Mein Schwangerschaftsabbruch: “Ich hatte einfach keinerlei emotionale Bindung zu dieser Schwangerschaft”

Mit dieser Serie über Schwangerschaftsabbrüche wollen wir ein Tabu aufbrechen - über Abtreibungen spricht man ja eher nicht. Wir wollen damit auch die große Bandbreite der Geschichten verdeutlichen, die hinter jedem Abbruch stehen. Heute erzählt uns Jana von ihren Erlebnissen. Sie ist 39 Jahre alt und hatte zu dem Zeitpunkt, an dem sie schwanger wurde, bereits drei Kinder. Für sie stand von Sekunde eins an fest, dass sie dieses Kind nicht bekommen möchte. Schlussendlich hat sie sich für einen medikamentösen Abbruch entschieden. Danke für deine Offenheit, liebe Jana!

Mit meinem Mann bin ich seit 16 Jahren verheiratet, ein Paar sind wir seit knapp 21 Jahren. Wir haben drei gemeinsame Kinder: 2005, 2008 und 2012 geboren. Ich bin im Bereich Qualitätsmanagement selbstständig, mein Mann leitet ein Unternehmen, das er auch gegründet hat. Wir leben in einem Haus mit Garten und Hund am Stadtrand.

Im Februar 2014 war unser jüngster Sohn knapp 1,5 Jahre alt und im Begriff, sich abzustillen. Auch wenn er ein absolutes Wunschkind und ein zauberhaftes Baby war, so hatten die ersten Monate und Jahre mit ihm, der nie durchschlief und quasi permanent Körperkontakt brauchte, ihre Spuren hinterlassen. Bereits vor meiner dritten Schwangerschaft stand für mich und auch für uns als Paar fest, dass wir keine weiteren Kinder möchten. Vorrangig aus rein „praktischen“ Gründen: mit vier Kindern braucht man ein größeres Auto, man kann nicht mehr so leicht in den Urlaub fahren oder mal alle Kinder auf einmal bei einer Oma parken. Außerdem hatten wir bei unseren beiden älteren Kindern ja schon ein wenig die „Luft der Freiheit“ geschnuppert, die größer werdende Kinder so automatisch mit sich bringen. Mein Mann und ich hatten uns ganz bewusst dafür entschieden, früh Kinder zu bekommen – nicht zuletzt, weil wir uns für „nach den Kindern“ eine schöne gemeinsame Zeit wieder als Nur-Paar erhofft hatten – und noch weitab vom Rentenalter. „Die besten Jahre erleben wir dann, wenn wir Ende 40 sind und staunend mit unseren erwachsenen Kindern am Tisch sitzen“ haben wir gesagt.

Ein klassischer “Unfall”

Umso größer war dann auch die Überraschung, als ich im Februar 2014 einen positiven Schwangerschaftstest in der Hand hielt. Da mein Zyklus auch trotz Stillens sehr regelmäßig war, hätte ich den Test eigentlich auch nicht gebraucht – ich wusste es im Grunde sofort. Es war ein klassischer Unfall, wir haben einfach nicht gut genug aufgepasst.
Als ich meinem Mann davon erzählte, sah er mich an und sagte „Du entscheidest das. Egal wie du dich entscheidest, ich bin auf deiner Seite und ich trage die Entscheidung in voller Breite mit dir.“
Für mich stand aber von der ersten Sekunde an fest, dass ich dieses Kind nicht bekommen möchte.

Ich hatte mir immer drei Kinder gewünscht, und die hatte ich.
Ich hatte drei gesunde und glückliche Kinder, ich hatte drei unkomplizierte Schwangerschaften und drei traumhafte Entbindungen.
Vielleicht wollte ich auch einfach ganz grundsätzlich das Schicksal nicht noch einmal herausfordern. Meine Entscheidung war also direkt eindeutig und ich begann noch am Tag des Tests, mich zu informieren. Ich rief bei meiner Frauenärztin an und erinnere mich noch ganz genau an die Reaktion der Schwester nach meiner Aussagen „Ich bin wieder schwanger.“ Sie fragte: „Und? Ist das gut oder ist das nicht gut?“. Ich sagte, dass ich die Schwangerschaft gern so schnell es geht beenden möchte und sie gab mir noch am selben Tag einen Termin. Leider war meine Ärztin krank und wurde durch eine ältere, sehr strenge Kollegin vertreten. Sie untersuchte mich, bestätigte die Schwangerschaft und verweigerte mir jegliches Gespräch über einen Schwangerschaftsabbruch (der wäre in der Praxis meiner Gynäkologin sowieso nicht möglich gewesen). Stattdessen schickte sie mich weg und sagte, ich soll über alles noch mal in Ruhe nachdenken und in einer Woche wiederkommen.
Ich musste nicht mehr nachdenken und ich wollte auch auf gar keinen Fall noch eine ganze Woche warten. Zum Glück hatte die Schwester alles mitbekommen und schob mir schweigend eine Überweisung zu einer anderen Praxis, in der Abbrüche vorgenommen werden, und die Kontaktdaten der Beratungsstelle über den Tresen. Sie vereinbarte zwei Tage später in der anderen Praxis einen Termin für mich und sagte nur „Ich weiß, dass Frau Dr. K. das so gemacht hätte, wäre sie heute hier, und ich weiß, dass Sie keine Zweifel an ihrer Entscheidung haben.“ Ich war ihr unendlich dankbar dafür.

Dann ging es recht schnell…

Zum Termin in der Beratungsstelle, der ja obligatorisch ist, begleitete mich mein Mann. Ich hatte etwas Angst davor, mich dort rechtfertigen zu müssen oder dass man versuchen würde, mich umzustimmen. Wir erklärten unsere Situation und die Gründe für meine Entscheidung und die Dame nickte verständnisvoll, sagte, wir würden einen sehr auf- und abgeklärten Eindruck vermitteln und dass Sie unsere Beweggründe nachvollziehen kann. Dann stellte sie uns den benötigten Schein aus und nach 15 Minuten waren wir dort fertig.
Ebenso unkompliziert verlief dann der erste Termin in der Praxis, in der der Abbruch stattfand. Es war ein männlicher Gynäkologe, auch er stellte keinerlei Fragen und vor allem stellte er meine Entscheidung nicht in Frage. Er untersuchte mich, um den Status der Schwangerschaft festzustellen und fragte mich vorher, ob ich etwas sehen oder hören möchte. Wollte ich nicht. Bei diesem Termin bekam ich ein Medikament, das das Zellwachstum stoppt oder zumindest hemmt, sodass die Zellen in der Gebärmutter sich nicht mehr weiterentwickeln können. Ich musste die Tablette direkt in der Praxis einnehmen und fuhr danach nach Hause. Von dem Medikament wurde mir sehr übel und ich fühlte mich allgemein körperlich unwohl und schwach. Ich versuchte an diesem Tag, meine Kinder so gut es ging zu versorgen und verbrachte viel Zeit auf dem Sofa.
Am nächsten Morgen brachte mein Mann mich um acht Uhr wieder in die Praxis. Ich wurde befragt, wie ich das Medikament vertragen hatte und bekam weitere Tabletten. Ich bin mir nicht mehr sicher, ob ich das zweite Medikament ein oder zwei Mal einnehmen musste. Ich wurde in einen Raum mit gemütlichen Sesseln gebracht, in dem ich wartete, bis eine Wirkung eintrat. Das zweite Medikament ist ein wehenauslösendes Mittel. Man sagte mir, dass ich so lange in der Praxis bleiben soll, bis eine Blutung einsetzt. Es dauerte circa zwei oder drei Stunden, bis ich leichte bis mittlere Unterleibsschmerzen bekam. Ähnlich, wie Periodenschmerzen und nicht mit wirklichem Wehen-Schmerz vergleichbar. Gegen Mittag setzte dann eine Blutung ein. Das war der Moment, vor dem ich die allergrößte Angst hatte – auch wenn ich mich ansonsten die ganze Zeit über sehr sicher fühlte. Ich hatte Angst vor dem Moment auf der Toilette – vor dem, „was“ da zu sehen war. Es war nichts, es war wirklich vergleichbar mit einer etwas stärkeren Regelblutung. Ich wurde nochmals untersucht und konnte dann nach circa fünf Stunden die Praxis verlassen.
Zuhause schlief ich mehrere Stunden, in der Zeit hatte ich die stärkste Blutung während der gesamten Prozedur. Ich hatte noch mäßige Schmerzen, gegen die ich bei Bedarf normale Schmerzmittel nehmen konnte.

Noch lange nicht im Lot

Bereits am nächsten Tag ging es mir soweit gut, dass ich meinen Alltag zuhause relativ normal wieder aufnehmen konnte. Die Blutung dauerte insgesamt drei oder vier Tage und hielt dann noch mal für eine Woche als leichte Schmierblutung an. Nach einigen Tagen ging ich noch mal zum Arzt zur Abschlussuntersuchung; dort wurde überprüft, ob die Gebärmutter leer ist oder ob sich noch Reste darin befinden, die man ggf. hätte ausschaben müssen – das war zum Glück nicht der Fall.

Was mich im Nachhinein überrascht hat und womit ich nicht gerechnet hatte, war wie lange mein Körper nach dem Schwangerschaftsabbruch gebraucht hat, um wieder ins Lot zu kommen. Ich hatte einige Monate lang immer wieder Schmierblutungen und keinen regelmäßigen Zyklus. Andererseits hatte ich zuvor in den wenigen Tagen der Schwangerschaft ja auch schon bemerkt, wie mein ganzer Körper sich auf „schwanger“ umgestellt hatte. Im Sommer, also so vier oder fünf Monate nach dem Abbruch, war dann alles wieder normal. Die Kosten für den Schwangerschaftsabbruch wurden in meinem Fall von der Sozialkasse getragen, da ich zu dieser Zeit nur geringfügig beschäftigt war. Wenn man eine feste Stelle hat, muss man die Kosten jedoch privat bezahlen.

Ich habe die Entscheidung, diese vierte Schwangerschaft abzubrechen, noch nie bereut. Ich habe auch noch nie nachgerechnet – „jetzt wäre der Entbindungstermin gewesen“ oder in der Art. Ich habe mich nie gefragt, ob ich einen Jungen oder ein Mädchen bekommen hätte. Ich hatte einfach keinerlei emotionale Bindung zu dieser Schwangerschaft und daran hat sich bis heute nichts verändert. Für mich war es der absolut richtige Weg und ich bin froh und dankbar, dass alles so reibungslos und mit so guter Unterstützung, auch durch meinen Mann abgelaufen ist.
Ich bin auch froh, dass der Abbruch mit Tabletten durchgeführt werden konnte und ich nicht in die Klinik zu einem Eingriff musste. Das war vorrangig deswegen möglich, weil ich zum Zeitpunkt des Abbruchs erst in der sechsten Schwangerschaftswoche war.

Dennoch erzähle ich nicht vielen Menschen davon, denn ich möchte niemanden verletzen. Es gibt so viele Frauen, die sich sehnlichst ein Kind wünschen und keins bekommen können – ihnen gegenüber fühle ich mich tatsächlich manchmal undankbar.