Wieviel Kind im Netz ist okay?
Es gibt aber auch Themen, die bleiben groß. Eines davon ist: Das Internet und unsere Kinder. “Wieviel Kind im Netz ist okay?” Diesen Titel habe ich bewusst so provokant gewählt. Denn es geht im Gespräch sowohl darum, inwieweit es in Ordnung ist, das Leben mit Kind und damit die Privatsphäre des Kindes im Netz zu zeigen. Stichwort “Sharenting”. Es geht aber auch darum, ab wann und wie Kinder ab einem gewissen Alter selbst im Netz unterwegs sein sollten. Welche Gefahren sind real? Und wie sollen wir Eltern und verhalten? Natürlich muss am Ende jede(r) seine/ihre eigenen Regeln und Grenzen abstecken, aber sich mit einem Profi unterhalten schadet ja sicher auch nichts.
Ziemlich entspannt!
Der Internet-Profi, den ich mir eingeladen habe, ist Patricia Cammarata. Sie schreibt gerade ein Buch über Medienerziehung und ist wirklich eine Fachfrau auf dem Gebiet. Patricia sieht das Thema erstaunlich entspannt. Ihre These ist: wenn man eine gute Beziehung zum Kind hat, wenn man sich digitalen Neuigkeiten nicht versperrt, dabei bleibt, interessiert bleibt, aufklärt und nicht verbietet – dann kann dem Kind im Netz eigentlich gar nicht viel passieren.
Entsprechend kritisch sieht sie auch Kampagnen, die davor warnen, Kinderbilder im Netz zu posten. “Das Abgleichen der Lebenswelten ist extrem wichtig für viele Eltern geworden. Ein Internet ganz ohne Kinderbilder und Kindergeschichten fände ich gruselig”, sagt sie. Baby-Fotos posten sei ohnehin unproblematisch. Danach sollte man auf jeden Fall darauf achten, das Kind nicht in peinlichen Situationen zu zeigen: auf der Toilette, schlafend, nackt, sabbernd. “Man kann sich immer überlegen: würde ich wollen, dass man mich so fotografiert und das online stellt? – das ist meistens ein ganz guter Wegweiser.” Auch Hinweise auf den Wohnort und private Details seien mit Vorsicht zu genießen. Patricia hat in unserem Gespräch so viele interessante Punkte angesprochen. Zum Beispiel, dass die Privatsphäre eines Kindes nicht automatisch gewahrt ist, nur weil es nicht zu erkennen ist. Und dass jedes Kind andere Grenzen und Vorstellungen hat, was es von sich preisgeben möchte. Das herauszufinden und zu achten, ist Aufgabe der Eltern.
Kompetente Kinder
Ähnlich unproblematisch sieht sie es, wenn Kinder dann später selbst im Netz unterwegs sind. Aber sie müssen eben kompetent sein und das sind sie eher nicht, wenn ihnen zuhause das WLAN abgestellt wird und die Eltern alles, was online ist, verteufeln. Laut Patricia sind Eltern so in Alarmbereitschaft, wenn es um die Internet-Nutzung ihrer Kinder geht, weil sie oft selbst gar nicht wissen, was genau im Ernstfall zu tun wäre – weil sie also auch Angst haben. Diese Unsicherheit spüren Kinder – und nehmen die Eltern im Ernstfall irgendwann einfach nicht mehr ernst. “Die Kinder aus dem Netz raushalten, das ist eine Illusion. Unsere Kinder wachsen in einer digitalen Welt auf und wir sollten das als Chance wahrnehmen, auch nachzuziehen und uns fit zu machen”, sagt Patricia.
Und so schwer sei das auch gar nicht: “Am Ende gelten online die gleichen Regeln wie im echten Leben. Und so wie ich mich für die Noten meiner Kinder interessiere, so sollte ich mich auch für die Computerspiele interessieren, die sie spielen.” Wenn erst mal nichts verboten oder verteufelt wird, dann kommen Kinder auch eher zu den Eltern, wenn sie wirklich Cyber-Mobbing, Grooming, oder andere unschöne Dinge online erleben. “Die Gefahr wird aber maßlos überschätzt!”, auch da ist sich Patricia sicher.
Alle Ängste unberechtigt?
Das Schöne ist also: Vielleicht müssen wir alle keine Angst davor haben, dass unsere Kinder früh alleine im Netz unterwegs sein werden. Wenn wir sie mitnehmen, uns selbst informieren, sie über Chancen und Risiken aufklären, dann sind sie gut aufgestellt. Schöner Nebeneffekt: Wir Eltern werden und bleiben auch fit in Sachen Digitalisierung. Wer sich entscheidet, das Kind schon als Baby mitzunehmen, indem zum Beispiel Fotos gepostet werden, der darf das auch tun, sagt Patricia. “Solange man gewisse Regeln beachtet, gibt es daran nichts auszusetzen. Natürlich kann das jede Familie selbst entscheiden, aber Eltern, die sich dagegen entscheiden, ihre Kinder zu zeigen, sollten die anderen nicht verurteilen. Es wird hier viel zu pauschal und völlig ohne Hintergrund gewertet.”
Na dann. Ich nehme meine Kinder bisher auch mit auf die digitale Reise. Sie kennen YouTube, Google, Whatsapp, und natürlich Instagram. Dort dürfen sie mitentscheiden, sehen sich die Timeline mit an. Sie können Siri und ihre Apps bedienen, sie lernen peu à peu, was geht und was nicht im Netz. Wovor ich aber auch Angst habe, ist der Moment, wenn sie dann selbst ein eigenes Smartphone haben werden. Ich weiß einfach, dass das süchtig macht und ich mich selbst oft schlecht zusammenreißen kann, obwohl ich gar kein Suchtmensch bin. Aber wie mit allen Dingen, die süchtig machen, muss man eben als Eltern auch hier eine Entscheidung treffen: Verbiete ich es und thematisiere es nicht, solange es geht – oder kläre ich auf und lasse das Kind dann seine eigenen Erfahrungen machen… Bis dahin bin ich froh, dass an der neuen Schule meines Sohnes Handy-Verbot herrscht. Einige Jahre habe ich also noch.
Das ganze Gespräch gibt es hier und natürlich auch bei iTunes und Spotify! Wir sind gespannt auf euer Feedback!
Wer weiter lesen will: die U25 Studie des „Deutschen Instituts für Vertrauen und Sicherheit im Internet wird auch von Patricia zitiert.
Hier geht es zu WHO-Empfehlungen für Screentime für Kinder unter 5.
Und Stichwort: Das Netz vergisst nicht. Hier kann man Bilder, die man auf der eigenen Website gelöscht hat, aus dem Google Index löschen.