Let’s talk about: Beziehung mit Kind – wieso streiten wir plötzlich so viel?
Neulich fragte mich ZEIT Wissen, die im Rahmen des Hashtags #extremjahr, eine Aktion auf Instagram gestartet haben, womit ich im ersten Jahr nicht gerechnet habe. Meine Antwort darauf: „Wie sich unsere Beziehung verändert hat”. Der Alltag hat schneller zugeschlagen als wir „Flaschen-Sterilisator“ sagen konnten: „Holst du mal schnell, mach mal eben, räum das doch sofort weg!“ Manchmal vermisse ich das Liebes-High aus der Schwangerschaft, das sich nach damals sieben Jahre Beziehung wie frisch verliebt, angefühlt hat. Doch jetzt sind wir erst mal Batman und Robin – ein eingespieltes Team im Kampf gegen Entwicklungsschübe.
Von 0 auf 100
Natürlich kannten wir die Schwierigkeiten vorab und sind alles andere als naiv an die Sache rangegangen. Deshalb haben wir bereits vor der Geburt besprochen, wo es knallen könnte und wie wir das Ganze auf unsere Art meistern werden. Mit viel reden! Das ist eine der Besonderheiten an unserer Beziehung, dass wir so wahnsinnig gut und ehrlich über alles reden können und Probleme nie lange unter den Tisch kehren. Lieber die Karten direkt auf den selbigen, Lösungen finden und im nächsten Moment schon wieder zusammen lachen. Wenn ich ehrlich bin, kann ich die Konflikte der letzten acht Jahre, ohne Kind, an einer Hand abzählen. Nicht, weil wir so wahnsinnig perfekt sind, sondern weil wir einfach keine wahnwitzigen Erwartungen an den anderen haben. Wir haben nie versucht, uns gegenseitig zu verändern und haben uns ganz viel Raum gelassen. Außerdem haben wir ohne Kind auch nicht zusammen gewohnt, und das bedeutet automatisch: kein Streit wegen Haushalt, zu viel Nähe oder anderen organisatorischen Dingen. Wenn wir uns sehen wollten, war das eine bewusste Entscheidung. Von 0 auf 100 hatten wir also plötzlich nicht nur ein gemeinsames Baby, sondern auch eine gemeinsame Wohnung. Wie es scheint zwei Faktoren, bei denen der Streit automatisch vorprogrammiert ist – aber warum eigentlich?
Wieso, weshalb, warum?
Wieso streiten wir über den Haushalt, obwohl wir es jeden Tag ziemlich gut schaffen, Ordnung zu halten? Wieso nerven uns Dinge, die der andere liegen gelassen hat, plötzlich so sehr – anstatt sie einfach schnell selber wegzuräumen? Wieso rechnen wir an manchen Tagen auf und fühlen uns ungerecht behandelt? Warum vergreifen wir uns plötzlich so schnell im Ton? Woher kommen die kleinen Spitzen und Vorwürfe? Wieso dem Partner das Gefühl geben, dass er in manchen Bereichen unzulänglich ist, obwohl wir finden, dass er das alles doch total gut macht? Wieso überwiegt in manchen Situationen die schlechte Laune, obwohl wir es als Familie doch so gut haben? Wieso möchten wir abends einfach nur unsere Ruhe haben? Seit wann fühlt sich einen Film zu zweit gucken so anstrengend an? Wieso ist Nähe schaffen und Kuscheln plötzlich so viel mehr Arbeit als früher? Wieso scheinen Dinge, die früher normal waren, plötzlich so schwer?
Sich neu kennenlernen
Wie es scheint, müssen wir all das erst mal wieder lernen: die gegenseitigen Bedürfnisse neu sortieren und in den Alltag einbauen. Den Menschen, den man dachte in und auswendig zu kennen, noch mal neu kennenlernen. Aber wie schaffen das eigentlich andere Paare? Hört man sich im Freundes- und Bekanntenkreis um, scheint das Problem niemandem fremd zu sein. Das beruhigt. Irgendwie. Denn die Problematik scheint im Großen und Ganzen immer die selbe zu sein: er/sie macht zu wenig im Haushalt, ich habe zu wenig Zeit für mich selbst, er/sie hält sich nicht an Abmachungen, er/sie arbeitet zu viel, zu wenig Wertschätzung, keine Lust auf Sex usw. Die Möglichkeiten, um sich in die Haare zu kriegen, scheinen unendlich. Manche von ihnen gehen zur Paar-Therapie, andere stellen Haushaltspläne auf, die meisten entscheiden sich für eine Putzfrau. Und mir stellt sich immer noch die Frage; Warum können wir nicht einfach ein bisschen entspannter bleiben und müssen an manchen Tagen so engstirnig, rechthaberisch und verdammt stur sein?
Noch mal auf Anfang
Wahrscheinlich weil wir unser ach so freies und selbstbestimmtes Leben plötzlich gegen eines mit ganz schön vielen Regeln eingetauscht haben. Früher konnten wir schlafen, essen, putzen, ausgehen, knutschen, kuscheln, wann immer wir gerade wollten und wenn wir keine Lust hatten, dann wurde das eben verschoben. Alles konnte, nix musste. Jetzt muss plötzlich so viel. Und trotzdem kann sicher hier und da ein wenig Druck rausgenommen werden. Gerade jetzt, wo wir die Regeln doch schon so gut kennen und wissen, in welchen Situationen aufschieben undenkbar ist – und wann man auch mal etwas nachlässig sein kann. Lieber ohne Druck und weniger perfekt als sich am Ende zu verrennen. Aber alles so viel leichter gesagt als getan. An manchen Tagen hat sich so viel angestaut, dass es nicht viel braucht, um an die Decke zu gehen oder auch mal in Tränen auszubrechen. Wahrscheinlich hat das in den meisten Fällen weniger mit dem Partner zu tun, als mit uns selbst. Vielleicht braucht es einfach mal wieder einen Abend mit den Freundinnen oder die Stunde beim Sport. Und manchmal hilft es auch schon, sich gemeinsame die ersten Babyfotos anzugucken und in Erinnerungen zu schwelgen. Das macht irgendwie sanftmütig und die Fronten glätten sich. Nach einem Streit tut das richtig gut. Und wir? Wir werden uns dann jetzt endlich um den lang besprochenen Babysitter kümmern, oder morgens mal wieder gemeinsam frühstücken gehen, anstatt uns direkt an den Schreitisch zu setzen. Gemeinsames Abendessen statt Stulle vorm Laptop, wenn das Kind schon schläft. Sich beim anderen bedanken, wenn er Dinge erledigt hat, statt sie für selbstverständlich nehmen. Alles mehr genießen statt nur To Do’s abarbeiten. Und wenn ich weiß wie es geht, meld ich mich noch mal!
Zusatz: Und plötzlich ist alles anders – Hallo Quarantäne!
So ist das mit den guten Vorsätzen, da plant man gerade Urlaube, mehr Zeit als Paar und mehr Gelassenheit – und einen Tag später heißt es: „Ab Montag ist die Kita zu!“. Für fünf Wochen! Kann mich bitte mal jemand kneifen. Fünf Wochen zu dritt in einer Wohnung mit begrenztem Platz und ohne Balkon, fünf Wochen Homeoffice, fünf Wochen noch mal neue Regeln, noch mehr Kompromisse, Organisation… was macht das mit uns?
Nach einem heftigen Streit zu Beginn (er krank, ich meine Tage), wissen wir ziemlich schnell, wer was zu tun hat. Wir funktionieren gut und versuchen, dem anderen kleine Freiräume zu schaffen. Wir sitzen im selben Boot und das schweißt noch mal extrem zusammen. Wir tanzen, singen, spielen, kochen zu dritt. Zwischendurch nerven wir uns. Aber das würde vermutlich jeder, mit dem man 24/7 in einer Bude hockt. Wir konnten schon immer extrem gut sehr sehr viel Zeit miteinander verbringen und vielleicht brauchen wir gerade doch genau das – noch mehr Nähe, anstatt wie oben gedacht, mehr Freiheit. Das wird sich in den nächsten drei Wochen zeigen, zwei haben wir schon geschafft. Ziemlich gut wie ich finde. Wir sprechen uns noch mal wenn die Quarantäne vorbei ist!