Yay or Nay: Luxusware am Kind

up all night - asleep all day Quinn hält ihre Eltern gerade ganz schön auf Trab! #zähne #phase #krankwarsieauch #ojeichwachse #oderwasauchimmer

Da wären wir also bei jenem Thema, von dem ich bereits in unserem Podcast #2 gesprochen habe: Kinderklamotten – gestylte kids – Luxusgarderoben für die Kleinsten. Ich habe im Podcast ja schon durchblicken lassen, dass ich gegenüber diesem Thema sehr ambivalent unterwegs bin. Deshalb wird das hier auch kein klassisches “Yay or Nay”, kein echter Diskurs mit zwei festen und verschiedenen Meinungen zum Thema – sondern eine Sonderedition dieser Rubrik, die wahrscheinlich eher als “Jein”, wie Fettes Brot einst gesungen hat, zu begreifen ist.

Mit ins Boot habe ich meine Freundin Lisa geholt, die Psychotherapeutin ist und das Thema sehr eindringlich unter einem Aspekt diskutiert, den die meisten von uns wahrscheinlich nicht auf dem Schirm haben, wenn sie das sechste Paar Schuhe fürs Kleinkind einkaufen, das noch gar nicht laufen kann: nämlich, was es eigentlich mit Kindern macht, wenn ihre Eltern sie mit teuren Klamotten überfrachten. Lisa hat also den „Nay“-Part übernommen, ich mich am „Yay“ versucht.

Legen wir los:

YAY

Mein Sohn und ich – wir werden wahrscheinlich auf den ersten Blick und allein ob unserer Kleidung nicht in die Ecke Konsumkritik verortet. Wir fallen ganz klar eher in die Berlin-Mitte-Fraktion als in die Antifa-Clique Kreuzbergs. Und es ist ja auch kein Geheimnis: Als junges Mädchen und auch noch als junge Erwachsene habe ich mich durchaus sehr für Mode interessiert, aber irgendwann und spätestens im Studium – da wurden andere Dinge wichtiger, waren Theorien spannender als Taschen. Und so bin ich heute eher Mitläuferin denn Fashionista, orientiere mich eher am Stil einer Joan Didion als an Jeanne Damas – lieber klassisch elegant als andauernd getrieben von vermeintlichen Trends.

Wie viele Stunden ich allein auf Ebay verbracht habe, um genau solche Schuhe zu schießen – das darf man eigentlich niemandem erzählen.

Langer Rede, kurzer Sinn: Als Julius in unserer Leben trat, war unser Budget recht schmal und sein Vater und ich dankbar, das allermeiste günstig von Freunden mit älteren Kindern abkaufen zu können. Aber: Umso höher das Budget mit den Jahren und den Jobs geriet, umso mehr riefen sie dann doch nach mir – wurden Labels wie Mini Rodini, Popupshop oder gute Wollwaren von Cosilana & Co. interessant. Und ja, ich bin absolut keine Funktionsjackenmutter, suche immer nach Alternativen, die ich auch schön finde: Stil vor Funktion gewisser Weise. Und so ist Julius in unserem Umfeld wahrscheinlich das Kind, das am auffälligsten “gut gekleidet” ist, während die allermeisten vor allem funktional, wild und zusammengewürfelt aussehen. Ich stehe diesen funktional gekleideten Kindern regelmäßig gegenüber und hadere regelrecht mit mir, warum ich es nicht schaffe, einfach Mal inne zu halten und nicht zu meinen, das “Ensemble” meines Kindes müsste zueinander passen oder noch profaner: einfach irgendwelche Winterschuhe zu kaufen, anstatt die allerbesten, allerhübschesten herauszusuchen. Wie viele Stunden ich allein auf Ebay verbracht habe, um genau solche Schuhe zu schießen – das darf ich eigentlich niemandem erzählen.

Zumal: mir das alles so banal scheint und ich eigentlich meine Energie viel lieber aufs Denken oder Schreiben, Protestieren, Tanzen oder was auch immer verbringen wollen würde. Ganz zu schweigen davon, dass ich mich hier wie allen anderen gegenüber regelmäßig darüber echauffiere, dass diese Tage keine sind, uns in irgendeiner Bequemlichkeit und der fatalen Annahme einzurichten, es ginge uns gut, während die Gegenwart abseits unserer so gemütlichen Blase an allen Ecken und Enden von Krisen, Kriegen und einer sich anbahnenden Klimakatastrophe bestimmt ist.

Mein Schluss daraus ist, dass ich mich dieser Tage immer wieder ermahne, die Füße still zu halten. Allein, weil ich es unredlich finde, es mit dem Konsum über Notwendigkeiten hinaus zu übertreiben. Ich kaufe viel gebraucht und nur so viel wie notwendig ist, wenn das Kind mal wieder gewachsen ist, anstatt eine Kleiderstange voll Zeug und meterweise Kinderschuhe zu besitzen. Was ich aber weiterhin tun werde, ist in Qualität zu investieren. Allein, weil es wesentlich nachhaltiger ist, in zu guten Produktionsbedingungen hergestellte Ware zu investieren – als einfach kopflos in irgendeine Modekette zu rennen. Die Schweden & Konsorten sind nämlich zumeist nicht nur nicht günstiger, sie befeuern schlechterdings auch jenen Konsumirrsinn, von dem ich mich irgendwann einmal hoffentlich noch besser loszusagen weiß.

NAY

Die erste Frage, die ich mir stellen würde, wäre, warum Kleidung für uns überhaupt von Bedeutung ist? Würde sie nämlich nicht für etwas stehen, nichts kommunizieren, bräuchten wir ihren keinen Wert und damit keine Aufmerksamkeit beimessen. In den allermeisten Fällen wollen wir mit Kleidung irgendetwas vermitteln. Kleidung ist insofern ein Medium, mit dem wir unsere Identität, oder das, was wir sein wollen, nach außen kommunzieren. Sie soll Fragen wie “womit identifizieren wir uns?”, “was macht uns aus?” oder “was sind unsere Werte?” beantworten.

You are as poor as your needs are expensive

Legt jemand besonderen Wert auf schicke oder teure Klamotten, würde ich mich als Psychotherapeutin fragen, inwieweit oder ob mein Gegenüber seine eigentlichen Bedürfnisse im Blick hat. Die Auseinandersetzung und der Fokus auf das Äußere, kann verhindern, dass wir unseren eigentlichen, sich hinter der Oberfläche verborgenen Sehnsüchten begegnen. Darstellung oder Mitgefühl? Sein oder Schein? Was ist mit unseren ganz eigenen und grundlegenden Bedürfnissen gesehen, verstanden und akzeptiert zu werden?

Ich finde in dieser Hinsicht auch wichtig zu hinterfragen, wie es um unsere Fähigkeit zur Genügsamkeit und zur Realitätsbezogenheit bestellt ist. Sind wir zu einem bewussten Umgang fähig, was ist für uns wertvoll bzw. warum ist es für uns wertvoll?

Kinder übernehmen unbewusst die Werte ihrer Eltern. Als Eltern müssen wir uns also fragen, was unsere Kinder für wertvoll erachten sollen. Kleiden wir unsere Kinder in besonders teurer, wohlaussehender Kleidung, kommunizieren wir indirekt und meist vollkommen unbewusst, dass die äußere Repräsentanz sehr bedeutend ist. Wir müssen uns auch darüber klar sein, dass es vor allem unsere Bedürfnisse sind, die wir hier am Kind befriedigen und damit – wie Alice Miller das einst schrieb – ihm (dem Kind) das eigene, lebendige Wachstum nehmen.

Die dieser Tage so verbreitete Mentalität des Perfektionierens und des Konsumierens (und möglicherweise des Vernachlässigens jeglichen Sinns für soziale Realität und Nachhaltigkeit) wird dem Kind kommuniziert und somit gelehrt.

Der Psychoanalytiker Horst-Eberhard Richter hat zum Beispiel beschrieben, wie Kinder die Neurosen ihrer Eltern imitieren – sie als Rollenmodell ausleben. Dem Kind wird nach Richter häufig unbewusst kommuniziert, das Ich-Ideal eines, bzw. beider Elternteile ausleben-, bzw. repräsentieren zu müssen. Das Kind ist dann das „ideale Abbild des eigenen Selbst“. Der eigene Selbstwertkonflikt wird auf das Kind verlagert. Das Kind wird auf Kosten der eigenen Identität funktionalisiert. Ihm wird nicht, oder zu wenig gestattet, seine eigenen Wünsche und Bedürfnisse zum Ausdruck zu bringen. Dadurch findet es kaum zu sich und wird viel mehr von den Eltern „narzisstisch besetzt“. Das Kind merkt, dass es nicht um seiner selbst, sondern vielmehr um die ihm zugewiesene Rolle geliebt wird und entwickelt darauf evtl. starke Hass- und Unzufriedenheitsgefühle (oft ohne selbst zu begreifen, weshalb). Wir fördern somit unter Umständen den sogenannten „sekundären Narzissmus“. Alfred Adler sprach wiederum und in dieser Hinsicht von „übertriebener Zärtlichkeit“, die zu einer Unterentwicklung des Gemeinschaftsgefühls, und später zu einer pessimistischen Weltanschauung führe. Man steht der Maßlosigkeit ohnmächtig gegenüber, wisse nicht, wie man einen sinnvollen Beitrag zu der Gesellschaft leisten könne. Harald Schulz-Henke vertrat darüber hinaus die Meinung, dass sowohl übermäßige Verwöhnung, bzw. der Entzug altersgemäßer Versagungsreize (in unserem Fall: übermäßig wertige oder attraktive Klamotten) als auch übermäßige Härte, bzw. passive Unterdrückung von Triebimpulsen zu einer „Gehemmtheit des Antriebes“ führe und somit einer Abgeschnittenheit zur Welt. In dieser Hinsicht ist zum Beispiel auch schwierig, wenn Eltern ihre Kinder ermahnen, sich nicht schmutzig zu machen oder Zuwiderhandeln unter Strafe stellen.

Ich finde, wir sollten hingegen vielmehr die Chance ergreifen, von unseren Kindern zu lernen! Worauf kommt es im Leben an? Geben wir dem Kind Raum und Vertrauen, wird es wissen, was es wirklich braucht. Seien wir achtsam und offen, vielleicht regt das eine oder andere Verhalten unserer Kinder eine Reflektion der eigenen Werte, Bedürfnisse und Motive an.

 

Das Foto ist ein Kampagnenfoto von Stella McCartney Kids