Viele von euch kennen Fabienne sicher bereits. Sie ist freie Autorin, unter anderem für den öffentlich rechtlichen Rundfunk und hat jahrelang für This is Jane Wayne geschrieben. Seit ein paar Monaten ist Fabienne nun auch noch Mutter – und wir lieben ihre Gedanken zu Elternschaft und allem, was diese mit sich bringt. Deshalb freuen wir uns maßlos, dass Fabienne nun regelmäßig eine Kolumne für uns schreiben wird. Willkommen im Team! Ihre Kolumne trägt den Titel “Hot Take” – der Begriff steht für ein Schriftstück, das die persönliche Meinung zu einem Thema wiedergibt. Für starke Meinungen, die aber eventuell noch nicht ganz durchgedacht wurden (das können wir dann gerne gemeinsam machen!). So passend, oder? Wir freuen uns sehr darauf. Bühne frei für Fabienne!
Mütter, macht bitte niemandem Platz!
Kürzlich beschwerte sich ein über 50-jähriger Mann ohne Kinder bei mir darüber, dass sich die Mütter im Volkspark Friedrichshain mit ihren Kinderwagen tierisch breit machen würden und sich so verhielten, “als gehöre ihnen die Welt”. Als ich verwirrt und in Gedanken nickend zustimmte, fiel mir auf, dass ich noch nicht lange genug Mutter war, um schnell genug zu begreifen, dass ich nun zu genau dieser Gruppe gehöre.
Frauen und Kinder? Ein Problem.
Es ist keine Neuigkeit, dass sich Männer durch die Präsenz von Frauen und Kindern gestört fühlen. Als ginge es sie nichts an, mehr noch, als gehöre es nicht in die Welt, hat diese Gruppe nichts zu suchen in U-Bahnen, Cafés oder im ICE. So eine Frau mit Kind nimmt zu viel Raum ein. Noch mehr als eine mit einem großen Ego, großem Babybauch oder einem nörgelnden Baby. Gott bewahre, das Gegenüber entspricht dann noch nicht einmal den eigenen Normvorstellungen von Weiblichkeit, ist intergeschlechtlich, Gender bending oder Trans, ist dick oder Schwarz. Alles, was unterm Norm-Radar fliegt, ist gerade noch erlaubt. Zu groß, zu dick, zu Schwarz, zu laut, zu schwanger oder zu kinderreich – zack, ein Problem. Dabei sind viele “eigentlich für Gleichberechtigung”. Wenn das aber bedeutet, sich mit alledem, was andere Identitäten beschäftigt, auseinanderzusetzen, geht das “zu weit”. Mutterschaft stellt da nur einen Teilbereich dar. Alle mitdenken und sich in die anderen Lebensrealitäten reinversetzen? Wo kämen wir denn da hin. Mit all den feministischen Errungenschaften im Gepäck ist vermeintliche Aufklärung und Einsicht auf der Seite der Privilegierten oft ein schöner Schein. Auch ein Mann, der Elternzeit genommen und Margarete Stokowski gelesen hat, kann von einem sexistischen System, von sexistischem Städtebau und der Kinderfeindlichkeit dieses Landes profitieren. Selbst wenn er es gar nicht so meint.
Während sich dieser Mann also beschwert über diese obszöne Präsenz von überteuerten Kinderwagen in seinem Park auf dem Weg zu seiner extrem wichtigen Lohnarbeit, schweife ich ab und fange an, zu evaluieren, wie viel Raum ich wohl mit meinem Kinderwagen seit der Geburt meines Kindes eingenommen habe. Da war die Phase mit den immer gleichen, morgendlichen Routen. Dann die Phase mit dem Kinderwagen voller Einkäufe, während das Baby in der Trage schlief. Dann die Phase, in der ich abertausende Runden im Park drehen musste, nur um den Mittagsschlaf zu verlängern. Und dann kam die Phase, in der der Wagen einfach so neben dem Tisch stand, während das Baby schlief und wir in aller Seelenruhe eine Pizza genießen konnten.
Ja, wir nehmen Raum ein, mein Kinderwagen und ich.
Wir sind ein gutes Team. Ich wusste schon vor der Schwangerschaft, welchen ich mal fahren wollte. Ich habe ihn uns gegönnt. Er ist schön und praktisch und ich finde es cool, ihn zu schieben. Wenn man das so liest, könnte man meinen, dass die ganze Welt dabei zugesehen haben muss, wie mein Baby wächst und gedeiht und dabei aus seinem Bett auf Rädern fröhlich und vergnügt heraus lacht. Die Sonne scheint, die Blumen blühen. Doch am Ende sind es nicht mehr als 10% des Tages, in denen ich unverschämt den Weg im Park versperre. Das war es dann auch schon mit meinem, unserem Raum auf den Straßen, in der Welt. Wenn man mich fragt, dann findet vor allem der Beginn der ersten Elternschaft – besonders Mutterschaft – fast ausschließlich im Inneren statt. Im Kopf und in den Gefühlen – aber auch in den eigenen vier Wänden, in der tiefen Auseinandersetzung mit dem neuen Familienmitglied, körperlich und emotional.
Wenn man sie dann doch mal sieht, diese Mütter auf Wegen der Stadt, dann meist zu gottlosen Zeiten. Es ist 8:00 Uhr, 9:00 Uhr vormittags. Zeiten, zu denen sich Lohnarbeitende oder Teenies niemals zu DM oder in den Park verirren. Doch wir drehen unsere Runden mit einem schicken Modell der Marken Bugaboo, ABC, Cybex oder Angelcab, so dass es wie eine Selbstverständlichkeit aussehen muss für diejenigen, die uns beobachten. Als hätte diese neue Rolle keine Bürden. Ein Moment, ganz in Ruhe, mit einem Podcast auf den Ohren, um aller Welt das frische Glück der Neumutterschaft zu präsentieren, den Weg zu versperren oder eigentlich nur die paar Minuten mit den ganz eigenen Bedürfnissen zu verbringen. Auch ein angenehmer Gedanke, dass man dabei nach außen so mit sich zufrieden, im Reinen und angekommen wirken kann, dass es anderen auf die Nerven geht. Und das, obwohl doch die Welt eigentlich Kopf steht.
Und wer ist schuld?
In Wirklichkeit bleibt das Leben der Anderen ein großes Mysterium, solange wir uns nicht gerade in der selbem Gruppe und Lebensphase bewegen. Ja, woran liegt es, dass man vor dem Übertritt in diese neue, komische Elternwelt davon, was Eltern so treiben, nur so viel mitkriegt, wie man eben mitkriegen will?
Bei anderen Gruppen scheint es ähnlich. Wie geht es eigentlich Jugendlichen in unserer Gesellschaft? Wie sieht der Alltag einer großstädtischen Rentnerin aus? Wo lässt es sich gerade ausgelassen feiern in der Hauptstadt? Ich habe keine Ahnung, aber eben auch niemanden gefragt. Schöner Traum von diesem Dorf, wenn wir doch alle getrennt auf engem Raum nebeneinander her leben. Und wer ist schuld? Patriarchat, Kapitalismus, Klassismus? Die sowieso. Aber um sich gegenseitig möglichst heterogene Lebensrealitäten zu vermitteln, sind wir als Teilhabende des Systems wohl oder übel auch selbst verantwortlich, die Ohren zu spitzen und uns zu interessieren.
Hätte das der Ü50er ohne Kinder getan, sich interessiert meine ich, hätte ich ihm vielleicht diese Geschichte aufgetischt. Ihm erzählt, wie gut es tut, sich mal mächtig breit zu machen mit einem frischen Baby auf dem Gehweg. Ihn darauf hingewiesen, dass es sonst kaum Platz gibt für Familien und überhaupt, wie das alles ist als Mutter, als Eltern, wenn alles so neu auf einen einprasselt. Ich hätte erzählt, wie gut es tut, ausnahmsweise mal nicht Platz zu machen für die schicken Rennräder oder brustnackigen Jogger, sondern einfach zu schlendern, stolz und zufrieden in aller Seelenruhe während das Kind endlich schläft und man “Zeit” für Dinge hat.
Ich habe mir überlegt, jedem frischen Elternteil, vor allem den Frauen, Trans-, Inter- , Non-Binären und A-Gender Personen unter ihnen, zu wünschen, dass sie doch bitte so viel Raum in der Welt einnehmen sollen, wie es eben braucht. Stolz mit Kinderwagen oder Trage bewaffnet, im Park oder mit weinendem Baby im ICE. Auch verbal sollen sie bitte Raum einnehmen und erzählen. Geschichten von der Geburt, vom Wochenbett, den Schwiegereltern. Es ist schwer genug, sich und sein Bewusstsein für die neue Familie wiederzufinden in diesen aufregenden Monaten. Dann doch immerhin Stolz ins Außen gehen – wenn man sich danach fühlt.
Fotos: Lina Grün