Damals und heute
Damals haben wir uns noch völlig analog kennengelernt: Mit intensiven Blicken an der Bar, schüchternen Annäherungsversuchen auf der Tanzfläche und, wenn alles gut lief, einem gemeinsamen Taxi zusammen nach Hause. So in der Art habe ich eigentlich immer gedatet bzw. Männer kennengelernt. Klar, habe ich die letzten Jahre mitbekommen, dass der Dating-Hase nun anders läuft, neugierig auf diese „neue Welt“ war ich allerdings nie. Jemanden nur anhand eines Fotos zu beurteilen, war irgendwie nicht mein Ding. Ist es immer noch nicht, nur die Sache mit der Neugierde hat sich geändert. Denn wenn man plötzlich, nach so vielen Jahren, wieder Single ist, dann erscheint so einiges neu und aufregend – gerade wenn es mit Dating zu tun hat. Dabei suche ich alles andere als eine neue Beziehung. Ganz im Gegenteil, es geht einfach um ein bisschen Spaß haben, ein flirty Date, bisschen Knutschen. Aber wie jemanden kennenlernen, wenn der Winter lang war, die kinderfreien Abende überschaubar und die meisten Freunde alle vergeben und gemütlich zu Hause? Eben… mit einer App!
Daten mit Beipackzettel
Nun sitze ich hier und gebe wildfremden Männern Auskunft darüber, was ich suche („Etwas Lockeres“), was ich gerne in meiner Freizeit mache („Pizza, Bars, Lesen, Schreiben“), ob ich rauche („in Gesellschaft“), was mir wichtig ist bei meinem Partner („Ironie“) und halt eben, ob ich schon Kinder habe, welche möchte oder lieber ganz darauf verzichte. Da wären wir also wieder beim Anfang des Textes…
Klar, ich könnte diese Angaben überspringen, aber ich brauche niemanden daten, der keine Kinder in seinem Leben haben möchte. Auch wenn ich, wie gesagt, nichts Ernstes suche, finde ich es komisch, mein Kind zu verleugnen. Andersrum ist übrigens genauso. Wenn ich sehe, dass ein Typ gerne Kinder möchte, dann ist das für mich ein No Go, denn diesen Wunsch werde ich ihm ziemlich sicher nicht erfüllen können. Hier werden also die Karten so was von auf den Tisch gelegt, bevor man sich überhaupt das erste Mal in real life gesehen hat. Und das ist es, was es für mich so komisch macht… Mir fehlt die Leichtigkeit. Das Spiel, die Spannung. Hier wird nicht einfach nur ein Treffen zum Kennenlernen ausgemacht, sondern schon vorab ein Beipackzettel an Bedingungen und Kompromissen mitgeliefert. Er mag Hunde, ich nicht. Er möchte die Welt bereisen, ich möchte in Berlin bei meinem Kind bleiben. Er sucht jemanden mit Sinn für Humor, cool ich auch. Er ist super sportlich und geht jedes Wochenende wandern, äh Ciao.
Gefällt mir dann doch mal jemand von der Optik her (so funktioniert ja nun mal diese App), dann stimmen wieder andere Faktoren nicht. Fakten, die man ja nun mal scheinbar über sich angibt, damit die Trefferquote genauer wird. Aber wo bleibt da das Prickeln?
Freunde von mir, die deutlich mehr Erfahrung mit den Apps haben, bestätigen, dass man diese Gefühle trotzdem bei den ersten Dates erleben kann. So weit habe ich es noch nicht kommen lassen. Denn immer, wenn es kurz davor war, ein Date zu werden, habe ich den Schwanz eingezogen. Weil’s mir dann doch nicht so wichtig war, weil ich keine Zeit hatte – oder lieber einen freien Abend mit Freunden und Freundinnen verbringen wollte. Vielleicht muss ich also erst Mal einen Schritt weitergehen, bevor ich mir eine endgültige Meinung bilden kann. Gerade jedoch schwanke ich noch zwischen dem Gefühl, ob solch ein Treffen an wahnsinnig viele Bedingungen und Verpflichtungen gebunden ist, oder daten eben noch nie so einfach war wie in diesen Zeiten.
Verpflichtung oder Leichtigkeit?
Denn, wenn ich nun den steinigen und komplexen Weg gegangen bin, in dem ich mich durch unzählige Hund- und Surf-Profilbilder gekämpft habe, vorbei an den noch offenen Kinderwünschen, hindurch durch müde und unkreative Chats und nun so etwas wie einen Funken Gemeinsamkeit und Sympathie verspüre, dann ist das doch irgendwie schon eine Art Commitment, wenn es zum ersten Treffen kommt. Von beiden Seiten. Schließlich haben wir einen freien Abend geopfert und die Entscheidung ist auf den jeweils anderen gefallen. Heißt das jetzt nicht auch, dass der Abend zumindest eine 10 von 10 werden muss, man im besten Fall zusammen nach Hause geht und sich im aller besten Fall bald wiedersieht?
Oder liegt die mir fehlende Leichtigkeit beim Online-Dating am Ende genau in diesem Detail? Nämlich darin, dass man nach einem Flop Abend, bereits am nächsten schon jemand Neues treffen kann – und es dieses Mal besser wird? Das Fass der Austauschbarkeit möchte ich an dieser Stelle gar nicht erst öffnen… Denn je mehr ich mir den Kopf zerbreche, desto mehr merke ich, dass ich die Spielregeln einfach noch nicht verstanden habe. Ich wälze die Anleitung also noch mal vorne nach hinten durch. Vielleicht sollte ich sie aber auch einfach weglegen, mich führen lassen und mir die Regeln von jemand anderem erklären lassen. Schließlich lernt man Dinge ja am besten, wenn man sie einfach ausprobiert.
Foto: Tim Mossholder