Let’s talk about: „Ich mag eines meiner Kinder mehr, als das andere.“

Manchmal bekommen wir Leserbriefe, die uns berühren. Im Fall von Clara (Name geändert) haben wir sogar nachgefragt, ob sie ihre Gedanken ausführlicher beschreiben könnte und wir einen Gastbeitrag daraus machen können. Sie sagte zu. Es geht um ein Gefühl, das vielleicht auch einige von euch kennen. Ein Kind lieber zu haben, als das andere. Nicht nur manchmal. Sondern immer. 

Es fällt mir überhaupt nicht so leicht, darüber zu berichten, weil das Thema so wahnsinnig schambehaftet ist, vor allem, das schätze ich zumindest, für Mütter. Am Anfang habe ich auch noch gedacht, es ändert sich. Das verwächst sich. Das muss es doch! Aber es gibt eine Sache, die sich wie eine rote Linie durch die letzten vier Jahre zieht… Ich mag mein zweitgeborenes Kind nicht so sehr, wie mein Erstgeborenes.

Aber kurz nochmal auf Anfang:

Mein erstes Kind bekam ich mit 30. Das war ein gutes Timing, ich war aus dem Studium raus und schon seit fast drei Jahren festangestellt. Mit meinem Freund war ich damals schon vier Jahre zusammen, wir wollten beide Kinder. Benjamin wurde geboren, es war keine leichte Geburt, aber auch keine schlimme. Einen Großteil der Elternzeit nahm ich,  drei Monate machte mein Partner. Ich war gern Baby-Mama, vermisste aber auch die Arbeit. Mit einem Jahr ging Benjamin in die Kita. Relativ kurz darauf wurde ich wieder schwanger. Ganz so schnell war eigentlich nicht geplant, aber hey, es lief alles gut! Warum also nicht?!

Schwere Schwangerschaft

Ich arbeitete ja wieder und stellte schnell fest, dass eine Schwangerschaft ganz schön anstrengend sein kann, wenn schon ein Kleinkind da ist. Körperlich war ich einfach nicht fit, wahrscheinlich hatte sich mein Körper noch nicht von der ersten Schwangerschaft erholen können. Die ersten Monate waren sehr schlimm: Ständige Übelkeit, schlechte Stimmung bei mir. Ganz tief drinnen – ich traute mich nicht es irgendjemanden zu erzählen und ich weiß, wie schlimm sich das hier wahrscheinlich liest – wünschte ich mir fast eine Fehlgeburt. Ich wollte nicht. Ich war zu erschöpft. Ich wollte einfach nur meinen Körper zurück!

Aber die Schwangerschaft entwickelte sich gut. Mittlerweile war ich aus dem 1. Trimester raus und es ging mir langsam etwas besser. Ein bisschen freute ich mich schon auch, die Ablehnung war gewichen und ich dachte: das soll jetzt einfach so sein!

Diese zweite Schwangerschaft, wie wohl bei so vielen, ging aber viel schneller. Ich sah schon im 5. Monat aus wie im 8. Monat. Ich nahm super viel zu. Und dieses Mal riss auch mein Bauch, bei der ersten Schwangerschaft war das nicht passiert. Ich war so fertig. Am Ende der Schwangerschaft weinte ich viel. Aber ich freute mich aufs Kind, wirklich. Es würde ein Mädchen werden. So wie ich mir das gewünscht hatte. Ein süßes, liebes Mädchen.

Sie ist so ganz anders, als erwartet

Die Geburt ging schnell und war komplikationsfrei. Als Ella mir auf die Brust gelegt wurde, sah sie ganz anders aus, als in meiner Vorstellung. Also wirklich anders. Auch wenn ich mir die Bilder nun angucke: sie war einfach nicht so ein süßes Baby. Später änderte sich das noch. Aber ich fand meinen Sohn um längen niedlicher. Als Kleinkind spielte ich weniger mit ihr, klar, es gab ja auch noch ein großes Kind, das versorgt werden musste. Manchmal hatte ich aber auch das Gefühl, dass ich einfach weniger Lust darauf hatte. Natürlich finde ich sie süß. Aber manchmal eben auch richtig unsympathisch. Und denke tatsächlich: Irgendwie ist Benjamin netter, ich fühl mich ihm viel mehr verbunden. Es gibt eine gewisse Leichtigkeit und Vertrautheit in unserer Beziehung, die mir bei meinem jüngeren Kind fehlt. Ist es vielleicht einfach nur, weil er schon länger auf der Welt ist und wir mehr Zeit miteinander hatten? Ich vermute nicht. Es sind ja nur zwei Jahre Altersabstand…

Mein Sohn ist sensibel, feinfühlig, er artikuliert sich schon sehr gut, ist schlau und witzig. Er kuschelt sich an mich, wenn er das braucht. Sicherlich wurde er auch mal sauer, hatte eine “Trotzphase”, aber er ist ein süßes Kind. Meine Tochter ist anders. Laut. Fordernd. Sie brüllte schon als Baby alle zusammen, war oft gefühlt einfach nur wütend. Jetzt, mit zwei Jahren, ist das immer noch so. Sie ist ein kleiner Vulkan, der ständig auszubrechen droht. Es musste immer alles genau so sein, wie sie es braucht, sonst gab es Terror. Sie brüllte meine Brust an, biss später sogar rein – bis heute denke ich, sie hat das mit Absicht gemacht (Wohlwissend, dass das Blödsinn ist, sie ist ein Baby gewesen.). Sie schimpft immer noch viel, spricht wenig und natürlich lacht sie auch, plappert, ist niedlich. Aber ich mag sie einfach wirklich nicht so sehr, wie meinen Sohn. Wenn ich den sehe, spüre ich oft, wie mein Herz hüpft, wie ich mit Liebe überflutet werde. Das Gefühl habe ich bei meiner Tochter – ganz ehrlich – eigentlich nie.

Und immer häufiger frage ich mich: Gibt es die bedingungslose Liebe zu seinen Kindern wirklich? Ist das nicht vielleicht ein Irrglaube? Denn ich spüre ganz deutlich, ich mag ein Kind mehr als das andere. Ich versuche, es mir nicht anmerken zu lassen. Vor allem versuche ich natürlich, dass meine Tochter es nicht merkt. Aber Kinder, die spüren das bestimmt. Es tut mir leid. Ist sie deshalb so eine Kratzbürste?

Ich habe versucht, das Gefühl zu ignorieren. Achte total darauf beide möglichst gleich zu behandeln. Aber dennoch bleibt dieser unterschwellige Unterschied in meinem Inneren bestehen. Ich fühle mich so uneins und es macht mich fertig. Ich spreche mit niemandem darüber. Nicht mal mit meinem Partner, auch nicht mit meiner besten Freundin.

Wenn den Kindern etwas passieren würde, würde ich für beide genau gleich kämpfen, ich will sie beide beschützen und ihnen helfen, ein möglichst gutes Leben zu führen. Aber im Alltag – da ist die Liebe zu einem Kind einfach wirklich größer, als zu dem anderen.

Ich suche oft nach Ursachen: Vielleicht, weil die Schwangerschaft zu anstrengend war? Weil sie ein Mädchen ist, und mein Unterbewusstsein sie als Konkurrentin sieht (diesen Gedanken mag ich gar nicht)? Vielleicht ist sie einfach so anders als ich, und das verunsichert mich? Vielleicht kann man Sympathien oder eben Antipathien auch nicht immer erklären. Und ich denke manchmal, vielleicht kommt unsere Zeit noch.

Vielleicht bonden wir irgendwann, wenn sie älter ist, kein Kind mehr ist. Das wäre schön.