Wie ist das, wenn man vier Töchter hat, Tillmann Prüfer?

Fotocredit: Max Zerrahn
Tillmann Prüfer ist Mitglied der Chefredaktion des Zeit Magazins, Buchautor, Kolumnist – und Vater von vier Mädchen: Luna (20), Lotta (14), Greta (12) und Juli (6). Über sein Leben als Papa schreibt er wöchentlich in der Kolumne "Prüfers Töchter", die im Zeit Magazin erscheint. Aus dieser ist ein Buch entstanden: "Kriegt das Papa oder kann das weg?", erschienen im Rowohlt Verlag.  Tillmann arbeitet wie gegenwärtig viele Eltern mit seiner Frau und drei Kindern im Home-Office. Wir haben in einer raren, ruhigen Minute mit ihm über Rollenbilder, gelbe Bagger und, natürlich, das Leben im Corona-Ausnahmezustand, gesprochen.

Deine Frau und Du arbeitet gegenwärtig mit Kindern im Home-Office. Wie läuft es bei Euch?

“Genau, wir sind zu fünft im Home-Office, meine älteste Tochter hat sich zu ihrem Freund nach München abgesetzt. Die anderen Kinder sind in diversen Lerngruppen auf WhatsApp, bekommen Aufgaben und Lehrpläne per E-Mail und arbeiten auf Lernplattformen. Die Kombination aus Home-Office und Home-Schooling ist ganz schön tückisch. Es hat ja einen Grund, warum ich Redakteur bin – und nicht Lehrkraft. Bei uns herrschte in den ersten Tagen Chaos. Das sieht dann zum Beispiel so aus: Man macht sich den Vorsatz, dass man um 10 Uhr mit dem Unterricht beginnt. Dann setzt der Chef aber für 10 Uhr eine Video-Konferenz an. Man bemüht sich um Ordnung, aber irgendein Kind schmiert garantiert das Marmeladenbrot durch die Wohnung. Und als Elternteil hat man natürlich nicht die Autorität, die ein Klassenlehrer hat. Wenn mich meine 14-Jährige fragt, wie man einen Bruch mit zwei Unbekannten löst, macht mich das völlig fertig. Ich wusste nicht einmal, dass es das gibt.”


Hast Du nach den ersten Tagen Tipps für Eltern, die sich in der gleichen Situation befinden?

“Man ist ja zur Zeit mit den Menschen, die man am meisten mag, quasi eingesperrt. Das ist eine Notsituation, eine ganz und gar nicht erquickliche Angelegenheit, deswegen sollte man sich, finde ich, von dem Streben nach Perfektion frei machen und davon ausgehen, dass alle auch mal total voneinander genervt sind, anstatt den Zustand zu idealisieren und zu glauben, man macht es sich jetzt immer schön. Es hilft auch, SEHR an seiner Toleranzgrenze zu arbeiten. Außerdem gilt wie immer, wenn man von zu Hause arbeitet: Feierabend machen. Bei uns ist spätestens ab 19 Uhr der Laptop zu, dann piept, brummt und klingelt nichts mehr. Telefonieren finde ich wichtig, mit Oma und Opa, mit Freunden, mit Menschen, die man jetzt nicht sehen kann.”

Deine Kolumne ist sehr erfolgreich, dabei war sie ja ursprünglich gar nicht so geplant. Kannst Du erzählen, wie es dazu kam?

“Mein Chefredakteur hatten mich zu einem Arbeits-Lunch eingeladen. Er erzählte mir dann, dass er eine Erziehungskolumne für vier Altersstufen plant – Kindergartenkind, Schulkind, Teenie und ein erwachsenes Kind – und Kollegen sucht, die jeweils eine Altersstufe übernehmen. Mir kam das total komisch vor, mich dabei für eine meiner Töchter zu entscheiden, deswegen habe ich gesagt, er solle erst einmal die anderen Kollegen fragen und ich würde dann einfach das nehmen, was übrig ist. Ich sagte noch: “Ich kann ja alle Altersklassen bedienen”, da kam mein Chef auf die Idee, dass ich einfach alle Kolumnen schreiben könne. Ich war erst schockiert, habe das dann aber mit meiner Frau und meinen Töchtern besprochen und freue mich jetzt über die vielen Reaktionen und Zuschriften.”

Warum glaubst Du, dass die Kolumne so viele begeisterte Leser hat?

“Ich glaube, viele finden sich darin wieder. Und eben nicht nur Eltern, die diese Themen naturgemäß besonders interessieren. Großeltern fühlen sich an ihre Zeit als junge Eltern erinnert. Und Kinder und Jugendliche identifizieren sich mit meinen Töchtern, Greta hat zum Beispiel einen richtigen Fanclub!”

Wie sieht man als vierfacher Mädchenpapa Themen wie Gleichberechtigung und Rollenklischees?

“Ich finde das immer etwas daneben, wenn Männer sagen: “Seit ich eine Tochter habe, sehe ich die Welt ganz anders.” Ich frage mich dann immer, ob sie keine Mutter oder andere wichtige Frauen in ihrem Leben hatten. Man muss keine Tochter haben, um für Gleichberechtigung zu sein. Für mich schwingt da immer auch eine maskuline Selbstherrlichkeit mit. Ich bin ein großer Fan des Feminismus und profitiere besonders davon, wenn die Welt endlich gerechter wird. Als Vater von vier Mädchen bekomme ich vieles mit, womit Frauen auch heute noch zu kämpfen haben – Körperbilder zum Beispiel, diesen Drang zur Optimierung und den Perfektionsanspruch, dem junge Frauen ihren gesunden Körper unterwerfen sollen. Väter sind da total gefordert. Themen wie Zyklus, Verhütung und Schönheitsideale etc. sind keine reinen Frauenthemen. Es gibt keinen Grund, warum man sich als Vater nicht damit auseinandersetzen sollte. Im Gegenteil: Oft ist man als Mann da vielleicht sogar unbefangener, weil man nicht direkt davon betroffen ist.”

Hast Du versucht, bei der Erziehung Rollenklischees zu vermeiden?

“Das ist ein schwieriges Thema. Ich finde Dogmen bei der Erziehung ganz schlimm und wenig hilfreich. Als Lotta klein war, gab es eine Phase, da hat sie alles mit Bauen total fasziniert. Ich habe mich gefreut und ihr einen großen, gelben Bagger gekauft. Sie spielte damit und meinte irgendwann: “So, jetzt bist Du müde, mein lieber Bagger” – und brachte ihn zusammen mit ihren Puppen ins Bett. Kinder finden ihren Weg. Spielen ist ihr „private space“ und Eltern sollten nicht versuchen, sie darin zu formen. Und wenn man Kindern ab einem bestimmten Alter versucht, die Kleidung zu diktieren, etwa: “Zieh doch ein Kleidchen an, wenn wir zu Oma gehen”, dann kann das sogar richtig verletzend sein.”

Ein großes Thema für uns ist ja 50/50, wie teilst Du Dir mit Deiner Frau die Aufgaben rund um Haushalt und Kinderbetreuung?

“Ich glaube, die meisten Männer glauben, sie würden das genau 50/50 teilen, in der Realität engagieren sich Frauen aber immer noch deutlich stärker Haushalt und bei der Kinderbetreuung, ich glaube, es sind rund drei Stunden mehr pro Tag. Wir haben eine Putzhilfe, die einmal wöchentlich kommt, das hilft natürlich. Meine Frau und ich arbeiten jeweils zu 90 und 80 Prozent, sind beide Journalisten und haben vergleichbare Karrieren. Ich bin an einem Tag in der Woche mit den Kindern zuhause, meine Frau an zwei Nachmittagen. Ich würde sagen, die Kinderbetreuung teilen wir uns ziemlich gleichberechtigt. In der jetzigen Generation entsteht aber was die Verteilung von Aufgaben angeht nochmal ein ganz neues Selbstbewusstsein. Viele Frauen fanden sich lange Zeit nach dem ersten Kind in der Teilzeitfalle wieder – das wird sich ändern, denn wer sagt, dass nicht auch der Vater das erste Jahr mit dem Kind zuhause bleiben kann?”

Wie ist das mit Mental Load bei euch? Wer kümmert sich um den Adventskalender?

“Ach, solche Dinge mache ich ja gerne, alles, was mit Festen und Geburtstagsparties zu tun hat, erledige ich mit großen Eifer. Ich kaufe auch oft Kleidung für die Kinder. Aber was das Alltägliche angeht, ist meine Frau schon sehr viel fitter, die kocht vieles mal eben so, wofür ich ein YouTube-Tutorial bräuchte.”

Deine Kolumnen und auch das Buch zeichnen sich immer durch Humor und Optimismus aus. Ich muss beim Lesen oft lachen. Hast Du vielleicht einen Tipp, wie man sich diese positive Sicht auch in der Corona-Krise bewahrt?

“Meine Kinder finden mich gar nicht so witzig. Ich meckere eigentlich ziemlich viel. Meine Frau lacht wesentlich öfter als ich. Aber wenn man einen Schritt aus sich heraus geht, und sich sein Leben aus der Vogelperspektive ansieht, dann wirkt es häufig ziemlich lustig. Tragisch, aber auch komisch. Ich glaube, wir alle scheitern – oft sogar ziemlich grandios. Wenn man es schafft, ein wenig Abstand von der Verzweiflung zu nehmen und sich der unfreiwilligen Komik des eigenen Lebens bewusst zu werden, dann übersteht man auch acht Wochen Lockdown oder was auch immer für Maßnahmen uns noch bevorstehen.”

Danke!

Foto von Tillmann Prüfer: Copyright Max Zerrahn