinschaftsbereich, aber zwei komplett getrennten Wohnungen/Einheiten zu leben. Dann hätten wir weiterhin die Eigenständigkeit und die Rückzugsorte, aber ohne diesen organisatorischen Aufwand.
Na, dann. Vielleicht klappt das ja. Alles Gute!!
Foto: Pricilla du Preez