Als ob Kinder uns zu besseren Menschen machen würden

Dieser Post hier war schon länger geplant und basiert ursprünglich auf einem dieser irrationalen Motive - ja, einem Aha-Moment - wie sie mich und alle anderen sicherlich auch hin und wieder einmal überfallen. Abgebildet an einer Freundin, die nach einigen sehr intensiven Jahren mit ihren zwei Söhnen regelrecht in eine über Monate andauernde Phase des Ausbruchs geriet. Selbstredend nicht, ohne über ihr Party-Kommando zu hadern und ihre Mutterrolle insgesamt zu hinterfragen. Vor einigen Monaten hätte sie sich doch nicht einmal vorstellen können, ihre Jungs nur eine Nacht alleine zu lassen. Seitdem sind nun ein paar Wochen vergangen und zumindest eine wilde Diskussion im Netz (Stichwort Attachment Parenting) darüber entbrannt, wieviel und wie sehr man eigentlich für seine Kinder sein muss.

Nun war meine Textidee nie daran angelehnt, wie ich es mit dem Attachment Parenting halte oder Menschen, die sich ihm verpflichtet fühlen. Nur so viel: Ich halte nicht viel von “Ismen” oder kollektiven Ansätzen, die das Sein deklinieren. Und zwar und dieser Tage gerade dann, wenn sie einem vorgeben wollen, doch bitte vor allem ganz nah bei sich selbst zu sein. Mir geht es stattdessen also vor allem darum zu hinterfragen, inwieweit man mit Kind zu einem besseren Menschen wird. Ich glaube das nämlich nicht.

Also klar, es gab da diesen Impuls. Ich weiß noch, wie ich den ersten Tag nach der Geburt meines Sohnes trotz ob der Wehen durchzechter Nacht nicht schlafen konnte. Stattdessen über mein Leben sinnierte und wie es nun sein müsste, um diesem kleinen Wesen gerecht zu werden. Besser sollte es sein. Die schöner genormte Version meines bis dahin zuweilen chaotischen Seins. Dieses reine Wesen in meinem Arm, ich wollte es vor allem beschützen.

Das erste Jahr im Ausnahmezustand

Für einen Moment oder besser 15 Monate Stillzeit hat das wunderbar funktioniert. Ich war voll auf Hormonen und irgendwann dann nur noch ein körperliches Wrack, weil ich einfach gar nicht anders konnte, als mich diesem Baby zu ergeben. Aber: Das hier soll kein Verriss dieser Zeit werden. Ich würde es immer wieder so tun. Allein, weil es so aufrichtig exzessiv war. Ich nie klarer war, etwas zu sein und etwas zu tun. Mein Körper ließ mich gar nicht anders. Dieser Zustand, er schien mir regelrecht einprogrammiert. Vor allem aber war dieser Zustand einer, der mich einen Moment schweben ließ. Über dem, was mich ansonsten so umtrieb.

Was danach kam, ist natürlich immer noch anders, als das, was davor war. Denn sicher entwickeln wir uns mit unseren Kindern weiter. Aber wir täten das wohl auch ohne sie. Ich würde mit meinem Fünfjährigen Zuhause eher behaupten, dass er mich in Dimensionen katapultiert hat, die mir zuvor nicht bewusst waren – abseits der Egozentrik. Aber auch nur, um dann darüber, wie ich mich über ihn erlebe, doch wieder ins Ego abzudriften.

Denn so ein Kind ist in dem Prozess, den wir Persönlichkeitsentwicklung nennen, ja auch der Trigger schlechthin. Das eigene Kind konfrontiert einen zwangsläufig mit der eigenen Vergangenheit, weil wir in ihm noch einmal erkennen, was uns einst selbst umgetrieben hat, danach aber verloren schien.

Vielleicht gibt es irgendwo Leute, die von sich behaupten können, so etwas wie die ultimative Kindheit gehabt zu haben und so ganz ohne Schmerz und eigene kindliche Kränkung in die Nummer mit den eigenen Kindern eingestiegen sind. Ich kann das für mich nicht behaupten. Mein Sohn wurde in ein Leben hineingeboren, in dem seine Mutter sehr mit sich befasst war. Ich bin das noch und so schnell ändern wird sich das wohl auch nicht.

Ich glaube aber ohnehin nicht an ein Kindheitskonzept, nach dem man als Mensch gänzlich gelöst, ja ohne Kränkung ins Leben entlassen wird. Ja, allein geboren zu werden, bedeutet, etwas hinter zu sich zu lassen. Nämlich den idealen Ort: den Uterus. Insofern ist das Prinzip des Verlustschmerzes in der Kindheit wahrscheinlich eher kollektiv als singulär anzunehmen und ohnehin unvermeidlich. Darauf ein Goethe-Zitat:

Ich besaß es doch einmal

Was so köstlich ist”

Daß man doch zu seiner Qual

Nimmer es vergißt!

Ich würde im Umkehrschluss eher behaupten: Wer sich allzu sehr in einer Erinnerung einrichtet, die den Schmerz negiert, hat vielleicht einen Grund, zu vergessen. Oder wie die Psychoanalytikerin Alice Miller schreibt.

“In den meisten Fällen aber bleibt dem Menschen sein eigenes Kinderleiden affektiv verborgen und bildet gerade deshalb die verborgene Quelle neuer, manchmal sehr subtiler Demütigungen in der nächsten Generation.”

Worauf ich mit all dem hinaus will: Ich will hier gar nicht pathologisieren. Vielleicht eher bedeuten: So etwas wie eine ideale Mutter, einen idealen Vater, eine ideale Kindheit gibt es nicht. Es gibt auch niemandem, der seinem Kind so rein begegnen würde, wie es selbst ins Leben entlassen wird. Und es ist gewiss auch nicht so, dass wir mit unseren Kindern zu besseren Menschen würden.

Und das braucht es ja auch gar nicht. Unsere Kinder wissen uns schon zu nehmen. Es ist ja ohnehin unvermeidlich. Weil das, was wir sind oder vor unseren Kindern waren, nichts ist, was sich mit ihnen ablegen lässt. Wir sind als Eltern was wir ohne Kinder schon waren. Und das ist schon ok so.

 

Foto: Aus unserem Porträt mit Celia Muñoz, fotografiert von Sarah Winborn.