Fanajana: Geburtshilfe in Madagaskar

Wie laufen eigentlich Geburten in anderen Teilen der Erde ab? Insbesondere in ärmeren, weniger entwickelten Gegenden? Wo die ärztliche Versorgung mager ist und es am Nötigsten fehlt… Zum Beispiel in Madagaskar. Der Inselstaat zählt zu den am wenigsten entwickelten Ländern der Welt. Mehr als drei Viertel der Bevölkerung leben in extremer Armut. Claudia Unruh, Hebamme und Dr. Martin Frank, Facharzt für Gynäkologie und Geburtshilfe aus Hamburg haben 2018 den Verein Fanajana e.V. gegründet, um die Ausbildung der Hebammen und Kolleg_innen in Madagaskar zu unterstützen. Sie reisen regelmäßig in die Gegend, das nächste Mal Anfang November.

Warum Madagaskar? Wie kamen die beiden darauf? „Das werden wir oft gefragt – und es ist eher so, dass Madagaskar uns ausgesucht hat“ erzählt Martin.

2016 war er als Gynäkologe zusammen mit der Hebamme Claudia auf der Nachbarinsel Mayotte tätig. Die beiden haben sich gefragt, warum so viele schwangere Frauen die lebensbedrohliche, tagelang andauernde Fahrt von Madagaskar auf Fischerbooten auf sich nehmen, um auf dem verhältnismäßig reichen (weil europäischen) Mayotte ihre Kinder zu bekommen. So erfuhren sie, wie unterversorgt die geburtshilfliche Situation in dem riesigen Nachbarland Madagaskar ist. 2017 wurden sie dann von einer NGO gebeten, im Süden Madagaskars, Ärzt_innen, Hebammen und Krankenpfleger_innen fortzubilden.

Zurück in Hamburg konnten wir nicht einfach zur Tagesordnung zurückkehren

Claudia erzählt: „Als wir dort waren, haben wir die Frauen erlebt, die Armut gesehen. Unter solchen Vorraussetzungen ein Kind zu bekommen, das hat uns sehr beeindruckt. Die Zeit dort hat uns extrem geprägt und wir konnten, zurück in Hamburg in einem voll ausgestatteten Kreißsaal mit all der Hightech, den Hilfsmittel und den luxuriösen OP-Sälen nicht einfach zur Tagesordnung zurückkehren“. Die beiden, sie sind seit 30 Jahren befreundet, gründeten 2018 Fanajana e.V.. Der Verein fördert Wasserprojekte, die Fortbildung von Hebammen, die Schulbildung und damit direkt und indirekt auch die Chance für jede madagassische Frau zu einer autonomen Familienplanung.

„Fanajana bedeutet in der Landessprache Madagaskars ‘achtungs- und respektvoll’ und wir fanden, genau so sollten Frauen vor- und während der Geburt und alle Menschen, denen wir bei unserem Engagement begegnen, gesehen werden”. erzählt Claudia.

Martin durfte schon viele Einsätze für verschiedene NGOs im Südsudan, in Pakistan, Nigeria, im Tschad, in Ecuador, Tansania und vielen anderen Ländern begleiten. “Ich glaube, ich kann deshalb ganz gut einschätzen, wie wichtig die Aus- und Weiterbildung der Hebammen gerade in Madagaskar ist.”

Claudia erklärt
Ein "Kreissaal"

Frauen in Madagaskar haben derzeit eine Lebenserwartung von 68,7 Jahren und bringen durchschnittlich mehr als vier Kinder auf die Welt. Von 1.000 lebend geborenen Kindern sterben mehr als 50 vor ihrem fünften Lebensjahr (zum Vergleich: in Deutschland sind es weniger als drei). Von 100.000 Frauen sterben in Madagaskar im Durchschnitt mehr als 350 (im Süden der Insel bis zu 800) aufgrund Komplikationen während der Schwangerschaft oder unter der Geburt (in Deutschland sind es weniger als drei).

Die Armut ist dort auf allen Ebenen spür- und sichtbar. Jedes zweite Kind ist unterernährt, es mangelt vor allem in den ländlichen Gebieten an sauberem Wasser. Die schwangeren Frauen müssen sich selbst einen Plastikeimer, meist gefüllt mit schmutzigem Flusswasser, mit zur Geburt bringen. Mit dieser verkeimten Brühe werden nach der Geburt das Neugeborene, die Mutter und dann der Kreißsaal gewaschen und geputzt. Da es weder Pflege- noch Reinigungspersonal gibt, sind die Gebärenden darauf angewiesen, dass die ganze Familie bei der Geburt dabei ist, für die Frauen kocht, wäscht, putzt und die ggf. nötigen Medikamente besorgt.

Eine Hebamme betreut etwa 3000 Frauen

Madagaskar ist ungefähr so groß wie Frankreich und hat 28 Millionen Einwohner. Eine Hebamme betreut im ländlichen Raum im Vergleich zur angestrebten 1 zu 1 Betreuung in unseren deutschen Kliniken etwa 3000 Frauen; ungefähr die Hälfte der Kinder wird Zuhause geboren. “Auch wenn das nächste Gesundheitszentrum „nur“ 20 km entfernt ist, bedeutet dies für viele schwangere Frauen einen Fußweg von mehreren Stunden – zum Teil unter starken Wehen und im besten Fall mit einem Ochsenkarren”, erzählt Claudia. Sie und Martin war bei vielen Geburten in Madagaskar dabei.

„Die Frauen sind unglaublich fokussiert und ruhig während der Geburt, was bestimmt auch daran liegt, dass das halbe Dorf während der Geburt durch die offenen Fenster zuschaut. Schon die kleinsten Familienmitglieder sind Teil dieses Wunders einer Geburt und alle helfen mit wenn es nötig ist. Bei den allermeisten Geburten ist allerdings weder eine Hebamme noch ein Arzt oder eine Ärztin anwesend: Ein Arzt muss sich in Madagaskar im Schnitt um über 6000 Menschen kümmern,” so Martin.

Die zum großen Teil, sehr jungen madagassischen Hebammen werden unmittelbar nach ihrer sehr kurzen Berufsausbildung in weit abgelegene, ländliche Gebiete geschickt. Sie können im Hinblick auf ihre Arbeit zu Beginn weder auf eine gute Ausbildung, noch auf eine große Erfahrung zurückblicken. In den kleinen Gesundheitszentren vor Ort, Centres de Santé de Base oder kurz “CSB” genannt, fehlt es aber auch an Medikamenten und medizinischem Verbrauchsmaterial…

Martin beim Ultraschall - alles andere als eine Selbstverständlichkeit in der Gegend
Ausbildung der Hebammen
Eine Geburt wird simuliert

Dramatische Erinnerungen 

Claudia erinnert sich: „Eine der ersten sehr dramatischen und leider auch traurigen Geburten, die ich vor Ort begleiten durfte, war eine junge Frau, die mit ihrer ganzen Familie auf einem Ochsenkarren in das CBS kam. Leider war das ungeborene Kind bereits auf der zweistündigen Fahrt zu uns verstorben, es lag in Querlage und Martin und ich konnten es nur durch einen Kaiserschnitt entbinden. Aber immerhin konnten wir so das Leben dieser jungen Mutter retten, die noch ein älteres Kind zu versorgen hatte. Es muss wahnsinnig schmerzhaft für die Frau gewesen sein, ohne Schmerzmittel. Und es war unglaublich berührend zu sehen, wie gefasst sie mit dieser extremen Situation umgegangen ist“.

„Der Wassermangel und die Hygiene vor Ort sehen wir als die größten Herausforderungen an,” sagt Martin. “Und der Klimawandel macht die Situation auch in Madagaskar nicht einfacher. Die Flüsse sind ausgetrocknet und Infektionskrankheiten, die gerade für Mütter und ihre Neugeborenen bedrohlich sein können, breiten sich durch die fehlende Hygiene stark aus. Deshalb haben wir als eine der ersten Maßnahmen mit unserem Verein den Bau von drei Brunnen finanziert. In der Nähe eines der Gesundheitszentren gibt es nun sauberes Grundwasser für die Versorgung der Patientinnen. Zur großen Freude konnten wir darüber hinaus im nahegelegenen Dorf Sevaseva eine Schule mit Schulküche für 314 Schüler_innen bauen und hier ebenfalls den Bau eines Brunnens mit Solaranlage finanzieren.”

Was plant Fanajana noch? “Aktuell den Bau eines weiteren kleinen CSB im Südwesten Madagaskars, in einer Region, in der es bislang weit und breit kein CSB gibt,” erzählt Claudia. “Auch dort geht es uns dann in erster Linie um die Fortbildung der einheimischen Hebammen. Denn nur die Hilfe zur Selbsthilfe ist eine nachhaltige Hilfe.”

Vertrocknete Flüsse
Das Hebammen-Team

Am 3.11. machen sich Claudia und Martin wieder nach Madagaskar auf. Wenn ihr Fanajana unterstützen wollt, könnt ihr das ganz einfach per Paypal tun: Fanajana@web.de.

HIER findet ihr weitere Möglichkeiten, Fanajana e.V. zu unterstützen!

Über Claudia:

Claudia Schweppe-Unruh (56) ist seit 30 Jahren Hebamme und hat in Hamburg schon tausende Frauen während der Geburt begleitet. Ihre Erfahrungen und Fertigkeiten in der Geburtshilfe, Schwangerschaftsvorsorge und im Wochenbett gibt sie nun mit viel Herzblut an ihre Kolleg_innen in Deutschland, aber auch in Madagaskar weiter. Sie arbeitet als freiberufliche Hebamme im AK Altona. Claudia hat zwei erwachsene Kinder, eine Enkelin und lebt mit ihrem Mann in Hamburg Blankenese.

Über Martin:

Dr. Martin Frank (62) ist Gynäkologe und Diplom-Pädagoge. Er arbeitet als Oberarzt in der Frauenklinik des AK Altona und „nebenbei“ seit über 17 Jahren auch international für Ärzte ohne Grenzen und andere NGOs. Die Erfahrungen, die er in über 30 Berufsjahren in Deutschland, Südamerika, Afrika und Asien gesammelt hat gibt er mit großer Freude und Einsatz an junge Ärzt_innen und Hebammen weiter. Martin wohnt mit seiner Frau in Hamburg Eppendorf.