„Es gibt keine Zauberformeln für den Kleinkindschlaf.“

Ach ja, SCHLAF. Unser liebstes Thema, oder? Die meisten Eltern hören schon lange, bevor sie Kinder haben, dass der Schlafmangel, der wohl mit dem Kinderkriegen fast immer einhergeht, so gemein und kräftezehrend ist. Wie schlimm es dann am Ende wirklich ist, das kann man aber nur verstehen, wenn man es selbst erlebt (hat). Was tun? Katharina Meier-Batrakow ist Kinderpsychologin und Expertin für Baby- und Kleinkindschlaf. Vor Kurzem ist ihr Buch “Drei Jahre ohne Schlaf?!” erschienen. Sie wünscht sich mehr staatlich finanzierte Hilfsangebote für ausgelaugte Eltern, vor allem, bevor diese am Ende ihrer Kräfte sind. Und was hilft nun wirklich, wenn das Baby zehn Mal nachts aufwacht? Wenn das Kleinkind einfach nicht zur Ruhe kommt? Uns was bringen teure “Schlafcoaches”?

Liebe Katharina! Schlaf – das scheint bei vielen Baby-und Kleinkind-Eltern das Thema Nummer eins zu sein. Und klar, wer über einen längeren Zeitraum schlecht schläft, dessen Lebensqualität leidet wirklich. Gehört das aber nicht vielleicht auch ein wenig zum Kinderhaben dazu?

Ja. Es ist völlig normal, dass die meisten Babys über mehrere Monate bzw. sogar Jahre mehrmals pro Nacht aufwachen und auch am Tag Unterstützung beim Ein- und Weiterschlafen brauchen. Die meisten Eltern sind in dieser Hinsicht auch überhaupt nicht naiv und wissen, dass dies auf sie zukommen kann und dass es eben dazugehört. Was werdende und junge Eltern oft nicht wissen, bzw. unterschätzen ist, wie lange dieses „schlechte“ Schlafen dauern kann – nämlich die ersten Lebensjahre und vor allem, wie sehr es schlaucht und zermürbt, wenn man das Ganze ziemlich allein managen darf. So ist es nämlich in den meisten Familien. Die Kinderbetreuung in der Nacht und zusätzlich überwiegend am Tag wird von einer Person geleistet wird. Das alles zu stemmen mit einem großen Schlafmangel ist wirklich anstrengend. Darauf kann man sich kaum vorbereiten.

… und diese Person ist ja oft die Mutter. Dabei kann eine andere Person das Baby oder Kleinkind ja genauso gut in den Schlaf begleiten, auch wenn er oder sie “nicht stillen” kann. Oder?

Das stimmt, meist ist die Mutter die engste Bezugsperson, zumindest in den ersten Monaten und Jahren. Natürlich ist das nicht geschlechtergebunden – auch der Partner/die Partnerin kann ein Baby in den Schlaf begleiten, wenn es die Familie gerne möchte. Dies ist tatsächlich nicht immer einfach, weil viele Babys beim Einschlafen ihre engste Bezugsperson bevorzugen und auch wenn Babys beispielsweise gestillt werden und das ihre Brücke in den Schlaf ist, haben es die Partner/innen manchmal schwerer. Das ist ganz normal – da braucht es etwas Übung miteinander und Zeit, damit diese neue Konstellation zusammen eigene Wege zum Einschlafen entdecken kann.

Der Ratgeber „Jedes Kind kann schlafen lernen“ wurde in Deutschland über eine Million mal verkauft und geht immer noch über die Ladentheke. Das „Schlaflern-Program“ darin lässt einen erschaudern. Ist dein Buch ein Gegenentwurf dazu?

Es ist mein Anliegen, eine Alternative zum klassischen Schlaftraining anzubieten und zwar so, dass sich sowohl Kind, als auch Eltern gesehen fühlen.

Das Schlaftraining suggeriert, dass Durchschlafen eine Übungssache sei.

Und es übersieht nach Meinung vieler Expert*innen die emotionale Entwicklung des Kindes, die aktuelle Situation in der sich ein Kind befindet, was es gerade sonst so lernt oder durchmacht.
Viele Babys und Kleinkinder erheben dann großen Widerstand, wenn sie allein einschlafen sollen (wie beim klassischen Schlaftraining vorgesehen), zumindest wenn sie dies nicht kennen, bzw. nicht bereit dazu sind. Es dann trotzdem „durchzuziehen“ entspricht weder dem, was viele Eltern bereit sind zu tun, noch der Art, wie man mit Babys und Kleinkindern umgehen sollte – nämlich einfühlsam und fürsorglich. Also ja, ich möchte mit meinem Buch eine theoretische Stütze sein und gleichzeitig praktische Impulse und Aussichten geben.

Seit einiger Zeit tummeln sich viele „Schlaf-Coaches“ auf Social Media. Beobachtest du diese Entwicklung auch?

Ja, definitiv. Nicht nur gibt es viele Coaches, auch gibt es immer mehr Anbieter, die Menschen ganz niedrigschwellig zum Coach ausbilden. Ich sehe darin sowohl positive, als auch negative Aspekte. Zum einen gibt es mehr Menschen, die Eltern unterstützen können – das ist super. Andererseits wissen Eltern nicht, wie sie seriöse und kompetente Berater*innen noch filtern können. Zudem sehe ich, dass Coachings immer teurer werden und auch da stelle ich es mir als Klient*in schwierig vor, herauszufinden, woher die großen Preisunterschiede kommen. Man merkt: die Not ist groß und die Nachfrage scheint da zu sein. Schön fände ich es, wenn es perspektivisch mehr Anlaufstellen und mehr Kapazitäten gäbe, bei denen die Beratung nicht privat, sondern staatlich abgerechnet werden kann, sodass möglichst viele Eltern Zugang zu diesem Wissen bekommen. Das war auch eine meiner Ambitionen. Mit dem Buch transparent zu zeigen, wie Schlafberater*innen oftmals arbeiten. Es gibt keine Zauberformeln für den Kleinkindschlaf, sonst gäbe es auch nicht so viele verzweifelte Eltern. Auch wenn Werbung es oftmals so suggeriert.

Ab wann kann man sagen, dass das Baby oder Kind schlecht schläft? Oder andersrum gefragt: Was ist normal? 

Hierfür gibt es keine einheitlichen Definitionen, das empfindet sicherlich auch jeder Mensch anders, wie sehr es ihn/sie stört, wenn das Baby erwacht. Was es gibt, sind Kriterien, die definieren, wann beispielsweise eine Ein- und Durchschlafstörung vorliegt.
Normal ist beispielsweise, dass Kinder in den ersten Lebensjahren nachts aufwachen und gerne in der Nähe ihrer Bezugspersonen sein möchten. Es ist normal, dass sie nachts Trinken/Stillen und dass es kein bestimmtes Alter gibt, in dem sie damit aufhören MÜSSEN. Es ist normal, dass viele Babys sich nicht gerne ablegen lassen, dass sie nach 30 Minuten erwachen, wenn man dies doch tut.

Es ist auch normal, dass es gerade dann am Schlimmsten mit dem Aufwachen in der Nacht wird, wenn man denkt, es müsste doch bald besser werden (nämlich um den ersten Geburtstag herum).

Was ist die größte Herausforderung beim Babyschlaf?

Die größte Herausforderung ist, dass es keine einheitliche Formel gibt, die das Durchschlafen fördert. Immer wieder, bei jedem Kind, bei jeder Familie ist es anders, auch wenn es nur Nuancen sind. Was bei X funktioniert, klappt bei Y gar nicht und bei Z nur manchmal. Es ist in meiner Arbeit ein wenig wie Detektivarbeit: Ich suche, gestützt auf theoretischen und praktischen Erkenntnissen, in den Abläufen und in der Art, wie die Familie schläft nach Hinweisen, wie es vielleicht perspektivisch ruhiger, leichter oder eben anders gestaltet werden kann, wenn die Familie es denn möchte. Und dann gibt es da Dinge, die häufig helfen und manchmal eben nicht, weil die Kinder so unterschiedlich sind. Das ist mir so wichtig zu sagen, weil ich den Eindruck habe, dass einige Eltern (aufgrund der gut gemachten Werbung) die Erwartung haben, eine 50-minütige Beratung könnte zum Durchschlafen verhelfen.

Und was sind häufige Schlafprobleme bei Kleinkindern?

Aufwachen nach 30 Minuten, Weinen beim Einschlafen, häufiges Erwachen in der Nacht, nächtliche Wachperioden, sehr frühes Aufwachen, lange Einschlafphase, Nuckeln in der Nacht…

Was ich noch gut aus meiner Zeit in der Ost-Kita kenne: Es musste immer Mittagsschlaf gehalten werden. Selbst, als ich Vorschulkind war! Auch heute gibt es noch Kitas, in denen Kinder schlafen müssen. Und dann abends nicht einschlafen können. Brauchen alle kleinen Kinder Mittagsschlaf?

Nein, das brauchen nicht alle Kinder. Es gibt Kinder, die schon im dritten Lebensjahre ihren Mittagsschlaf einstellen würden, wenn man sie ließe. Was du beschreibst, kennen viele Eltern. Manchmal kann ein Mittagsschlaf den Familien richtig Kummer bereiten, zum Beispiel, weil die Kinder abends so spät einschlafen, die Nacht dann zu kurz ist, das Kind morgens müde ist – ein Teufelskreis. Schön wäre es natürlich, wenn man sich da ganz individuell auf das Kind einstimmt, auch in der Kita. Manchmal ist dies für Erzieher*innen allerdings allein aus personellen Gründen sehr schwierig zu organisieren. Da fehlt es an Ressourcen.

Was sind die häufigsten Fehler, die Eltern beim Baby- und Kleinkindschlaf machen?

Meiner Meinung nach gibt es keine Fehler, weil es ja auch nicht den einen richtigen Weg gibt – alle Familien sind verschieden. Vielleicht kann ich zwei Aspekte nennen, die oftmals Schwierigkeiten mit sich bringen. Da sind zum einen die eigene Unsicherheit und Unklarheiten. Dann lässt man sich eher von Information von Außen irritieren und beeinflussen und verliert bei all den Tipps, Tabellen und Fakten den Blick für das Wesentliche: die Bedürfnisse und Wünsche, die Persönlichkeiten der Familienmitglieder.
Und ein zweiter Aspekt bezieht sich auf Hilfe. Oftmals erfolgt der Hilferuf sehr spät, dann wenn die Ressourcen schon erschöpft sind. Und dann ist es schwer, etwas zu verändern, denn Veränderungen kosten Zeit und Kraft. Also bittet um Hilfe bei Freunden, Verwandten, bei Beratungsstellen, Hebammen usw. Die ersten Lebensjahre können sehr anstrengend sein und da ist es voll ok und sogar wichtig, Unterstützung zu bekommen, um wieder Kraft für die Begleitung der Kinder zu bekommen.
Was können Eltern tun, die nicht mehr weiter wissen? Dein Buch kaufen?
Klar, mich kontaktieren, mein Buch lesen… aber davon ganz abgesehen ist es mir viel wichtiger, dass Eltern rechtzeitig auf sich aufmerksam machen und deutlich kommunizieren, wenn es ihnen nicht mehr gut geht, wenn sie nicht mehr können. Zum Beispiel bei Kinderarzt*innen, die auf Angebote in der Region verweisen können, bei Hebammen nach Hilfsangeboten fragen, dann gibt es beispielsweise Schreiambulanzen und sogenannte SPZ (sozialpädiatrische Zentren). Es gibt wirklich viele Angebote, Eltern sollen sie unbedingt nutzen.

Danke dir, Katharina!