Screentime – Fernsehen und Kleinkinder

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Als ich vor Kurzem in einer Broschüre beim Jugendamt blätterte, sah ich es wieder: "Liebe Eltern, generell sollten Kinder unter drei Jahren nicht fernsehen." Huch. Ab drei Jahren erst!? Habe ich mein Kind schon so schnell versaut?

Dass Fernsehen das Verderben ist und wir davon eckige Augen bekommen, hat mir schon meine Mutter erzählt. Und trotzdem haben wir die meisten Schulnachmittage mit einem Glas Erdnussbutter vor RTL2 gesessen, besonders als plötzlich das Satellitenfernsehen in unser kleines Dorf kam. Ich erinnere mich noch, dass ich danach immer schlechte Laune hatte und mich irgendwie leer fühlte. Und als Junio geboren war, war mir klar – Fernsehen ist der Feind.

Wie so viele Dinge, die man sich vornimmt beim eigenen Kind, habe ich auch beim Fernsehen meine Meinung geändert. Mit Fernsehen meine ich nicht das normale Fernsehprogramm, sondern auch eine Folge Pingu bei Youtube oder Trotro bei Netflix. Aber gehen wir noch mal zwei Jahre zurück. Mein Kind sollte frühestens mit drei Jahren etwas schauen dürfen, so wie es in den Ratgebern stand. Alles andere, und da war ich sicher, war höchstgradig gefährlich für seinen noch so kleinen Verstand und würde aus ihm ein dummes Kind machen, er würde nicht aufs Gymnasium gehen können, ich wäre eine schlechte Mutter und auch sonst – alles wäre verloren. Weil ich neugierig war, und das werde nie vergessen, habe ich ihn mit 7 Monaten mal Yo Gabba Gabba schauen lassen; bunt, laut, schnell. Ich hatte die schlimmste Nacht meines Lebens! Die Bilder müssen ihn so verwirrt haben – komplette Reizüberflutung. Meine Befürchtungen hatten sich bestätigt.

Nichtsdestotrotz hielt das Fernsehen Einzug bei uns. Spätestens als ich plötzlich Single Mama war, durfte Junio mal eine Folge Trotro gucken. Die süße Serie aus Frankreich mit einem kleinen Eselchen wird ruhig und mit simplen Bildern erzählt. Und ich konnte kurz Duschen/Kochen/Aufräumen. Schnell merkte ich aber auch den Suchtcharakter – natürlich konnte er nie genug bekommen! Es wurde gequengelt, geschrien, geweint. Klare Regeln mussten her. Jetzt gibt es Fernsehen nur am Wochenende und wenn ich Schluss sage, ist auch Schluss. Junio könnte stundenlang vor dem Fernseher sitzen. Es gibt Kinder, die stehen nach zehn Minuten auf und beschäftigen sich mit etwas anderem, Junio war schon von Anfang an ein Gucker. Aber ob er die Abläufe wirklich schon versteht?

Wie bei so vielen Dingen, versuche ich auch beim Fernsehen einen Mittelweg zu finden und die Kinder sind auch hier wieder sehr unterschiedlich. Junio darf, seitdem er anderthalb ist (und ich weiß, das ist früh), ab und zu mal etwas gucken. Ich habe ihn dabei beobachtet: Wie reagiert er? Wie ist er danach drauf? Schläft er schlechter? Ich habe festgestellt, dass, so lange er nur kurz schaut, er damit gut umgehen kann. Und heute mit fast drei könnte Junio ohne Probleme schon einen ganzen Spielfilm gucken. Ich versuche das aber zu vermeiden. Einzige Ausnahme: Er ist krank. Dann darf er auch mal länger gucken. Oder Mama ist krank: Als ich mit Angina zu Hause war, gab es tatsächlich Eiscreme und Ice Age auf dem Sofa. Junio hat es geliebt (und ich auch).

Lebensrealität vs. fachlicher Rat

Natürlich gibt es von offizieller Seite den klaren Rat komplett auf’s Fernsehen zu verzichten, aber entspricht das auch der Lebensrealität heutiger Familien? Und wenn ältere Geschwisterkinder da sind? Ich tippe in meinem Umfeld eher auf nein. Ich kenne kein Kind, das bis zum Alter von drei Jahren komplett vom Fernsehen abgehalten wurde. Was genau das frühe Fernsehen mit den Kindern macht, weiß ich aber auch nicht. Für mich gilt die Regel: Ein bisschen ist ok. Beobachten ist wichtig: Sitzen sie einfach nur gebannt vor den bunten, sich schnell bewegenden Bildern und sind wie hypnotisiert oder können sie das Geschehen verfolgen und lachen mit? Auch klare Regeln sind ein Must. Und bitte, bitte: keinen Scheiß. Ja, genau. Den gibt es nämlich da draußen. Eine riesige Menge Mist. Auf keinen Fall sollte man sein Kind zum Beispiel auf Youtube alleine lassen. Eine Freundin von mir war kürzlich ganz geschockt, als sie mit ihrem Sohn eine Serie für Kleinkinder schaute in dem Bob, der Zug, erst Farben und Zahlen entdeckt und dann ganz begeistert ins Army Camp fährt, wo er sich ganz freundlich mit dem Panzer unterhält, “der unsere Grenzen und unser Land beschützt”. Autsch.

Die US-Dokumentation Screenagers befasst nicht nur mit dem Fernsehen, sondern mit Screentime im Allgemeinen: also Smartphones, iPad, Netflix und Co. – und wie der Umgang damit das Familienleben beeinflusst. Die Probleme damit ziehen sich übrigens durch alle Gesellschaftsschichten. Die Dokumentarfilmerin Delaney Ruston hat dabei eine wichtige Entdeckung gemacht: Selbstkontrolle ist im Gegensatz zum IQ etwas, das trainiert werden kann. Und das ist vielleicht auch unsere wichtigste Aufgabe: Unseren Kindern zu helfen, Selbstkontrolle zu erlernen und einen bewussten Umgang mit Medien zu fördern. Angefangen bei uns selbst. (Und jetzt bitte das Smartphone aus der Hand legen.)

Mehr Informationen zum Thema Medienwahrnehmung unter drei Jahren findet ihr bei Kindergesundheit.de, eine Seite der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung.