Mutterliebe, Mutterbilder und Feminismus

Irgendwo hat man Little Years mal als Online-Magazin mit einer Prise Feminismus beschrieben. Und so findet man bei uns auch Artikel zum Thema Vereinbarkeit, Unabhängigkeit und Emanzipation. Isabel und ich würden uns beide als Feministinnen beschreiben, denn wenn man an die Gleichberechtigung von Männern und Frauen oder Frauen und Männern glaubt, dann kann man eben einfach nichts anderes sein als Feministin.

Oder wie Salman Rushdie mal geantwortet hat, auf die Frage ob er Feminist sei: “Yes. What else is there to be? Everything else is being an asshole”.

Aber ehrlich gesagt, habe ich mir über das Frausein und Feminismus früher wenig Gedanken gemacht. Erst als ich Mutter wurde, ist mir aufgefallen, was es heißt in unserer Gesellschaft Frau und Mutter zu sein und mit welchen Rollenzuschreibungen frau sich auseinandersetzen muss: Ich habe bemerkt, dass auch ich Vorstellungen hatte, ganz tief drin, wie alles so sein sollte. Schon als Kind spielte ich kochen, während die Jungs im Wald auf “der Jagd” waren. Und als ich dann ein Kind hatte und einen eher konservativen Partner dazu, konnte die Frage, wer sich ums Baby kümmert nicht mal besprochen werden. Aber nicht nur dort wurde ich unlängst aus meinem Dornröschenschlaf geweckt: Besonders von Äußerungen der älteren Generation wurde schnell klar, dass der Mann keinen Brei füttern (sollte) und man als Mutter sich ganz klar in erster Linie ums Kind kümmern muss. Aber selbst Bekannte in meiner Generation wiederholten öfter das Mantra: DU bist doch die Mama (ergo die Hauptverantwortung liegt bei dir)! Wo ich nur dachte, ja, aber er ist der PAPA. Eine andere Bekannte erklärte vor Kurzem resigniert, nachdem doch der Großteil der Hausarbeit und Kinderbetreuung an ihr hängen blieb, wir seien eben doch noch nicht so weit mit der Emanzipation. Irgendwie hat mich das traurig gemacht.

Auch Isabel und ich sind jedes Mal verärgert, wenn wir von Menschen unserer Generation, ähnliches erleben. Man sollte doch irgendwie weiter sein, würde ich denken.  Wie oft wollten uns schon Agenturtypen Mitte 30 verschiedenste Angebote machen, mit der Begründung, dass wir uns so mehr um die Familie kümmern könnten? Am liebsten hätten wir geantwortet: Dankeschön, vielleicht könntet ihr auf solche Angebote verzichten und euch stattdessen mehr um eure Familie kümmern?

Und dann gab es noch dieses eine Erlebnis letztes Jahr, das mir schmerzlich klar gemacht hat, dass die Welt in der ich aufgewachsen bin, viele Fortschritte gemacht hat (neuerdings aber auch wieder Rückschritte), aber dass es noch sehr viel zutun gibt. Ich lief in einer kurzen Hose im Hochsommer zum Eisladen, Junio im Buggy vor mir. Ein Typ kam auf mich zu gelaufen, offensichtlich angetrunken, und erklärte mir aggressivst, wie ich mit dem Kind hier in der Stadt unterwegs sein könne – der sollte an den See! (Von dem wir übrigens gerade zurückkamen). Und dann machte er noch eine abfällige Bemerkung zu meinen kurzen Hosen, die ich hier nicht wiederholen möchte. Er verfolgte uns tatsächlich eine Weile, redete auf uns ein, ich hatte Angst. Natürlich ist das einfach eine blöde Geschichte, natürlich hatte ich einfach Pech und der Typ war ein betrunkener Idiot. Was mich im Nachhinein aber so erschreckte war meine Reaktion: Ich fühlte mich schuldig! Ich rief eine Freundin an und zweifelte tatsächlich an meiner Entscheidung, eine kurze Hose anzuziehen – vielleicht hatte ich damit doch provoziert? Ich weinte. Und dann wurde mir klar: Natürlich war es nicht meine Schuld! Selbst wenn ich im Bikini auf der Straße gelaufen wäre, niemand hätte das Recht mich anzugreifen. Aber ich bin so sozialisiert worden – bescheiden sein, den Fehler erstmal bei sich selbst suchen, die Angst als Schlampe zu gelten (danke für den Begriff slut shaming – endlich hat diese Unart einen Namen!).

Ich began mich zu fragen, warum ich so reagierte hatte. Warum ich den tiefen Imprint hatte, dass ein Idiot auf der Straße mich für mein Aussehen kritisieren durfte. Auf meiner Erklärungssuche fing an, mich für Feminismus zu interessieren, ein Wort, das ich früher eher unsexy fand. Etwas, dass zu Frauen aus den 70ern mit Hängebrüsten und Haaren unter den Armen gehörte. Und was war Heteronormativität nochmal? Intersektionaler Feminismus? Dinge, die ich eher als verkomplizierend empfand, interessierten mich plötzlich. Die Welt, in der wir leben, ist nicht einfach so, wie sie ist. Sie ist verdammt kompliziert. Und die Dinge sind nicht einfach “von Natur aus so”, sie sind von Menschen gemacht! Es gibt Mächte, es gibt soziale Konstruktionen, und wir alle haben einen Einfluss darauf, ob es so weitergeht, oder ob sich etwas ändern wird. Der erste Schritt dazu ist, sich dessen bewusst zu werden.

Und Fragen zu stellen!

Man muss nicht gleich zur feministischen Aktivistin werden, aber Information ist immer der erste Schritt zur Veränderung, auch wenn das abgedroschen klingt. Und so begann ich mich auf Seiten wie Fuckermothers herumzutreiben, ab und zu mal, für andere Perspektiven. Irgendwie fiel mir dann das Buch “Oh Mother Where Art Thou?”in die Hände. Dieser Sammelband feministischer Perspektiven auf Mutterschaft und Mütterlichkeit ist nicht ganz leichter Tobak, aber es lohnt sich! Die Texte sind wissenschaftliche Texte und Essays verschiedener Autor*innen und liefern einen guten Einblick in die Debatten. Spannend sind Artikel, die sich beispielsweise mit dem spezifisch deutschen Mutterbild (erschreckend wie faschistische Mutterbilder immer noch nachwirken!)  befassen. Es ist kein Buch, dass man einfach mal so wegliest. Man schmökert eher, schaut mal hier, mal da rein. Und hat nachher eine ziemliche Menge Gedanken im Kopf. Es ist keineswegs ein Plädoyer gegen “traditionelle Mutterschaft”, sondern zeigt alle Facetten auf: Wie kann es sein, dass jemand, der gern für jemanden da ist, als umemanzipiert gilt? Warum hat die kinderlose Frau so ein schlechtes Image? Und die Fürsorge-Arbeit, im Fachjargon Care-Arbeit genannt, warum wird die nur zwischen den Frauen hin und hergeschoben (e.g. die “Karriere-Mutter” gibt die Arbeit an eine migrantische Hausangestellte) und was hat das alles mit Schuld zu tun? Aber auch das Medienphänomen “neue Väter” wird behandelt – warum wird mit so unterschiedlichen Maßstäben bewertet? Was hat das Muttersein mit Frausein zu tun und wie geht unsere Gesellschaft damit um?

In einem Interview mit der Zeit sagt die feministische Philosophin Élisabeth Badinter: “Erstens gibt es nicht die Mutter, und zweitens gibt es nicht das Kind, deswegen kann es auch nicht die Mutterliebe geben. Genauso wenig wie Mutterinstinkte. Es gibt Mütter, die verschmelzen mit ihrem Kind, andere tun das aber nicht. Deswegen ist die eine keine schlechtere Mutter als die andere.” Wie befreiend, so etwas zu hören! Auch wenn ich mit manch anderen Äußerungen Élisabeth Badinters nicht übereinstimme, finde ich ihre Ansätze spannend. Ihr seht schon, es ist mal wieder nichts so wie es scheint. Und was war jetzt intersektionaler Feminismus, vereinfacht gesagt: Dass man sich für alle Randgruppen einsetzen sollten und sich die verschiedensten Formen von Diskrimierung bewusst werden sollte. So etwas macht uns nicht automatisch zu besseren Menschen, aber Feminismus ist eben weit mehr als “nur” Frauensache.

Das Buch gibt keine klaren, und keine einfachen Antworten, aber es liefert ordentlich Stoff, mal ganz anders über unsere Gesellschaft und auch die eigenen Vorstellungen nachzudenken. Wir müssen nicht auf Demonstrationen gehen (wer will gern!), aber wir haben Kinder, und die sind unsere Chance etwas zu verändern.