“Es ist nicht dasselbe, ein Kind zu bekommen und Mutter zu werden.”

Wir folgen Jana Heinicke schon lange und sehr gerne bei Instagram. Sie schreibt über das Mutter werden, unsere Bilder von Mutterschaft und die Mythen, die damit verbunden sind. Auch geht es bei ihr viel um gleichberechtigte Elternschaft und Vereinbarkeit. Jetzt hat Jana ein Buch geschrieben: „Aus dem Bauch heraus. Wir müssen über Mutterschaft sprechen“. Und wir haben uns darüber mit ihr unterhalten!

Liebe Jana, warum müssen wir über Mutterschaft sprechen? Kannst du dich an den Moment erinnern, an dem du wusstest, dass du dieses Buch schreiben willst?

Es gab nicht diesen einen Moment, es war eher ein fließender Prozess. Eine Freundin und Autorinnenkollegin hat mich auf die Idee gebracht, aus meinen Gedanken ein Buch zu machen. Ich hatte damals angefangen, meine Gedankenfetzen ins Internet zu schreiben. Und das ist aus einem Gefühl „Bin ich eigentlich im falschen Film?“ heraus entstanden.

Mein Bild, das ich von Mutterschaft hatte, war für mich einfach so universal, ich habe das nie bewusst hinterfragt. Für mich war klar, dass Mutterschaft so ist und ich habe nie daran gezweifelt, dass es auch bei mir so sein wird.

Ich dachte, wenn das Kind erst da ist, ist mein Leben besser und ich bin auf Wolke 7 und es ist das totale Glück. Der ganze Mythos eben. Und dann war es aber nicht so – auf keiner Ebene. Ich habe angefangen, öffentlich darüber zu schreiben, weil es in meinem privaten Umfeld keine Ansprechpartner*innen dafür gab. Ich hatte auch ganz große Angst, mein Schreiben zu verlieren. Zu der Zeit habe ich ganz deutlich gemerkt, dass sich mein Kopf verändert und ich Wortfindungsschwierigkeiten habe und meine Konzentrationsfähigkeit leidet. Ich wusste gar nicht mehr, wer ich bin, wo ich stehe, ob es bestimmte Wörter noch gibt und ob ich noch schreiben kann. Zwischen Stillen und Spaziergängen mit dem Baby habe ich all diese Gedanken auf Instagram veröffentlicht und daraus ist die Idee zu dem Buch entstanden. Auch durch die große Resonanz, die ich auf das Thema bekommen habe.

Du schreibst in deinem Buch ja sehr ausführlich darüber, dass dieser Muttermythos und die Erwartungen, die damit einhergehen, tatsächlich konkrete Auswirkungen haben – auf Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett. Und du hast insgesamt viel dazu recherchiert, wie groß die Veränderungen sind. Was hat dich am meisten überrascht oder beeindruckt?

Dass das Gehirn sich verändert. Und zwar unwiderruflich. Das hatte ich vorher noch nie gehört und fand es wirklich krass. Die niederländische Neurowissenschaftlerin Elseline Hoekzema hat mittels verschiedener Hirnscans herausgefunden, dass sich die Gehirnstruktur von Menschen, die durch Schwangerschaft und Geburt gehen, dauerhaft verändert. Der Computer konnte mit hundertprozentiger Wahrscheinlichkeit anhand des Scans erkennen, ob es sich um das Gehirn einer Mutter handelt oder nicht. Sechs Jahre später hat sie diese Studie wiederholt, mit den gleichen Probandinnen. Und die Veränderungen am Gehirn waren noch immer da. Das finde ich krass. Vor allem, dass man davon nichts weiß. Diese noch relativ neue Erkenntnis hat keine großen Wellen geschlagen oder ist viral gegangen. Warum nicht? In Frauenzeitschriften sprechen wir noch immer über Hängebrüste und Cremes, die uns wieder „schöner“ machen sollen. Aber nicht darüber, dass unser Gehirn sich verändert. Wow! In dem Zusammenhang ist es noch wichtig, zu erwähnen, dass Menschen, die nicht durch Schwangerschaft und Geburt gegangen sind, aber Kinder haben, diese Veränderungen im Gehirn auch haben – allerdings funktionell und nicht strukturell. Das heißt, dass die Veränderungen sich wieder zurückbilden können.
Die Forschung steht noch sehr am Anfang, aber wer mehr über das „Mom Brain“ erfahren will, kann mal in den „Mommy Brain Revisited Podcast“ von Dr. Jodi Pawluski reinhören.

Wussten Sie zum Beispiel, dass sich das Gehirn einer Person, die schwanger ist und gebärt, dauerhaft verändert? Dass die Strukturen ihres Gehirns vermutlich für den Rest ihres Lebens andere sein werden und dass dieser Umstand ihr Denken beeinflussen wird, die Art und Weise, wie sie sich organisiert, wie sie arbeitet, wie sie funktioniert, wie sie sich sorgt, wie ihr Umfeld sie wahrnimmt? S. 22

Du hast dich auch intensiv mit Muttergefühlen auseinandergesetzt – mit deinen eigenen und auch damit, wie sie verwendet werden.

Als ich auf den Begriff der „Muttertät“ gestoßen bin, war ich unheimlich erleichtert. Den Begriff haben die Schwestern und Doulas Natalia Lamotte und Sarah Galan nach Deutschland gebracht. Bevor ich von Muttertät gehört hatte, war da nur so ein diffuses Gefühl, dass sich das Kinderkriegen so sehr auf meine Identität auswirkt. Es sind zwei unterschiedlichen Sachen – ein Kind zu bekommen und Mutter zu werden. Da sind zwei verschiedene Prozesse, die oft parallel passieren und sich natürlich gegenseitig bedingen, aber es wäre wichtig anzuerkennen, dass es unterschiedliche Sachen sind. Darüber wird kaum gesprochen. Dabei wäre es so wichtig, beides auch getrennt voneinander zu betrachten. Und Muttertät beschreibt so wunderbar dieses Mutterwerden. Es ist wie eine zweite Pubertät, das wurde inzwischen auch wissenschaftlich belegt. In dieser Zeit passieren in einem ganz ähnlichen Ausmaß neurologische, hormonelle, körperliche und auch spirituelle Veränderungen. Nur passiert das in der Muttertät in einem viel kürzeren Zeitraum. Wenn wir uns an unsere eigene Pubertät zurück erinnern, bekommt man eventuell ein Gefühl dafür, wie krass diese Zeit sein kann. Und damals wurden wir noch von unseren Eltern begleitet und der Prozess ging über mehrere Jahre. Wir waren behütet und konnten uns ausprobieren und einfach jugendlich sein. Auch gesellschaftlich gibt es ein Verständnis für diese Phase. So ein Verständnis für die Muttertät gab es 2019 noch nicht, als ich Mutter geworden bin. Erst im März 2021 veröffentlichten die Schwesterherzen Doulas zum ersten Mal diesen Begriff und ihre Gedanken dazu in einem Instagrampost. Vorher gab in den USA den Begriff matrescence, den die US-amerikanische Anthropologin Dana Raphael erfunden hat. Sie hat bereits in den Siebzigerjahren ähnliche Beobachtungen gemacht. Aber erst 2008 hat die Reproduktionspsychologie angefangen, sich dafür zu interessieren, wie sich Mutterschaft auf die Person auswirkt, die das Kind bekommt. Vorher wurde Mutterschaft immer nur in Bezug auf das Kind untersucht. Für mich war das eine große und wichtige Erkenntnis und ich hätte mir gewünscht, dass ich das schon vorher gewusst hätte.

Hast du denn das Gefühl, dass sich etwas verändert? Auch durch Social Media, durch #ehrlicheelternschaft… Oder findet das nur in einer Bubble statt?

2021 hat Mareice Kaiser „Das Unwohlsein der modernen Mutter“ veröffentlicht und einen Bestseller gelandet. Vermutlich auch vor dem Hintergrund der Pandemie und den ganzen Lockdowns. Diese Zeit hat ein Brennglas auf strukturelle Missstände im familiären Bereich gelegt. Es gab viele Schlagzeilen, das Thema war medial sehr vertreten. Seitdem wird sehr viel mehr zu diesem Themenkomplex veröffentlicht und es ist mehr Aufmerksamkeit dafür da – auch außerhalb von Social Media. Das finde ich sehr spannend und gut, aber solche Veränderungen passieren sehr, sehr langsam. Deswegen brauchen wir noch mehr solcher Bücher und müssen weiter im großen Stil darüber sprechen und schreiben.

Ein Gefühl, dass scheinbar unmittelbar mit Mutterschaft verknüpft ist, ist Scham. „Mom Guilt“ ist ja auch ein Begriff, den man immer mal wieder liest. Du schreibst auch darüber und erzählst von Beispielen. Woher kommen die Scham und der Druck?

Das Gefühl der Scham geht ganz stark mit dem Druck einher, diesem Muttermythos zu entsprechen, mit dem wir sozialisiert wurden. Wobei ich mich sehr schwer tue, das so allgemein zu formulieren. Ich selbst bin in Ostdeutschland geboren, aber in Wendezeiten sozialisiert worden. Meine Mutter und die Mütter meiner Freundinnen sind auch in Ostdeutschland sozialisiert worden und waren alle berufstätig. Die Freiheit bestand also darin, einen Beruf ausüben zu dürfen und nebenher den ganzen Mental und Care Load zu haben. Dass „Fremdbetreuung“ etwas Schlechtes ist, damit sind wir gar nicht aufgewachsen. Deswegen war das für mich auch gar kein Thema oder etwas, für das ich mich geschämt habe. Da gibt es also Unterschiede. Aber bestimmte Mythen und Ideale ziehen sich durch die gesamte deutsche Gesellschaft. Zum einen dieser krasse Natürlichkeitskult, der auch sehr stark mit der NS-Zeit verbunden ist. Und zum anderen das Ideal der Mutterliebe – das hat es auch in Ostdeutschland gegeben.

Denn Muttergefühle werden umgangssprachlich und auch medial fast ausschließlich als Synonyme für Mutterliebe verwendet. (S.172)

Diese Liebe wird an den Dingen gemessen, die man für das Kind tut. Es wird bemessen, ob man eine gute Mutter ist. Und wenn du Mutter wirst, willst du auch eine gute Mutter sein. Da gibt es also dieses Ideal und man merkt auf einmal, dass man dem nicht gerecht werden kann. Also schämt man sich.

Unser Mutterbild und auch die Geschlechterrollen gehen auf die Aufklärer des 18. und 19. Jahrhunderts zurück. Sie schufen das Bild einer liebevollen, zugewandten Mutter. Das Mutterbild, wie wir es heute also kennen, ist weder naturgegeben, noch über Nacht entstanden. Es war ein Prozess, der über mehrere Generationen dauerte. Und ich finde so gut, wie es die Kulturwissenschaftlerin Evke Rulffes beschreibt: Dieser Prozess verlagerte den gesellschaftlichen Druck ins Innere der Frauen und dass er sich dort „in Gestalt des schlechten Gewissens äußert, macht dieses Modell der Mutter bis heute so wirkmächtig“. Das ist ein wichtiger Punkt. Zu Zeiten der Aufklärung wurde behauptet (!), Mutterschaft sei die naturgegebene Rolle der Frau und dass es in den Genen der Frauen liegt, Mutter zu werden. Diese Behauptung ging außerdem mit einem Heilsversprechen einher: „Wenn du es schaffst, deiner Rolle gerecht zu werden, ist das dein allergrößtes Glück und du wirst Erfüllung finden.“ Und das ist ein sehr wirkungsvoller Zweikomponentenkleber. Denn wenn du es nicht schaffst, wenn du nicht die absolute Erfüllung findest, dann muss ja mit deiner Natur etwas nicht stimmen. Wir suchen also den Fehler bei uns – und nicht im gesellschaftlich vorherrschenden Bild von Mutterschaft. Wir denken, es ist unser individuelles Versagen – und dann schämen wir uns. Zum Glück ändert sich das jetzt langsam.

Bist du denn jetzt angekommen im Muttersein?

Spannende Frage. Als ich mit meinem Buch fertig geworden bin und es auf dem Weg zum Verlag war, hatte ich tatsächlich das Gefühl, dass das Mutterwerden nochmal auf einer ganz anderen Ebene abgeschlossen war. In gewisser Weise war das Buch eine Art Reflektion dieser Zeit der Überforderung und Ohnmacht, die ich immer wieder gespürt habe. Durch das Buch und das Wissen konnte ich mir ein Stück Macht und Selbstbestimmung zurückholen. Das Mutterwerden war dann abgeschlossen und ich konnte sagen: Ich bin jetzt Mutter. Und das wiederum hat einen anderen Raum geöffnet. Dadurch konnte ich mich nochmal ganz anders der Beziehung zu meinem Kind zuwenden und mich mit Erziehungs- bzw. Begleitungsfragen beschäftigen. Das wäre in den ersten zwei Jahren so gar nicht möglich gewesen, da ich in der Zeit damit beschäftigt war, Mutter zu werden. Das bringt natürlich auch neue Herausforderungen mit sich. Die Frage nach der Vereinbarkeit und der Aufteilung von Carearbeit wird immer stärker. Die war zwar vorher auch schon da, aber da gab es keinen richtigen Platz dafür. Wenn man mitten in einer Wochenbettdepression steckt, geht es oft einfach darum, den Tag irgendwie zu überleben. Wie wir unsere Rollen aufteilen, daran arbeiten wir jetzt mehr.

Du schreibst im Buch, dass dein Partner und du zu den 17 Prozent der heteronormativen Elternpaare gehört, denen es gelingt, sich die Sorgearbeit so aufzuteilen, dass sie nicht zu Hauptlasten der Mutter (dir) geht. Wie läuft das konkret ab?

Wir haben uns nie bewusst aufgeteilt. Es ist eher durch die Umstände und die Herausforderungen unserer Jobs entstanden. Mein Partner arbeitet auch frei und sehr projektbezogen. Er ist dann mal wochenweise weg, ist aber sonst hier und kann von 9-5 einen Bürojob machen. Es sind also ein großer Zufall und berufliches Privileg, dass wir uns die Zeit frei einteilen können. Zuletzt habe ich ja an diesem Mammutprojekt geschrieben, mit viel Recherche und emotionaler Arbeit. Da war klar, dass er mir den Rücken frei hält. Deswegen hat er etwa 80% übernommen. Zusätzlich haben wir noch eine Oma hier vor Ort, die schon in Rente, aber noch total fit ist. Sie hat unterstützt, wenn wir beide arbeiten mussten. Gleichberechtigt ist es bei uns nicht, da mein Partner sehr viel mehr gemacht hat in der Vergangenheit. Das hat man auch an den Bewertungen von außen gespürt. Und auch für mich war es schwierig und ich habe mich geschämt. In der Zeit, in der ich so viel gearbeitet habe, hat das Kind sich zum Beispiel nicht von mir ins Bett bringen lassen. Das tut natürlich weh und ist bitter. Uns ist bewusst, dass die Aufteilung sehr ungewöhnlich ist, da es in den meisten Familien exakt umgekehrt ist. Wir wollen aber beide, dass die Aufteilung wieder gerechter wird.

Du hast diese Frage in deinem Buch: „Ist es unter den gegebenen Umständen und Strukturen überhaupt möglich, so etwas wie eine feministische Mutterschaft zu leben?“ Was ist deine Antwort darauf?

Die Frage hat mir eine Followerin gestellt und ich finde sie sehr bezeichnend für den Instagram-Bubble-Feminismus. Wenn man sich anschaut, was unter #feministischemutterschaft steht, geht es viel um 50/50 Aufteilung. Das finde ich schwierig. Das setzt nämlich immer voraus, dass jede*r es besser machen könnte. Aber das stimmt nicht. Nicht jeder Elternteil hat einen anderen Elternteil an der Seite. Nicht alle Eltern verfügen über die finanziellen, gesundheitlichen und körperlichen Ressourcen, die man für 50/50 braucht. Deswegen brauchen wir Veränderungen auf gesellschaftspolitischer Ebene, deswegen brauchen wir andere Strukturen, die niemanden benachteiligen. Dafür ist es auch total wichtig, feministische Elternschaft zu leben. Aber das geht nur individuell. Oft gibt es die Forderung, sich gesellschaftspolitisch zu informieren und feministische Diskurse zu verfolgen. Ich finde diese Forderung zwar wichtig, aber nicht für alle. Die Eltern, die die Ressourcen dafür haben, sollen das unbedingt machen, um so auch Veränderungen voranzubringen. Auf der anderen Seite gibt es aber viele Eltern, die nicht die Ressourcen haben, sich zu informieren oder zu engagieren. Diesen Eltern vorzuwerfen, sie würden keine feministische Elternschaft leben, finde ich vermessen. Ich würde gerne manche Vorstellungen von Feminismus abbauen. Wir brauchen einen milderen und inklusiveren Blick. Feministische Elternschaft kann ganz, ganz viel bedeuten. Es kann auch bedeuten, mild mit sich selbst zu sein. Besonders in den Momenten, in denen die eigenen Ressourcen nicht reichen. Im Buch schreibe ich, dass es für mich ein bewusst getroffener Kompromiss ist.

Ein Abwägen zwischen emotionalen und finanziellen Notwendigkeiten, zwischen Familienalltag und beruflichen Ambitionen, zwischen dem Versuch, Zukunftsvisionen einer gerechteren Welt wahr werden zu lassen, und der pragmatischen Erkenntnis, irgendwie mit dem Status quo arbeiten zu müssen. S. 207

Du hast schon über den Natürlichkeitskult gesprochen. Und auch im Buch schreibst du darüber, vor allem im Kapitel zu deiner eigenen Geburtserfahrung. Dein Blick auf Natürlichkeit hat sich ganz schön verändert…

Ich komme aus einem Bilderbuch-Öko-Eso-Haushalt, in dem das Bild der Natürlichkeit immer sehr hochgehalten wurde. Viel Bioladen, viel Globuli, viel Yoga und Räucherstäbchen und so. Ich habe mich dadurch auch lange Zeit moralisch überlegen gefühlt. Viele Befürworter*innen der vaginalen Geburt nutzen das Argument, dass jede dritte Geburt ein Kaiserschnitt ist und dass diese viel zu hohe Zahl an der Pharmaindustrie und an den schlechten Bedingungen im Kreißsaal liegt. Sie sagen auch, dass man das ja verhindern kann, wenn man sich nur gut genug vorbereitet. Und das ist extrem klassistisch und ableistisch. Es gibt bestimmte Voraussetzung, um außerklinisch zu gebären und die sind körperlicher und gesundheitlicher Natur und nicht alle Menschen bringen die eben mit. Zudem ist es eine finanzielle Frage. Eine außerklinische Geburt wird nur zu bestimmten Teilen von den Krankenkassen übernommen. Von 800 € Rufbereitschaft übernimmt die Krankenkasse, wenn man Glück hat, 250 € – wer zahlt dann die restlichen 550 €? Die muss man ja erstmal haben. Ich hatte mich sehr viel mit dem Thema Geburt beschäftigt und habe mich gut vorbereitet gefühlt. Und ich hatte mich rechtzeitig um eine außerklinische Geburt bemüht und das Geld, sie mir leisten zu können – und trotzdem ist es ganz anders gekommen. Das ist ein Aspekt der Natürlichkeit, der gerne ausgeklammert wird. Nämlich, dass die Natur doch größer ist als unser Wille oder unser Ego. Du kannst die Geburt zwar planen, aber es kann trotzdem ganz anders kommen. Und sich dann darauf einlassen zu können, ist ganz wichtig und das geht viel einfacher, wenn man nicht mit bestimmten Stigmata konfrontiert ist. Der Tod gehört zur Natur dazu und das sollte man in der Diskussion nicht vergessen. Selbstverständlich ist auch das andere Extrem, das der sogenannten „programmierten Geburt“ in der Klinik schwierig, aber darüber schreibe ich auch ausführlich im Buch.

Wir, der weiße globale Norden, haben der Natur ein Skript geschrieben. Es ist ein Konzept der Natürlichkeit. Es klammert aus, dass die Natur nicht nur für das Wunder des Lebens verantwortlich ist, sondern es genauso auch wieder nehmen kann – manchmal sogar, noch bevor es richtig begonnen hat. S.97

Mit all deinem Wissen, das du jetzt hast – was hättest du gerne vorher gewusst? Oder was würdest du einer werdenden Mutter gerne mitgeben?

Es ist nicht dasselbe, ein Kind zu bekommen und Mutter zu werden. Und wir müssen anfangen, ehrlich darüber zu sprechen, was es bedeutet, Mutter zu werden. Wir müssen aufklären und mit dem Muttermythos brechen. Wir müssen Bilder kreieren, aus denen man wählen kann. Das ist auch das, was wir jetzt machen können – mit “wir” meine ich alle Menschen, die eine Stimme habe – dass wir sagen, wie es für uns wirklich ist, mit all der Ambivalenz und in all dem Facettenreichtum. Und dass wir die Geschichten und Bilder der anderen einfach stehen lassen, ohne sie zu bewerten. Das ganze Thema ist mit so viel Schmerz und Scham belegt und jetzt ist der Moment, in dem die Karten wertungsfrei auf den Tisch gelegt werden können. So können die, die nach uns Mutter werden, schauen, was es wirklich bedeutet: Also, Mutterwerden und Kinder bekommen. Das sind ja zwei verschiedene Fragen – und es kann durchaus lohnenswert sein, sich beide bewusst zu stellen: Will ich ein Kind oder gar mehrere Kinder haben? Und: Will ich wirklich Mutter werden? Was bedeutet das für mich? Was bedeutet das im kapitalistischen Patriarchat?

Danke, Jana!

Übrigens: Wir verlosen heute zwei Exemplare von „Aus dem Bauch heraus. Wir müssen über Mutterschaft sprechen“ auf Instagram.