Kinderhaben Anderswo: Marie in Los Angeles
Mein Weg nach L.A.
2008 bin ich aufgrund eines Arbeitsangebots des Musik Labels !K7 von Berlin nach New York gezogen und habe dort die amerikanische Sales- und Marketingniederlassung geleitet. In New York habe ich fast sieben Jahre gelebt. 2011 habe ich meinen Mann Jamie, der Engländer ist, in North Carolina auf einer Konferenz kennengelernt. Jamie lebte damals noch in London, folgte dann aber kurze Zeit später seiner Arbeit nach L.A. Die ersten Jahre sind wir viel gependelt zwischen London, New York und L.A. Da wir beide international arbeiten, konnten wir Berufliches und Privates gut miteinander vereinbaren. Als ich schwanger wurde, haben wir uns entschieden für die Geburt und Elternzeit nach L.A. zu gehen. Obwohl ich bis dahin schon viel Zeit in L.A. verbracht habe, bin ich mit der Stadt nicht wirklich warm geworden. Von New York und London war ich eine ganz andere Energie und Schnelligkeit gewohnt. Hochschwanger bin ich mit dem letztmöglichen Flug umgezogen. Nach der Geburt änderte sich mein Blick auf LA: Wir haben sehr viele nette Familien kennengelernt und vor allem ich habe die Helligkeit, die Natur und Freundlichkeit von Kalifornien schätzen gelernt, sodass wir uns entschieden, hier zu bleiben. Viele unserer Freunde hier sind ‘New York Transplants’ und haben einen multi-kulturellen Hintergrund. Ich habe nach einer kurzen Elternzeit von sechs Monaten wieder angefangen Vollzeit zu arbeiten und bin jetzt Head of Global Digital Sales bei dem Musiklabel Ninja Tune.
Die Geburt
Ich habe unsere Tochter Chloe im Cedars-Sinai Krankenhaus in Beverly Hills zur Welt gebracht. Die staatliche medizinische Versorgung ist sehr minimal, sodass sich jeder, der es sich leisten kann, privat versichert ist. Aufgefallen ist mir schon während der Schwangerschaft, dass hier wesentlich mehr Tests und Ultraschall Untersuchungen durchgeführt werden als in Deutschland. Uns hat das teilweise sehr verunsichert und, wie sich später herausstellte, unnötige Sorgen bereitet.
Auf der anderen Seite ist die medizinische Versorgung so gut gewesen, dass ich jederzeit einen Termin bekommen konnte oder meinen Arzt per Telefon oder E-Mail sprechen konnte. Auch der Geburtsvorbereitungskurs und das Krankenhaus selbst waren exzellent. Wir hatten einen wunderschönen Raum mit Blick auf die Hollywood Hills, das vor allem während des Sonnenuntergangs eher an ein Hotelzimmer anstatt an einen Kreißsaal erinnerte. Nach der Geburt stand ein Familienzimmer zur Verfügung, in dem es auch ein Bett für den Vater gab.
Trotz aller medizinischen Versorgung hatte ich leider eine sehr schwierige Geburt und die erste Zeit zu Hause war obgleich unseres großen Glücks, sehr schwierig. Anders als in Deutschland gibt es hier kein Hebammensystem, dafür übernimmt der Kinderarzt eine unterstützende Funktion. Er ist vierzwanzigstundenlang lang erreichbar und kann wenn nötig Stillberaterinnen und ähnliche Spezialisten vermitteln. Viele Mütter engagieren sich daher privat eine Doula. Die Doula ist eine Art Hebamme und kann je nach vertraglicher Absprache schon während der Schwangerschaft dabei sein, spätestens aber bei der Geburt und während der postnatalen Versorgung.
Im Nachhinein wünschte ich, wir hätten mehr Unterstützung nach der Geburt gehabt. Ich hatte wie gesagt keine einfache Geburt und mir ging es körperlich sehr lange schlecht. Jemand, der mich nach der Geburt unterstützt und uns als junge Eltern hilft, in die neuen Rollen zu wachsen, hätte ich mir sehr gewünscht. Wenn wir das Glück haben noch ein zweites Baby zu bekommen, werden wir sicherlich im Vorfeld mehr Hilfe nach der Geburt organisieren.
Unterstützung beim Schlafen
Ich habe, als Chloe zehn Wochen alt war, eine ehemalige Krankenschwester engagiert, die mir geholfen hat Struktur in unseren neuen Alltag zu bringen. Das tat sie durch viele praktische Tipps, geregelte Schlafens- und Stillzeiten sowie feste Einschlafrituale. Wir waren damals in London um unsere Familie zu besuchen und ich hatte mich entschlossen aktiv zu werden, weil unsere Abende sehr anstrengend waren. Chloe hat jeden Abend geweint, was dazu führte, dass ich stundenlang mit ihr im Schlafzimmer war, versucht habe sie zu beruhigen, zu stillen, etc. Die Unterstützung, eine Krankenschwester namens Regan, habe ich über eine Website gefunden. Es ist nur Zufall gewesen, dass es London war, denn ich hätte mir auch in LA Hilfe geholt. Sie ist an einem Nachmittag zu uns gekommen und hat mich und Chloe kennengelernt. Ich habe ihr gezeigt, wie Chloe schläft, was unser Tagesablauf ist und sie hat mir einfach sehr viel Wissen vermittelt: Wir haben einen Plan erarbeitet und über zehn Tage hat sie mir geholfen eine neue Routine zu finden. Ich war dann schon wieder in LA, und wir haben per Whats App mehrmals am Tag kommuniziert. Chloe konnte durch feste Rituale und mehr Struktur alleine in der Krippe einschlafen und das ohne großes Weinen.
The Moms Club
Die ersten Wochen als junge Mütter können sehr isolierend sein. Ich war daher überrascht festzustellen, wie gut die Mütter in meiner Gegend untereinander vernetzt sind, um sich gegenseitig zu helfen. Es gibt eine regelrechte ‘Mama Mafia’, die sich online und in Vereinen organisiert hat und einerseits dazu da ist, sich auszutauschen über die Kinder, aber auch um Empfehlungen für Reinigungskräfte, Jobs, Ärzte, Autohändler, Reisen, Versicherungen usw. auszutauschen. Es gibt tatsächlich keine Frage, die man nicht stellen kann. Was mich daran vor allem freut, ist, dass es sehr viele verschiedene Erziehungsstile gibt und in den Gruppen nicht geurteilt wird, sondern wirklich nur unterstützt wird. Ich bin zum Beispiel Mitglied im MOMS Club von Silverlake, ein amerikaweiter Verein, der in jeder Region seinen Schwerpunkt hat. Der Club basiert nur auf ehrenamtlicher Arbeit. Wir unterstützen sozial schwache Familien, organisieren ‘Mealtrains‘ für Mütter mit Neugeborenen (eine Art freundschaftlicher Lieferservice bei denen Freunde und Bekannte anderen Bekannten Essen zu kommen lassen), es gibt einen Buch Club, es werden Vorträge gehalten, sogenannte ‘Snack & Chats‘ und regelmäßig gibt es die ‘Moms Night Out’. Viele meiner Freunde habe ich dort kennengelernt und der Austausch hat geholfen, mich in meiner Rolle als engagierte Mutter zu finden. Ich leite jetzt eine Wochenend-Spielgruppe, zu der regelmäßig ca. 20 Familien kommen. Die Spielgruppe ist ausgerichtet auf berufstätige Mütter, findet am Wochenende statt und Väter sind explizit willkommen.
Der Lebensstandard
Wir leben im Osten von Los Angeles, in Atwater Village, das an Silverlake und Los Feliz angrenzt. Es ist eine familienfreundliche Gegend mit einem Wochenmarkt, guten Restaurants und kleinen Länden, die zu Fuß erreichbar sind. Wir sind mit dem Auto ca. 15 Minuten von den San Gabriel Mountains entfernt und brauchen ohne Verkehr 30 Minuten an den Strand. Wir schätzen die Freundlichkeit von Atwater, das einen dörflichen Charakter hat, und trotzdem mittendrin ist. Wir leben in einem charmanten Haus im Kolonialstil mit viel Platz. Vor unserem Haus stehen zwei riesige Kakteen und am Horizont sehen wir die Berge. Am Wochenende gehen wir viel Wandern und nutzen die unzähligen Outdoor Aktivitäten. Hinter unserem Haus befindet sich der Griffith Park, eines der größten Naherholungsgebiete in der Gegend. Neben unzähligen Wandermöglichkeiten gibt es auch ein wunderschönes Vintage Karussell, eine alte Bimmelbahn, Spielplätze und im Sommer ‘Shakespeare In The Park’ unter freiem Himmel.
Kinderbetreuung & Elternzeit
In den USA gibt es keine staatliche Kinderbetreuung. Aufgrund der geringen Elternzeit (drei Monate und unbezahlt!) müssen viele Mütter frühzeitig nach der Geburt wieder anfangen zu arbeiten. Technologie Firmen schreiten mit gutem Beispiel voran und bieten eine sechsmonatige Elternzeit für Väter und Mutter an. Das ist allerdings eine Ausnahme und viele junge Mütter arbeiten schon sehr früh wieder.
Ich habe nach sechs Monaten wieder angefangen Vollzeit zu arbeiten. Am Anfang haben wir mit einer anderen Familie eine Nanny geteilt und mit neun Monaten ist Chloe in die Daycare gegangen. Ihr gefällt die Kindergruppe sehr gut. Die Kinder sind fast den ganzen Tag draußen, spielen, lesen, malen, tanzen und kuscheln mit Hund und Katze. Leider ist die Kinderbetreuung mit $1.500 pro Monat nicht günstig. Für einige Familien lohnt sich diese Ausgabe nicht und ein Elternteil bleibt zu Hause. Das ist vor allem bei Familien mit mehreren Kindern häufig der Fall. Aufgefallen ist mir, dass es in Deutschland eine viel längere Eingewöhnungszeit gibt. Wir haben Chloe bei der Nanny sowie in der Krippe einfach am ersten Tag morgens vertrauensvoll abgegeben. Aufgrund der nicht vorhandenen sozialen Absicherungen und der Notwendigkeit schnell wieder in den Arbeitsprozess einzusteigen, haben junge Familien oftmals gar keine andere Wahl.
Uns hat der Sprung ins kalte Wasser gut getan und es war toll zu sehen wie Chloe sich entwickelt hat. Sie ist selbständig, gefestigt und geht offen auf Menschen zu. Chloe geht jeden Tag von 8 bis 17 Uhr in die Daycare. Mein Mann Jamie ist sehr involviert und wir teilen uns alle Aufgaben, insofern wechseln wir uns auch mit der Daycare ab.
Stillen & Pumpen
Ich wollte meine Tochter gern ein Jahr stillen, durch den frühen Arbeitseinstieg habe ich daher bei der Arbeit abgepumpt. Ich habe mich frühzeitig darauf vorbereitet und schon im Vorfeld regelmäßig gepumpt und Chloe die Milch aus der Flasche gegeben, so hat sie sich an die Flasche gewöhnt.
Am Anfang war das Pumpen bei der Arbeit sehr anstrengend und zeitintensiv. Ich habe dann auf jedes mögliche Hilfsmittel zurückgegriffen:
Zum Beispiel habe ich ‘Boobie Bars’ zur Milchproduktion gegessen, damit hatte ich schnell viel Milch. Außerdem habe ich einen Reiseakku für die Pumpe gekauft, sodass ich im Auto auf dem Weg zur Arbeit das erste Mal gepumpt habe. Für meine Arbeit reise ich viel und habe so ziemlich an jedem Ort gepumpt: im Flugzeug, im Zug, bei Apple vor dem Meeting etc. Wenn ich für mehrere Tage gereist bin, haben wir die Meetings nach meinem Pump – Schedule ausgerichtet und ich habe einen brillanten Service gefunden, mit dem man Milch über Nacht gekühlt nach Hause versenden kann. In New York und London wartete schon im Hotelzimmer eine gekühlte Tasche und am nächsten Tag haben mein Mann und mein Kind die Milch per Fedex an die Haustür geliefert bekommen.
Ich habe Glück, dass ich für einen Arbeitgeber arbeite, der mich beim Stillen aktiv unterstützt hat. Obwohl es per Gesetz festgelegt ist, dass der Arbeitgeber einen Raum zur Verfügung stellen muss, kenne ich viele Mütter, die auf der Toilette oder in Abstellkammern pumpen müssen. Vor allem, wenn man nach drei Monaten Mutterschutz wieder arbeiten muss, stellen viele Frauen auf Pulvermilch um. Dieser traurige Emoji, den viele Mütter auf ihrer Tastatur haben, beschreibt die komplizierte Still-Situation gut!
Was mir nicht gut gefällt
Die derzeitige politische Situation! Kalifornien hat demokratisch gewählt, trotzdem sind wir besorgt über die neue Präsidentschaft. In meinem sozialen Umfeld führt es dazu, dass sich nun mehr Menschen sozial sowie politisch engagieren. Beim Womans March in LA sind zum Beispiel 750.000 Teilnehmer auf die Straßen gegangen, um auf die Rechte der Frauen aufmerksam zu machen.
Was mir am besten gefällt
Los Angeles hat zurzeit einen kulturellen Höhepunkt und zieht viele talentierte Menschen aus Musik, Film, sowie Technologie nach LA. Das ergibt ein sehr dynamisches, innovatives Umfeld und ist einfach ein spannender Ort zum Arbeiten und Leben. Zusammen mit den Stränden von Malibu und den St. Gabriel Mountains im Hintergrund ist es einfach unschlagbar.
Das Schönste aber ist natürlich unsere großartige Tochter Chloe und unsere kleine Familie. Es ist so ein Glück, Chloe heranwachsen zu sehen und mit ihr das Leben zu teilen. Am Allerschönsten sind die Wochenenden, wenn wir endlich wieder als Familie etwas unternehmen können.