“Ich finde es gesellschaftlich bedenklich, gut ausgebildeten Frauen zu sagen: Die nächsten drei Jahre brauchen wir dich nicht”
Das Fazit der Studie hat mich, obwohl man das natürlich alles schon geahnt oder an anderer Stelle gelesen hat, dann doch schockiert: Insbesondere Mütter haben das Nachsehen, ihre Entscheidung, Kinder zu bekommen, kostet sie im Verlauf ihres Lebens bis zu zwei Drittel ihres Erwerbseinkommens (in Westdeutschland sind das 670 000 Euro). Die Gehaltslücke – aufs Leben gerechnet – zwischen Frauen mit Kindern und Männern ist und bleibt also eklatant, und die Auswirkungen der Corona-Krise werden diese Ungleichheit wahrscheinlich noch weiter verschärfen. Timm sprach mit uns über die “motherhood penalty”, warum Väter nach der Familiengründung oft sogar mehr verdienen und auf welche Widerstände und Vorurteile er als junger Vater in Elternzeit gestoßen ist.
Die Studie “Wer gewinnt, wer verliert?” widmet sich, anders als viele andere Untersuchungen, dem Lebenseinkommen. Wieso ist dieses so wichtig und welche Faktoren haben einen Einfluss darauf?
Genau, beim Gender Wage Gap werden z.B. die Monats- oder Stundenlöhne untersucht und folglich nur Personen berücksichtigt, die gerade arbeiten – Arbeitslose, oder Hausfrauen, die nicht arbeiten, weil sie die Kinder betreuen, zählen hier also nicht dazu. Deswegen wird beim Gender Wage Gap die Dimension wahrer Ungleichheit auch unterschätzt, denn Frauen, die wegen der Kinderbetreuung nicht arbeiten können, werden gar nicht erfasst. Der Gender Wage Gap liegt bereinigt bei gerade einmal sechs Prozent – aber für diesen Wert werden die Gehälter von Frauen und Männern verglichen, die in der gleichen Branche arbeiten und zudem die gleiche Berufserfahrung und Qualifikation haben. Das greift zu kurz: Frauen haben häufig, sobald sie eine Familie gründen, Zeiten von Inaktivität, somit ist es für sie auch schwerer, die gleiche Menge an Berufserfahrung zu erwerben – für Männer ist das hingegen kaum ein Problem. Viele Frauen, die sich für eine Familie entscheiden, habe also dadurch weniger Berufserfahrung, verdienen folglich weniger, hinzu kommen noch die Pausen im Erwerbsleben, die sie machen. Und oft entscheiden sie sich schon lange vor der Familiengründung gegen Berufe, die mit einem Familienleben nur schwer vereinbar sind, Anwältin in einer großen Kanzlei zum Beispiel. Frauen mit Kinderwunsch sind in gewisser Weise durch das bestehende System in ihrer Berufswahl eingeschränkt. Im Lebenseinkommen betrachten wir Gehälter also aus einer anderen Perspektive und versuchen, Aspekte abzubilden, die beim Monatsgehalt nicht berücksichtigt werden.”
Wie sehen denn die Unterschiede zwischen den Geschlechtern aus, wenn man das Lebenseinkommen betrachtet?
Über das ganze Leben hinweg liegt die Lohnlücke zwischen den Geschlechtern, also der Gender Lifetime Earnings Gap, in Westdeutschland bei rund 670 000 Euro (45 Prozent), in Ostdeutschland bei 450 000 Euro (40 Prozent). Und obwohl die Vollzeiterwerbstätigkeit bei Frauen stetig gestiegen ist, hat sich die Lücke nur marginal verringert. Dabei sind Kinder im Hinblick auf diese der entscheidende Faktor, denn die Zeiten, in denen Frauen nicht oder nur wenig arbeiten, kumulieren sich über den Lebensverlauf. Dabei zeigen unsere Analysen, dass rund 50 Prozent dieser Lebenserwerbseinkommenslücke dadurch bedingt sind, dass Frauen häufiger in Teilzeit arbeiten und ihre Erwerbsbiografien mehr als bei Männern von Zeiten der Inaktivität vom Arbeitsmarkt geprägt sind. Letzteres ist dabei unter anderem auf die Kinderbetreuung und Pflege von Angehörigen zurückzuführen. Lediglich die Lebenserwerbseinkommen der kinderlosen Frauen nähern sich denen der Männer an. In dem Moment, in dem Frauen im Job pausieren, weil eine Familiengründung ansteht, ist außerdem noch eine andere Dynamik zu beobachten: Der Mann verdient mehr, er erhält quasi ein “Fatherhood Premium”, und wird bei dieser Familiengründung strukturell bevorzugt. Das muss nicht schlimm sein, wenn sich beide einig sind – aber mit einem modernen, selbstbestimmten Leben, in dem die Partnerwahl nicht von einer ökonomischen Notwendigkeit getrieben sein sollte, lässt sich dieses Modell der Versorgerehe, in das der Arbeitsmarkt Menschen vielfach noch immer drängt, nicht vereinbaren.”
Frauen werden also, sehr verkürzt gesagt, für die Mutterschaft zumindest finanziell bestraft, in ihrer Studie wählen Du und die anderen Autoren den Begriff “Child Penalty”.
“Unsere Analysen haben gezeigt, dass sich insbesondere Frauen ohne Kinder ihren männlichen Kollegen in puncto Lebenserwerbseinkommen angenähert haben, während die Lücke für Frauen mit Kindern robust und persistent bleibt. Da Unterschiede in der Bildung nicht mehr bestehen und damit als Erklärung wegfallen, beschäftigt sich die aktuelle Forschung insbesondere damit, wie sich Kinder auf Erwerbstätigkeitsentscheidungen und damit die Entlohnung auswirken – das versteht man unter dem Begriff Child Penalty. Eine Studie aus Dänemark hat gezeigt, dass Frauen durch Kinder die Branche, den Arbeitgeber und die Beschäftigung wechseln und dass Kinder als Erklärung für Geschlechterunterschiede in der Entlohnung massiv an Relevanz gewonnen haben – die Autoren haben auch Vergleiche unter anderem für Deutschland, Österreich Großbritannien und die USA durchgeführt.
In jedem dieser Länder gibt es einen stark negativen Effekt von Kindern auf die Erwerbseinkommen von Frauen, jedoch in unterschiedlichem Maße. Besonders groß sind die Einkommenseinbußen in Österreich und Deutschland. Hierzulande ist immer noch die Frau in der Verantwortung, sobald sie eine Familie gründet. Wenn sich ein Kind ankündigt, findet eine Haushaltsspezialisierung statt: Die Lage beider Partner wird neu bewertet, oft schaut man, wie man als Familie kurzfristig möglichst viel Einkommen für möglichst wenig Arbeitszeit erzielen kann. Wenn die Frau aufgrund der Geburt und der Stillzeit minimal sechs Monate als Vollzeitkraft ausfällt, dann macht der Mann in diesen sechs Monaten weiter Karriere und die Gehaltslücke wird immer größer – das wird dann oft zusätzlich von Arbeitgebern verstärkt, die mehr als zwei Monate Elternzeit noch immer nicht wirklich akzeptieren. Frauen hingegen müssen oft schon vor der Familiengründung sehr hart dafür arbeiten, um überhaupt als potentielle Führungskraft wahrgenommen zu werden, denn Arbeitgeber gehen oft davon aus, dass Frauen die Elternzeit von bis zu 36 Monaten auch nutzen und glauben meist nicht, dass eine Frau nach sechs Monaten Pause schon wiederkommt. Es sei denn, sie vermittelt ihren Vorgesetzten überzeugend, wie karriereorientiert sie ist. Für Männer gilt diese Annahme nicht, sie müssen niemanden davon überzeugen.”
Du kennst diese Problematik auch aus der eigenen Anschauung.
“Ja, meine Frau und ich haben uns bewusst dafür entschieden, dass wir uns die Kinderbetreuung partnerschaftlich teilen und keiner von uns in seiner Karriere als Wissenschaftler komplett zurückstecken muss. Meine Frau hat beim ersten Kind, inklusive Mutterschutz, sieben Monate pausiert, ich ebenfalls, einen Monat davon waren wir beide gleichzeitig in Elternzeit. Ich fand es gut, das so zu erleben und auch wirklich mit dem Kind alleine zu sein und nicht nur eine Elternzeitreise zu machen, denn es hat die Bindung natürlich sehr gestärkt und ich finde, es hat mich zu einem besseren Vater gemacht. Aber aus der Sicht eines verbeamteten Professors, der auf über die Hälfte seines Gehalts verzichtet, um Zeit mit den Kindern zu verbringen, wäre es, wenn man es rein monetär betrachtet, natürlich kein Vorteil. Ich wusste aber, dass meine Partnerschaft und unser Leben als Familie langfristig von der Entscheidung, beide Partner in ihrem Beruf zu berücksichtigen und zu fördern, profitiert, denn meine Frau ist ebenfalls Akademikerin und kann nicht einfach jahrelang pausieren, damit würde sie ihre Karriere aufgeben.”
Bist Du auch auf Widerstände gestoßen?
“An einem Nachmittag in meiner Elternzeit hielt ich einem Vortrag auf einer Veranstaltung der Bertelsmann Stiftung, und ein älterer Kollege begrüßte mich mit den Worten: “Das ist ja schön, dass sie ihren Urlaub unterbrechen und heute bei uns sind ”. Eine Kollegin, die diesen Spruch ebenfalls gehört hat, ist an die Decke gegangen! Ich musste also gar nicht alleine gegen dieses Vorurteil ankämpfen. Die Annahme, dass Erziehungsarbeit sich irgendwie von selber erledigt, dass Mütter nichts tun, außer in Cafés Latte Macchiato zu trinken und die Kinder laufen so nebenher, ist unter meinen Geschlechtsgenossen und Kinderlosen immer noch weit verbreitet. Corona hat das noch einmal deutlich gemacht: Viele scheinen nicht zu verstehen, wie extrem die Probleme waren, die Familien durch den Wegfall von Kindergärten und Schulen hatten. Das ist nebenbei bemerkt auch eine ziemliche Abwertung des Erzieher*innen- und Lehrer*innenberufs. Ginge das einfach so nebenbei, Kinder zu betreuen oder zu unterrichten, dann bräuchten wir diese Berufe nicht. Das Bewusstsein, dass Kinderbetreuung Arbeit ist, fehlt häufig. Vätern wird auch oft nicht zugetraut, dass sie wirklich in Elternzeit gehen: Bei der Elterngeldstelle wurden wir zum Beispiel gefragt, ob wir wirklich sieben Monate Elternzeit für mich anmelden wollen, weil das doch ohnehin nichts wird. Anscheinend erwarten also selbst dort die Zuständigen, dass Männer zwar ankündigen, die Hälfte der Elternzeit zu übernehmen, das aber nicht klappt.”
Ist Deutschland in dieser Hinsicht besonders rückschrittlich?
“In Skandinavien, zum Beispiel in Norwegen, gibt es eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familien. Dort werden gewisse Aufgaben im Arbeitsleben nicht in Randzeiten gepackt, generell wird die Kernarbeitszeit da sehr konsequent durchgesetzt. Allerdings hängt dort die Familienarbeit auch zum größten Teil an den Frauen. Trotzdem ist der Fokus auf das, was geschafft werden muss, und nicht auf die Zahl der Stunden, die man im Büro verbringt, ein wichtiger Ansatz, wenn es um Vereinbarkeit geht.”
Könnte man überspitzt denn sagen, Mutter sein rechnet sich nicht?
“Dann rechnet sich das Vatersein aber auch nicht. Als Ökonom betrachte ich die monetäre Seite des Lebens, aber damit lässt sich nicht messen, dass das erste Jahr mit den Kindern zu verbringen für viele einzigartig und voller Glück ist, auch wenn ihr Lebenseinkommen dadurch niedriger ausfällt. Ökonom*innen messen Lebensglück und Zufriedenheit nun einmal anhand von Geld, weil dieses Konsum ermöglicht und so in gewisser Weise auch ein schöneres, zumindest einfacheres Leben – aber das ist natürlich eine totale Verkürzung. Mütter entscheiden sich für Kinder, obwohl sie wissen, es gibt das Risiko, dass ihre Karriere nach der Mutterschaft den Bach heruntergeht, dass hohe Kosten auf sie zukommen oder das finanzielle Risiko einer Trennung. Nicht alle guten Lebensentscheidungen sind rein monetär sinnvoll, aber hoffentlich gut für die langfristige Lebenszufriedenheit Und wenn auch Väter immer öfter so denken, dass es gut ist, Zeit mit den Kindern zu verbringen anstatt die Familienzeit der Karriere unterzuordnen, dann geben wir das an unsere Kinder weiter, so kommt ein Umdenken in Gange.”
Welche Rolle spielt Care-Arbeit, die ja auch nicht entlohnt ist und meistens von Frauen erledigt wird – und wo gibt es Reformpotential?
“Bei wirtschaftlich privilegierten Familien funktioniert es gut, wenn sie sich professionelle Unterstützung holen, eine Nanny, eine Haushaltshilfe, ein Au-Pair. Dafür Geld auszugeben, dazu sind aber viele nicht bereit, auch die, die es sich leisten können. Dabei ist es eine Investition. Aber das muss insgesamt besser organisiert werden, damit es nicht nur denen möglich ist, die ohnehin in einer komfortablen Situation Leben.”
In der Studie wird auch betont, dass es in Deutschland viel Reformpotential gibt, was das angeht.
“Ja, denn unsere Volkswirtschaft ist darauf angewiesen, dass Frauen in der Lage sind, ihre Arbeitskraft dem Markt zur Verfügung stellen – sie sind die einzige Gruppe, die in den vergangenen Jahrzehnten maßgeblich die gearbeitete Stundenzahl erhöht hat. Es ist also durchaus schlau, Frauen zu fördern. Auf der anderen Seite haben wir einen Wohlfahrtsstaat, der sich sehr an der klassischen Kleinfamilie orientiert und durch das Ehegattensplitting oder die beitragsfreie Mitversicherung von Familienmitgliedern in der Sozialversicherung Anreize schafft, dass die Frau nicht arbeitet. Die Möglichkeit, 36 Monate vom Beruf fernzubleiben, und danach wieder auf den alten Posten zurückzukehren, sendet an Frauen das Signal: Drei Jahre fernzubleiben ist ok – man macht es Frauen sehr leicht, das zu tun. Verstehe mich nicht falsch, jede*r hat das Recht auf eine Hausfrauen-Ehe, aber dieses System schafft für die, die schneller wieder arbeiten wollen, Nachteile, und das sollte eine private Entscheidung sein. Ich finde es gesellschaftlich bedenklich, gut ausgebildeten Frauen zu sagen: Die nächsten drei Jahre brauchen wir dich nicht. Und von staatlicher Seite sollte kein Familienmodell bevorzugt behandelt werden – sondern alle möglichst neutral.”