Mutter sein ist etwas ganz Natürliches, es kommt aus dem Bauch, aus dem Herzen. Sagt man so. Aber was, wenn das Herz noch alte Wunden mit sich rumträgt? Wunden, die vielleicht die eigene Mutter schon nicht verarbeitet hatte – und weiter gegeben hat? Ich wollte den Teufelskreis brechen. Und habe eine Therapie angefangen – für mich, für mein Kind und für unsere Beziehung. Ein Selbstversuch…
Let’s talk about…. Therapie!
Ich bin mit knapp 35 Jahren Mutter geworden und habe damals, also noch vor der Geburt, doch tatsächlich gedacht, dass ich „mit mir selber fertig bin“. Soll heißen, ich dachte, ich hätte mit Unzulänglichkeiten, Schwachstellen und Unsicherheiten aus meinem jungen Erwachsenenleben aufgeräumt. Ich fand mich mit Mitte 30 eigentlich ziemlich super. Endlich wusste ich, was Selbstliebe bedeutet und brauchte keine Anerkennung mehr von außen, sondern konnte selber richtig stolz auf mich sein.
Ich wusste, was ich in Freundschaften suchte und brauchte, hatte einige Familienproblemchen für mich analysiert und stand, wie man so schön sagt, mitten im Leben. Deshalb war ich mir auch total sicher, dass ich das Muttersein auf einer Arschbacke absitzen würde. Ich meine natürlich nicht den Schlafentzug, oder die 24/7 Verantwortung, das Sorgen machen oder den Mental Load. Aber was dieses “natürliche Empfinden” meinem Kind gegenüber angeht, die Liebe, und vor allem die Erziehung und das Miteinander – da machte ich mir absolut keine Gedanken.
Am Anfang war es leicht…
Und so war es dann auch. Das erste Jahr fühlte sich so unglaublich natürlich an. Ich empfand es nicht als ultra anstrengend, so wie mich vorher immer alle gewarnt hatten. Natürlich hatten wir als Familie Höhen und Tiefen, aber ich hatte das Gefühl, in der Rolle der Mutter angekommen zu sein. Das zweite Jahr war dann ein Mix aus Kita und Pandemie und den ersten ernsthaften Erziehungsmaßnahmen. Ich verstand plötzlich, warum es sich auch lohnen konnte, mal zum ein oder anderen Thema in einem Erziehungsratgeber zu blättern. Und mir wurde langsam bewusst, dass ein gesundes Bauchgefühl alleine nicht reichen würde.
Zum ersten Mal an meine Grenzen kam ich dann um den dritten Geburtstag rum – plötzlich war alles anders. Natürlich gab es vorher auch mal Wutausbrüche, Sturheit ohne Ende und viele, viele Tränen. Aber das war plötzlich noch mal ein neues Level. Nichts, was ich bei anderen Kindern nicht auch mitbekommen hätte oder was nicht charakteristisch für das Alter gewesen wäre, aber es veränderte sich plötzlich was. Ich brauche noch einige Monate, um genau zu verstehen, was sich genau geändert hatte. Es waren die Gefühle, die solche „schlimmen“ Momente in MIR auslösten. Ich empfand nicht nur Wut und Ärger oder wurde ungeduldig, sondern nahm die Ausraster meines Kindes plötzlich persönlich. Ja, ich fühlte mich ab und zu sogar unfair behandelt. Manchmal so stark, dass ich das Gefühl über Stunden nicht abschütteln konnte. Zu meiner eigenen Verteidigung muss ich sagen, dass es besonders schlimm war an den Tagen, an denen ich von meiner Hassliebe PMS begleitet wurde. Eine sehr spezielle Beziehung, über die ich hier bereits ausführlich geschrieben habe. Aber trotz des Hormon-Wirrwarrs wusste ich: „Das kann doch nicht war sein, wieso lasse ich mich von einen 3-Jährigen so provozieren?“ Natürlich wusste ich, dass hinter seinem Verhalten keine böse Absicht steckte und das Problem scheinbar bei mir lag, doch diese Selbsterkenntnis brauchte dann doch einige Zeit.
Ratgeber – und dann doch eine Therapie
Zuerst habe ich es mit Büchern versucht. „Das Kind in dir muss Heimat finden“ ist wohl das Bekannteste, und es kann in solchen Fällen wahnsinnig aufschlussreich sein. Doch plötzlich hatte ich das dringende Bedürfnis, der Sache so richtig auf den Grund zu gehen. Irgendwie spürte ich, dass da so viel mehr dahinter steckte, als nur ab und zu schlechte Laune und das Gefühl, unfair behandelt zu werden. Ich suchte mir also eine Therapeutin. Und hatte auch das Glück, auf Anhieb die passende Psychologin für mich zu finden. In der ersten Stunde fiel es mir noch reichlich schwer, überhaupt in Worte zu fassen, warum ich denn nun eigentlich hier war. Denn schließlich hatte ich weder Depressionen, noch ein Trauma erlitten oder ähnliches. Ein schlechtes Gewissen machte sich breit, Therapieplätze sind rar und ich fragte mich, ob ich nicht jemandem hier gerade den Platz wegnahm. Aber das war ja auch ein Thema, das ich angehen wollte: Mein ständiges schlechtes Gewissen, meine Angst, zu viel Raum einzunehmen, die Sorge, Anderen Umstände zu bereiten… fängt man einmal an, sich wirklich mit sich auseinander zu setzen, wird die „Mängelliste“ plötzlich lang.
Ich habe gerade mal vier Therapiesitzungen hinter mir und kann kaum glauben, wie aufschlussreich diese Stunden bereits waren. Wir haben ganz klassisch mit meiner eigenen Kindheit und Familie angefangen und ich hatte viele Schlüsselmomente. Natürlich stammt mein heutiges Verhalten von eigenen, kindlichen Erfahrungen ab, von Erlebnissen mit meinem Eltern. Gleichzeitig lerne ich, meine Eltern besser zu verstehen, Dinge zu verzeihen, mich von bestimmten Themen abzugrenzen und für mich Entscheidungen zu treffen. Familie ist einfach ein völlig wahnwitziges Konstrukt und seit vielen Jahren wünsche ich mir schon, dass meine Mutter eine Therapie gemacht hätte. Statt aber darauf zu warten, empfinde ich es jetzt als so viel wichtiger für meine eigene kleine Familie und mein Kind, in mir aufzuräumen. Damit ich Fehler und Schemen nicht wiederhole und gewappnet bin für alles, was uns in den nächsten Jahren als Mutter und Sohn noch begegnen wird.
“In mir aufräumen…”
Ziemlich sicher werde ich trotzdem ganz viel falsch machen, weiterhin an meine Grenzen kommen und mein Sohn wird später mit seinem Therapeuten über MICH reden. Aber vielleicht kann ich dann wenigstens besser verstehen, warum sich manche Dinge so entwickelt haben, wie sie sich nun mal entwickeln – und selbstbewusst und reflektiert mit Fehlern umgehen.
Müttern wird immer noch so viel abverlangt, der Druck wird nicht kleiner. Aber vielleicht sind es am Ende nicht die perfekten Kinderzimmer, die dreistöckigen Geburtstagstorten, die bis tief in die Nacht gebastelten Schultüten, die zählen.
Sondern die Care Arbeit für einen selbst. Für den eigenen Gefühlszustand. Vielleicht bringt uns allen das so viel mehr. Vielleicht.