Wie ich in meinem Kind eine Heimat fand

Wuppertal also. In letzter Zeit kommen wir wieder oft hier her. In diese Stadt, in deren bergischen Mischwäldern Lars von Trier Antichrist gedreht hat, Friedrich Engels mit Karl Marx die kommunistische Revolution andachte und in der ich geboren wurde, aber aus der ich irgendwann auch unbedingt: raus wollte.

Wuppertal ist wahrscheinlich größer, als die meisten denken. In meiner Kindheit lebten hier, meine ich, einmal knapp 400.000 Menschen. Wuppertal ist keinTeil des Ruhrgebiets und zählte einmal zu den reichsten Städten Deutschlands. Textil- und Chemischer Industrie sei Dank. Bayer hat hier immer noch einen Stammplatz und auch der Thermomix wurde in dieser, meiner Heimatstadt entwickelt.

Vielleicht ist es das auch schon: Der Thermomix. Staubsauger. Tierversuche. War alles noch nie meines. Die Dimensionen schienen hier in dieser Stadt, in der ich einmal geboren ward, sehr eng. Und so zog ich, wie so viele andere Kinder aus kleinen und mittelgroßen oder schlicht vermeintlich tristen Städten zum Studium schnell weg. Nach Düsseldorf. Was natürlich wahnsinnig viel besser war. (Ironie off)

Heimatlos

Aber gewisser Weise war es wohl notwendig, erst einmal herauszukommen aus der Stadt. Ja, bedurfte es der Distanz – fühlte ich mich immer wieder in meiner Flucht bestätigt, wenn ich auf Heimatbesuch war und sehr schnell, sehr beklommen war – ob der vermeintlich engen Strukturen hier und dem neben mir so scheinbar engstirnigen Wuppertaler Bevölkerungsrest.

Inzwischen denke ich: Bullshit. Dass ich annahm, die Stadt sei es. Denn während ich so weiterzog – von der Stadt am Rhein nach Marburg nach Frankfurt am Main nach Brüssel nach Berlin – überfiel mich doch immer wieder jener Fluchtgedanke, der mich aus Wuppertal hatte wegziehen lassen. Sehr redudant also, das Ganze.

Inzwischen ist klar: Es lag natürlich an mir und nicht an der Stadt, dass ich Wuppertal nicht ertrug. War ich von ihr unabhängig und von mir abhängig stetig getrieben, fühlte ich mich rast- und ruhelos, vor allem aber entwurzelt. Es waren nicht die Wuppertaler insgesamt, die mir nicht bekamen. Ich war es, die sich hier nicht ertrug und dachte, ins Bergische nicht hineinzupassen und dass es notwenig sei, einen Ort zu finden, an dem ich mich aufgehobenerer, verstandener, nicht so unglaublich fremd fühlen müsste.

Denn genau das ist es: Ich habe mich immer sehr, sehr fremd gefühlt. Aber nicht vornehmlich unter den Wuppertalern – sondern unter meinen Eltern. Meine Familie war es, in die ich nicht hineinpassen wollte.

Aber für einen Moment zurück zur Heimat.

Wuppertal also. Während ich noch vor zwei Jahren annahm, Wuppertal sei mir doch einfach zu klein – bzw. immer wieder vortrug, Berlin habe mir Wuppertal aberzogen – gäbe es aus dem Großen kein zurück in das Kleine, bin ich mir inzwischen nicht mehr so sicher.

Und da wären wir wieder bei der Rastlosigkeit, aber auch dem Wunsch, zur Ruhe zu kommen – inmitten der ewigen Überforderung ob der vielen Menschen in Berlin, der Sehnsucht nach der Natur, dem Wald – in dem immer so unmittelbar alles so klar zu sein scheint – ehe die Unruhe der Stadt mich wieder hat und ich manchmal dann doch wieder meine, ich bedürfte all ihrer Angebote. Die gute Ambivalenz: sie scheint mir manchmal mein zweiter Name zu sein.

Eigentlich ist es doch aber so, dass ich nur eines brauche – und das ist meine eigene kleine Familie – ja, mein Kind um mich. Beginnt die Heimat inzwischen für mich nicht mehr in einer Stadt, sondern in dem Bett, aus dem er nicht von mir und meiner, unseren Matratze weichen will. Jenes Nachtlager, das mal in unserer Wohnung, mal in Herbergen oder Bauwägen besteht, das er aber egal wo und verlässlich in der Nacht querliegend besetzt und aus dem er morgens auf meinen Schoß kriecht, ich an seinem Kopf schnuppere und ich mir nicht vorstellen kann, dass mir ein Mensch, ein Schopf, ein Geruch jemals vertrauter sein könnte – in diesem Land, auf diesem Kontinent – ja, in dieser, unserer Welt.

Ich habe gewisser Weise in meinem Kind eine Heimat gefunden. Eine, die ich als Kind in meinen Eltern nicht hatte und die mich wiederum bewegt anzunehmen, dass es für ihn nicht wichtig ist, wo wir – sondern wie wir miteinander leben.