Machen Kinder unglücklich? Quatsch!

Machen Kinder automatisch glücklich? AUCH QUATSCH! So einfach ist das eben nicht mit dem Glück... Dieser Artikel könnte auch heißen: der Verfall unserer Presselandschaft, oder: Glaubt nicht alles, was ihr lest. Denn wie über Forschungsergebnisse zur Zufriedenheit von Eltern in den letzten Wochen berichtet wurde, darüber habe ich mich einfach mal richtig aufgeregt.

What happened? Mikko Myrskylä, seinerseits Direktor des sehr angesehenen Max Planck Instituts für demografische Forschung, für das ich zufällig arbeite, hat eine Studie darüber herausgebracht, warum Eltern in Deutschland oft kein zweites Kind bekommen.

Sind Eltern im ersten Jahr überfordert – folgt oft kein zweites Kind

Tatsächlich hat er herausgefunden, dass Eltern oft relativ unglücklich sind nach der Geburt des ersten Kindes, vor allem im Vergleich zu “vorher”. Es wurden Eltern im ersten Jahr befragt. Und JA: viele, denen das erste Jahr schwer zugesetzt hat, entscheiden sich gegen ein zweites Kind. Je älter und gebildeter die Paare, desto deutlicher war das Ergebnis (das kann wiederum auch mit dem Alter zu tun haben, denn viele Paare entscheiden sich ja auch aufgrund ihres Alters gegen ein zweites Kind, oder mit der Karriere, denn die lässt sich hierzulande ja immer noch nicht wirklich mit Familie vereinbaren).

Dabei sollten sie das nicht! Denn Mikko Myrskylä sagt auch: “Trotz der Unzufriedenheit nach dem ersten Kind wirken sich bis zu zwei Kinder insgesamt und langfristig eher positiv auf das Lebensglück aus“. Überhaupt gibt es viele Studien, die belegen, dass Kinder zwar in den ersten Jahren tendenziell unglücklicher machen (Paare mit Kindern also unglücklicher sind als Paare ohne Kinder), später liegen Eltern aber in der Zufriendenheits-Statistik deutlich über Nicht-Eltern. Kinder sind also quasi eine Langzeitinvestition ins Glück.

Der interessanteste Satz in der Pressemitteilung des MPIDR ist für mich:

„Politiker, die sich Sorgen um niedrige Geburtenraten machen, sollten darauf achten, dass es den jungen Eltern schon beim ersten Kind gut geht – und zwar rund um die Geburt und danach.“

Tadaaa! DAS ist doch wirklich interessant, oder? Was ist am Wichtigsten für das Wohlbefinden rund um die Geburt und danach? Eine anständige Betreuung durch Hebammen! Seit die Prämien für die Berufshaftpflicht für Hebammen stark gestiegen sind, haben viele der Geburtshelferinnen aber ihren Beruf an den Nagel gehängt. Im letzten Jahr ist das besonders deutlich geworden, ich bekomme zur Zeit fast täglich mit, dass schwangere Frauen verzweifelt eine Hebamme suchen. Die Krankenkassen hatten zwar eine Honorarerhöhung versprochen, die Einigung dazu steht aber noch aus. Die Politik macht NICHTS. Hinzu kommt, dass noch unklar ist, ob es die Versicherung nach Juni 2016 überhaupt noch gibt. Außerdem: Kliniken schließen ihre Geburtsstationen, weil zu teuer, in vielen Gegenden müssen Frauen mit Wehen von Krankenhaus zu Krankenhaus fahren, um irgendwo ihr Kind zu bekommen, die Notkaiserschnitt-Rate steigt. Immer mehr Frauen haben überhaupt keine Hebamme und damit Nachsorge mehr, sie stehen buchstäblich alleine mit einem Neugeborenen da. Unfassbar. Ich selbst kenne genug Neu-Mamas und Schwangere, die keine Hebamme gefunden haben oder finden, die in überfüllten Kliniken gebären mussten, unnötige Notkaiserschnitte und schlampige Nachbetreuung inklusive. Dass das nicht unbedingt zum Glücksgefühl beiträgt – muss ich sicher nicht erklären.  DAS ist doch wirklich mal eine Headline wert, oder?

Aber das interessiert die Journalisten nicht. Denn es ist immer noch tierisch trendy, Kinder als lebensraubende Monster darzustellen. Kinderskepsis hat Hochkunjunktur.

Stattdessen stürzte sich die Presse also auf folgenden Satz:

“Im Durchschnitt gaben Mütter und Väter an, im ersten Jahr ihrer Elternschaft um 1,4 Einheiten weniger glücklicher zu sein (…) Über ein Drittel empfindet sogar ein Minus von zwei oder mehr Glücks-Einheiten. Das ist vergleichsweise viel: Durch Arbeitslosigkeit oder den Tod des Partners geht die Zufriedenheit gemäß internationalen Studien im Mittel nur um etwa eine Einheit auf derselben Glücks-Skala zurück, durch Scheidung sogar nur um 0,6 Einheiten.”

Hier muss ich leider zugeben, dass das MPIDR bei der Pressemitteilung nicht ganz sauber gearbeitet hat. Denn erstens kommen solche Vergleiche in der Originalstudie von Rachel Margolis und Mikko Myrskylä nicht vor (wen es interessiert, hier geht’s zum ganzen Artikel), zweitens werden die Quellen nicht genau angegeben, drittens ist von “internationalen “Studien die Rede. Ein Kind bekommen in Deutschland wird also ggf. mit “den Job verlieren” in den USA verglichen, was natürlich Quatsch ist.

Die Medien stürzten sich dennoch darauf und machten mit reißerischen Headlines wie:  Es gibt kaum etwas Beschissenders als Kinder zu kriegen,(Vice), Nach dem ersten Kind haben viele Eltern genug (FAZ), Eltern werden macht unglücklicher als der Tod des Partners, das erste Kind ist Horror (Stern) auf.

Ich finde es fast verantwortungslos, was manche so genannten Journalisten aus einer Studie, die etwas völlig anderes belegt hat, machen. Verantwortungslos deshalb, weil es zu wenig Kinder und vor allem Kinderfreunde in diesem Land gibt und wirklich nicht auch noch Negativpresse dazu gemacht werden sollte!

Trotzdem ist natürlich was dran an der Message. Aber ganz ehrlich? Überrascht das irgend jemanden von euch?

Kinder bringen anfangs nicht nur Glück

Es wurden nur Eltern im ersten Jahr befragt. Und ich behaupte mal: JA, im ersten Jahr machen Kinder einen zumindest nicht nur glücklich. Bzw. es wurde ja insbesondere nach dem Abfall des Glücks gefragt, die Frage könnte also gelautet haben: “Wie fühlst du dich jetzt im Vergleich zu der Zeit vor der Geburt?”

Die Antwort lautet sicher oft: ernüchtert. Vor der Geburt ist bei den meisten Eltern pures Glück, Vorfreude, Ruhe vor dem Sturm. Ich erinnere mich noch so genau an die Zeit vor der Geburt, es war wundervoll. Bei mir war danach auch noch alles ziemlich wundervoll, ich hatte nämlich eine gut betreute Geburt und eine sehr fürsorgliche Hebamme, außerdem einen Mann, der sich beruflich viel Zeit freischaufeln konnte. Abgesehen davon hatte ich aber auch ein sehr anspruchsvolles Baby und der Freiheitsverlust – der war immens. Ich erinnere mich an Abende, an denen ich stillend auf dem Sofa saß, mir Bilder von Sonnenuntergängen auf Instagram angesehen habe (wir haben keinen Balkon) und in Tränen ausgebrochen bin, weil ich mich so gefangen gefühlt habe. Aber das war okay! Ich hatte nämlich auch nicht das pure Glück erwartet, ich war ziemlich realistisch.

Lange Rede, kurzer Sinn: Wenn man mich im ersten Jahr gefragt hätte: Bist du glücklicher als vorher oder eher das Gegenteil? Hätte ich, je nach Tagesform, wahrscheinlich geantwortet: “Hab ich keine Zeit, mir darüber Gedanken zu machen”. oder “Willst du mich verarschen, nimm mir dieses Kind ab!”

„Generell beklagen junge Eltern zunächst häufig Schlafmangel, Schwierigkeiten in der Partnerschaft und den Verlust von Freiheit und Kontrolle über ihr Leben“, sagt Mikko Myrskylä.

Überrascht mich überhaupt nicht. Das erste Jahr ist eine Hardcore-Erfahrung (das zweite übrigens auch, wie ich finde).  Yep, Säuglinge schlafen eher schlecht, wow was für eine News. Insbesondere die Partnerschaft wird OHO! auf die Probe gestellt. Logisch, man ist plötzlich zu dritt. Das ist immer schwer, ob das nun eine Geliebte, ein ungebetener Ex-Mann oder ein Kind ist – Dreierkonstellationen haben es einfach in sich. Das mit dem Freiheits- und Kontrollverlust – auch völlig logisch. Wir Deutschen sind Kontrollfreaks, außerdem bekommen wir nicht nur wenig Kinder, wir bekommen sie zunehmend auch später. Als ich damals schwanger war, war ich 31 und ich war mit Abstand die jüngste Frau, die meine Hebamme betreut hat. Dagegen ist nicht viel einzuwenden, vor allem soll das jeder machen wie er will, aber: man wird nicht fitter und nicht flexibler mit dem Alter. Kinder sind anstrengend (meine Mutter stöhnte jüngst: “Es hat schon seine Gründe, dass JUNGE Menschen Kinder bekommen!”) und sie erwarten unheimlich viel Flexibilität, wer gerne plant und es gewohnt ist, dass alles nach seiner Facon läuft, kann sich das mit einem Neugeborenen abschminken. Dass man ein Kind eher als Eindringling, denn als Freude empfindet, wenn man vorher 25 Jahre lang nur sein eigenes Dinge machen konnte – logisch! Das gleiche gilt für alle, die sich vorher sehr über den Job definiert haben. Das mit einem Kind in Einklang zu kriegen – schwierig. Auch hier ist die Politik gefragt! Stichwort mal wieder: Vereinbarkeit.

Die Vergleiche zum Glücksverlust bei einer Scheidung oder dem Jobverlust, gar beim Tod eines Nahestehenden finde ich übrigens auch nachvollziehbar. Wenn man ein Kind bekommt, ist oft vorher HUI! und dann direkt danach, von einem Tag auf den anderen HUCH! Kein Erlebnis verändert das Leben so gravierend und so plötzlich. Eine Scheidung passiert in der Regel nicht von einem Tag auf den anderen, der Glücksabfall ist sicher schleichend und langwierig. Das Gleiche gilt für den Verlust eines Jobs und ja, meistens ist es auch so, dass man sich auf den Tod eines geliebten Menschen vorbereiten kann, zumindest wenn dieser an einer schweren Krankheit leidet.

Überhaupt ist es schwer, Glück zu messen, oder?

Ich würde diese Studie also nicht allzu ernst nehmen. Die Vergleiche zu anderen schrecklichen Erlebnissen sind an den Haaren herbeigezogen. Und finde es schade, dass der gemeine Konsument von Headlines anscheinend immer wieder hören will, wie scheiße Kinder haben ist. Ist es nicht! Warum werden Glück und Kind in Deutschland so gegeneinander ausgespielt? Ist es nicht eher ein Armutszeugnis, dass unsere Gesellschaft sich nur noch um ICH und MICH und SELBSTVERWIRKLICHUNG dreht?

Gut. Kinder sind teuer, anstrengend, man hat nicht mehr seine Ruhe, man kann nicht mehr egoistisch sein – die Negativliste ist länger als die Posititvliste. Ich würde auch nie behaupten, dass mich mein Kind jetzt so wahnsinnig viel glücklicher gemacht hat, darüber bin ich auch froh, denn ich würde es ihm gar nicht zumuten wollen, mein einziges Glück zu sein, was für ein schrecklicher Druck! Es gibt auch heute noch viele Dinge fernab von Xaver, die mich glücklich machen und ich glaube, man kann durchaus ein erfülltes Leben ohne Kinder führen. Dennoch gehört das Kinderhaben für mich, und für die meisten, oder? immer noch einfach dazu. Es ist reine, bedingungslose Liebe, Erwachsenwerden von 0 auf 100, den Sinn des Lebens finden und unfassbare Aufgaben und Verantwortungen meistern. Es ist oft schwer aber ey: Things Worth Having Don’t Come Easy.

Lasst euch also nix sagen von der Presse, die haben alle nicht anständig recherchiert.

Kinder haben ist nicht einfach, es ist anstrengend, wirft einen oft aus der Bahn und es zwingt einen, das Leben umzukrempeln und von sich selbst und den eigenen Bedürfnissen Abstand zu nehmen. Letzteres tut vielen (oder: den meisten?) aber sehr gut und am Ende machen Kinder vielleicht nicht sofort glücklich. Aber was tut das schon, außer ein Ectasy-Pillchen? Auf Dauer machen sie aber zufrieden, erfüllt… zumindest geht es den meisten so. Noch mal: Langzeitinvestition ins Glück! Die erste Zeit mit einem Kind sollte von Niemandem verherrlicht werden, sie ist tough. Aber sie geht vorbei und es wird immer besser…

 

Was sagt ihr? Machen Kinder glücklich? Oder sind sie eher Horror?