Die Welt der Kinderbücher – bei Mundo Azul!

Die Buchhandlung Mundo Azul liegt in einer ruhigen Straße in Berlin Prenzlauer Berg, etwas abseits vom Trubel der Kastanienallee. Und ein Besuch lohnt sich sehr! Denn drinnen warten Kinderbücher aus aller Welt, die es in dieser Kombination wohl nirgendwo anders zu finden gibt, sowie die sehr sympathische und herzliche Gründerin Mariela Nagle. Wir haben mit ihr über internationale Kinderbuchliteratur gesprochen, die Frage, wie man seinen Kindern kulturelle Offenheit mitgeben kann und warum die Abbildung von Menschen verschiedener Hautfarben nur ein erster Schritt zu mehr Vielfalt ist. Und zwei ihrer Lieblingsbücher stehen auf Instagram zur Verlosung!

Liebe Mariela, Du hast in Berlin Mundo Azul gegründet, eine Buchhandlung, die sich auf außergewöhnliche und unbekannte Kinderbücher aus aller Welt spezialisiert hat – wie bist Du dazu gekommen?

Es ist ein Projekt, das ursprünglich ganz anders geplant war (lacht). Ich habe 2007 ein Kulturzentrum für Kinder auf Deutsch und Spanisch gegründet, mit Tanzkursen, Theater, Vorlesungen usw. Das war mein eigenes Bedürfnis, da ich selbst kleine Kinder hatte und ihnen meine eigene, die südamerikanische Kultur, näher bringen wollte. Dort hatten wir auch südamerikanische und deutsche Kinderbücher, von kleinen, unabhängigen Verlagen.
Es kamen dann immer mehr Familien, die nach Büchern in anderen Sprachen gefragt haben und so fing es an… Ich habe Literaturwissenschaften studiert und eine Leidenschaft für die Recherche und Auswahl von Kinderbücher entwickelt. Immer wenn eine neue Sprache kam, habe ich jemanden engagiert, der die Sprache konnte, bin auf alle Buchmessen gefahren… bei der Auswahl habe ich meinem Baugefühl vertraut. Peu à peu wurden es immer mehr Bücher und immer exotischere. Irgendwann war die Buchhandlung dann wichtiger als das Kulturzentrum.

Welche Bücher gibt es bei euch?

Was uns bei der Auswahl der Bücher wichtig ist, ist immer dasselbe: alternativ, unabhängig und die Förderung lokaler Autor:innen und Illustrator:innen. Das ist die Mischung, die du heute siehst! Man kann sagen, unsere Buchhandlung ist eine Mini-„Bologna“ – Die Kinderbuchmesse in Bologna ist die wichtigste, internationale Messe für Kinderliteratur. Die Kombination von Büchern, die wir haben ist sehr speziell und erfordert viel Recherchearbeit und zum Teil langwierige, schwierige Beschaffungswege. Es ist finanziell nicht rentabel. Daher lebe ich nicht von der Buchhandlung, sondern von meiner Tätigkeit als Beraterin und Kuratorin für Kinderbücher, die daraus entstanden ist. Ich arbeite z.B. für die Frankfurter Buchmesse, Schulen oder Bibliotheken. Die Buchhandlung ist eher ein Showroom meiner Arbeit, meiner Recherche.

Wie findest du die Bücher und was ist Dir bei der Auswahl wichtig?

Inzwischen arbeite ich viele Jahre in diesem Geschäft, habe ein großes, weltweites Netzwerk aufgebaut und arbeite eng mit einigen Verlagen zusammen, wie zum Beispiel dem Verlag Baobab in der Schweiz. Wenn ich sagen müsste, was mir bei der Auswahl besonders wichtig ist, dann wäre es die Ästhetik. Die Bildsprache ist mir sehr wichtig. Das zweite Kriterium ist die Geschichte. Wir suchen nicht nach didaktischen Büchern, wir wollen nicht erziehen, aber die Geschichte muss stimmen. Es geht um das Vergnügen, das Erleben.

Wer sind eure Kund:innen?

Es kommen viele Natives zu uns, also ausländische Familien, die hier leben. Aber auch deutsche Familien, die nach deutschen Büchern suchen, die etwas anders sind. Dabei sind wir nicht auf Berlin beschränkt. Wichtig sind auch Sammler:innen, die z.B. aus Japan kommen, um hier europäische, amerikanische und südamerikanische Bücher zu kaufen. Wir arbeiten aber vor allem mit Institutionen zusammen, zum Beispiel auch mit Gemeinschaftsunterkünften, die Bücher für die Kinder von geflüchteten Menschen kaufen, auf Arabisch oder Farsi.

Welche Unterschiede stellst du zwischen Kinderbüchern weltweit fest?

Heute gibt es nicht mehr so viele Unterschiede wie früher. Aber der Fokus ändert sich natürlich ständig, je nach politischen und Natur- Ereignissen. In Europa war vor einigen Jahren das Thema Migration sehr wichtig, heute ist es die Umwelt. In Nordamerika war in den letzten Jahren die Auseinandersetzung mit den Ureinwohner:innen sehr wichtig und in Südamerika Genderthemen. Dann gibt es natürlich Regionen in Asien oder Russland, in denen bestimmte Themen Tabu sind, wie zum Beispiel Homosexualität. Dort soll die Kinderbuchliteratur in erster Linie über kulturelle Traditionen erzählen. Ich war letztes Jahr ausländisches Jurymitglied für einen chinesischen Kinderbuchpreis. Dort waren viel mehr Bücher eingereicht, als wir am Ende zum Lesen bekommen haben.

Diversität ist in deutschen Kinderbüchern ein großes Thema. Wie war das, als du angefangen hast?

Als ich angefangen habe, vor 14 Jahren, musste man noch mit der Lupe nach Menschen mit anderen Hautfarben suchen. Jetzt gibt es viel Bewegung und ich finde es sehr, sehr gut, dass in den Büchern heute mehr Diversität gezeigt wird! Zugleich ist wirkliche Vielfalt für mich, wenn Menschen mit anderen Hautfarben, Behinderungen oder was auch immer, in den Büchern genauso auftauchen wie wir – aber es keiner Erklärung mehr dazu bedarf. Wenn die Unterschiede nicht mehr betont werden müssen. Ich nenne dir ein Beispiel: 2015/2106 gab es viele Bücher zum Thema Migration. Das nennt man dann Vielfalt, aber es gibt dann zum Beispiel ein Buch über das syrische, arme Mädchen, das im Container lebt und eine deutsche Freundin findet. Das ist für uns nicht Vielfalt. Das ist immer noch diese paternalistische Sicht auf “das Andere”. Es geht auch darum, dass Autor:innen und Illustrator:innen, die zu Minderheiten gehören, einen Zugang zum Markt bekommen und die Verlage selbst divers sind. Vielfalt besteht aus verschiedenen Aspekten.

Welche Rolle haben Kinderbücher in deiner eigenen Kindheit gespielt?

Mich hat ein Mangel an Kinderbüchern geprägt. Ich komme aus Nordargentinien und bin während der Diktatur groß geworden. Ich bin in der Provinz in sehr einfachen Verhältnissen groß geworden. Aber meine Mutter hat immer schon sehr gerne gelesen und Bücher in Raten gekauft. Wir hatten nie viele, aber die, die wir hatten, habe ich geliebt! Jedes Buch war wie ein Schatz. Das versuche ich auch heute noch zu übertragen. Deshalb ist mein Verhältnis zu Büchern recht emotional.

Welche Rolle haben Kinderbücher für deine eigenen Kinder gespielt?

Die kleine Welt in der ich aufgewachsen bin, hat mich sehr eingeschränkt, deshalb wollte ich, dass meine Kinder – selbst wenn sie als Erwachsene nicht mehr lesen – in ihrer Kindheit eine breite Welt erfahren. Ich habe das Kulturzentrum somit mehr oder weniger für uns gebaut. Sie sind jetzt schon groß jetzt, 19 und 16 Jahre alt. Wir haben viele Bücher in allen möglichen Sprachen zuhause. Und ich bringe immer noch Bilderbücher mit nach Hause, die wir zuhause vorlesen! Nach dem Abendessen sitzen wir zusammen am Tisch oder Sofa und lesen laut. Der Kleinere liest gerade gar nicht, aber er ist der, der am meisten zuhört. Es gibt sehr viele Kinderbücher für Erwachsene bzw. “All-Age” Bücher. Auch mein Freund und ich lesen uns gegenseitig vor. Das ist sehr schön!

Hast du den Eindruck, deinen Kindern dadurch kulturelle Offenheit mitgegeben zu haben?

Ich frage mich das auch immer wieder: Was hat das gebracht? Aber ich glaube tatsächlich, dass meine Kinder weniger Vorurteile haben. Sie haben keine Angst, sagen nicht sofort ‘Nein’ zu neuen Sachen. Was ich mit Büchern mache, übertrage ich natürlich auch auf andere Sachen, auf Filme, auf Musik. Sie schauen sich heute unabhängige Filme an, hören Musik, die Jugendliche in ihrem Alter eher nicht hören. Natürlich ist Berlin sowieso ein sehr vielfältige Stadt, aber gerade in Deutschland merke ich diese Schubladen, nach dem Motto: Das gehört zur Kindheit und das nicht, das Buch ist für Kinder und das ist für Erwachsene… Ich weiß nicht, wie sie sich entwicklen, aber ich glaube sie sind recht offen. Allein das Beispiel, das ich ich Dir genannt habe: Sie haben kein Problem dass wir uns noch vorlesen, obwohl das ihre Freunde bestimmt nicht mehr machen und ich weiß auch nicht, ob sie ihnen davon erzählen! (lacht)

Wie können wir aus deiner Sicht, Kindern Lust machen durch Literatur, aber auch darüber hinaus, in fremde Kulturen einzutauchen und Neugier zu entwickeln?

Aus meiner Sicht sollten wir selber experimentierfreudiger mit Kinderliteratur umgehen. Wenn wir neugierig auf neue Literatur sind und selber mehr recherchieren, werden wir ganz viele neue Titel finden, die wir noch nicht kennen. Wir können unseren Kindern ein breiteres Angebot zeigen, nicht nur kaufen, auch in Bibliotheken gibt es eine vielfältige Auswahl. Somit wachsen die Kinder mit weniger Vorurteilen auf. Wir sollen nach Büchern außerhalb von Amazon und den großen Anbietern suchen. Wir sollen nach Websites suchen, wo es gute, alternative Empfehlungen gibt. Wir haben selber auf unsere Website eine Liste von Empfehlungen. Schaut mal rein!

Vielen Dank für das Gespräch!