Let’s talk about: Permanent überforderte Mütter…

Ich weiß nicht, ob es meine "Bubble" ist, aber ich werde gerade überall geflutet von Achtsamkeits-Ratschlägen, Atmungs-Tipps, Meditations-Seminaren, Büchern für mehr Ausgeglichenheit, und so weiter. Irgendwie finde ich das auch ganz schön, ich mag den Achtsamkeits-Trend, liebe es, mir im Alltag Oasen zu suchen, und Dinge nur für mich zu machen. Und doch hat dieser Trend für mich einen bitteren Beigeschmack.

Denn die Zielgruppe sind Frauen. Und Frauen neigen nun mal dazu, den Fehler bei sich zu suchen. Dabei liegt der Fehler im System. Welcher Fehler? Der Fehler, der dazu führt, dass so viele Mütter sich ausgebrannt fühlen, überfordert, immer am Limit, immer müde. Viele haben Panikattacken, Depressionen, Erschöpfungs-Symptome (hier sollte man übrigens IMMER professionelle Hilfe suchen. IMMER!). Sie fühlen sich eben so, dass sie genau die richtige Zielgruppe sind für: “Tu mal was für dich, dann geht’s dir besser.”, “Atme den Stress einfach weg, dann kannst du noch ein bisschen mehr schaffen” oder auch “Sei achtsamer, dann schaffst du es, auch im Alltagstrubel deine Kinder nicht anzuschreien”.

Ist das wirklich der richtige Weg, wenn wir jetzt alle noch mehr an uns rumoptimieren, damit wir nicht mehr so gestresst sind? Sollten wir nicht lieber alle gemeinsam dafür kämpfen, dass Problem an der Wurzel zu packen, anstatt nur dessen Symptome einzudämmen?

Das Problem sind nämlich sicher nicht die Mütter. Das Problem ist auch nicht, dass Mütter zu viel wollen. Sie wollen lediglich das, was Väter schon seit immer haben: Beruf und Familie vereinbaren, das wollen sie. Geld verdienen müssen auch einfach die meisten, zusätzlich wollen sie aber auch Kinder haben und diese gerne auch sehen, mehr als eine Stunde am Tag. Das ist nicht zu viel verlangt, finde ich. Egal, ob man Lust auf Karriere hat, oder einfach die Brötchen verdienen muss. Egal, ob man in einer Partnerschaft lebt, oder alleinerziehend ist, oder oder.

Das Problem ist auch nicht, dass Mütter sich zu schlecht organisieren, oder dass sie zu schnell gestresst sind, oder zu wenig belastbar.

Okay, manche muten sich wirklich zu viel zu. Ich kenne auch Mütter, da sage ich selbst manchmal: gib doch mal was ab. Geh doch mal früh schlafen. Lass die Wäsche mal Wäsche sein und leg dich auf’s Sofa. Aber auch da muss ich sagen: sind die dann selbst schuld? Finde ich nicht. Die Gesellschaft erwartet es ja irgendwie von ihnen. Erwartet, dass sie im Haushalt performen, im Job, als Partnerin, als Mutter. Viele haben wirklich nicht gelernt, sich selbst Raum zu geben, ihre Mütter haben sich schon so verausgabt (im Westen die meisten ohne berufstätig zu sein), und sich von Prägungen zu verabschieden ist so so schwer.

Vor kurzem habe ich einen Podcast mit der tollen Sabine Rennefanz aufgenommen (der nächste Woche kommt!), und sie sagte diesen Satz: “Ich kenne so viele Frauen, die kurz vor dem Burn Out stehen. Die machen jetzt Achtsamkeits-Seminare und Kuren. Dabei sollten sie wütend sein, darauf, dass das System so funktioniert, dass sie am Ende sind.” Dieser Satz hat mich so lange beschäftigt. Denn: ich bin ja auch Zielgruppe. Ich bin zwar nicht ausgebrannt, war es aber mal phasenweise. Und wie gesagt: das sind alles nur Symptome. Für ganz viele IST es einfach zu viel. Da hilft kein Atmen, keine Mutter-Kind-Kur, kein Yoga und keine Meditation. Doch, es hilft vielleicht schon. Aber eben nur kurz.

Das größte Thema ist doch, dass unsere Arbeitsgesellschaft nicht auf Eltern ausgerichtet ist. Nicht auf Menschen eigentlich. Meine Freundin arbeitet 80%, sagt aber selbst, es sind locker 40 Stunden, eher mehr. Ich entgegnete: “Der Klassiker. 30 Stunden bezahlt, 40 gearbeitet.” Sie: “Naja, nicht ganz. Im Vertrag steht 80% von dem, was Vollzeit-Angestellte arbeiten. Und die arbeiten eher 60 Stunden.” DAS ist doch das Problem. Niemand kann neben 60 Stunden Arbeit ein Familienleben haben, das alle erfüllt. Beide 30 Stunden, das wäre es doch. Aber es gibt zu wenig gute 30 Stunden-Stellen. Und man verdient hierzulande meistens mehr, wenn einer Voll- und einer Teilzeit arbeitet, als wenn beide 30 Stunden arbeiten. Fair ist das nicht, oder? Hier noch mal der Hinweis auf diesen Artikel. Oder, noch radikaler: Was wäre so falsch daran, wenn wir alle für die 37 Stunden Woche kämpfen würden? Ohne Überstunden! Ich weise auf Dänemark hin. Geht doch alles. Dann wären viele glücklicher, ausgeglichener und weniger gehetzt…

Das zweite große Thema ist das mit der Gleichberechtigung. Immer noch hängt in den meisten Haushalten das allermeiste an der Frau. Der Haushalt, die Organisation, die Kinderbetreuung, alles, was eben so anfällt – und das ist eine Menge: Kinderklamotten aussortieren und besorgen, Kindergeburtstage, Arzttermine, Anträge, Verabredungen, Nachmittags-Klassen. Dazu die emotionale Arbeit: Kinder bespaßen, kuscheln, Probleme auffangen und besprechen, Stimmungen balancieren. Machen fast immer die Frauen. Und das ist anstrengend – und deshalb einfach unfair! Wenn man die Aufgaben und Verantwortungen teilt – dann bleibt bei jedem die Hälfte hängen. Und das klappt meistens ziemlich gut.

Wir müssen aber auch die Väter besser schützen und einbeziehen. Es gibt keinen Kündigungsschutz für werdende Väter und tatsächlich werden sie oft diskriminiert, wenn sie sich zum Beispiel entscheiden, Elternzeit zu nehmen. Wir brauchen mehr Väter, die Vorbilder sind – gerne Chefs – und bessere Gesetze.

Das nächste Problem ist tatsächlich auch, dass die Kinderbetreuung immer noch teilweise so schlecht ausgebaut ist. Ich glaube, ich habe hier schon mehrmals betont, dass ich es Quatsch finde, sich um die Kinder zu sorgen, wenn sie in der Kita sind. Auf der anderen Seite weiß ich aber auch, wie es sich anfühlt, wenn man das Gefühl hat, dass es dem Kind dort nicht gut geht. Dass die Erzieher zu wenige und überfordert sind. Die Gruppen zu groß, der Lärmpegel zu hoch. Da KANN man sich dann nicht entspannen, tagsüber. Wir brauchen bessere Kitas! Die dürfen auch gestaffelt was kosten, aber eben nur für Besserverdiener. Erst wenn die Qualität stimmt, wird Kinderbetreuung in diesem Land einen besseren Ruf bekommen, erst dann werden Frauen wirklich gleichgestellt sein. Denn wer sorgt sich wohl um die Kinder, wer sucht den Kitaplatz, wen belastet das? Die Väter sicher manchmal auch. Meistens aber die Mütter.

Ach, es ist so viel zu tun. Und bitte sag jetzt keiner: “Früher ging das doch auch”. Früher ist man ganz anders mit seinen Kindern umgegangen. Früher wurde Frauen Alkohol als “Stimmungsheber” untergejubelt. Und ich kann nicht umher, diesen ganzen Trend mit Yoga, Meditation, Achtsamkeit und so weiter so ähnlich zu finden, wie die Frauengold-Werbung. Nein, das ist übertrieben. Wie gesagt: ich mache selbst Yoga, ich interessiere mich für diese ganzen Dinge, sie helfen mir auch. Aber wir sollten bei all dem nicht aus den Augen verlieren, dass das Problem meistens eigentlich ein anderes ist. Wir sind es nämlich nicht. Oder, was meint ihr?