Über die Angst

Once she was born I was never not afraid.
So spricht Joan Didion in ihrem Buch "Blue Nights" über ihre Tochter Quintana. Für mich fasst dieser Satz so wunderbar eines der stärksten Gefühlsumstände der Mutterschaft zusammen: Die Fragilität des Lebens, die einem mit der Geburt des ersten Kindes bewusst wird und fast erschlägt, die grenzenlose Liebe und deshalb auch die Angst, das Geliebte zu verlieren; die eigene Verwundbarkeit, die Sterblichkeit des Kindes, all diese Dinge vermischen sich mit einem Grundgefühl: Angst. Ich weiß noch, wie ich zum ersten Mal richtige Angst spürte, als wir Junio in seiner Babyschale aus dem Krankenhaus mitnahmen. Überall sah ich plötzlich Todesfallen. Mit dem Auto durch den Berliner Stadtverkehr kostete mich endlos Nerven.

Bevor Junio auf die Welt kam, reiste ich viel und hatte ein ganz besonderes Talent mich immer wieder in (im Nachhinein) sau gefährliche Situationen zu begeben. So als wäre ich unverwundbar. Das hatte einerseits mit meiner mitzwanziger Hybris zutun, andererseits war es auch der Tatsache geschuldet, dass ich zwar am Leben hing, aber es niemanden gab, den ich wirklich liebte zu dieser Zeit (und auch mich selbst nicht). Ich war dabei, die Grenzen austesten zu wollen, im Nachhinein muss ich sagen: Ich spürte meine Grenzen gar nicht. Ich merkte nicht, wie ich sie ständig überschritt. Aber ich hatte Glück: Es passierte nie etwas wirklich Schlimmes.

Die eigenen Grenzen spüren

Seitdem Junio auf der Welt ist, mache ich mir nun Sorgen und spüre: Angst. Ich checke die Hinweise des Auswärtigen Amtes fünfmal bevor ich mich entschließe in ein bestimmtes Land zu fliegen, auch wenn Junio nicht dabei ist. Ich würde mich nie wieder auf ein Motorrad setzen oder gar Drogen nehmen. Ich spüre meine Grenzen, weil ich sie auch für Junio spüren und verteidigen muss. Durch die Verantwortung für meinen Sohn, habe ich erst gelernt, Verantwortung für mich zu übernehmen.

Was mir besonders Angst macht? Lange oder spitze Gegenstände. Ich rufe sofort Stop, wenn er damit loslaufen möchte (die Zahnbürste! der Lolly!). Er könnte sich ja ein Auge ausstechen, oder gar in den Mund. Tatsächlich ist ihm so etwas vor Jahren schon mal passiert: Er spielte mit einem Zauberstab auf der Couch, hatte diesen im Mund beim Klettern, rutschte ab und stieß sich das Teil in den Rachen. Blut lief aus seiner Nase und ich schrie panisch nach einem Krankenwagen. Was sich sehr dramatisch anhört, war es im Nachhinein nicht. Er beruhigte sich schnell wieder, ein Arzt schaute ob alles ok war (war es) und nur ich blieb da, fast noch ein bisschen zitternd, und hielt mein Kind in dem Armen, als sei es gerade noch so dem Tod von der Schippe gesprungen. Aber auch vor dem Wasser habe ich Angst –  noch immer starre ich Junio an wenn er im See planscht, mit Schwimmflügeln und Schwimmring ausgestattet. Ich traue mich nicht, auch nur eine Sekunde wegzuschauen, während er am Wasser ist (und das wesentlich mehr als im Wasser). Sicherlich ist Wasser für Kinder auch eine sehr reale Gefahr. Aber manchmal wünschte ich mir, ich hätte ein bisschen weniger Angst. Allerdings gibt es wohl auch die verschiedenen Bereiche: Ich habe auch Angst im Straßenverkehr um Junio, allerdings nie große Angst vor dem Verschlucken gehabt. Und er hat sich als Baby auch (fast) nie verschluckt. Ich empfand diese Ängste und Sorgen immer als ein wenig übertrieben, bis ich bei einer Freundin sah, wie sich ihr Einjähriger ganz schlimm verschluckte. Also auch eine reale Gefahr, nur nahm ich das für meinen Sohn nie wahr.

Dem Kind etwas zutrauen

Ich bin vorsichtiger geworden, und natürlich bringe ich auch meinem Sohn bei, vorsichtig zu sein. Es ist aber auch immer ein schmaler Grad: Was muss mein Kind lernen, um einigermaßen sicher durchs Leben zu kommen und ab wann übertrage ich meine Ängste auf ihn? Ab wann hindere ich ihn gar Dinge auszuprobieren, sich etwas zu trauen? Deshalb lasse ich ihn natürlich auf Bäume klettern, ganz nach der Regel: Wo sie selbst rauf kommen, kommen sie auch selbst wieder runter. Und ich versuche ihn über Gefahren aufzuklären, aber gleichzeitig Mut zu machen: Wollen wir mal schauen, wie du das schaffst?

Antonia Baum schreibt in ihrem Roman Still leben, von der “Sorge als Grundzustand” nach der Geburt ihres Babys: “Sorge, bevor man weiß, dass man sich Sorgen macht. Die totale Sorge.” Ich muss sagen, dass es bei mir gerade zu Angst war, zusammen mit Sorgen, aber definitiv dieses unangenehme Gefühl in der Brustgegend, welches ich früher so wenig gespürt hatte.

Es ist ok Ängste zu haben. Vielleicht ist es sogar ein Privileg. Es bedeutet, dass uns etwas am Herzen liegt, das wir nicht verlieren wollen. Erst jetzt verstehe ich meine Mutter, die beim Verabschieden immer bat “Passt gut auf euch auf!” Ich fand das immer übertrieben, ja gerade zu nervig. Nun erwische ich mich auch dabei. Liebe macht uns angreifbar.

Wir haben alle verschiedene Ängste, wenn es um Gefahren für unsere Kinder geht. Wovor habt ihr Angst? Wie geht ihr damit um?

 

 

 

Foto: Anne Freitag