Schwangerschaftskilos – und warum ich bestimmte Kommentare nicht mehr hören kann

Dass Frauenkörper schon seit jeher be- und entwertet werden, dass wir in einer Diätkultur leben und "dick sein" mit "disziplinlos, maßlos und schwerfällig" gleichsetzen, thematisiert Melodie Michelberger ganz wunderbar in ihrem neuen Buch Body Politics. Und dieser Körperkult hört auch in der Schwangerschaft nicht auf. Mein eigener Blick auf meinen runden Körper ist wahrscheinlich sogar noch strenger als der meiner Frauenärztin - und allen anderen.

Schon letztes Jahr, als ich mich mit der Kunsttherapeutin Hannah Elsche in unserer Podcastfolge zum Körpergefühl in der Schwangerschaft unterhielt, beklagten wir, wie unangenehm die Kommentare á la “Von hinten siehst du gar nicht schwanger aus.” sein können. Und jetzt, in meiner dritten Schwangerschaft merke ich wieder: Diese ständige Bewertung, sie tut weh. Und vor allem möchte ich das nicht von Leuten erfahren, bei denen ich mich doch eigentlich sicher fühlen möchte.

Der Gang zur Frauenärztin wird zum gefühlten Spießrutenlauf

Ich mag meine Frauenärztin eigentlich. Sie begleitet mich schon ziemlich lange. Und jetzt in Zeiten der Pandemie, wo ich nicht ins Spa oder Schwimmbad kann, sind die Arzt- und Hebammentermine für mich fast Selbstfürsorgetermine: Jemand, der schaut, wie es mir geht! Wie schön! Mal Zeit nur für meinen Körper und mich! Allerdings waren die letzten Termine weniger schön. Ehrlich gesagt kam ich sogar ziemlich geplättet nach Hause. Ich bin jetzt im achten Monat und habe bestimmt schon 18 Kilo zugenommen. Dass es 20 Kilo bis zur Geburt werden ist sehr wahrscheinlich, vielleicht auch 22. Genau so, wie es in der ersten Schwangerschaft war und in der zweiten. Beide Schwangerschaften waren gesunde Schwangerschaften, keine Schwangerschaftsdiabetes, keine Komplikationen. Für mich ist es normal, 20 Kilo zuzunehmen. Jetzt in meiner dritten Schwangerschaft geht es noch ein wenig schneller. Ich war tatsächlich noch nie so rund. Woran das liegt (dritte Schwangerschaft? Letzte Schwangerschaft noch nicht lange her? Kein Schwimmbad? Nicht mehr Ende Zwanzig?), who knows. Mein Po ist rund, meine Oberschenkel weiter. Ich mache mir keine Sorgen, denn ich weiß, dass ich mich gut und ausgewogen ernähre und sonst auch noch relativ fit bin. Ich weiß, dass ich dank Kleinkind immer noch viel in Bewegung bin. Ich fahre noch Fahrrad und ab und zu schaffe ich mal etwas Yoga zu Hause. Dass mir die Klamotten, die ich 2019 bis zum Ende der Schwangerschaft trug, jetzt nicht mehr passen, finde ich auch nicht schlimm. Ich kaufe einfach eine Menge schwarzer Leggings und denke mir: Bald is’ eh Sommer.

Aber einfach ist das trotz allem nicht. Denn wie wir alle bin ich in einer Diätkultur (die jetzt “Heathly Living” heißt oder so) aufgewachsen, hatte eine Familie, bei denen “Schlanksein” immer eine große Rolle gespielt hat, und die “Dicksein” mit Versagen und “Sich-gehen-lassen” gleichsetzten. Das nagt an mir.

Und dann komme ich zu meiner Ärztin, eigentlich für mich ein Safe-Space, und sie erklärt mir, ich solle auf mein Gewicht achten. Ich würde ja schon schnell zunehmen. Ich solle mich gesünder ernähren. Weniger Süßigkeiten und so. Ich sitze verdattert da. Kleinlaut sage ich, dass ich glaube, dass ich mich gesund ernähre. Und dass ich ja auch in der letzten Schwangerschaft 20 Kilo zugenommen hätte. Sie hört das kaum und wiederholt: Mehr Vollkornbrot, weniger Süßes. Ich komme mir vor wie ein Kleinkind.

Nur Zahlen

Meine Erklärung: Sie schaut gar nicht hin. Sie sieht nur die Zahlen auf dem Papier und da passt es eben nicht. Da muss sie mich “aufklären”. Wenn sie nur wüsste! Wenn sie nur wüsste, dass: Ich wie so viele in meinen Teenagerjahren eine Essstörung hatte, teilweise nur 47 Kilo bei 168cm wog, unter der Woche Appetitzügler nahm (und dementsprechend etwas “high” im Unterricht saß) und Nicht-Essen für mich immer noch eine Art Kontrollmechanismus ist, wenn es mir schlecht geht. Dass ich meine Zwanziger damit verbracht habe, ein “normales” Essverhalten zu erlernen. Und ich eigentlich sehr stolz bin, Essen zu genießen und gelernt zu haben, locker damit umzugehen.

Wenn sie nur wüsste, dass eine sehr enge Bezugsperson, liebevoll (und das meine ich nicht ironisch!) mit ihren Händen mein Gesicht ausschnitt und dann meinte: “Also wenn man nur deinen Kopf sieht, dann siehst du gar nicht schwanger aus”, um mir etwas Nettes zusagen. Und dass mir das immer noch weh tut, obwohl ich weiß, dass sie halt so ist.

Wenn sie nur wüsste, was diese Kommentare mit mir machen. Mit einer, die jahrelang gelernt hat, dass Schlanksein für Erfolg und Zuneigung steht und “Nicht-Schlanksein“ für Versagen und etwas, das korrigiert werden muss und in der noch das misanthropische Bild der sich “gehenlassenden”, “Völlerei-betreibenen” Schwangeren schlummert.

Fakt ist, meine Ärztin weiß nicht, wen sie vor sich sitzen hat. Fakt ist auch, sie hat ihre Zahlen und ihre medizinischen Leitlinien. Aber: Mehr Sensibiliät, mehr genauer hinschauen wäre angebracht – finde ich!

Und tatsächlich wiederholt sie das alles beim darauffolgenden Termin nochmal. Wobei ich diesmal etwas selbstbewusster antworte: Ich nehme meistens 20 Kilo zu. Ich ernähre mich gesund. Ich frage sie nach meinen Blutwerten, nach dem Ergebnis des Glukose-Intoleranztests, alles in Ordnung. Und trotzdem: Sie kneift die Lippen zusammen, “Hm, naja, schauen Sie trotzdem mal, dass sie nicht mehr so viel zu nehmen. Und Vollkornbrot, Hülsenfrüchte essen. Weniger Süßigkeiten” Ich fühle mich nicht gesehen, nicht gehört und nicht ernst genommen.

Und ich empfinde das als übergriffig. Gibt es eine medizinische Indikation dafür? Nein. Es gibt ein paar Zahlen auf einem Blatt Papier. Weder schaut sie mich an, noch fragt sie, wie es in anderen Schwangerschaften war. Dazu kommt dann sogar noch die Hebamme, die an mir runterschaut und erstmal meint: “Joa, das ist ja schon ne ganz schöne Plauze.” Ist es zu viel verlangt, dass Menschen, die sich um Menschen in der Schwangerschaft kümmern ein wenig behutsamer damit umgehen?

BMI my ass

Auch die berühmte BMI-Formel ist eigentlich obsolet und sagt nicht wirklich viel über den Gesundheitszustand einer Person aus (und wird für Schwangere ja auch nicht angewendet). Ein Beispiel dafür, dass rein standardisierte Zahlen eben nicht immer der korrekte Maßstab sind. Der Body-Mass-Index wurde übrigens in den 1972 von einem Wissenschaftler etabliert, allerdings: “Keys empfahl den BMI nur für den statistischen Vergleich von Populationen, nicht für die Beurteilung der Übergewichtigkeit von Einzelpersonen.” Trotzdem entwickelte sich der BMI zu einer wichtigen Messlatte bis heute. Nach dem Motto: Was nicht passt, wird passend gemacht. Oder sollte sich anpassen.

Es gibt wenig Raum für Abweichungen und in unserer Leistungsgesellsschaft soll bitte auch die Schwangere “schlank” bleiben, oder zumindest schnell an einem guten After-Babybody arbeiten. Denn die Supermom, die erfolgreich ist, ihre Kinder liebevoll umsorgt, sich selbst und die Familie gesund ernährt, die trägt zu unserer Gesellschaft bei und ist keine Belastung fürs System. Die Wissenschaftlerin Elizabeth Podnieks erklärt dazu, dass dieses Bild in den 80ern entstand, als Teil einer “post-second wave feminist push to promote mothers in the work force”, also um Mütter als Arbeitskraft wiederzugewinnen.

Und obwohl mir das alles irgendwie klar ist, kann ich mich nicht ganz davon befreien. Trotzdem fühle ich Scham. Ist das nicht das Letzte, was man einer Schwangeren mitgeben sollte? Es ist doch schon anstrengend genug, sich auf diese Schwangerschaft überhaupt einzulassen: Der Körper, der sich in alle Richtungen verändert – und dann sagt einem jemand, ich solle doch bitte versuchen, das zu kontrollieren? Einerseits ist gerade die Schwangerschaft und auch die Geburt der Punkt, an dem wir lernen, Dinge zuzulassen, unsere Körper machen zu lassen. Wehen, die mitgeatmet werden. Kinder bekommen ist doch irgendwie die absolute Machtlosigkeit dem eigenen Körper gegenüber. Oder positiver ausgedruckt: Es ist die große Herausforderung, unserem Körper Vertrauen zu schenken – und wenn man das schafft, ist es doch die schönste “Learning Curve” und schafft Stärke und Zuversicht. Genau das, was wir in der Schwangerschaft brauchen.

Da kommen einem die Kommentare von außen reichlich absurd vor. Mein Körper schafft gerade ein neues Leben, und so lange es keine wirkliche medizinische Notwendigkeit gibt, möchte ich bitte auch nicht, dass an meinem Körper herumkritisiert wird. Auch wenn es nur “gut” gemeint ist.

Foto: Anne Freitag