Ist die 12 Wochen Regel nicht überholt?

Immer wieder freitags – posten wir einen Artikel aus dem Archiv. Heute geht es um die 12-Wochen-Regel, an die sich sehr viele Frauen halten: Erst nach der 12. Woche erzählen sie von ihrer Schwangerschaft. Aber ist das überhaupt zeitgemäß?

Jede Frau, die schon ein Kind hat, kennt sie bereits, aber eigentlich wissen es alle: Vor Abschluss der 12. Woche sollte man eine Schwangerschaft lieber nicht publik machen. Daran halten sich auch die meisten. Diese “Regel” wird von ganz vielen so angenommen, man kann sie aber auch als eine echte Bevormundung sehen. Die Entscheidung, wann frau die große Neuigkeit der Welt mitteilt, ist doch eine ganz individuelle. Und es gibt noch weitere, fragwürdige Punkte.

Ich erinnere mich noch gut, wie ich vor Jahren in der siebten Schwangerschaftswoche einer Bekannten von meiner Schwangerschaft erzählte. Ich war so aufgeregt und happy – warum sollte ich die Neuigkeiten nicht teilen? Prompt erntete ich einen bösen Blick, gepaart mit einer kurzen Gratulation, und dem Hinweis, dass man das doch noch nicht erzählen sollte. Ich fühlte mich schuldig. Ich hatte das Risiko in Kauf genommen, dass ich sie, wenn nun doch noch etwas schiefgehen sollte, mit meinem Leid irgendwie belasten würde.

Der Hintergrund

Nun kommt die 12 Wochen-Regel ja nicht von ungefähr. Der Grund ist, dass die Wahrscheinlichkeit, dass es in den ersten drei Monaten zu einer Fehlgeburt (oder zu einer “kleinen Geburt” wie wir es gerne nennen) kommt, sehr viel höher ist, als in den darauffolgenden Trimestern. Die meisten Frauen erzählen also erst von ihrer Schwangerschaft, wenn die Wahrscheinlichkeit, dass sie nicht abgeht, höher ist. So weit, so verständlich. Allerdings, liegt hier nicht ein Denkfehler vor? Oder noch diese veraltete Annahme, dass frau ihr Leid doch bitte mit sich selbst ausmachen soll? Als ich mal weinend im Krankenhaus lag (nicht wegen eines Aborts), wies mich eine ältere Patientin freundlich darauf hin, dass man das (das Weinen) doch bitte nur alleine machen sollte. Ich war verblüfft – und schämte mich dann ein wenig.

Leid und Scham gehen also leider anscheinend miteinander einher. Und da liegt auch ein Fehler in der 12-Wochen-Regel: Man lässt Frauen auf eine Art mit ihrer Fehlgeburt allein, wenn man ihnen verbietet, von ihrer Schwangerschaft zu erzählen. Natürlich ist es jeder Frau selbst überlassen, ob sie die News (und damit den Schmerz, falls es schief gehen sollte) nur mit sich und ihrem Partner teilt. Aber mit diesem Schweigen stigmatisiert man auch Fehlgeburten, stellt sie als etwas Abnormales oder Ungewöhnliches dar. Dabei haben so so viele Frauen auf der ganzen Welt Fehlgeburten – jeden Tag. Eine Fehlgeburt ist keine Seltenheit. Aber genauso fühlt es sich an, wenn niemand darüber spricht. Wenn alle sich bewusst wären, dass eine Fehlgeburt ein relativ normales Ergebnis einer Schwangerschaft ist, vielleicht wäre dieses Ereignis dann ein kleines bisschen weniger isolierend und schlimm. Denn, seien wir mal ehrlich: Für jeden, der schon einmal diese Erfahrung gemacht hat, schwingt ein klitzekleines bisschen das Gefühl mit, versagt zu haben, so irrational das eigentlich ist. Die Scham, die viele verspüren – sie impliziert auch Schuld.

Der gute Ton

Mit der 12-Wochen-Regel wird also nahegelegt: Wenn du von deiner Schwangerschaft erzählst, und dann kommt es zu einer Fehlgeburt, dann bist du auch so ein bisschen selbst dran schuld. So ein wenig, als wäre die Erfahrung weniger real gewesen, wenn weniger Menschen davon gewusst hätten. Und als wäre es doch anständiger, andere Menschen nicht mit seinem Leid zu konfrontieren. Es gehört zum guten Ton, erst nach dem dritten Monat in Vorfreude vom Baby zu erzählen, damit man es seinen Mitmenschen auch schön einfach macht. Alles davor schickt sich nicht.

Wenn wir Frauen vorschreiben, ihre Schwangerschaft in den ersten drei Monaten zu verheimlichen, dann nehmen wir ihnen auch teilweise die Möglichkeit, gute Unterstützung zu finden, sollten sie eine Fehlgeburt erleiden.

Deshalb finde ich: Erzählt von euren Schwangerschaften, wenn ihr Lust darauf habt! Und wenn euch nicht der Sinn danach steht, dann behaltet es für euch. Wenn ihr eine Fehlgeburt habt, sprecht über den Verlust und den Schmerz, wenn ihr das Bedürfnis danach habt. Übrigens habt ihr auch das Anrecht auf die Betreuung durch eine Hebamme nach einer Fehlgeburt. Keiner sollte uns diktieren, wie und wann wir darüber sprechen. Alles ist in Ordnung. Wenn frau sich besser fühlt, erst nach dem vierten Monat etwas zu erzählen: Wunderbar! Wenn es einem schon in der 6. Woche auf der Seele brennt, raus damit.

Schwangerschaften sind etwas normales, Fehlgeburten auch. So geht es allen Frauen da draußen, wir sind nicht allein.