“Ich kann jeden Vater nur ermutigen, sich für ein paar Monate in das Abenteuer Elternzeit zu stürzen, und zwar allein.”
Elternzeit. Oder: Wie viele Endorphine sind eigentlich gesund?
Spätestens, als ich schreiend den Aufsatz des Breikochers gegen die Wand feuerte, wusste ich: Die ganze Sache ist ein Riesenfehler. Es ist ernst. Und ich bin ein Idiot. Mir war klar: Die Entscheidung, sieben Monate Elternzeit zu machen, war die dümmste, die ich in einer Aneinanderreihung von Dummheiten in meinem Leben getroffen hatte. Ich verfluchte den Staat, der durch seine Elternzeitregelung erst das Tor zur Hölle einen Spalt breit geöffnet hatte. Ich schimpfte auf meine Frau für ihr liberales Familienbild, obwohl sie weder für den Breikocher noch für irgendeine andere negative Begleiterscheinung in meinem Leben verantwortlich war. Ich kotzte auf meine Arroganz, ernsthaft anzunehmen, dass ich das bisschen Elternzeit mit dem Baby auf einer Arschbacke absitzen könne.
Mein Selbstbild vom Superdaddy, der mit einer Hand einen Flat White balanciert, während er mit der anderen das Baby mit frisch gekochtem und ökologisch einwandfreiem Polentasticks füttert und dabei von der vorbeihastenden Menschheit für seine Nonchalance und seine modernen Lebensentwurf abgefeiert werden würde, bröckelte nicht, nein, es lag in Trümmern vor mir, und zwar aus Hartplastik in einer Ikea Tasche voller Pfandflaschen. Hier sind wir ja unter uns, deswegen kann ich es zugeben: Innerlich motzte ich sogar über meine sieben Monate alte Tochter, die nur wenige Meter entfernt seelenruhig in ihrem Bett schlummerte, während ich kurz vorm Nervenzusammenbruch stand. Warum muss ein Kind überhaupt Brei essen? Warum jetzt? Warum von mir gekocht? Gedünstete Bio Pastinakenstücke rannen wie hektische Nacktschnecken die Raufasertapete herunter. Ich war am Ende. Ich wollte heulen.
Gerade einmal zwei Stunden in meiner ersten Elternzeit waren vergangen.
Knapp sieben Monate später fiel die Eingangstür der Kita ins Schloss. Auf der anderen Seite hörte ich meine Tochter euphorisch fiepsen, weil sie andere Kinder sowie neues Spielzeug kennen lernte und eine andere Welt betrat. Und hier stand ich, erstmals seit sieben Monaten allein und auf mich gestellt. Kind glücklich eingewöhnt, mission accomplished, willkommen zurück im Leben. Und auch, wenn es komisch klingen mag (denn ich bin alles andere als ein gefühlsduseliger Typ): Wieder standen mir die Tränen in den Augen.
Denn ich wusste in diesem Moment, dass die zurückliegenden Monate die intensivsten, abwechslungsreichsten, anstrengendsten, aber eben auch erfüllendsten Monate meines Lebens gewesen waren. Vielleicht sogar der Sommer meines Lebens. Und der war jetzt vorbei.
Der Weg zu dieser Erkenntnis war oft hart und manchmal scheiße, nicht nur wegen der vollgekackten Windeln. Nein, wer als Vater allein in Elternzeit ist, steht vor Hürden, die lange unüberwindbar und im Nachhinein lächerlich wirken. Da ist einerseits diese Mauer des Schweigens. Gebildet von Müttern mit Babys im gleichen Alter. Ja, wenn Mamas schweigen, kriege ich Stress. Das wäre nicht nur ein ganz fantastischer Albumtitel meiner noch zu gründenden Papa Band (Arbeitstitel: The Talking Dads), sondern war auch die Realität in den ersten Wochen meiner Elternzeit. Es ist nun mal so, dass Mütter in Elternzeit selbst in Berlin Friedrichshain in der Überzahl sind. Von außen betrachtet, wirkten sie auf mich in der ersten Zeit wie eine Camorra. Geheimnisvoll, mit komplizierten Initiationsriten und seltsamen Codes, die einen jungen Vater erstmal überfordern müssen, bewegten sie sich in Kleingruppen durch die Straßen und signalisierten: wir Gang, du nix. Mamma mia.
Fast täglich machte ich mich auf den Weg zu irgendeinem Babykurs, um dem Tag eine Art Struktur zu geben. Und immer war es anfangs das gleiche Szenario: Von Weitem hörte ich ihre Stimmen, das Gelächter, Geräuschfetzen ihres Mutterstolzes drangen durch die Tür. Doch kaum betrat ich den Raum, folgte eisiges Schweigen. Warum?
Frisch gebackene Mamas sind erstmal misstrauisch gegenüber Männern, die mit Kinderwagen und Babytrage durch die Straßen gehen. Die bei Babykursen mitsingen, mitschunkeln und mitmassieren. Offenbar werden Elternzeitpapas als höchst suspekte Wesen betrachtet, die hier und jetzt, in ihrer Welt, genauso willkommen sind wie ein Dritter Weltkrieg.
Ja, es fühlte sich für mich so an, als betrete man als Vater nahezu stündlich einen Schutzraum, in dem Mamas am liebsten unter sich bleiben würden. Auf dem Spielplatz, am Wickeltisch im Drogeriemarkt, im Café, im Babykurs. Sicher, es gibt jene exklusiven Mütterthemen, zu denen ich nichts Geistreiches beitragen kann. Ich habe nicht neun Monate einen Alien in mir wachsen gespürt. Ich habe keine zwanzig Kilo zugelegt zum Wohle des Kindes. Es waren lediglich fünfzehn. Ich habe kein vier Kilo schweres, fünfzig Zentimeter langes Wesen aus meinem Unterleib gepresst. Ich habe nicht die intimste Zone meines Körpers präsentiert – sondern nur danebengestanden, als all das geschah. Händchen gehalten. Ruhe ausgestrahlt. Das ist lächerlich verglichen mit dem, was Mütter bei der Geburt durchmachen. Wehen ist für mich eine Stadt bei Wiesbaden, und selbst die würde ich am liebsten meiden. Falls sich ein Besuch nicht vermeiden ließe, sollte er kurz und schmerzlos sein. Zumindest eine Parallele zum Geschehen im Kreißsaal.
Mich hat es täglich Überwindung gekostet, mit aller Vorsicht in diesem Schutzraum vorzudringen.
Zu zeigen, dass Mamas und Papas eigentlich die gleichen Probleme teilen. Schreianfälle, Haushalt, Schlafrhythmen: Dieser ganze lächerliche Scheiß, der gerade das Zentrum unseres Lebens ausmacht. Jeder kleine Small Talk hat am Ende geholfen, diese Mauer ein bisschen abzubauen. Hätte ich vorher auch nicht für möglich gehalten, dass die blanke Angst davor, in den kommenden sieben Monate ausschließlich in Urlauten zu kommunizieren und zwischen Wäschebergen und Breiflecken auf dem Parkett zu verzweifeln, mich zu einer Plaudertasche machen würde. Mich, jenen Kerl, der zuvor lieber mit einer tollwütigen Hyäne Schlammcatchen gemacht hätte, statt ein unverbindliches Gespräch mit Fremden anzufangen.
Seltsamerweise fiel es mir in meiner zweiten Elternzeit noch schwerer, was daran gelegen haben mag, dass ich noch älter und verbohrter geworden bin. Oder dass man als Vater von zwei Kindern bei den meisten Themen denkt: »Ach, das hatten wir damals auch, aber das wird sich schon regeln.« Man will ja nicht als altkluger Angeber dastehen, deswegen schweige ich meist und denke nichts oder mir meinen Teil. Deswegen war die zweite Elternzeit vom Spaßfaktor für mich lange auch weitaus überschaubarer. Ich brauchte einige Zeit, um zu erkennen, dass vielleicht ist nicht mehr alles neu und spannend ist, sondern vieles Alltag. Es ist ein bisschen so, als hätte man seinen Lieblingsfilm schon ein bisschen zu oft gesehen. Es fängt sogar an ein bisschen anstrengend zu werden. Die federleichte Euphorie, die Vorfreude ist ein bisschen verflogen. Es mutiert zu Arbeit, wofür mein Sohn gar nichts kann. Der Kleine ist ein Quell guter Laune, krabbelt und entdeckt die Welt. Vielleicht ist es der Tatsache geschuldet, dass ich diesmal nicht im Sommer, sondern im Winter die Elternzeit übernehme. Dauerregen, graue Wolken und Gegenwind bereiten nun wirklich nur den wenigsten Menschen eine Freude, besonders wenn man ein Baby im Kinderwagen sitzen hat. Vielleicht ist es auch das angekratzte Selbstbewusstsein, dass man diesmal alles besser machen will als beim ersten Mal, dass der Haushalt auch mal liegenbleiben darf, dass man sich seine »Quality Time« nimmt, dass man die Sachen (noch) lockerer angeht. Bei diesen ganzen Aufgaben bin ich phasenweise total verkrampft. Der ganze Driss fand in meinem Kopf statt. Dumm, oder? Als dann Anfang März die ersten Sonnenstrahlen durch die Fenster lugten, verschwand auch die Wolke in meinem Kopf. Alles wurde leichter, das Gefühl der Freiheit kam wieder, ich lag mit dem Kleinen im Spielplatzsand und grunzte. Er quiekte. Schwein gehabt.
Dann kam das Coronavirus und warf alle Sommerpläne über den Haufen.
Plötzlich hatte ich zwei Kinder zu betreuen, einen Haushalt am Laufen zu halten und mir Sorgen um die Zukunft zu machen. Wie alle anderen traf mich der Lockdown wie ein Punch von Mike Tyson, weswegen wir auch nach zwei katastrophalen Wochen in der Stadtwohnung den ungeordneten Rückzug in mein Heimatdorf antraten. Und trotz all des Alltagsstresses, der Wut und der Ohnmacht erkannte ich, dass diese Situation mir als Vater, aber auch uns als Familie guttat. Alle rückten näher zusammen, die Kinder verbrachten zwangsläufig massig Zeit miteinander, und ich selbst sah viele Sachen deutlich lockerer. Denn wenn die Welt um dich gerade schnurstracks auf den Untergang zustolpert, werden Kacka-Flecken auf dem Shirt, angebrannte Pfannkuchen und zu wenig Schlaf nahezu lächerlich klein.
Und das ist dann wohl die zentrale Erkenntnis, die ich aus meiner Elternzeit mitgenommen habe. Alles, was ich in den achtunddreißig Jahren zuvor gelernt hatte, bildet zwar das Rüstzeug meines Charakters, bringt einen in den meisten Papa und Babysituationen aber nicht weiter. Sieben Monate allein mit einem Baby überfordern einen derart konstant, dass sich die persönlichen Grenzen verschieben und alte Denkmuster ad absurdum geführt werden. Man überlässt die Struktur des Tages dem Gusto eines Babys, dessen kurzes Leben bisher nur aus Hunger, Müdigkeit, Verdauung und Zuneigung bestand. Das nicht weiß, was ein iPhone-Kalender, Hafermilch oder Netflix ist. Das nichts kann, außer dein Leben auf den Kopf zu stellen und den letzten Fetzen Energie aus dir zu saugen. Diese Zeit hilft einem enorm, Belastungsgrenzen neu zu definieren, Sichtweisen auf Job, Freunde und Freizeit neu zu tarieren und das Leben am Ende realistischer zu sehen.
Hätte mir nur ein Jahr zuvor jemand gesagt, dass es mir völlig normal erscheint, in einem zehn Quadratmeter großen Raum mit acht anderen Frauen im Kreis zu hüpfen, in einem Arm ein Baby, im anderen das letzte bisschen Restwürde in Form einer eierförmigen Rassel, ich hätte es vielleicht noch für einen guten Witz gehalten. Dass ich dabei aber auch noch lautstark über einen imaginären Zug singe, in dem wir fahren … »Tschu-Tschu-Tschu, und da, was sehen wir da? Eine Kuh! Muuuuuuuuuuh. Eins, zwei, drei, schon ist sie vorbei. Tschu-Tschu-Tschu.«
Sorry, ich kann nicht anders.
Hätte mir also jemand gesagt, dass mir all das völlig normal erscheint, dass es mich nicht stört, durchgeschwitzt zu Trommelschlägen über giftgrünen Veloursteppich zu rollen, ich hätte demjenigen zu seiner blühenden Fantasie gratuliert und ein Bier ausgegeben. Wie die Dinge sich doch ändern. Nach wie vor dient vielen Vätern das liebe Geld, die Karriere, der Traum von Haus und Boot auch als willkommene Blendgranate, um sich gar nicht erst in diese Situationen zu begeben. Dieses Alleinsein mit dem schreienden Minimenschen. Dieses Überfordertsein vom Tag. Dieses sich mit Kotze auf dem Sneaker vom geplanten Tagesablauf verabschieden.
Natürlich gibt es dafür ein paar systembedingte Gründe, die man hinterfragen muss. Ja, wir leben in einem Steuersystem, das weiterhin den Hauptverdiener begünstigt und – gepaart mit der absurd ungleichen Bezahlung zwischen Mann und Frau – oft zur traditionellen Rollenverteilung führt: Papa verdient das Geld, Mama kümmert sich um die Kinder. Hinzu kommen die unzulängliche Betreuungsmöglichkeiten, die nicht selten in Horrorszenarien enden. Schon mal mit jungen Eltern über die Kitasuche gesprochen, ohne wütend zu werden? Glückwunsch, dann hast du ein Herz aus Stein. Ja, man kann das Gefühl bekommen, unser Staat versuche alles, um zu verhindern, dass Familien sorgenfrei und glücklich leben können.
Ich kann jeden Vater nur ermutigen, sich für ein paar Monate in das Abenteuer Elternzeit zu stürzen, und zwar allein. Kein Surfurlaub mit Kumpels, kein Roadtrip durch Indien, kein Backpacking in Südostasien wird die Sicht aufs Leben so nachhaltig verändern wie Babyzeit twentyfour-seven. Sich dauerhaft und alleinverantwortlich auf Krabbelhöhe mit einem Baby zu begeben, kann Diskussionen über Haushalt, Erziehung und den Sinn des Lebens nachhaltig bereichern. Den Stolz, wieder einen Tag zwischen Pekipkurs und Pipi auf der Jeans überstanden zu haben, kann kein abgeschlossenes Projekt im Büro liefern. Die Freude, sich trotz festgefahrener Strukturen mal wieder zu etwas Undenkbarem wie einem Frühstück im Familienzentrum durchzuringen, kann kein Geld der Welt ersetzen.
Väter machen Dinge meist anders. Füttern, das Kind aufs Klettergerüst kraxeln lassen, ohne panisch darunter zu stehen, mit einer Hand die Windeln wechseln, während man im WhatsApp-Chat die Transferaktivitäten seines Lieblingsvereins kommentiert. Das alles wirkt oft chaotischer, unprofessioneller, vielleicht sogar naiv, aber irgendwie funktioniert es. Und es macht glücklich. Das Kind. Den Vater. Die Mutter. Alle.
Väter können nichts besser als Mütter, aber eben auch nichts deutlich schlechter – gut, bis auf das Stillen – und manche Dinge vielleicht sogar gleich gut.
Als Vater allein mit seinem Kind in Elternzeit zu sein, ist wie Achterbahn fahren. Es rumpelt, es knackt, es geht langsam bergauf und ganz schnell bergab. Es macht Angst, es gibt einen Kick und man muss manchmal einfach schreien. Vor Freude. Vor Wut. Vor Liebe.
Und nicht selten merkt man mittendrin, dass der Bügel nicht geschlossen ist. Ein großer Spaß. Bis einer weint.
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