Gründer-Mums: Stephanie Dettman von UND GRETEL

Stephanie Dettmann ist so eine, die kommt in den Raum rein und alle drehen sich um. Sie strahlt, sie lacht, sie ist eher laut als leise, direkt und stark, aber auch unheimlich herzlich und ehrlich. Tolle Frau! Kein Wunder, dass sie beruflich schon immer ziemlich viel gerissen hat. Vor mittlerweile zehn Jahren wagte sie dann den Schritt in die Gründung: das wunderbare Naturkosmetik-Label UND GRETEL ist ihr erstes Baby, danach - bzw. parallel zur Firmengründung - bekam sie noch zwei Kinder. Die Frau macht keine halben Sachen, deshalb war UND GRETEL von Anfang an ein richtiges Unternehmen mit Finanzierung und allem drum und dran. Klingt alles super perfekt und easy? Quatsch! Im Interview erzählt Stephanie uns von ihrem Weg, wann sie an ihre Grenzen kam - und immer noch kommt - und warum sie die sagenumwobene Work-Life-Balance im Alltag eigentlich gar nicht sucht.

Hallo liebe Stephie! Erzähl mal von Anfang an: Wie kam es zur Gründung von UND GRETEL?

Es war im Spätsommer im Jahr 2008 an einem Sonntag. Christina – meine jetzige Geschäftspartnerin – war damals die Freundin meines Nachbarn. Von Balkon zu Balkon hatten wir uns schon so oft vorgenommen, endlich mal zusammen einen trinken zu gehen, hatten es bis dato aber noch nicht geschafft. Ich drehte meine Runden in meinem Werberleben-Hamsterrad und Christina reiste als erfolgreiche Make-up Artistin und Fotografin durch die Weltgeschichte. An diesem besagten Sonntag war ich Nachmittags kurz zuhause, um Wäsche aufzuhängen, bevor ich dann zurück in die Agentur musste, um eine Präsentation fertig zu machen. Klassisches Werberleben, das ich bis dahin seit 12 Jahren gelebt hatte. Als ich da also auf meinem Balkon stand, rief es plötzlich vom anderen Balkon: „Hey Stephie, komm mal rüber auf einen Aperol Spritz, ich möchte Dir was zeigen!“ Also ich bin kurz rüber. Auf dem Tisch lagen erste Entwürfe von UND GRETEL. Christina erzählt mir, dass sie vor hat, gesundes Make-up auf den Markt zu bringen – allerdings nicht in Öko sondern in cool, namens UND GRETEL. Ich fand die Idee mega und fragte sie als erstes: “Wie, das gibt es noch nicht?” „Nein”, sagte sie, “so, wie ich es vorhabe noch nicht!“
Dann musste ich zurück in die Agentur und wir haben uns erst einmal ein paar Monate nicht gesehen, da sich die Beiden zwischenzeitlich auch getrennt hatten. An einem verregneten Sommertag 2009 traf ich Christina wieder … vor dem hässlichsten Einkaufszentrum der Stadt (also bevor es das Alexa gab!) – Alexander Carreé! Ich habe sie gefragt, was aus ihrer tollen Idee geworden ist. Da sind wir erst mal Kaffee trinken gegangen und sie erzählte, was sie die letzten Monate alles gemacht hatte. Messen besucht, mit Produzenten gesprochen, etc. Plötzlich hielt sie inne, sah mich an uns sagte: „Du, ich bin mit UND GRETEL an einem Punkt angekommen, ich glaub, ich brauch so jemanden wie Dich. Hast Du nicht Lust, das mit mir zusammen zu machen?“ In diesem Moment habe ich nicht lange überlegt, sondern spontan Ja gesagt. Weil ich die Idee einfach so mega fand und in meinem Leben an einem Punkt war, an dem meine Leidenschaft für Werbung nachgelassen hatte. Ich wusste, ich würde in ein paar Monaten heiraten, und da war dieser große Wunsch nach Veränderung, nach etwas Neuem und ehrlich gesagt auch nach etwas eigenem. Ich habe daraufhin mein Werberleben gekündigt und mich fortan voll und ganz auf Christina und UND GRETEL konzentriert.

Ihr habt von Anfang an sehr professionell gearbeitet. Gab es einen Investor oder Business-Erfahrung?

Es gab beides. Dass wir von Anfang an bei UND GRETEL versucht haben, so professionell zu arbeiten wie möglich, hängt natürlich auch damit zusammen, dass Christina und ich als Gründerinnen ja nun schon etwas älter waren, als klassische Tech Start-up Gründer, haha! Wir hatten beide in unseren Bereichen jahrelange Erfahrung und ein Netzwerk, aus dem wir aus den Vollen schöpfen konnten. Christina, die in Sachen Produkt genau weiß, was wie zu performen hat, wie ein Sortiment zusammen gestellt sein muss, welche Farben die richtigen sind etc. und ich, die jahrelang Marken international beraten hat – wir wussten, was wir taten bzw. was wir zu tun hatten. Nur weil wir ein Start-up waren, wollte ich nicht mit Anfängern arbeiten, sondern wir haben uns Profis dazu geholt. So hat beispielsweise Florian Dengler, ein langjähriger Freund von mir und ehemaliger Kreativ-Chef von Metadesign unser komplettes CI & Packaging-Design gemacht. Wir haben für unsere Shootings mit bekannten Fotografen gearbeitet, hatten von Anfang an mit der SPREEPRODUKTION einen Partner, mit dem wir die komplette Print-Produktion gewuppt haben. Denn selbstverständlich gehören zu einem professionellen Markenauftritt Broschüren, Geschäftsausstattung, aber auch ein gebrandedets Klebeband und UND GRETEL Aufkleber. Das habe ich alles ich in meiner Zeit bei Jung von Matt gelernt – und daher kannte ich auch die beiden Gründer der SPREEPRODUKTION.
All das hätten wir aber natürlich nicht machen können, ohne das nötige Startkapital. Wir hatten von Anfang an mit der Berliner Volksbank, der MBG (Mittelständischen Beteiligungsgesellschaft) und einem erweiterten Kreis an Friends & Family InvestorInnen, die uns bis heute begleiten und uns immer unterstützt haben.

Wow. Beeindruckend!! Hattest du denn auch Erfahrung in Sachen Beauty?

Nein! Ich hatte vor UND GRETEL noch nie wirklich etwas beruflich mit Beauty zu tun, privat hab ich es natürlich schon immer geliebt. Nach meinem Studium der Medien- & Kommunikationswirtschaft bin ich direkt in die Klassische Werbung eingestiegen und habe Kunden wie Ferrero, SIXT, BMW und Fisherman’s Friend betreut – alles zwar Lifestyle-Marken, aber nie Beauty.

Wie lange hat denn dann genau von der Idee bis zum Launch gedauert – und welche Hürden gab es?

Die Idee zu UND GRETEL hatte Christina bereits 2005. Gemeinsam vorbereitet haben wir es dann sechs Jahre, bis wir am 17.01.2015 bei ANDREAS MURKUDIS gelaunched haben.
Hürden gab es viele zu bewältigen. Eigentlich wurden wir permanent mit neuen Herausforderungen konfrontiert, ehrlich gesagt hält das bis heute an…

Das fing eigentlich schon gleich am Anfang an, als wir die richtigen Produzenten finden mussten. Bisher hatte niemand das produziert, was wir wollten. Klar gab es zertifizierte Naturkosmetik, aber die Benchmark, die Christina für unsere Produkte angelegt hatte, gab es bislang noch nicht. Hinzu kamen die sogenannten Losgrößen bzw. Abnahmemengen, die wir als kleines Brand stemmen mussten.
Unser erstes fertiges Produkt, was wir in den Händen hielten, war unsere Lipgloss KNUTZEN. Ich werde diesen Moment nie vergessen. Unser erstes eigenes UND GRETEL Baby …

Apropos Baby: Wie alt war dein erstes Kind bei der Gründung?

Unsere GmbH haben wir im März 2013 gegründet, da war Kind Nummer 1 gerade 1,5 Jahre alt. Wenn man aber den Zeitraum der gesamten Gründungsphase betrachtet, kam sie mittendrin zur Welt!

Wie hast du diese Phase in Erinnerung?

Die Erinnerungen an diese Phase sind wunderschön. Dadurch, dass wir zu dem Zeitpunkt weder ein Büro noch Mitarbeiterinnen hatten, haben wir uns zum Arbeiten immer in der jeweiligen Wohnung der Anderen getroffen. Manchmal auch im Park oder wir sind an einen See gefahren. Kalea war immer dabei. Als kleines Baby lag sie einfach im Wagen oder auf dem Bett, später krabbelte sie unter dem Tisch durch, und irgendwann saß sie dann mit am Tisch.
Es war alles so aufregend und spannend – und trotz der vielen Arbeit konnte ich das ganz wunderbar mit dem Mama-Sein verbinden.

Ganz anders, als es wahrscheinlich in der Werbeagentur gelaufen wäre! Du hast dann noch ein Baby bekommen, wie lief das? 

Ja, als unser Sohn geboren wurde, war alles anders. Er kam im Februar 2016 auf die Welt, mitten in einer der anstrengendsten Phasen von UND GRETEL. Wir waren seit einem Jahr am Markt, hatten ein Büro und feste MitarbeiterInnen und eine enorme Verantwortung gegenüber diesen, aber auch gegenüber der Bank und unseren InvestorInnen. Der Druck war hoch, schließlich geht es in den ersten Jahren nach der Gründung täglich ums Überleben.
Genau in dieser Phase bekam ich mein zweites Kind. Da ich aus medizinischen Gründen einen Kaiserschnitt machen musste, hatten wir es in Sachen Planung und Timing natürlich etwas einfacher, als andere. Ich habe bis drei Tage vor der Geburt gearbeitet, es ging mir aber auch die ganze Schwangerschaft über extrem gut. Ich war voller Energie, hatte keinerlei Beschwerden und das, obgleich ich schon 43 Jahre alt war!!
Nach einer Woche Krankenhaus war ich dann noch vier Wochen offiziell Zuhause, für ein Shooting im Spiegel musste ich aber bereits zwei Wochen nach der Geburt ins Office gekommen. Als Indigo sechs Wochen alt war, bin ich zurück an den Schreibtisch gekehrt… Anfangs habe ich ihn mitgenommen, hatte extra eine Wickelkommode in meinem Büro einbauen einlassen und einen Laufstall, in dem er liegen konnte.
Aber leider hat das nicht wirklich funktioniert – weder für mich, noch für ihn. Er konnte keine Ruhe finden im Office, ständig kam jemand rein, das Telefon klingelte oder ich musste in ein Meeting.
Schnell merkte ich: Das bringt niemanden etwas. Somit habe ich schweren Herzens beschlossen, ihn zuhause zu lassen. Mein Mann, der selbstständig ist, hatte sich drei Monate „frei genommen“, zumindest war er nur ab und zu unterwegs, statt jedes Wochenende. Wir hatten zusätzlich eine liebevolle Nanny, die beiden haben sich unter der Woche tagsüber um Indigo gekümmert. Abends war ich dann Zuhause und an den Wochenenden natürlich auch full time.
Immer wieder startete ich den Versuch, einer 4-Tage Woche oder mit kürzeren Arbeitszeiten, aber ich habe es ehrlich gesagt bis heute nicht wirklich geschafft. Ich bin so sehr auf Leistung konditioniert, dass ich mich selbst nicht aus diesem Muster befreien kann. Hinzu kommt, dass ich das, was ich mache auch sehr liebe!

Wow, du Energiebündel. Was sagst du: wie bekommst du das mit der „Vereinbarkeit“ denn im Endeffekt hin?

Ich habe das große Glück, einen Mann an meiner Seite zu haben, der mich unterstützt, wo es geht. Er ist zwar auch selbstständig und das halbe Jahr irgendwo in der Weltgeschichte unterwegs, aber wenn er da ist, ist er 100% am Start. Er bringt den Kleinen morgens in die Kita, ich die Große in die Schule, danach bin ich bis abends im Büro. Er holt dann auch die Kinder ab, geht mit ihnen auf den Spielplatz, usw. Wenn ich abends nicht allzu spät nach Hause komme, essen wir zusammen und bringen die Mäuse zusammen ins Bett. Da er aber, wie gesagt, eben auch viel weg ist, haben wir seit kurzem ein Au Pair, was die ganze Organisation natürlich enorm erleichtert.
Ab Freitag Abend, wenn er auf Tour ist, bin ich dann dran, dann genieße ich die Zeit mit den Beiden, dann ist unser Wochenende! Wir haben eine goldene Regel, die heißt: wir machen nur, auf was wir Lust haben.

Das klingt trotzdem nach ganz schön viel Arbeit, bist du zufrieden mit deiner Work-Life-Balance?

Also ich hätte schon gerne mehr Zeit für die Familie, das muss ich schon sagen. Und ich leide wie all meine anderen working mum Freundinnen natürlich unter der Zerrissenheit und dem ewig schlechten Gewissen, nichts und niemandem zu 100% gerecht zu werden. Aber ich finde, wir haben wir einen guten Weg gefunden, unsere Familie und die Firma miteinander zu kombinieren. Und eine ganz wichtige Sache eingeführt, seit wir ein Schulkind haben: Die Schulferien sind heilig, d.h. wir versuchen alles daran zu setzen, dass wir die Ferien immer irgendwie zusammen verbringen. Klar im Sommer sind sechs Wochen am Stück nicht möglich, aber die vielen anderen Ferien zwischendurch sollen uns als Familie gehören.

Natürlich gibt es immer wieder die Situation, in der die Firma auch vor der Familie steht… wenn es Abends spät wird, weil wir noch ein Meeting haben oder Dinge einfach fertig gemacht werden müssen. Mir war es deshalb immer ganz besonders wichtig, dass meine Kinder niemals das Gefühl haben, dass UND GRETEL ihnen ihre Mama weg nimmt. Dass sie verstehen, dass das, was ich da tue, mich glücklich macht. Dass UND GRETEL auch ihr „Baby“ ist. Deshalb können sie jederzeit zu mir kommen, bei uns im Office spielen und herumtollen. Ich beziehe sie in alles mit ein, lasse sie teilhaben an diesem Leben und versuche, ihnen so vorzuleben, dass es wichtig ist, etwas für sich zu finden, was einen erfüllt – neben der Familie. Beide Kinder lieben UND GRETEL, unsere Große hat sich neulich mit der Tochter einer meiner Mitarbeiterinnen in eins der Büros eingeschlossen. Als wir sie gefragt haben, was sie dort machen meinten sie: “Stört uns jetzt bitte nicht, wir entwicklen gerade ein neues Produkt!“ Das war herrlich.

Work-Life-Balance ist ein großes Wort, aber für mich brauche ich das gar nicht. Ich liebe, was ich tue und die Firma ist ein Teil unseres Lebens. Deshalb kann und will ich beide Bereiche gar nicht voneinander trennen. Im Gegenteil – für mich ist die wahre Work-Life-Balance eine innere Balance zu halten. Mein Gehirn kennt keinen Job- und Privatmodus. Ich kann nicht aus dem Büro nach Hause kommen und mich erst morgen wieder gedanklich mit den Themen beschäftigen, die mich noch umtreiben. Und dennoch kann ich mich auf meine Familie konzentrieren. Indem ich sie aber auch mit einbeziehe in das, was mich beschäftigt, was ich tagsüber erlebt habe. Wir haben es zu einer Art Familientradition gemacht, dass wir vier uns abends erzählen, wie unser jeweiliger Tag war und das Schönste, aber auch das Blödste ansprechen.

Und wenn ich das Bedürfnis habe, meine E-Mails checken zu müssen, dann ist das ok. Denn wir haben als Familie alle gemerkt, wie viel mehr angespannt ich war, als wir mal den Versuch gestartet hatten „nach dem Büro keine E-Mails mehr!“. Somit haben wir den Deal, dass ich meine E-Mails lesen kann ohne ein schlechtes Gewissen haben zu müssen, weil UND GRETEL einfach zu unserer Familie dazu gehört. Und danach wird weiter gespielt.

Das klingt, als hättet ihr einen guten Weg gefunden! Noch ein paar Business-Fragen habe ich aber. Viele haben Ideen, doch es hapert an der Umsetzung. Hast du einen Tipp, wie man seine Ideen umsetzt?

Das Wichtigste ist, die richtigen Leute zu finden, mit denen man seine Idee umsetzen kann. Die den selben Glauben und die selbe Begeisterung dafür teilen, und die richtig gut sind in dem, was sie tun. Mir war immer wichtig, mit Profis zusammen zu arbeiten, auch wenn wir ein Start-up sind. Das zahlt sich auf jeden Fall immer aus!

Und man sagt ja, Frauen neigen dazu, sich kleiner einzuschätzen als sie sind, während Männer oft hochstapeln. Gerade wenn es um Funding geht, haben Männer deshalb einen Riesenvorteil. Was rätst du den Frauen da draußen, die gründen wollen?

Seid, was Ihr seid, seid mutig und versteckt euch nicht hinter irgendwelchen Altlasten, die wir Frauen oft immer noch mit uns herumtragen. Ich meine Klischees wie „Zahlen kann ich eigentlich nicht“, etc. Man bzw. Frau kann alles lernen, und vieles können wir, wir wissen es nur gar nicht! Wenn Du zu 100% an Deine Idee glaubst, dann kannst Du auch andere davon überzeugen. Dann wird dieser Glaube zu einem Hebel und es werden sich WegbegleiterInnen genau zu dem Zeitpunkt an Deine Seite stellen, an dem Du sie brauchst. Sie werden Dich begleiten durch erfolgreiche aber auch harte Zeiten. Insbesondere dann, wenn Dinge nicht so eintreffen, wie sie alle geplant hatten. Und bleib immer Du selbst.
Wir haben neulich von einem Außenstehenden gesagt bekommen, was uns als weibliche Gründerinnen deutlich von männlichen Gründern unterscheidet ist, dass wir selbstkritisch sind und ehrlich zugegeben haben, wo wir unsere Schwächen sehen. Das kommt bei Männern so gut wie gar nicht vor, aber das ist es, was am Ende auch erfolgreiche Gründungen ausmacht!

Danke, Stephanie!!