Wo will ich mein Kind bekommen? Eine Frage, die nicht unwichtig ist, und die man sich möglichst früh stellen sollte. Geburtshaus, zuhause? Die Mehrheit der Frauen entscheidet sich am Ende doch für das Krankenhaus, weil ihnen medizinische Sicherheit wichtig ist und weil die meisten Krankenhäuser mittlerweile schöne Kreissäle, gute Hebammen und sanfte Methoden haben (zumindest in der Theorie). Dennoch gibt man eine Sache oft gefühlt an der Krankenhaustür ab: die Selbstbestimmung. Denn wenn etwas medizinisch notwenig ist – dann ist das eben so. Muss aber nicht so sein, sagt Silvia Dürnberger.
Selbstbestimmt im Krankenhaus gebären – wie geht das?
Ihr Ratgeber „Deine selbstbestimmte Geburt im Krankenhaus: Wie du für ein gutes Geburtserlebnis sorgen kannst. Mit einem Vorwort von Prof. Dr. med. Sven Hildebrandt” ist just erschienen und es ist ein ganz schöner Wälzer. Aber gut! Mir ging es beim Lesen so, dass ich oft dachte: SO genau muss man es vielleicht nicht wissen, aber nein: ich bin froh, dass ich bei beiden Geburten so viel wusste und hätte ich nicht viele offene Freundinnen und eine Beleghebamme gehabt, der ich komplett vertrauen konnte, wäre ich sehr froh gewesen über ein Buch, das mir so viel erklärt. Silvia Dürnberger ist Familien- und Paarberaterin und hat sich nach der Geburt ihrer ersten Tochter auf das Thema Geburtsvorbereitung spezialisiert. 2012 hat sie das das EigenSinn-Institut für Geburt und Familie gegründet. Dort begleitet die mittlerweile vierfache Mutter Frauen mit einem Team aus Hebammen, Physiotherapeuten und Stillberaterinnen.
Liebe Silvia, du bist eigentlich Familien- und Paarberaterin. Wie kamst du dazu, dich intensiver mit Geburten auseinanderzusetzen?
Nach der Geburt meiner ersten Tochter wurde mir bewusst, dass eine große Kluft zwischen den Informationen, die man als Schwangere erhält, und jenen Informationen, die man bei der Geburt dringen braucht, existiert. Ich begann Fortbildungen zu den Themen Schwangerschaft und Geburt zu besuchen und schließlich entstand die Idee, das EigenSinn-Institut zu gründen. Und bald fiel mir auf, dass fast alle Frauen in meinen Kursen und Beratungen ein Thema beschäftigte: Wie kann ich in der Sicherheit einer Klinik eine möglichst natürliche und selbstbestimmte Geburt erleben? So entstand schließlich die Idee, dieses Buch zu verfassen.
Was genau bedeutet für dich eigentlich „selbstbestimmt“? Und was ist dann eine „selbstbestimmte Geburt“ für dich?
Selbstbestimmt bedeutet für mich, dass ich die Entscheidungen treffe. Dass ich in dem Prozess, zu einer guten Entscheidung zu gelangen, unterstützt und respektiert werde. Für die Geburt bedeutet das, dass ich alle Informationen erhalte, die ich benötige, um eine Entscheidung treffen zu können, die für mich und mein Baby gut sind. Diese wichtigen Informationen werden mir ungefragt, auf eine respektvolle und liebevolle Art vermittelt. Selbstbestimmt kann während der Geburt auch bedeuten, dass ich entscheide, die Entscheidung den Fachkräften zu überlassen. Schlussendlich ist das Wichtigste, dass sich eine Frau nicht überrumpelt oder übergangen fühlt.
Das Buch soll Frauen dabei unterstützen, sich aus einer passiven Rolle heraus zu bewegen und aktiv Entscheidungen zu treffen und Dinge einzufordern. Kann man vielleicht auch zu viel wissen? Wie verhinderst du im Buch zu große Verunsicherung der werdenden Mama? Zum Beispiel werden ja in Geburtsvorbereitungskursen manche Dinge bewusst nicht angesprochen, um keine Angst zu machen…
Es ist richtig, dass Frauen in der Schwangerschaft oft Informationen erhalten, die nicht hilfreich sind. Ich habe mich im Buch für folgende Vorgehensweise entschieden: Alle Informationen, welche die Frauen dazu ermächtigen, sich sicherer zu fühlen und ihnen die Möglichkeit geben, schon vor der Geburt über Entscheidungen nachzudenken – also alle Dinge, auf die die Frauen selbst Einfluss nehmen können – zeige ich auf. All jene Dinge, die nur Angst schüren und auf die die Frauen ohnehin keinen Einfluss haben, lasse ich beiseite und zeige stattdessen auf, welche Möglichkeiten es gibt, mit diesen Situationen umzugehen. Also welche Fragen kann ich immer stellen? Wie finde ich heraus, ob jemand auf Augenhöhe mit mir spricht oder ob es nur darum geht, eine Routine umzusetzen, usw. Auf diese Weise werden die Frauen gut informiert, ohne verunsichert zu werden.
Du schreibst, dass der Kristeller-Handgriff niemals sinnvoll ist. Was vermutest du, ist der Grund dafür, dass er in Deutschland noch häufig angewendet wird?
Niemals, solange es keine einheitliche Vorgehensweise gibt, richtig. Korrekterweise muss ich sagen, dass niemand wissen kann, wie oft er in Deutschland tatsächlich angewandt wird, weil er (leider!) nicht der Dokumentationspflicht unterliegt. Dennoch erzählen Frauen immer wieder davon, dass „kristellert“ wurde. Ich glaube, dass er – ebenso wie viele Eingriffe in den Geburtsverlauf – eine Folge von Eile und zu wenig Personal ist. Ich denke, wenn eine Frau 1:1 von einer Hebamme betreut würde, dann hätte diese Hebamme die Möglichkeit, den Geburtsverlauf kontinuierlich zu beobachten und umfassend zu beurteilen. Das ist bei dem derzeitigen Betreuungsverhältnis an den meisten deutschen Krankenhäusern jedoch nicht möglich. Die medizinische Geburtshilfe ist eine Antwort darauf. Denn es braucht Zeit, Ruhe, Wissen und Erfahrung, um es in der Geburtshilfe zu wagen, wenig einzugreifen. Für das Krankenhaus ist es – im Zweifel – immer sicherer einzugreifen, als nicht einzugreifen. Uns sei es nur, um sich rechtlich abzusichern.
In Berlin und anderen Großstädten ist man manchmal froh, überhaupt eine Klinik für die Entbindung gefunden zu haben. Mit einem großen Fragenkatalog dort aufzukreuzen, traut man sich eventuell gar nicht. Sollte man das trotzdem durchziehen?
Ob eine Frau tatsächlich mit dem Fragenkatalog in die Klinik gehen möchte, muss jede Frau für sich entscheiden und selbstverständlich verstehe ich es, wenn eine Frau einfach froh ist, eine Klinik gefunden zu haben. Als schwangere Frau muss ich jedoch eine Sache verstehen: Es wird sich in der Klinik nur dann etwas ändern, wenn die einzelne schwangere Frau sagt, was sie sich wünscht und was sie nicht möchte. Wenn man keine Konfrontation möchte, kann man auch anonym an die Klinik, die Krankenkasse und das zuständige Gesundheitsministerium schreiben. Nach dem Motto: „Ich gehe in dieses Krankenhaus, weil ich keine andere Möglichkeit habe. Aber ich finde nicht gut, wie das läuft. Tatsächlich wünschen würde ich mir XY.“ Nur so besteht bei der Geburt eines Geschwisterchens oder dann bei den Geburten der Enkelkinder die Chance, dass sich etwas ändert. Frauen sollen die Schwangerschaft genießen und nicht die ganze Zeit für etwas kämpfen müssen. Aber vielleicht können sie an einem einzigen Tag der Schwangerschaft eine Nachricht an die genannten Stellen schreiben, um diese wissen zu lassen, dass sich die Dinge bessern sollen.
Du sprichst unheimlich viele Dinge in deinem Buch an. Was sind die wichtigsten Dinge, die ich wissen sollte, bevor ich im Krankenhaus und ohne Beleghebamme entbinde?
Die wichtigste Information lautet: Du darfst die Entscheidungen treffen. Jeder vorgeschlagene Eingriff und jede Vorgehensweise während der Geburt sind nur Empfehlungen der Fachpersonen (auch wenn sie manchmal nicht so klingen). Die Entscheidung aber darf die Frau treffen. Und wieder: Vielleicht bedeutet das für dich auch, dass du beschließt, die Entscheidung den Fachkräften zu überlassen. Das ist genauso in Ordnung.
Und nimm dir Zeit für die Entscheidung. Außer in Notsituationen (die immer klar erkenntlich sind) ist genügend Zeit, um Fragen zu stellen, zu spüren, welche Richtung sich passender anfühlt und um mit dem Partner unter vier Augen zu sprechen. Auf diese Weise haben wir in all der Ungewissheit, die eine Geburt bereithält, die besten Chancen auf einen guten, individuellen Verlauf. Denn wir Frauen können ganz wunderbar gebären, schon seit ewigen Zeiten. Das sollten wir nicht vergessen.
Danke, Silvia!
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