Herbst, da scheiden sich ja die Geister. Es gibt so richtige Ultras, die es kaum erwarten können, die erste Kürbissuppe zu kochen, und dann solche, die diese Jahreszeit richtig ätzend finden und dem Sommer hinterhertrauern. Ich gehörte bislang zu keinem Team: Ich fand den Herbst zwar schon immer ganz kuschelig, aber angesichts der Tatsache, dass auf den Herbst unweigerlich der oft sehr graue, sehr lange, sehr dunkle Berliner Winter folgt, war ich auch nicht völlig begeistert, wenn sich die Blätter an den Bäumen bunt verfärbten. Das hat sich aber total geändert: Im vergangenen Herbst kam mein erster Sohn zur Welt, und jetzt, wo die Sonne tiefer steht und man wieder mit Kürbis kocht, bin ich ganz nostalgisch, denke unglaublich gerne an den vergangenen Herbst zurück – und genieße die Jahreszeit viel mehr, als ich es früher jemals getan habe.
Die Nostalgie in der Geburtsjahreszeit
Denn letztes Jahr um diese Zeit war ich so voller Vorfreude und seit zwei Wochen im Mutterschutz – auch das empfand ich als total besonders, denn ich glaube, ich hatte seit zehn Jahren nicht so viel Freizeit gehabt – und dachte viel darüber nach, wie es wohl werden würde: Die Geburt, das Mamasein, die ersten Wochen… einfach alles!
Wir waren gerade in eine neue Wohnung gezogen und ich weiß noch, wie ich mich durch den Mittagstisch der umliegenden Restaurants schlemmte, mit riesigem Kugelbauch und null schlechtem Gewissen. Irgendwie fühlte ich mich angekommen, sowohl in meinem neuen Leben als auch in meinem immer schwerfälliger werdenden Körper. Und das erste Mal in meinem Leben war ich gottfroh, dass nicht mehr Sommer war, denn Temperaturen von 30 Grad und aufwärts fand ich nicht mehr wie früher richtig gut, sondern hart an der Grenze.
Eigentlich war unser errechneter Termin der 20. Oktober – an diesem superschönen und sonnigem Sonntag gingen wir zum Erntedankfest in der Domäne Dahlem – das ist ein Freiluft-Museum mit Bio-Bauernhof hier in Berlin, und liefen über das Gelände, aßen Kartoffelpuffer und beobachteten die vielen Familien mit Kindern. Natürlich malten wir uns aus, wie schön es werden würde, mit unserem Kleinen hierherzukommen, und ich war mehr als einmal den Tränen nahe (hach, diese Schwangerschaftshormone!). Am Abend geschah dann aber nichts, und mit dem Oktoberkind wurde es auch nichts mehr.
November ist jetzt so viel besser!
Denn Jascha kam dann erst im November, ein Monat, dem wohl die allermeisten nicht wirklich viel abgewinnen können. Und mir ging’s bislang ganz ähnlich, Oktober ist golden, November hingegen grau. Doch als nach der Geburt draußen der Regen gegen die Scheiben prasselte und die Hebamme sagte, das sei ein richtiger “November Rain”, war ich auf einmal komplett versöhnt mit dem grauen Regenwetter. Die nächsten Wochen kuschelten wir uns ein, lernten uns kennen und weil ich ohnehin sentimental veranlagt bin und es durch die vielen Hormone im Wochenbett noch einmal viel mehr war, hörte ich “November Rain” tatsächlich rauf und runter und erklärte es zu meinem neuen Lieblingslied und weinte dabei. Ja, zu Guns’N Roses. Ja, mir ist bewusst, wie komisch das ist.
Jetzt steht der erste Geburtstag fast vor der Tür, und ich bin das erste Mal in meinem Leben totaler Herbstfan. Für mich ist Herbst jetzt die Jahreszeit, in der ich Mutter wurde. Wir waren dieses Jahr wieder bei der Ernte in der Domäne Dahlem, dieses Mal ohne Kugelbauch und mit einem fast einjährigem Kind. Da ist mir noch einmal bewusst geworden, wie wenig ich vor einem Jahr noch wusste, wie abstrakt mir der Gedanke schien, Mutter zu werden – und auch, wie wenig ich mir vorstellen konnte, dass sich wirklich alles ändert. Denn das hört man ja immer, aber wenn es dann soweit ist, begreift man erst wirklich, wie viel Wahrheit in Sätzen wie “Genieße es, ausschlafen zu können, ohne dass jemand was von Dir will” steckt.
Wie schnell die Zeit vergeht – dieser Satz ist ein solches Klischee, aber tatsächlich ging das Jahr unglaublich schnell und ich bekomme eine Ahnung davon, welche Arten der Nostalgie noch auf mich zukommen: Wenn der Kleine erst einmal in die Schule geht und ich mich an die Zeit zurückerinnere, wo er ein Kleinkind war. Wenn er in die Pubertät kommt und ich an mein Schulkind zurückdenke. Schon jetzt scheint mir die Wochenbettzeit so unendlich weit weg, und manchmal bin ich doch ein bisschen wehmütig.
Der Herbst ist fortan eine emotionale Zeit für mich, das steht fest. Ich genieße diese Jahreszeit jetzt ganz bewusst und freue mich natürlich schon jetzt auf den ersten Geburtstag meines Sohnes. Wer hätte gedacht, dass ich jemals dem November mit Vorfreude entgegenblicke? Maries erstes Kind wurde im wunderschönsten Frühling geboren, und da der Frühling ja sowieso für Neuanfang steht, war das irgendwie sehr passend. Und auch jetzt noch, über sieben Jahre später, verbindet sie den Frühling mit einem sehr emotionalem Verzauberungsgefühl.
Was mich ja brennend interessieren würde: ob es anderen Mamas auch so geht. Verbindet ihr mit der Geburtsjahreszeit (oder Jahreszeiten bei mehreren Kids) besondere Gefühle? Oder verwächst sich das, wenn die Schwangerschaft länger zurückliegt?
Foto: Frank Luca