21st Century Mom: Das Baby. Der Blues. Und dann zurück auf Los.

In der zweiten Staffel “The Kardashians” spricht die jüngste Schwester Kylie über die Zeit nach der Geburt ihres zweiten Kindes. In den ersten drei Wochen habe sie ununterbrochen geweint. Sie sagt: „Ich bin kein Arzt, aber ich habe bei Google gelesen, dass man es ‚Baby-Blues‘ nennt, wenn es nicht länger als sechs Wochen anhält. Es ist also nur der ‚Baby-Blues‘, es geht auch wieder weg.“

Ich fand diese Aussage auf mehren Ebenen interessant. Zum einen ist Jenner laut „Forbes“-Liste die jüngste Self-Made-Milliardärin der Welt, diese Frau hat Macht. Sie soll beispielsweise mal einen Lippenstift getragen haben, der darauf über Monate weltweit ausverkauft war. Erst, als sie persönlich dementierte, diesen Lippenstift jemals benutzt zu haben, war er wieder erhältlich. Dass Kylie diese Öffentlichkeitsmacht in einem ihrer wenigen Auftritte in der Sendung nutzt, um über die dunkle Zeit nach der Geburt zu sprechen, überraschte mich sehr positiv. Zumal sie ihre erste Schwangerschaft geheim gehalten hatte und sich zu diesem Thema allgemein selten äußerte. Ich bin mir sicher, dass viele Frauen ihrer Generation sich irgendwann an diese Aussage erinnern werden, wenn sie oder ihre Partner*innen selbst vom Baby-Blues betroffen sind. Immerhin geht es rund 50 bis 70% aller Menschen nach der Geburt ähnlich.

In der Gynäkologie gilt der „postpartum hormone drop“, also der Hormonabsturz nach dem Gebären, als die größte, plötzliche Hormonveränderung, die ein Mensch in so kurzer Zeit überhaupt durchmachen kann.

Der Countdown des Heilens

Trotzdem ist da noch ein zweiter Punkt, der mich hat aufhorchen lassen. Kylie Jenner saß damals während des Interviews und ihren Aussagen nach der Geburt neben ihrer älteren Schwester Kendall. Sie erklärte ihr, dass es also „nur“ der Baby-Blues sei. Diese Beschwichtigung kenne ich von mir selbst. Da fiebert man neun volle Monate auf das kleine Wunder hin, dann ist es da und ab diesem Zeitpunkt beginnt eine bittere Frist, eine Art Countdown des Heilens. Man soll sich nach der Geburt Ruhe gönnen, aber nicht zu viel, sonst wird man träge. Man soll aktiv sein, ohne sich zu übernehmen. Sich bekochen lassen, ohne faul zu werden. Die Seele baumeln lassen, ohne die Zeit zu vergessen. Man soll stillen und glücklich sein, dankbar und erleichtert. Es ist wichtig in dieser Zeit kein Handy in die Hand zu nehmen – um die kostbare Zeit zu genießen, aber es wäre auch gut, wenn man all den Glückwünschen irgendwann antwortet. Also liegt man da im dunklen Schlafzimmer, zwischen frisch gewaschenen Laken, Blumensträußen und Kuchen und die Sonne scheint einem aus dem Arsch oder man tut zumindest so als ob.

Auch ich habe diese glücklichen Mütter in Filmen, meinem Umfeld oder auf Instagram gesehen und das Bild keine einzige Sekunde lang hinterfragt.

Für mich war völlig klar, dass das so abläuft nach einer Geburt. So klar, wie man eben auch weiß, dass Schokolade lecker und Weihnachten schön ist. In den ersten Wochen nach den Geburten meiner Söhne kam dann auch alles genau so, wie es im Bilderbuch steht. Diese Zeit war unfassbar toll, ich hatte keinen Baby-Blues oder Wochenbettdepressionen, meine Familie war da, alle Freunde sind vorbeigekommen und beide Jungs waren noch viel süßer, als ich es mir die komplette Schwangerschaft über erträumt habe. Es fielen pausenlos Sätze wie: „Ja, die Narbe tut noch weh, aber das geht ja bald weg. Nein, die Nacht war nicht erholsam, aber es kommen sicher bessere. Richtig, der Körper sieht momentan noch etwas anders aus, aber dafür hat er ja auch ein wahres Wunder vollbracht und mir geht es ansonsten gut“.

Diese Beschwichtigungen mögen helfen, aber sie kommen nicht von innen. Sie sind Teil einer gesellschaftlichen Erwartungshaltung gegenüber Gebärenden. Sie arbeiten auf einen Zustand hin, den alle nach einer Geburt früher oder später erwarten: Funktionsfähigkeit. Bei mir bröckelte der Putz nach beiden Geburten. Ein Mal in der siebten, beim zweiten Kind in der achten Woche.

Ich glaube, dass es kein Zufall ist, dass ich nach beiden Schwangerschaften mit dem Ende des Wochenbetts die Nerven verloren habe.

Die Zeit nach der Geburt ist auf die Wiederherstellung des Funktionierens gepolt. Man soll x Tage Schmerzmittel nehmen, dann y Tage im Bett bleiben, das Wochenbett dauert vielleicht sechs, aber höchstens acht Wochen und dann muss gefälligst alles wieder funktionieren.

Wieso gibt es keinen etablierten Namen für die Zeit nach dem Wochenbett?

Die Anzahl der Menschen, die für einen Verständnis haben, inklusive einem selbst, wird ab dem Zeitpunkt der Geburt immer kleiner. Man bekommt Blumen und Kuchen, Babysitter und warme Worte für acht Wochen, bis man wieder zu funktionieren hat. Aber wieso gibt es keinen etablierten Namen für die Zeit nach dem Wochenbett? Ist das Kind nach sechs Wochen weniger anstrengend? Sind die Nächte plötzlich länger oder schafft die Waschmaschine mehr Wäsche? Ich verstehe schon, dass Familie und Freunde nicht ewig und pausenlos da sein können, aber mich beschleicht das Gefühl, es gibt keinen allen geläufigen Namen für die Zeit nach dem Wochenbett, weil das bedeuten würde, dass man darauf auch gesellschaftlich viel stärker reagieren müsste und nicht so tun könnte, als sei alles wie vorher. Was es, kleiner Spoiler an dieser Stelle, nicht ist, und damit ist nicht nur die Existenz eines neuen Kindes gemeint.

Ich kenne von einigen Frauen aus meinem Umfeld die Regel „neun Monate rein, neun Monate raus“.

So lange soll es ungefähr dauern, bis man sich wieder „normal“ fühlt. Der Körper ist plötzlich anders, die Lebensumstände und die dazugehörigen Gefühle sind es auch. Bis man sich an diesen neuen kleinen Menschen gewöhnt hat, braucht es Zeit. Ich habe mir deswegen viele Beschwichtigungen und Entschuldigungen zurecht gelegt, die für mich erklären sollten, warum ich gerade noch nicht so funktioniere wie davor. Irgendwann wurde ich dann aber ungeduldig. Sollte nicht langsam wieder alles so wie vorher sein? Wieso bin ich denn immer noch so müde wie die ersten Tage nach der Geburt und woher kommen diese Rückenschmerzen und die grauen Haare? Fragen, die mich frustriert und wütend gemacht haben. Ich lese immer wieder, dass Frauen sich entschuldigen, wenn sie sagen, dass es ihnen nicht gut geht oder höre, wie sie betonen, dass sie ihr Kind aber trotzdem über alles lieben. Man kann diese Erklärungen so gut nachvollziehen. Dass ständig das Glück einer Frau nach der Geburt in den Vordergrund gestellt wird, wirkt frustrierend, wenn es plötzlich anders abläuft.

Ich habe akzeptiert, dass ich nicht so funktioniere, wie ich mein ganzes Leben gelernt habe, dass es „normal“ sei.

Was mir geholfen hat, war für mich zu lernen wie ich funktioniere. Mich nicht an Fristen und Countdowns zu halten, die vorgeschrieben sind, sondern zu verstehen wie ich ticke und ein Gefühl für mein Wochenbett und die Zeit danach zu entwickeln. Daraus haben sich Abläufe gebildet, die sehr individuell sind, mir aber helfen. Ich habe akzeptiert, dass ich nicht so funktioniere, wie ich mein ganzes Leben gelernt habe, dass es „normal“ sei. Und mich beschleicht nach vielen längeren Gesprächen und Recherchen das Gefühl, dass die wenigsten Frauen so funktionieren. Deswegen lasst euch gesagt sein, dass ihr damit nicht allein seid. Obwohl das Stillen beim zweiten Kind funktioniert hat, habe ich nach sechs Wochen festgestellt, dass es mich unglücklich und unflexibel macht. Ich habe mich dann entschieden, nicht weiter zu stillen, obwohl viele Frauen in meinem Umfeld darauf schwören und es als die praktischste Sache der Welt umschrieben haben.

Mir hilft zu arbeiten, so lange ich mich nicht übernehme. Ich habe aber auch gemerkt, dass ich in den ersten Monaten Probleme damit habe, mein Baby trotz liebevoller Angebote über Nacht abzugeben. Ich will auf ihn aufpassen, über ihn wachen und sein kleines Gesichtlein anstarren. Ich muss ihm nachts manchmal versprechen, dass ich ihm die ganze Welt zeigen will, das beste Essen kochen will und da sein werde, so lange ich kann. Das gibt mir Kraft und Sicherheit, aber mindestens genauso gehört es für mich dazu, auf mich selbst zu achten. Einer Freundin hilft es, tanzen zu gehen und ein befreundetes Paar erzählte mir davon, dass ihr Kind seit der ersten Woche zufrieden und ruhig allein im Kinderzimmer schläft und ihnen das Gelassenheit brachte. Es gilt die Devise: Alles was hilft, hilft. Und diese höchst individuelle Bewältigung der Geburt gilt eben nicht nur für das Wochenbett, sondern erst recht für die Monaten danach.

Für mich geht es in den ersten Monaten nach der Geburt nicht nur um maximales Glück und irgendwelche Bilderbuch-Vorstellungen, sondern darum, mich nicht selbst zu verlieren. Wenn das bedeutet, dass ich ab und zu eine Zigarette auf dem Balkon rauche, einen Gin-Tonic trinke oder meinem Mann am morgen das Baby in die Hand drücke, um ein paar Stunden für mich zu haben, dann ist das schon okay. Alles, was mir und uns als Familie dabei hilft, diese ersten intensiven Monate gemeinsam zu meistern, ist erlaubt. Das erste Jahr mit einem Baby ist wunderbar und wahrscheinlich werde ich mein ganzes, restliches Leben an diese Zeit denken, aber ich möchte genau dann auch auf eine Zeit zurückblicken können, die nicht komplett traumatisierend für mich und mein Umfeld war, die ich mir schönlügen muss.

Wenn Kylie Jenner im sonnigen Kalifornien trotz unbegrenzter Ressourcen in einen Baby-Blues verfällt, dann kann der Druck funktionieren zu müssen, während sich im Körper ein unkontrollierbares, heftiges Hormonfeuerwerk abspielt, alle treffen. Natürlich können Geldsorgen, Zukunftsängste, graue Wintertage oder wenig Rückhalt aus dem Umfeld diesen Zustand verschlimmern und ich bin mir sicher, dass Kylie Jenner in ihrer äußerst privilegierten Position nicht direkt meine Thoughts and Prayers aus Prenzlauer Berg braucht. Trotzdem geht es bei diesem Thema für mich nicht darum, wer am meisten leidet, sondern darum, mir vor Augen zu führen, dass es jede treffen kann. Das hilft mir persönlich auch bei dem Gedanken, dass es bei mir so war, denn natürlich fallen einem sofort sehr viele Gründe im eigenen Leben ein, die genau so etwas eigentlich verhindern sollten.

Wir leben in einer Gesellschaft, in der inzwischen auch Gefühlslagen oft Labels bekommen. Man ist die Powerfrau, der keine Aufgabe zu groß ist oder die wehleidige depressive Mutter, die nichts auf die Kette bekommt. Ständig bekommt man Vorschläge, wie man sich selbst optimieren kann und was einem hilft, wieder schnell zu funktionieren.

Für zu viele Menschen ist das Wochenbett die einzige Phase, in der eine Mutter die offizielle Erlaubnis hat, mal nicht zu funktionieren.

Aber nur kurz, und dann bitte wieder volle Kraft.
Kurz nach dem Wochenbett wurden bei mir die Fragen, wann es wieder „richtig losgeht“ häufiger, das setzte mich bei beiden Kindern unter Druck. Auch, weil die Schonfrist nach dem Wochenbett keinen Namen hat. Man sagt dann zwar, dass man vor drei oder vier Monaten ein Kind bekommen hat, aber ich merke, dass neben fremden, auch die eigenen Ansprüche an das Funktionieren laut wurden. Natürlich gibt es Elternzeit, aber da kümmert man sich ja um die Kinder, den Haushalt und um alles, was dazugehört. Die Schonfrist ist auch in dieser Zeit vorbei. Was wir brauchen ist das Bewusstsein für einen Zustand der Anstrengung, der zur Erschöpfung führen kann, auch nach dem Wochenbett.

Es ist vollkommen normal, nicht zu funktionieren.

Man hat gerade erst ein Kind aus seinem Körper gelassen und als wäre das nicht schon genug, ist da natürlich auch alles andere. Die Partnerschaft, Windeln in den richtigen Größen zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort zu haben, selbst zu Essen, zu duschen oder die Antwort auf einen nervigen Brief zu verfassen. Die erste Zeit mit einem Kind ist für mich keine Zeit in der man besonders viel perfekt auf die Reihe bekommt, muss man auch nicht. Es wird Zeiten geben, in denen es besser wird und in denen man im Herbst Kürbisse schnitzt, sich die Haare schön macht oder endlich den dreckigen Rand der Spülmaschine putzt.

Bis dahin heilt man und das ist genug. Ich bin genug.

Foto: Julia Zoooi