“Viele reagieren überrascht, wenn sie hören, dass ich erfolgreich Romane schreibe und drei junge Kinder habe”

Die Berliner Autorin Anne Stern hat gerade ihren neuen Roman "Drei Tage im August" veröffentlicht. Wir haben uns mit Anne unterhalten, ob das Kinderhaben ihre Kunst beeinflusst und warum Sorgethemen im Feuilleton immer noch abgewertet werden. Außerdem verrät sie uns ihren imaginären Zufluchtsort - und was die Chocolaterie in ihrem neuen Roman damit zu tun hat.

Liebe Anne, du bist Historikerin, Germanistin und Lehrerin. Seit wann schreibst du?

Ich wollte, wie wahrscheinlich viele andere Menschen, schon immer gern schreiben, angefangen mit ersten Geschichten als Kind (auf einer alten Schreibmaschine getippt, aber unvollendet) über Gedichte, bis hin zu einigen Kurzgeschichten und angefangenen Romanmanuskripten, aus denen aber nie etwas wurde. Meinen ersten Roman habe ich 2017 geschrieben und ihn als Selfpublisherin, also ohne Verlag, veröffentlicht. Das war eigentlich nur eine Art Experiment, bei dem ich gar nicht sicher war, was ich damit erreichen wollte. Daraus wurde dann aber bald eine historische Familiensaga mit drei Bänden, nachdem ich sehr viel Feedback von Leser:innen bekam, die wissen wollten, wie es weiterging. Auch einige Blogger:innen und Autor:innen haben mich unterstützt und angespornt. Spätestens nach dem dritten Band war mir klar, dass es das ist, was ich tun möchte – Romane schreiben. Und dass ich davon überraschenderweise ganz gut leben kann. Ich habe dann trotzdem noch etwas länger an der Schule unterrichtet, wo ich auch sehr glücklich war – ich hatte ein tolles Kollegium und wunderbare Schüler:innen! Aber irgendwann musste ich mich entscheiden, denn alles geht nun einmal nicht. Und das Schreiben ist neben meiner Familie zu meiner absoluten Priorität geworden.

In deinem neuen Roman „Drei Tage im August“ beschreibst du einen Ort der Rettung, ein Ort an dem „der Genuss über alles triumphiert“, all die Schönen Dinge im Leben, die einem die Kraft geben weiterzumachen. Ist das Schreiben für dich dieser Ort?

Auf jeden Fall! Nicht nur das Schreiben, sondern überhaupt die Kunst, die Musik und die Literatur. Diese drei Dinge sind meine Zuflucht, sind das, was mich antreibt, also wirklich meine Leidenschaft. Im Schreiben habe ich eine Möglichkeit für mich gefunden, all diese schönen Dinge, die ich so liebe, zu vereinen. Darum geht es in meinen Geschichten auch fast immer um die Sehnsucht nach dem Schönen, nach einer Rettung durch die Kunst und darum, dass uns die Kunst erst zu mitfühlenden Menschen macht. Damit meine ich nicht nur gefeierte Kunstwerke, die in Museen hängen, sondern vor allem das Kreative, das in uns allen steckt und schlummert. Wenn sich das Bahn bricht, ist ein solcher Ort der Rettung nicht mehr fern. Ich war zum Beispiel ein sehr ängstliches, schüchternes Kind, aber meine Bücher haben mich gerettet und die Figuren darin waren meine Freund:innen. Heute habe ich diese kindlichen Ängste verloren und in der wirklichen Welt Freund:innen gefunden, aber die Liebe zu den Büchern habe ich mir immer bewahrt.

Du bist Autorin und Mutter. Ist das heutzutage in der Literaturwelt noch ein Thema?

Ich erlebe tatsächlich oft, dass Menschen überrascht, fast ungläubig reagieren, wenn sie hören, dass ich erfolgreich Romane schreibe und drei junge Kinder habe. Offenbar ist das noch immer ein Widerspruch – eine Künstlerin, die Mutter ist. Ein männlicher Schriftsteller, der gleichzeitig Vater ist, wird sicher niemals bei einer abendlichen Lesung gefragt, wo denn jetzt die Kinder seien? Außerdem war es bis vor Kurzem ziemlich schwierig, sich über die Themen Mutterschaft, Kinderkriegen oder Sorgearbeit literarisch zu profilieren. Die männliche Sicht auf die Welt verkauft noch immer hohe Auflagen, über mütterliche, spezifisch weibliche Sorgen will, zumindest, wenn man dem Feuilleton glaubt, keiner lesen – überspitzt formuliert. Allerdings gibt es gerade wunderbare Gegenbeweise wie die Romane von Daniela Dröscher oder Mareike Fallwickl, die mit genau diesen Themen sehr erfolgreich sind, es tut sich also endlich etwas. Aber es ist trotzdem noch nicht lange her, dass Schriftstellerinnen im Literaturbetrieb öffentlich geraten wurde, besser keine Kinder zu bekommen – sie würden dann ihre Kreativität verlieren, würden sich zerreißen zwischen der Mutterschaft und der Kunst. Ich spüre diese Zerreißprobe nicht, meine Kreativität wird von meinen Kindern nicht gehemmt. Gehemmt wird sie höchstens von ungünstigen Strukturen und instabiler Kinderbetreuung durch fehlende Förderung im Bildungswesen. Aber das ist ein Problem, dass nicht nur Künstlerinnen mit Kindern betrifft, sondern uns alle.

Die Arbeit als Autorin ist wertvoll, die als Sorgeverantwortliche wird in unserer Gesellschaft abgewertet. Spürst du diese Ambivalenz?

Das spüre ich in meinem eigenen Leben, also persönlich, nicht so stark, das liegt aber nur an meiner individuellen Situation. Ich habe das doppelte Glück, durch meine Arbeit als Autorin genug Geld zu verdienen, um unabhängig zu sein, und gleichzeitig einen Vater für meine Kinder zu haben, der Care-Arbeit als etwas Normales und Wertvolles auch für Männer ansieht. Damit bin ich aber eine ziemliche Ausnahme, vielen anderen geht es nicht so gut. Ich delegiere natürlich einen Teil meiner Sorgearbeit für meine Kinder an die Kita und die Schule, und ich weiß, dass die Arbeitsbedingungen der Frauen, die dort meistens arbeiten, nicht so gut sind wie meine eigenen, und dass das furchtbar ungerecht ist. Solange sich die Wertschätzung dieser Berufe nicht endlich auch mehr in finanzieller Anerkennung äußert, wird Sorgearbeit immer prekär bleiben. Und speziell Müttern wird es so noch lange erschwert, ihrerseits finanziell unabhängig von Männern zu sein.

Beeinflusst die Mutterschaft dein Schreiben?

Absolut! Mein erster großer Erfolg war ein Roman über eine Hebamme. Fräulein Gold beschäftigt sich in den 1920er Jahren mit dem Kinderkriegen und den Sorgen von Müttern. Und mir macht es großen Spaß und ich finde es unglaublich wichtig, auch in der Unterhaltung meine Themen Mutterschaft, Care-Arbeit und Feminismus einzubringen – spielerisch, aber mit Nachdruck. Es ist frappierend zu sehen, wie wenig sich seit hundert Jahren für Menschen mit Kindern und für Frauen geändert hat. Wie ähnlich die Schwierigkeiten sind, mit denen Geburtshelfer:innen zu kämpfen haben – schlechte Bezahlung, prekäre Versicherungsverhältnisse, wenig Wertschätzung für diesen Beruf. Und wie schwer es uns Frauen strukturell noch immer gemacht wird, auch nach einer Geburt wieder in den Job einzusteigen. Da ich und viele meiner Freundinnen all das am eigenen Leib erlebt haben, schreibe ich darüber sehr oft. Und auch die Themen, die in den Jahren danach auf eine Mutter zukommen, beschäftigen mich sehr. Die plötzliche Abhängigkeit, die Isolierung, die man mit einem kleinen Kind empfinden kann, die permanente Erschöpfung – aber auch das Wachsen der Liebe, die Solidarität unter Müttern und zwischen Männern und Frauen, die neuen Wege, die man als Familie gehen kann. All das findet selbstverständlich Eingang in meine Romane.

Wie organisiert ihr euch zu Hause als Familie?

Mein Mann und ich teilen alles, wirklich alles halbe-halbe auf. Das erfordert jeden Tag sehr viel Aushandlung und Absprache, und manchmal merke ich, dass das alte Rollenverteilungsprinzip bestimmt effizienter war – klar, denn es war rein marktwirtschafltich orientiert und darauf ausgelegt, dass der Mann im Arbeitsleben ungestört war. Bei uns ist niemand ungestört! :) Und es kommt natürlich immer mal zu Verwirrung, zu doppelt gekauften oder ganz und gar vergessenen Dingen, und auch zu Reibereien wegen der Zuständigkeit. Aber es fühlt sich trotzdem für uns insgesamt sehr gut so an. Wir arbeiten beide etwa dreißig Stunden in der Woche, sind beide im Homeoffice, und betreuen am Nachmittag und am Wochenende unsere drei Kinder zusammen bzw. auch mal aufgeteilt, je nach Lust und Laune. Ich muss wegen meiner Arbeit als Autorin manchmal eine Nacht weg oder habe abends mal eine Lesung. Aber ich versuche, das sehr zu begrenzen und nehme nur wenige Anfragen an, weil das Projekt „Familie mit drei Kindern“ einfach nur dann für alle Beteiligten gut ist, wenn – zumindest in der Kleinkindphase – mindestens zwei erwachsene Menschen da sind.

Weibliche Literatur wird oft als „Frauen-Literatur“ abgewertet. Ich persönlich merke allerdings immer mehr, dass ich gar keine Literatur von Männern mehr lesen möchte. Weibliche Perspektiven waren jahrhundertelang so unterrepräsentiert, dass es für mich fast „erholsam“ ist, Romane von Frauen zu lesen. In deinem ersten Roman ging es um eine Hebamme, im Zweiten auch um eine Frau. Was interessiert dich an deren Schicksalen?

Ich lese auch fast ausschließlich Autorinnen, das machen ja zur Zeit viele, und ich finde es sehr gut. Mich interessieren auch Romane von Frauen gerade mehr als die von Männern, es ist also nicht nur ein theoretisches Herangehen, sondern ein lustgeleitetes. Die Bücher von Anke Stelling, Julia Franck, Annie Ernaux oder Bernardine Evaristo holen mich genau da ab, wo ich stehe und thematisieren die Dinge, über die ich auch nachgrüble, das ist toll! Natürlich nervt es, wenn man als Autorin automatisch in die Schublade der immer noch manchmal belächelten Frauenliteratur gesteckt wird, aber ich versuche, solche Anmaßungen abzuschütteln und aus dem manchmal aufkommenden Ärger darüber noch mehr kreative Energie für mich und mein Schreiben zu gewinnen. Ich bin eine Frau, ich schreibe als Frau, ich schreibe über Frauen, und ich verkaufe sehr viele Bücher mit diesem Konzept. Offenbar gibt es genug Menschen, die gern über Frauen lesen wollen, das ist wunderbar!

Das klingt doch hoffnungsvoll. Eine letzte Frage: Woher kam eigentlich die Idee, die Geschichte deines neuesten Romas „Drei Tage im August“ in der Berlin Chocolaterie Sawade anzusiedeln?

Die Idee kam mir, wie alle meine Ideen, ganz zufällig. Diese Chocolaterie schummelte sich immer wieder in meine Texte, und irgendwann habe ich entschieden, dass es an der Zeit ist, nachzugeben und ihr einen eigenen Roman zu widmen. Der kleine Pralinenladen Unter den Linden, den es wirklich gegeben hat, wird in meinem Roman zu einem Zufluchtsort, einem Dreh- und Angelpunkt für das Kaleidoskop verschiedenster Schicksale, die ich für drei Tage im Jahr 1936 zusammenführe und dann wieder in die Welt der Phantasie entlasse. Drei Tage lang treffen sich dort meine Protagonist:innen, hoffen, träumen, fürchten sich vor der Zukunft, kämpfen mit ihren Dämonen, schließen Freundschaften – und essen, natürlich, Schokolade.

Schön. Danke, Anne!

“Drei Tage im August” von Anne Stern erschien im Aufbau Verlag.

Titelfoto: @heinrichbenjamin