“Diese ganze Kinderwunschtherapie ist eine einzige Achterbahnfahrt”

Worüber sich manche Paare gar keine Gedanken machen müssen, ist für andere Paare ein Herzenswunsch, für den sie viele Opfer bringen müssen. Kinder bekommen, schwanger werden, eine Familie gründen: Wenn das auf natürlichem Wege nicht geht, gibt es noch die Möglichkeit der künstlichen Befruchtung. Doch oft ist eine Kinderwunschtherapie ein langer, für viele ein schmerzhafter Weg, der immer noch tabuisiert wird. Wie fühlt es sich an, ihn zu gehen? Darüber haben wir mit zwei Frauen gesprochen.

Denn was vielen, die nicht unmittelbar betroffen sind, nicht klar ist: Ein nicht erfüllter Kinderwunsch ist für einige Paare eine unglaubliche Zerreißprobe, geht an die Subtanz der Beziehung, des eigenen Egos, lässt den ein oder anderen zwischenzeitlich sogar verzweifeln. Manchmal geht die Behandlung noch dazu mit vielen körperlichen und seelischen Belastungen einher, dazu kommt das gesellschaftliche Tabu, das auch über 40 Jahre nach dem ersten “Retortenbaby” noch über der künstliche Befruchtung liegt.

Paare, die sich auf diesen Weg bewegen, verdienen, dass man einfühlsam mit ihnen umgeht, sie sich nicht rechtfertigen oder erklären müssen oder gar verurteilt werden. Viel zu oft ist das immer noch nicht der Fall. Wie lange der Weg zum Wunschkind sein kann – und welche Hindernisse es dabei in Deutschland gibt – ist übrigens in diesem Zeit-Artikel sehr gut und übersichtlich aufbereitet.

Den Anfang in unserer Kinderwunsch-Serie macht Sina. Die 26-Jährige bloggt auf Instagram über ihren Kinderwunsch. Sina war schon früh klar, dass sie Kinder haben will, am Besten, ehe sie 30 wird. Die Kinderkrankenschwester lernte ihren Mann vor vier Jahren kennen, setzte die Pille nach der Hochzeit im Jahr 2018 ab und machte sich auch erst einmal keine Gedanken, als es nicht gleich klappte – schließlich hatte sie zehn Jahre Hormone genommen. “Nach einem erfolglosem Jahr haben wir dann sämtliche Untersuchungen in Angriff genommen. Mein Mann ist etwas älter als ich und hat schon zwei Kinder aus erster Ehe, die sieben und neun Jahre alt sind, deshalb haben wir gedacht, klappt schon bestimmt”, erinnert sie sich.

Doch dann rieten ihr die behandelnden Ärzte dazu, in eine Kinderwunschklinik zu gehen. “Da ist dann erst einmal eine Welt für mich zusammengebrochen. Ich habe mich vorher kaum mit diesem Thema künstliche Befruchtung auseinander gesetzt und jetzt sollte ich mich selber einer solchen Behandlung unterziehen?”, sagt sie. Auf einmal schien das Idyll, das sie sich erträumt hatte, in weite Ferne zu rücken.

Mitterweile ist Sina seit einem Jahr in Kinderwunsch-Therapie und steckt mitten in der 6. ICSI.  Das ist die Abkürzung für das Verfahren der intrazytoplasmatischen Spermieninjektion, bei der ein Spermium direkt in die Eizelle gespritzt wird  – eine Weiterentwicklung der In-vitro-Fertilisation, bei der männliche und weibliche Keimzellen lediglich in einer Schale zusammengebracht werden. (Genaueres zu dieser Methode könnt ihr z.B. hier lesen). Oft wird es bei Paaren angewandt, bei denen die klassische IVF-Behandlung nicht erfolgreich war.

Die ersten beiden Behandlungen hatte Sina Düsseldorf, in einer Klinik, in der leider vieles falsch gelaufen ist. “Jetzt bin ich bei einer Klinik in Remscheid, in der ich mich richtig gut aufgehoben fühle. Insgesamt hatte ich drei Transfere, leider ohne erfolgreiche Einnistung. Ich gebe die Hoffnung aber nicht auf, weil ich weiß, dass es irgendwann klappen wird”, sagt Sina.

Hoffnung und Niederlage liegen nah beieinander

Sie ist zuversichtlich und glaubt fest daran, dass es klappen wird. Doch natürlich mache das etwas mit einem, wenn man immer wieder Niederlagen einstecken und verkraften muss. “Diese ganze Kinderwunschtherapie ist eine einzige Achterbahnfahrt. Man freut sich wegen einer erfolgreichen Eizellenpunktion, einen Tag später kriegt man den Anruf: Leider sind nur zwei befruchtet. Dann hört man drei Tage später, nachdem man gehofft hat, eine oder vielleicht sogar beide dieser Eizellen werde sich einnisten: Sie haben sich nicht weiterentwickelt, leider bringt der Transfer nichts”, sagt Sina.

Bei der Kinderwunschtherapie liegen Hoffnung und Niederlage ganz nah beieinander. Sina hat deswegen für alle Frauen, die diesen Weg gehen, einen wichtigen Tipp: “Wichtig ist, dass es sich in der Ehe nicht nur um dieses Thema dreht. Ich weiß, es ist leicht zu sagen, wenn man so einen starken Wunsch nach einem Kind hat, aber man muss auch die anderen Dinge im Leben schätzen. Ich treibe viel Sport, reise gerne und mache auch viel mit meinen Freunden, um mich abzulenken. So sammele ich immer wieder neue Kraft und Energie für einen neuen Versuch.”

Auf Instagram hat sie im Oktober ihren Wunsch öffentlich gemacht, und auch das hilft. “Es ist sozusagen eine kleine Selbsthilfegruppe, die einem so viel Kraft spendet. Die Mädels sind alle für einen da und bauen einen auf, fiebern mit und wir tauschen uns gegenseitig aus. Ich glaube, das ist auch ein großer Grund, warum ich niemals aufgebe und immer sehr positiv gestimmt bin.”

Sinas Botschaft für alle Frauen, die noch mit sich ringen, ihre Situation zu thematisieren: “Keine Frau und kein Mann müssen sich dafür schämen, dass sie eine Kinderwunsch-Therapie machen. Es sollte in der heutigen Gesellschaft kein Tabuthema mehr sein. Ich rate allen: Niemals aufgeben, immer an seinen Traum glauben und auch dafür kämpfen. Verliert nie die Hoffnung!”

Danke, Sina, für Deine sehr offenen und positiven Worte!

Kinderwunsch kompliziert: Wie Leonie ihren Weg beschreibt

Weiter geht es mit Leonie, die ebenfalls auf Instagram sehr offen über ihren Kinderwunsch schreibt. Seit sechs Jahren sind sie und ihr Partner mittlerweile in Behandlung, begonnen hat sie damit, ganz klassisch, zur Hochzeit im Juni 2014. “Wir wussten schon vorher, dass es kein leichter Weg wird und waren daher anfangs relativ gelassen, als es nicht klappte”, sagt sie. “Ich habe mit 17 Jahren die Diagnose PCO Syndrom bekommen, nachdem ich über ein Jahr lang keine Periode hatte. PCO ist eine Stoffwechselstörung, die unter anderem Einfluss auf den weiblichen Zyklus nimmt. Außerdem geht das Syndrom gerne mit einer Insulinresistenz und Hirsutismus (Bartwuchs im Gesicht) einher. Ein echter Hauptgewinn also!”, so Leonie.

Weil Leonie aber einen halbwegs regelmäßigen Zyklus hatte, probierten sie und ihr Mann nach Rücksprache mit einem Gynäkologen zwei Jahre lang, auf natürlichem Wege ein Kind zu bekommen. Ohne Erfolg. “Dann kam der Arzt auf die Idee, meinen Mann mal untersuchen zu lassen mit sehr ernüchterndem Ergebnis. Er hat das OAT-Syndrom, das heißt, nur 1% seiner Spermien sind ohne Defekt und nur 5% überhaupt beweglich. Zusammen mit meinem PCO ist das der Super GAU für den Kinderwunsch”, sagt sie.

Sex nach Plan – am Besten nimmt man es mit Humor

Diese Erkenntnis war ein Schock für Leonie und ihren Mann. Aber die beiden fingen sich schnell, getragen von der Hoffnung, dass es irgendwann auch bei ihnen mit dem Kinderwunsch klappen würde. “Wir haben diverse Medikamente ausprobiert, um meinen Zyklus zu optimieren. Diabetes-Medikamente gegen die Insulinresistenz, Hormone zur Eizellen-Stimulation. Dann ging es los mit fast einem Jahr “Geschlechtsverkehr nach Plan”. Also zum Arzt rennen, per Ultraschall idealen Zeitpunkt bestimmen, nach Hause rennen, auf den Glückstreffer hoffen. War genauso romantisch, wie es klingt. Man kommt sich ein bisschen vor wie ein Roboter. Humor hilft da aber ungemein”, sagt Leonie.

Was ihr ebenfalls hilft: Die Tatsache, dass ihr Mann sie unterstützt wo er nur kann. “Ich habe zum Beispiel wahnsinnige Angst vor Nadeln. Wenn ich Hormone nehmen muss, spritzt er mich jeden Tag. Dafür lässt er alles stehen und liegen, verschiebt Termine und kommt nur für diese 5 Minuten von der Arbeit gehetzt. Nur, damit ich die Nadel nicht selbst setzen muss”, sagt sie.

Mittlerweile sind Leonie und ihr Mann auch bei der ISCI gelandet. In den sechs Jahren, die sie nun schon versucht, schwanger zu werden, mussten sie auch eine Fehlgeburt verkraften. “Es waren eineiige Zwillinge, in der 13. SSW verließen sie uns wieder”, sagt sie. Leonie hat also schon einigen Schmerz hinter sich und redet auch sehr offen darüber, dass so eine Kinderwunschtherapie eben kein Spaziergang im Park ist. “Am schwierigsten finde ich die Abhängigkeit von anderen Menschen, insbesondere den Ärzten. In der Kinderwunschklinik ist man nicht selten eine Nummer, manche Ärzte schauen sich nicht mal die Akte richtig an. Man muss also ständig aufpassen, mitdenken und überlegen, ob das jetzt wirklich alles so richtig war. Dazwischen muss man warten und warten und warten…”, sagt sie.

Die Liebe aus dem Umfeld hilft ungemein

Besonders geholfen dabei, diese Warterei, die Enttäuschungen und den Schmerz zu ertragen, haben ihr die positiven und bestärkenden Nachrichten aus ihrem Umfeld, auch auf Instagram. “Da wird richtig mitgefiebert und alle drücken die Daumen”, sagt Leonie. “Auch nach der ersten Fehlgeburt habe ich viel Liebe in unserem Umfeld erfahren. Selbst aus Ecken, aus denen ich es vorher nicht vermutet hätte. Fehlgeburten sind leider keine Seltenheit. Viele reden nur nicht drüber.”

Aktuell wartet Leonie wieder – doch dieses Mal ist alles ganz anders. Denn während dieser Artikel entstand, hat sich Leonie der 2. ISCI unterzogen, und ist gegenwärtig in der zwölften Woche schwanger! Ein irrer Mix aus Gefühlen – große Freude, aber eben auch große Sorge, dass es wieder nicht klappt. Wobei sie jetzt, wo das erste Trimester abgeschlossen ist, natürlich aufatmet. Wir freuen uns sehr und wünschen alles Gute!

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